Die beiden Schutzleute gingen ihm schon eine Weile nach. Sie behielten ihm in Auge. Die dachten, er trage sich mit Selbstmordgedanken. Er lachte. Nein, er tri� sich mit Lebensgedanken. Selbstmord, das war ihm ganz etwas Fernes und Fremdes. Nein, die beiden konnten beruhigt fem, er würde sich nicht ins Wasser stürzen. In dem Haus an der Ecke, das man von den Grands Boulevards durch die Rue Taibout so famos sah, ging oben unterm Dach ein Licht auf. Vielleicht feierten zwei ein Lebens- fest. Vielleicht legte sich nur ein müdes Haupt zur Ruh. Vielleicht hatte ein Verbrecher ein Nachtquartier gefunden, vielleicht träumte ein Poet hier oben und dichtete Welt- gesänge..Was kümmerte es die Welt! Was ist der einzelne! ileber Paris   ging ein Licht auf, niemand sieht danach. Und es erlischt ebenso imbeachtet. Es ist alles ein Nichts. Er ging weiter. An der Ecke der Nue des Saules war das KaheretZum Mörder": fetzt ein bisichen zahmer Flotter Hase" genannt. Er blieb vor dem breiten erleuchteten Fenster stehen. Im ersten Augenblick konnte er nicht erkennen, was hinter der grauen schnrntzigen Scheibe war ein kleiner Laden oder eine Kneipe. Erst allmählich unterschied er die Gegenstände innen niedere Bänke an den Wänden, ein paar kleine rohe Tische, ein größerer Tisch, all diese Möbel ohne Lack und An- strich, kaum gescheuert eine niedere Decke, eine schmutzige mattleuchtende Hängelampe mitten. Au den Tischen saßen finstere, zerlumpte, unheimliche Gestalten. Der eine hatte den Kopf in die Hände gestützt, ein anderer hatte die Arme über die Tischplatte gebreitet und ließ den Kopf auf ihnen ruhen. Andere stierten vor sich hin, einige rauchten, so daß der Qualm dicht um die Matte Lampe   flog, und zwei oder drei standen vor dem Schanktisch, hinter dem der Wirt in Hemdsärmeln, die weiße Schürze vorgebunden, eine flache Mütze auf dem Kopfe, eine Zigarette im Munde, sich unter- hielt, einschenkte, bediente und Bezahlung entgegennahm. Philipp stand noch und sah in den wenig einladenden Raum. Und doch zog ihn etwas an. Es klang ihm etwas daraus entgegen wie Verlieren und Vergessen. Er sann über die Menschen nach, die hier verkehrten. Sie gingen, wie er, abseits der hellen Straßen und suchten die dunklen auf. in denen man sich verliert. Der eine ist in ihnen aufgewachsen und hat sie nie verlassen. Vielleicht hat er sie nicht lieb, aber sie sind ihm notwendig. Es ist ihm unbebaglich i» den hellen, den blanken und feinen, er braucht Dunkel und Schmutz, den dumpfen Geruch und die unreine Luft. Den anderen hat das Leben in sie getrieben, hinter dem ist es hergejagt, bis er sich vor ihm versteckt hatte. Und er ist ihnen dankbar, daß sie ihm Zuflucht gewähren. Aber der Mensch sehnt sich doch immer nach Helle und Licht, fiel es dann Philipp in die Seele, und das war schnei- dend und schwer Geburt, Schuld und Schicksal t das war so bitter und grausam. Er sann darüber nach und starrte in das Fenster. Es war etwas, das ihn anekelte hier, aber es war auch etwas, das ihn festhielt. Ein kleiner Trupp junger Männer kam, Dirnen am Arm. Sie sahen ihn. Immer nur herein!" redeten sie ihn an.Hier geht's lustig zu!" Und eine der Dirnen faßte ihm unters Kinn. Er trat zurück. Es war ihm, als müsse er sich in seine Kleider verstecken. Drinen gab's Gejauchze, Gelächter, Ge- lärm, als die Ankömmlinge eintraten. Tische wurden ge- rückt, Stühle aufgestoßen, und die Bestellungen klangen durch­einander. Der Wirt bleibt bei alledem ruhig und beeilte sich nicht, so ungestüm auch seine Gäste waren. Nun hatten so ziemlich alle ihre Plätze eingenommen, und die Tische waren mit Absynth- und Kaffeegläsern be­stellt. Der Tabaksrauch wurde dichter und dichter und hüllte Gestalten und Gegenstände ein, so daß man sie durch das be- staubte und berußte Fensterglas nicht mehr deutlich erkennen tonnte. Sie. verloren sich in Grau. Vergessen!" murmelte Philipp. Gleichzeitig wunderte er sich, daß er noch dastand. Aber tS ging trotzdem nicht. Gesang tonjjj heraus. lFortsetzung folgt.) q Die familic Krage* Von Johann Skjoldborg. Autorisierte Uebersetzung von Laura Heldi. Da stieg ein Seufzer empor aus der Brust des alten Häuslers, als hätte er es lieber gesehen, daß für alle Ewigkeit ein Hänge» schloß vor diesem Inhalt angebracht worden wäre. Von all den gedruckten Sachen, die den Tisch überfluteten» hinweg, hob er seine Augen auf zu dem Konfirmationsvers, der folgendermaßen lautete: Geh stets der Tugend schmalen Weg, Hör auf die Stimme der Vernunft, Nicht weiche dem Gebot der Pflicht, Noch Dein Gelübde je vergiß." Das war, mit Ausnahme de-Z Gesangbuches, das einzig Ge» druckte, das Anders je im Haus« gehabt hatte. Dazu bestand dieser Vers ganz gewiß nur aus Druckbuchstaben, die mit Tinte und Feder hergestellt waren; über es war doch die Summe seiner Kindheitslehren, eine Erinnerung an jenen wichtigen Tag, an dem er in die Welt hinausziehen und für sich selber sorgen mußte; im Wort Gottes, das der alte Torfpastor ihm mit auf den LebenAveg gegeben hatte. Anders fand, daß dieser Vers sehr viel enthielt. Als ein Gedenkblatt und zur Erinnerung an das, was einer höheren Welt angehört, hatte er es einrahmen lasten und an die Wand gehängt. Denn jedes Ding mußte seinen Platz haben, sowohl das eine wie das andere. Wenn nun aber der Schwieger- söhn kam und ein ganzes Fuder Drucksachen über das Haus aus- schüttete, dann war das verkehrt. Das war nichts für Leute, die mit ihrer Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen sollten. Er blickte auf den Vers und dann wieder auf das Bild des. Vorstehers, das jetzt schräg gegenüber hing; sein Blick fuhr fort von einem zum anderen zu wandern. Es kam Anders wirklich so vor, als lache der Langbärtige über seinen Konfirmationsvers. -- Spät am Tage standen die beiden Männer zusammen. draußen im Stall. Anders beugte sich über die brusthohc Ein- fastung des Schtveinestalles und scheuchte mit seiner Mütze die beiden Ferkel auf, die schläfrig auf der Streu lagen. Sieh, die beiden Burschen hier sollten ja gerne die Zinsen bezahlen," sagte er und faltete die Hände, ganz versunken im An- blick der beiden Schweine, die dastanden und sich aneinander- scheuerten. Dann wandte er sich den Kuhständen zu.Dieses Stück Jungvieh hier ist ein sonderbares Ding, aber festgebaut und stark- knochig ist es ja und so. kann immer noch ein Sümmchen dabei her- ausspringen... Nein, aber sieh mal hier die buntscheckige. Ah! Ich sage Dir, das ist eine Milchkuh. Komm her und fühle mir mal, Jürgen, dann wirst Du sehen, sie hat auch alle Kennzeichen!" Und dann sind hier diese beiden!" Er trat hin vor die zwei weißstirnigen Ochsen.Wir drei schaffen schon ettvas, kannst Du glauben. Aber sie werden nun bald alt, und ich bin auch nichi mehr jung!" Liebkosend strich er ihnen mehrmals über den Rücken. An der Scheuncntür hielt er zögernd inne.Es ist schon. bester, daß Du das Haus kennen lernst." sagte er dann in einem Ton, als führte er Jürgen zu den verborgenen Schätzen in den geheimnisvollen Aufbewahrungsorten des HauseS. Dann beugte er die hohe Gestalt und schritt durch die niedrige Türöffnung. Im Herbst ist hier alles pfropfvoll bis an den obersten Balken." Anders blickte in die Höhe, und seine Worte hatten einen feierlichen Klang, als gehörten sie in«ine Kirche. Sie gingen weiter, vorbei an den Winkeln der halbdunklcn Scheune, die unbehaglich genug wirken in einem unbekannten Hause. Doch Anders schritt langsam vorwärts und sprach zögernd, als sei er vertraut mit den Geistern, die hier etwa hausen könnten. Er ösfnete die Tür zum Schafstall und zur Remise. Hier find zwei Wagen, und sie sind alle beide solid und gut. Hier find auch Ackergeräte, wie Du siehst!" Er behielt die halb- offene Tür in der Hand, damit das Auge sich recht satt sehr« konnte an all den hier aufgehäuften Dingen. Jürgen sagte nichts während der ganzen Wanderung. Es schien auch, als erwarte Anders keine Bemerkungen; alS wieder­hole er nur ein Selbstgespräch, das er früher schon oft an diesen Stätten geführt. Dann durchschritten sie die dunkle Tenne, wo man kaum ihre Schritte auf der weichen Lchmdiele vernahm und betraten das ge- pflasterte Brauhaus, wo die eisenbeschlagenen Holzschuhe auf den Steinen klapperten. Zwischen der Drangionne und dem ge- mauerten Vraukestel, der hier stand, führte eine Leiter hinauf auf den über den Wohnräumen gelegenen Boden. Hier stiegen sie hinauf. Anders betrachtete mit zufriedenem Blick die kleinen Korn. Haufen, die hier lagen.Zum Verfchioenden und Vertun ist hier nichts, aber hier ist Korn, sowohl zum Säen wie zum Esten!" sagte er und setzte sich auf ein Schcffclniaß, da sein Kopf beständig Ge» fahr lief, oben an den Giebelbalken anzustoßen. Wie der alte, abgearbeitete Mann so gebückt da saß auf seinem niederen Kornboden, wie emporgeschosten aus dem Erdboden selber,