andere Ärt zu helfen suchen. Sie wählten endlich das Mittel, sichfür Katechumenen des Judentums auszugeben, was ihnen beiihrer Kenntnis jüdischer Gebräuche und Sitten nicht schwer wurde,um so unterwegs bei reichen, mildtätigen Hebräern einzukehren,sich bewirten zu lassen und weiterzureisen."Der große Prozentsatz von Juden fällt auf. Von 205 Mitgliedern niederländischer Banden waren 112 Juden. Wenn sie soprachtvoll ausgesehen haben, wie ihre Namen, müssen es wunder-volle Kerle gewesen sein: Schmuhl Nudel, Veutz Hühnerhund, VogelMoscher, Feibisch Polak, Mansche Maynzer, Leibchen Schloß, Ma-schoker, Generalchen—, das war eine gefährliche Gesellschaft vonniederländischen versoffenen und verkommenen Juden. Die Ban-den waren regelrecht organisiert. Ihre Angriffsart auf die Häuserzur Nachtzeit war genau festgelegt und gleichbleibend. 50 und mehrMann zogen(manchmal auf Wagen) zu dem festgesetzten Ort undrannten mit einem Baumstamm oder einem ausgerissenen Weg-weiser die Tür ein. Alles war bis aufs kleinste verabredet undvorgesehen. Die Schlüssellöcher zur Kirchentür waren verstopft,damit nicht Sturm geläutet werden konnte, die Nachtwächter wur-den vorher überfallen und geknebelt, einmal hing sich sogar einerder Frechsten das Horn des Wächters um und blies in dem schla-senden Dorf die Stunden aus. Es fehlt nicht an lustigen Episoden:wie einmal eine ganze Gesellschaft von Räubern von vier altenWeibern jämmerlich zerkratzt und zerbissen wird, wie bei einerHaussuchung Fetzer in ein Kinderbett kriecht, in dem schon zweiGöhren schlafen, so daß nur sein Haarschopf aus den Kissen starrtund die Gendarmen ihn liegen lassen. Wie sie immer wieder ent-wischen, mit gefälschten Pässen arbeiten, wie dreiste Frechheit überunfähigen Beamtendünkel den Sieg davon trägt.Bewundernswert war ihre Disziplin. Ein Beispiel:„Der scheeleJickjack kam oft von Mersen, wo er lange sich aufgehalten hatte,nach Aachen und höhlte dort Jungen, um Diebstähle zu begehen.Unter diesen Jungen war �tner, der alles verrieth, was die Bandevornahm. Dieses wurde bekannt. Eines Tages kam der scheeleJickjack von Mersen, nahm eine Schippe mit, grub unterwegs einGrab und gieng wie gewöhnlich nach Aachen, um den Menschen,der ausgeplaudert hatte, zu rufen, mit auf einen Raub auszugchen.Er folgte. Als sie an dem Orte sich befanden, wo das Grab er-richtet war. fuhr das Ungeheuer Jickjack mit wilder Stimme denUnbesonnenen an, hielt ihm vor, daß er die Bande verraten habe,hieß ihn niederknien, dreh Vater Unser bethen und sich zum Todebereiten, denn er müsse sterben. Vergebens jammerte der Unglück-liche um Gnade. Alles Flehen rührte das Herz des grausamenBanditen nicht. Er ergriff die Pistole, schoß ihn nieder und begrubseinen Körper in das bereits errichtete Grab." Der Räuber Picard,ein« Größe ersten Ranges, befteite sogar einmal einen Verräteraus dem Gefängnis, um ihn dann zu erschießen.Das merkwürdige Buch ist viel mehr als ein Kulturbild. Diegroßen Gerichtsverhandlungen mit den pathetischen Reden der Mör-der, die öffentlichen Hinrichtungen, die rasende Furcht, die ganzeLandstriche ergriff und die Menschen in ihren Schlafzimmern beijedem Windstoß emporfahren ließ, das regt wohl auch zu Vergleichenmit den heutigen Räuberbanden an. Aber wir haben Dynamit,und die Poesie ist von diesem Handwerk fast abgestreift. Heute vorhundert Jahren!— Dieses Buch ist mehr. Eine Welt steigt auf:verschollene Verbrecherausdrücke, alte Richensarten, Worte, die überschmutzige Tische beim Wein hin und her flogen, Weiber, Dreck.Blut. Verrat. Und zwischen all dem Wüsten das Geld, das geliebteGeld, das so schwer entrissen wurde und so schnell zerrann. Eswäre ganz dumm, beim Lesen dieser Berichte sein Gefühl auf„sympathisch" oder„unsympathisch" einzustellen. In dem Buchweht die Luft, die um all diese Menschen war. die jetzt tot sind.aber einmal haben sie gelebt, und eS gab für sie nichts Wichtigeres.als ein Protokoll zu beendigen, oder einen Ring zu stehlen, oderdas bißchen Leben zu retten und sich geknebelt eine brennendeTreppe herunterzuwerfen. Ein ungeheures Lebensgefühl durch-zieht die nüchternen Gerichtsberichte. Es war nach der Revolutionund es muß wie ein Rausch, eine Gier über diese Menschen ge-kommen sein, von denen viele Paris gesehen hatten; einige warenreich geworden dabei und hätten eS schon nach ein, zwei Jahrennicht mehr nötig gehabt, zu rauben. Aber es war der unbestimmteTrieb zu raffen, was sich raffen ließ.IuriMscbes vom 8torck.DaS Märchen vom Storch wird in den guten Kinderstuben derdeutschen Oeffentlichkeit gehütet wie das Blid von Sals. O rühret,rühret nicht daran I Denn sonst bekommst Du etwas auf die Finger.Die Wächter—«in Schutzmann rechts, ein Schutzmann links, um-gürtet mit dem bösen Browning und in den Händen den probaten,stählernen, gezückten Polizeigeist— kennen ihre Pflicht und lassenkein Zipfelchen des Schleiers, der die.Unzüchtigkeit" verhüllt, lüften.Und wenn du destotrotz sagst:.Herr Wachtmeester, eS war einmal ein Storch.. dann fäusi du sofort aus den Rücken, weilsie dich anhauchen;„Im Namen des Gesetzes erkläre ich ihnen fürverhaftet von wejen Verletzung von det normale Schamjefühl I"Das„normale Schamgefühl'— auch so ein Polizeibrocken, andem du Zeit deines Lebens herumzausen kannst und kriegst nichtsherunter, du stehst höchstens als loyaler Zeitgenosse davor, be-staunst den Knochen, der da vom Polizeitisch heruntergefallen ist,und läßt dir ein wohliges Gruseln über den Rücken gleiten vor soviel hartgesottener Verknöcherung, mit der du absolut nichts anzu-fangen weißt. Mit der überhaupt niemand etwas anzufangen weiß.Höchstens ein Landgericht, düs den Brocken aufhebt, ihn dir vollVerachtung ins Gesicht schleudert und verfügt, daß du entwederLademmin machst oder gar ins Kittchen ziehst.Aber es muß gesagt werden, daß trotz des scharfen polizeilichenSchutzes und der liebevollen, verständnisinnigen Verbrüderung derPolizei- und Richterseele der Respekt vor dem Märchen vom Storchin der Oeffentlichkeit immer mehr abbröckelt. Allerlei Mögliches hatdazu beigetragen. Am wenigsten vielleicht das niedliche Billettdouxdes Herrn Polizeipräsidenten an Tilla Durieux. Mehr die großenProzesse aus der Gesellschaft. Ich denke da z. B. an Moltke undEulenburg. Nur ganz Naive konnten nach der Abschnüffelung derverschiedenen Sexualfronten noch annehmen, daß in der königlichpreußischen Kinderstube alles beim Alten bleiben würde. Und alsgar Herr Horden in einem ausgedehnten Artikel der„Zukunft' überden Schönebeck-Prozeß seine brünstigperverse Sauce ausgegossen,da schien es überhaupt vorbei zu sein. Aber nein, sagtesich der offizielle Geist in Preutzen-Deutschland, was einerichtige Kinderstube ist, da muß Ordnung herrschen. EinKind darf nu» einmal nichts wissen von so was. Pisperndürfen sie wohl davon, sich gegenseitig auch in die Ohrenkichern. Aber nur nicht laut davon erzählen. So was macht manwohl, aber spricht nicht darüber. Und Herr Jagow setzt sich mit demganzen Gewicht seiner moralischen Persönlichkeit den unartigen Presse-lindern in den Nacken und ziept sie an den Ohren.„Pst I" sagt er.„Stille im deutschen Blätterwald I F ch regle den Verkehr, das ge»»ügt. Und wenn ihr wollt, verbiete ich auch die Reformhosen alsverkehrshiuderlich. Nur stört mir in der Oeffentlichkeit nicht dasMärchen vom Storch. Sonst...' Und sein Gemurmel läuft inein dumpfes Donnerrollen aus, zu dem der Staatsanwalt eventuellden Blitz leiht.Die bösen Buben sterben nie auS. Eil« alte Geschichte. DaSzeigt auch wieder das Gerichtsregister des letzten Jahres. Wievielemußten vor den Kadi zitiert werden, weil sie„frech und respektlos,wie sie nun einmal sind, das Märchen vom Storch verhöhnten undin allerlei Geschichten und Artikeln zu beweisen suchten, daß das sosorgsam gehütete Märchen ein Verbrechen am Volkstum wäre, daßman im Gegenteil nicht oft genug über das schreiben könnte, wasmehr als alles andere aus der Welt die Menschen bewegt, erschüttert,lenkt, sie zu großen Männern und großen Verbrechern, wenn nichtgar zu Dichtern macht.„Seht die Tragödie I' riefen sie auS.„Einefolgt aus die andere, weil Männer und Frauen dieses Rührmich-nichtan in seiner ganzen elementaren Tragik erst zu spät erkannten.'Tragödie hin, Tragik her, sagte da der scharfgeschliffcnc Polizei-geist, das ist mir alles touto-möms cboss; und er verbot undverbot und steckte die bösen Buben ein wegen Verletzung des„normalen Schamgefühls".Was hat da nicht alles das„normale Schamgefühl' verletzt!Vor allem ein Abschnitt aus ZolaS prachtvollem Roman„Arbeit",der natürlich— wo sollte es sonst-mderS gewesen sein— in einersozialdemokratischen Zeitung erschienen war. Dann Flaubert, dergroße Franzose, Herbert Guteubcrg, der neue deutsche Dichter. VonWedckind braucht man gar nicht zu sprechen, da ist mau schon darangewöhnt. Auch Hans Hyaus Roman„Die Verführten", der zuerstunter dem Titel„Im Namen deS Gesetzes" im„Vorwärts" erschien,ist beschlagnahmt. Und vielen anderen erging es ebenso.Landgericht und Reichsgericht, die nicht umhin können, demMuckertum Konzessionen zu' machen, suche» wenigstens in ihrerUrteilsbegründung eine kleine Gewissensentlastung zu findeu, indemsie mit einem jesuitischen Augcnaufschlag um die arme Volksseelebarmen. So sag: z. B. neuerdings das Reichsgericht, daß Betrachtungen moralischer, religiöser und allgemein philosophischer ArtDinge und Vorgänge auS dem Gebiete deS Geschlechtlichen in Wortund Bild erörtert und dargestellt werden könnten; die Kundgebungder Gedanken brauche deshalb noch nicht unzüchtig zu sein. Sie seies aber, wenn durch die äußere Erscheinung, in der diese Gedanken-kundgebung dem Leser und Beschauer entgegentritt,„daS Scham-und Sittlichkeitsgefühl, wie e» in den weitenSchichten der Bevölkerung bei gesitteten Per»sonen besteht", verletzt würde.Sehr schön I Also erlaubt ist'S. Aber nun frage ich einenMenschen, waS ist denn eigentlich dieses bandwurmlange Scham-und Sittlichkeitsgefühl, das das Reichsgericht so hinstellt, als wäreeS gerichtsnotorisch? Ein bayerischer Zentrumsabgeordneter z. B.und ein Hamburger Schiffskapitän werten gewiß nickt darüber einerMeinung sein. Auch nicht ein Mitarbeiter vom„Simplicissimus"und ein Schreiber vom„Christophorusboten". Und alle diese vierrechnen sich zu den„gesitteten Personen der weiten Schichten derBevölkerung" und verbitten es sick sehr,„wenn man ihnen an denmoralischen Wagen fährt". Vier Personen und schon vier Urteile,und tausend Personen, tausend Ansichten. Wie sollte da der Dichterund Künstler das richtige Schamgefühl finden, wo es doch nur zweigenaue kennen: der Herr Schutzmann und der Richter. Aber diesebeiden Kenner verraten nun einmal nicht, wie das merkwürdigeGewächs ausschaut.Neuartig in seinem Gedankengang ist auch, daß das Reichs-gericht verfügt:„Ob eine Schrift einen Leser veranlassen kann,ein« in geschlechtlicher Richtung gegen die Sitte