- 806-Doktor LaforSt schmunzelte.Wie lange find Sie in Paris?"„Im vierten Jahrs."„Sie sprechen einen leichten Jargon— ein wenig nachunten— aber Sie dürfen stolz sein, Sie haben nicht dendeutschen Mzent."„Ich habe mich in den unteren Schichten des Volkes hierbewegt.".So, so! Des Interesses halber?" warf der Doktorleicht hin.Philipp war schon ein wenig verwirrt geworden. Erhatte etwas gesagt, was er nicht hatte sagen wollen. Undnun auf die Frage, die ihm fast die Brücke bot, aus der Ver-wirrung herauszukommen, sagte er rasch:„Ja. des Interesses halber— und"— als er desDoktors leise gekräuselte Lippen und die Fältchen an seinenAugen sah—„und um Beobachtungen zu machen."Der Mund schnappte ihm förmlich zu.„So!" sagte Doktor LaforSt—„Sie waren Kranken-Wärter in Deutschland?"Philipp war aus dem Konzept gebracht. Er war keinMensch der Verstellung, er war eine zu ehrliche Natur. Erantwortete nicht. Er fühlte, er war gefangen, wenn er jetztnicht vorsichtig war.„Man sagt mir, Sie haben Medizin studiert. WarenSie bei Kraepelin in Heidelberg?"„Nein," sagte Philipp und atmete auf,„ich kenne ihn so."„So! so!" kams zurück.„Sie kennen ihn. Das ist mirsehr interessant, daß Sie ihn kennen."Nun verlor sich das Kräuseln nicht mehr von DoktorLaforSts Lippen, und die Fältchen an den Augenwinkelnzuckten beständig.„Sie haben doch nicht Kranke behandelt— oder doch?Aerztlich, meine ich."Wie, was wollte er? Wußte er? Vielleicht wußte er.Dann war es besser, die Wahrheit zu sagen. Wer konntewissen, was der Apotheker geplaudert hatte! Wenn denFranzosen die Phantasie durchgeht.— Und Philipp sagtetreu und ehrlich:„Ja, ich habe schon Kranke behandelt."„Geisteskranke?"Er war diesem spitzfindigen Herrn, der so nebensächlichfragte und bestündig bei seiner Hauptsache blieb, einfach er-legen und ausgeliefert.„Auch Geisteskranke," sagte er, um bei der Wahrheit zubleiben.„So!" klang es wieder.„Nach der Methode Kraepelin?"Nun riß Philipp die Geduld.„Als Krankenwärter, bitte!"Doktor LaforSt erhob sich.„Seien wir ehrlich," sagte er.„Glauben Sie, daß ichmich so wenig auf Menschen und Physiognomien verstehe?Wie sie sieht kein Krankenwärter aus. Sie sind Arzt. WollenSie bei mir als Oberwärter eintreten, um die Verhältnisseund Zustände auszustudieren? Nun, da werde ich mich vorIhnen zu hüten wissen. Warum wollen Sie Wärter in Sainte-Anne werden?"Nun begriff Philipp. Der Chefarzt hatte einen Verdacht.Und es war ihm nicht gelungen, ihm den Arzt zu verbergen.Wie konnte er sich rechtfertigen, wie ihm den Verdacht nehmen?Er war nicht geschickt genug in Ausreden, er mußte seinerNatur getreu bleiben und alles offen und ehrlich sagen. Soerzählte er vertrauensvoll sein Leben.Der Doktor LaforSt hörte ihm schweigend zu, indem erbeständig prüfende Blicke in den Spiegel warf, so daß esPhilipp jedesmal einen Ruck gab, worauf er ein wenig inne-halten mußte.(Fortsetzung folgt.)!ItsDie famiHe Krage.Von Johann Skjoldborg.Autorisierte Uebersetzung von Laura Helvk.Die Zuhörer saßen da und starrten in die leere Luft hinaus,wo es nichts zu ehen gab.Er blickte auf die Uhr. Seitdem er begann, waren nur zwanzigMinuten vergangen. Die Zeiger standen gewiß stille,— und die|Gedanken ebenfalls, meinte er. Eine Zeitlang sprach niemand iein Wort. 1Dann kam ihm eine Idee:Es sei der Versammlung vielleicht bekannt, daß man ringsumber sogenannte Vortragsvereine gegründet habe, wo man sichzu Vortrag und Gesang, zur Erbauung und Aufklärung zusammen»finde. Er wolle vorschlagen, daß man hier heute abend darüberdiskutiere, ob eine Gründung eines solchen Vereins in den ToruperDünen erwünscht sei. Es sei dies einer der Wege, das erwachendeGemeinleben zu heben.Niemand erwiderte etwas darauf.Ein kleiner Beitrag müsse dazu erhoben werden, erklärteJürgen.„Ja. unser Geld, das wollen sie, meiner Seel, alle haben!"zischte Mad Kirk.Die Leute sahen sich an.— Pause.Da erhob sich inmitten der Versammlung ein vollbärtigerMann. Alle wandten sich nach ihm um. Mit seinen langen un-gekämmten Haaren und dem wilden Bart sah er so zerzaust aus,als wohne er darautzen auf der äußersten Düne. Er ließ seinewasserblauen Augen im Kreise umherlaufen, als suche er jemandenund dann sagte er mit rauher Stimme:„Es sollte wohl keiner vonEuch einen Schafbock gesehen haben, der mir wegggekommen ist? Erhatte einen Schnitt im rechten Ohr und einen Wollbüschel auf derrechten Bauchseite."Die Leute lachten.„Ja.— was denn weiter! Ich sagte mir. hier kämen Leuteund da könnte ich gern hierherlaufen und nachfragen. Er warvon Mikkel Peters guter Rasse, so daß ihn verteufelt ungern ver-lieren möchte!"Irgendwo ließ sich eine schwache, pfeifende Stimme vernehmen.die berichtete, daß am Abend vorher bei ihm daheim irgend etwasgeraschelt habe, bei seiner Ankunft sei es aber davon gelaufen.Er wisse nicht, was es gewesen sei.„Nein, das wird die kopflose Sau gewesen sein, die da zwischenden Höhen spukt!" fiel Niels Malle ein.Gelächter.Endlich gelang es Jürgen, die Ruhe soweit wiederherzustellen.daß er zu fragen vermochte, ob keiner da sei, der Mitglied des Ver-eins werden wolle.Aber nach kurzem Schweigen erklärte Jenskön:„Das kannstDu Dir sicher sparen, mein Freund, denn ich glaube, daß wir hieram meisten dafür sind, die Sache abzuwarten!"Damit war die Diskussion geschlossen.Aber Jürgen sagte still und mit so echtem Klange, daß allelauschten:„Habt Dank, daß Ihr gekommen seid. Ich habe etwasgehört und gelesen, daß mich selbst froh gemacht hat, und ich glaubte,daß vielleicht auch andere dadurch froh werden könnten!"Einen Augenblick sahen sie ihn an, als ob sie ihm glaubten.—Als die Versammelten sich zu erheben begannen, sprang JensPht auf einen Stuhl hinauf. Er hatte ein trockenes, scharfes Ge-ficht, eine wächserne Haut und ein P�ar dunkel umränderte, halb-irre Augen, die tief drinnen unter einer niedrigen Stirn saßenund schielend den langen Nasenrücken hinunter sahen.„LiebenFreunde! Laßt mich für Euch zeugen, ehe wir auseinandergehen!"Er seufzte und schloß die Augen. Dann begann er mit kreischenderStimme:„Nun habe ich hier den ganzen Abend gesessen, habe aberweder des Heilands noch des Teufels Namen nennen hören. FindetIhr, daß das vor Gott recht ist?— Dagegen ist viel von einemalten Trold geredet worden, der sich Holger Danske nannte. Dasdarf nicht sein, Ihr lieben Freunde!— Aber jetzt werde ich Euchein geistliches Lied vorsingen aus dem herrlichen Buch„Die Posaunedes züngsten Gerichts", das ich hier in der Hand halte."Dann schloß er wieder die Augen und sang mit kreischender,durch Mark und Bein dringender Stimme einige Verse mit fol-gendem Reftain:„Da werden goldene Sternen, da werden auch Harfen sein,Und für die Kinder selbst wird etwas abfallen."Während sich die Stube langsam leerte, saß Jürgen da undstarrte vor sich hin, aber nicht wie jemand, der die Schlacht gewann.Einer der letzten war der Stillc-Peter:„Dieser HolgerDanske", sagte er,„hat der eigentlich wirklich jemals— äh—gelebt?"„Nein," antwortete Jürgen,„so recht eigentlich gelebt imSinne des Wortes, das hat er wohl nicht."„Naa ja, das war es nur, was ich wissen wollte." Dann setzteer die Pfeife in Brand und ging hinter den anderen her.Sörcn Knak aber wandte sich in der Tür noch einmal um undsagte:„Gute Nacht, Jürgen!"Jetzt erst erhob sich Anders aus seinem strohgeflochtencn Stuhl.Und während Jürgen und Marie das Zimmer in Ordnungbrachten, fragte Kjesten, wobei sie sich den Kopf kraute:„Wasmeinst Du nun dazu, Anders?"„Ich meine," antwortete er,„daß er das Maul ziemlich weitaufreißt und dennoch nicht weit genug!"X.Es war an einem frühen Wintermorgen, gelinder Frost undkein Schnee. Das beginnende Tagesgrauen drang wie einschwacher, zitternder Schimmer durch die Dunkelheit, die noch überden großen Sanddünen lagerte, so daß nur die Umrisse derselbenund der zunächst liegenden menschlichen Wohnungen undeutlichhervortraten.Aus den Fenstern des Krageschen Hauses schimmerte Licht.