Ihatte. Er steckte in einem zu weit gewordenen Frack, der ihm,weil er ihn bei jeder Gelegenheit trug, das Aussehen einesunzufriedenen Tafeldeckers oder auch eines Leicheizbitters gab.da er sich selbst bei festlichen Gelegenheiten niemals von derschwarzen Kravatte trennen konnte, die er regelmäßig in ver-schrobenen Zustande zeigte. Ein geschworener Feind allerModernen, rächte er sich für die Behauptung der Jüngeren,daß er immer noch alles in„brauner Sauce" male, dadurch,indem er sie alle für Idioten erklärte, die die Natur in einemverrückten Zustande betrachteten.„Kempen, Kempen?" quarrte er mit seiner verschleimtenStimme.„Ist mir niemals begegnet. Wird wohl ein söge-nanntes unausgebrühtes Ei sein. Wer weiß, was dann her-auskonimt. Wohl einer von Heilkes neuen Gehilfen? Erhat ja schon eine ganze Kompanie gefüttert und dann in dieWelt geschickt, aber wo bleiben sie, wo bleiben sie, Felix?Das ist die Fraget Von den meisten hört man nichts mehr.Das macht die neue Richtung, ja das macht siel Kein akademi-scher Werdegang mehr, keine Achtung vor den Lehrern. Eigen-dünkel, weißt Du, nichts als Eigendünkel. Zigeunerkunst.Statt ein Akanthusblatt zeichnen zu lernen, schmieren siejleich janze Bäume hin, jrien, blau und käseviolett. Js esnicht so?... Ich meine natürlich die Maler. Na, die Bild-Hauer streichen ja ooch schon alles an. Helfen sich damit.Früher haben sie die Oogen bloß ausjekratzt, jetzt malen sieschon die Pupillen an. Js es nich so?... Und's Haar blond,und die Backen werden jetönt. Merkwürdige Koppe sieht manda rum stehn. Anstreicher, die sich auf'n Jips jeworfen haben IJs es nich so?... Hoffentlich jibts nu bald was zu essen.Dauert heute verflucht lange."Er holte seine riesige, altmodische Großvateruhr hervor,die er in der tiefen Westentasck?e ohne Kette trug, und zog siemit einem Geräusch auf, das die Bezeichnung„Knarre" fürderartige Zeitmesser erklärlich machte.Das Jupiterhaupt hatte sich mehrfach zerstreut geneigt,als müßte es all diese bereits oft gehörten Dinge not-gedrungen über sich ergehen lassen, allerdings mit einer ge-wissen Unruhe und eineni Blinzeln nach rechts und links, wasnicht gerade von einem angenehmen Gefühl zeugte.(Fortsetzung folgt.),(NaSdruck verboteneDer geftohlcne Bazillus.Von H. G. Wells.„Und dies hier," sagte der Bakteriologe, eine kleine Glasscheibeunter das Mikroskop schiebend,„ist ein Präparat des berühmtenCholerabazillus— der Cholerakeim."Der blatzgesichtige Mann blickte in das Mikroskop. Er waraugenscheinlich nicht an derartige Dinge gewöhnt und hielt eineschlaffe, weiße Hand über sein eines, unbeschäftigtes Auge.—„Ichsehe recht wenig," sagte er.„Drehen Sie hier an der Schraube," sagte der Bakteriologe.—„Vielleicht ist das Mikroskop nicht richtig eingestellt für Sie. Nurden Bruchteil einer Drehung nach rechts oder links..."„Ah! Jetzt sehe ich!" sagte der Besucher.—„Nicht besondersviel zu sehen übrigens. Kleine Streifchen und Fetzchen Rosa. Unddoch könnten diese kleinen Partikelchen, diese bloßen Atomchen, sichdervielfältigcn und eine ganze Stadt verwüsten! Wundervoll!"Er richtete sich auf, zog das Glasplättchcn aus dem Mikroskopund hielt es gegen das Fenster.—„Kaum sichtbar," sagte er, dasPräparat äußerst genau betrachtend. Er zögerte.—„Sind sie—lebendig? Sind sie gefährlich— so?"„Diese hier sind getötet und gefärbt," sagte der Bakteriologe.„Was mich betrifft, so wünschte ich, wir könnten jedes einzelne vondiesen Dingern im ganzen Weltall töten und färben!"„Ich vermute," sagte der Blatzgesichtige mit einem leichtenLächeln,„Sie werden sich nicht gerade drum reißen, derartigeDinger im lebenden— ich meine, im aktiven Zustande um sich zuhaben?"„Im Gegenteil— wir find dazu gezwungen." sagte der Balte-riologe.—„Hier zum Beispiel"—— er ging durchs Zimmerund nahm von einem Haufen versiegelter Tuben eine in die Hand.„Das da ist die Sache in lebender Verfaffung. Eine Kultur vonwirklichen lebenden Krankheitsbazillen." Er zögerte.—„AufFlaschen gezogene Cholera, sozusagen."Ein schwaches Aufleuchten der Befriedigung zeigte sich eineSekunde lang im Gesicht des blassen Mannes.—„Eine gefährlicheSache— so um sich zu haben!" sagte er. die kleine Tube mitden Augen verschlingend. Der Bakteriologe beobachtete die krank-hafte Erregtheit im Ausdruck seines Besuchers. Dieser Mann, der!ihn heute nachmittag mit einem kurzen Empfehlungsschreiben eines!alten Freundes aufgesucht hatte, interessierte ihn schon allein durch �den Gegensatz ihrer beiderseitigen Veranlagungen. DaS fchlichkeschwarze Haar und die tiefen grauen Augen, der hagere Ausdruckund das nervöse Wesen, das sprunghafte und doch so scharfe Jnter-esse seines Gastes bildeten eine ganz neue Abwechselung gegenüberden phlegmatischen Bemerkungen des gewöhnlichen Wissenschaft-lichen Arbeiters, der den hauptsächlichen Verkehr des Bakteriologenbildete. Es war vielleicht nur natürlich, angesichts eines Zu-Hörers, auf den die tödliche Bedeutung des Gegenstandes so äugen-scheinlich starken Ausdruck machte, die Sache im wirkungsvollstenLicht darzustellen...Er hielt nachdenklich die Tube in der Hand.—„Ja, hier drinist die Pestilenz gefangen. Man braucht nur solch eine kleine Tubeüber einer Quantität Trinkwasser zu zerbrechen— braucht nur zudiesen winzigen Lebenspartikelchen, die man erst färben und mikzur äußersten Schärfe eingestelltem Mikroflop untersuchen muß,um sie überhaupt zu sehen, und die weder Geruch noch Geschmackhaben, ich sage, man braucht nur zu ihnen zu sagen: Gehet hin,vermehrt euch, vervielfältigt euch, füllt die Brunnen— und derTod— ein geheimnisvoller, unaufspürbarer Tod, ein plötzlicher undfurchtbarer, grimmiger Tod voller Schmerzen und Würdclosigkeitwäre losgelassen auf diese Stadt und würde umherziehen und seineOpfer suchen. Den Gatten würde er von der Gattin reißen, dasKind von der Mutter, den Staatsmann von seiner Arbeit, denArbeiter von seiner Mühsal. Er würde den Wasserleitungen fol-gen, würde die Straßen entlang schleichen, da ein Haus auswählenund heimsuchen, und dort ein anderes, wo sie ihr Trinkwassernicht abkochten, er würde in die Brunnen der Mineralwasserfabri-kanten schleichen, in den Salat hineingewaschen werden und imEis und Gefrorenen auf der Lauer liegen. In den Pferdetrögenwürde er liegen und schlummern und in den Brunnen daraufwarten, daß sorglose Kinder ihn tränken. Er würde in die Erdesickern, um an tausend unvermuteten Orten in Brunnen undQuellen wieder aufzutauchen. Bloß in die Wasserleitung brauchteman ihn zu gießen— und noch ehe man ihn ankündigen oderwieder einsangen könnte, hätte er die Hauptstadt schon dezimiert."Er hielt plötzlich inne. Man hatte ihm schon öfter gesagt,Rhetorik sei seine schwache Seite.„Aber hier ist er sicher verwahrt, sehen Sie— ganz sicherverwahrt!" Der blatzgesichtige Mann nickte. Seine Augen fun-kelten. Er räusperte sich.—„Die Anarchisten, diese Schufte,"sagte er,„sind doch Narren— blinde Narren, daß sie mit Bombenarbeiten, wenn sie derartige Dinge haben könnten I Ich glaube—"Ein sanftes Klopfen ließ sich an der Tür vernehmen. DerBakteriologe öffnete.—„Nur eine Minute, Schatz!" flüsterte seineFrau. Als er wieder im Laboratorium erschien, sah sein Besuchereben nach der Uhr.—„Ich hatte keine Ahnung, daß ich Ihneneine ganze Stunde Ihrer Zeit geraubt habe!" sagte er.—„ZwölfMinuten bis vier. Um halb vier hätte ich eigentlich wegmüssen.Aber Sie haben wirklich zu viel Interessantes hier. Nein, wirklich,ich darf mich keinen Augenblick länger aufhalten. Um vier Uhrhabe ich eine Verabredung."Und unter wiederholten Dankesäußerungen verließ er dasZimmer. Der Bakteriologe begleitete ihn bis an die Tür undkehrte dann durch den Korridor nachdenklich ins Laboratoriumzurück. Er sann über die Ethnologie seines Gastes nach. Auf alleFälle war der Mann kein germanischer Typ und auch kein gewöhn-licher romanischer.—„Ein krankhaftes Produkt unter allen Um-ständen fürchte ich!" sagte der Bakteriologe zu sich selber.—„Wiegierig er die Kulturen von Krankheitskeimen anstierte!" Ein be-unruhigender Gedanke kam ihm plötzlich. Er wandte sich zu derBank neben dem Dampfbad und darauf hastig seinem Schreibtischzu. Tann befühlte er eilig seine Taschen und stürzte nach der Tür.„Vielleicht habe ich es auf den Korridortisch gelegt!" sagte er.„Minniel" rief er im Korridor mit heiserer Stimme.„Ja, Schatz!" klang es von fern.„Hab' ich was in der Hand gehabt, als ich eben mit Dirsprach, Schatz?"— Pause.„Nichts, Schatz. Ich weiß noch--"„Hölle und Teufel!" schrie der Bakteriologe, schoß wie der Blitzzur Haustür hinaus und die Stufen hinunter auf die Straße.Minnie, als sie die Tür heftig zuschlagen hörte, lief erschrockenans Fenster. Ganz unten auf der Straße stieg soeben ein schlankerMann in eine Droschke. Der Bakteriologe, ohne Hut, in gesticktenMorgenschuhen, rannte wild gestikulierend auf diese Gruppe zu.Er verlor einen Pantoffel, aber er sah sich mcht danach um.—„Er ist verrückt geworden!" sagte Mmnie.—„Natürlich, seinegreuliche Wissenschaft!" Sie öffnete das Fenster und wollte ihmnachrufen. Dem schlanken Mann, der sich plötzlich umsah, schienebenfalls der Gedanke an Geistcsgestörtheit zu kommen. Er deutetehastig auf den Bakteriologen, sagte etwas zu seinem Kutscher, dieTür der Droschke flog zu, die Peitsche knallte, die Hufe des Pferdesklapperten, und in einem Moment hatten die Droschke und der sieleidenschaftlich verfolgende Bakteriologe das Ende der Straße erreicht und waren um die Ecke verschwunden.Minnie starrte noch eine Minute regungslos aus dem Fenster.Dann zog sie den Kopf zurück. Sie war völlig betäubt.—„Nunja, exzentrisch ist er ja," überlegte sie.—„Aber so in Londonherumstürzen— mitten in der Hochsaison— in Socken-- 1" Einglücklicher Gedanke kam ihr. Sie setzte hastig ihren Hut auf, er»griff ihres Mannes Stiefel, ging in den Korridor, nahm seinen Hutund einen leichten Ueberzieher vom Kleiderständer, trat vor die