dem Munde gehen konnte. So stand er noch und sah dem Wetter zu und sah, wie sich's in der Wetterecke lichtete. Wenn's jetzt nicht zurückkommt, haben wir's bald über- standen." Ta fragte die Magd an der Tür: Was soll's geben fürs Gcsind heint abend?" Er guckte sie mal groß an. Es war die alte Lisett, die sonst immer alles von allein an- ordnete, wenn die Hausfrau nicht da war. Was es geben soll? sagte er und in das Lächeln, das in seinem Gesichte war, wollte der Unmut einziehen. Na ja," sagte die Magd ich mein" Du meinst,'s wär eine Extrawurscht am Platz," fiel er ihr ein. Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen, ohne sich von seinem barschen Blick beirren zu lassen. Alles war recht ist mein ich auch. Und wann der Hund sein Knochen verdient hat, soll er'n auch kriegen." Aber ich laß mir keine Moral predigen." Ich frag ja nur." Knecht- und Mägdvolk, das ihr seid, all miteinander. Wer zu kriegen hat, kriegt, und ich Hab mich noch nie nit lumpen lassen. Daß du's weißt und daß ihr's all wißt! Verstanden?" Wissen wir auch all!" Na also und warum kommst du denn und fragst wie der ander auch gleich gekommen ist und hat die Bettelhand heraus- gestreckt. Ich geb, weil ich will, und nit, weil ich soll! Punktum!" Also nix," sagte die Magd und wollte die Tür zuziehen. Nix damit ihr sagen könnt, ich wär ein Geizkragen." Nix, nur weil Ihr nit wollt." Alte!" drohte er,Lisett, wann du nit schon so alt wärst" Sic machte die Tür sperrweit auf. Und dann?" Er lenkt« lächelnd ein. (Fortsetzung folgt.) Der arme JVIann im Hohenburg. Von Erich Schlaikjer. Das Tockcnburg ist ein Tal der Thür in der Schweiz und hier wurde am 22. Dezember 1735, fast sieben Jahre nach Lessing , vier- zehn vor Goethe, ein armer Junge, Uli Vraeker, geboren, der niemals mehr von seinen Vorfahren erfuhr, als daß die Armut auf ihnen gelastet hatte, wie sie auf ihm selber und seinem Vater lastete. Der Vater war Salpetcrbrenner und mußte viel und lange vom Hause abwesend sein! im Hause selber ging es zu, wie es auch heute noch in den Hütten der Armut zugeht. Im Jahre 1741 aber, als der kleine Uli sechs Jahre alt war, übernahm der Vater ohne Geld ein Bauerngut, das mit Geld vermutlich keiner übernehmen wollte. ES lag nämlich im Dreyschlatt, einem wilden Einödenort zu hinterst an den Alpen Schwämle, Kreutzegg und Aueralp. In Dreyschlatt gab es immer kurzen Sommer und langen Winter und während des letzteren ungeheuren Schnee, der oft noch im Mai ein paar Klafter tief lag. Einer neu angelangten Kuh mußte einst»och am Pfingstabend mit der Schaufel der Weg zum Hause gebahnt werden. Rauhe Stürme heulten ums Haus und an den kürzesten Tagen sah man die Sonne nur fünf Viertelstunden. An diesem Ort beganit nun der Vater seine schwere Arbeit, ohne Geld durchzukommen. Aber wie er auch schuftete und wie er auch seine Frau und die Kinder mitschuften ließ, er erreichte nichts, als daß seine Stirne sich von Nahrungssorgen immer tiefer furchte. Die Armut erwies sich als anhänglich; sie blieb ihm nicht nur treu, da er in Schulden versank, richtete sie sich vielmehr erst recht häuslich bei ihni ein. Nach 13 Jahren endlich brach seine harte Proletarierlraft zusammen und er sprach zu seinen Gläubigern: Nehmt mir um Gotteswille» die entsetzliche Bürde ab! Das Leben ist mir so ganz verleidet! Auf das Besserwerde» hoffe ich schon 13 Jahre vergeben?. Bei dem Gut habe ich nun einmal weder Glück noch Stern. Mit saurem Schweiß und so vielen schlaflosen Nächten grub ich mich nur immer tiefer in die Schulden hinein. Da half kein Knausern und Sparen, Hunger und Mangellciden, bis aufs Blut arbeiten, kurz alles und alles half nichts. Noch einmal um GottcS- willen I Da ist all mein Vermögen. Nehmt, was ihr findet, und laßt mich ruhig meine Straße ziehen. Mit meinen älteren Kindern wird mir auch möglich werden, unS allen ein schmales Stücklein Brot zu erwerben." Mitten im März des Jahres 1754 zogen alle mit Sack und Pack aus dem Dreyschlatt weg und sagten dem wilden Ort auf ewig gute Nacht! Von Ochs oder Pferd war keine Rede. Der Hausrat und die jüngeren Geschwister wurden von den Eltern und größeren Geschwistern auf Schlitten fortgeschleift und so ging eZ wieder ins Tal hinab. Das neue Haus, in dem sie einzogen, war eine dunkle, schwarze, wurmstichige, rauchige Hütte. Lauter faule Fußboden und Stiegen! ein unerhörter Unflat und Gestank in allen Gemächern. Und doch war das alles nichts gegen den lebendigen Einwohner, den sie im HauS haben mußten: ein abscheulich heruntergekommenes Weib, das sich bcsoff, so oft es ein Kirchenalmosen erhielt und auf die Art zu Wein kam, dann in der Trunkenheit sich splitternackt auszog und so im Hause herumsprang und pfiff. Ein erbaulicher Anblick für den jungen Uli war es, wenn si: dafür dann von irgend einem Nachbar mit dem Rinderriemen verprügelt wurde; noch schlimmer aber war es, daß ihn daS mannstolle Frauenzimmer mit unzüchtigen Gebärden und Anträgen verfolgte. Unter diesen Umständen mag es für ihn eine Art von Erlösung gewesen sein, daß er nunmehr als Knecht außer dem Hause tag- löhnern mußte. Lange aber sollte dieser Zustand, der für ihn durch die Liebe zu einem bildsauberen jungen Mädchen übersonnt wurde, auch nicht dauern. Noch im selben Jahr traf der Vater mit einem Bekannten zusammen, der in der Welt herumgekommen war und ihn überredete, den Uli in die Fremde zu senden. Er wußte dabei dem weltunerfahrenen Tockenburger-Proletarier die Schätze der fremden Welt so zauberhaft zu schildern, daß der ihm richtig seinen Sohn anvertraute. Der Bekannte aber erwies sich als ein Schurke, der den ahnungslosen Uli in Schaffhausen als Diener an einen preußischen Werbeoffizier verkuppelte, der ihn selbstver- ständlich sofort unter die Soldaten Friedrichs steckte, als er nach Berlin zurückgekehrt war. Der träumende arglose Schweizer Bursch wurde auf diese Weise in Berlsn preußischer Rekrut und mußte das ganze Elend des Soldatenstandes ertragen, bis eS ihm endlich gelang, in der Schlacht von Lowositz zu desertieren. In der preußischen Montur bettelte er sich nun den langen Weg bis ins Tockenburg zurück. Bei der Heimkehr fand er sein geliebtes Aennchen verheiratet, und nachdem er eine Weile als Galpeterbrenner gearbeitet hatte, versuchte er es mit einem kleinen Baumwollhandel. Wie der Vater war er in wirtschaftlichen Dingen etwas phantastisch und wagehalsig und riskierte infolgedesse», sich ein kleines Häuschen zu erbauen. Wie der Vater ober mußte er auch dafür büßen. Sein Leben wurde ein einziges Zittern vor den Gläubigen», und die schwärzeste Armut umgab ihn. Die Ehe, in der er lebte, war nicht glücklich und seine ältesten Kinder mußte er auf den Schrägen legen; eine Seuche, die auch ihn selber befiel, hatte sie hinweggerafft. Endlich, endlich gelang es ihm durch glück- liche Zeitumstände, aus den Schulden herauszukommen, sein bißchen Brot zu verdienen und das Häuschen wirklich zu eigen zu haben, das er sich erbaut hatte. Nun aber dünkte er sich auch so reich, daß er keinen Fürsten der Erde glaubte beneiden zu müssen. Wenn man am Ausgang des 1». Jahrhunderts das Leben dieses armen Jungen überblickte, der vom Schicksal wie von den preußischen Offizieren in gleicher Weise verprügelt worden war, konnte man nicht leichr auf den Gedanken kommen, daß die Nachwelt ihn noch einmal zir den herrlichsten und köstlichsten Dichtern des deutschen Schrifttums rechnen würde, und doch wird das jeder tun, der heute mit offenen Augen und empfänglichem Herzen die Beschreibung seines Lebens lieft, die er hinterlassen hat. Als 32jähriger begann Uli zu schriftstellern, bald auch Verse zu macheu, aber noch mehr einem moralisierenden NachmittägSprcdiger gleich. 1770 fing er an, ein Tagebuch zu schreiben und sein dürftiges Leben mit Betrachtungen zu begleiten. In den Jahren der Reife endlich, 1781 und weiter, schrieb er die Geschichte seines LebenS, die er seinem Seelenhirten und Protektor, dem Pfarrer Martin Im- hoff zu Wattwyl zu lesen gab. Von Jmhoff kam eS zum Verleger Füßli in Zürich , der 1788 das erste Probestück imSchweize- rischen Museum" mitteilte, das, wie er selber erzählt,unter den verschiedensten Klassen von Lesern allgemeinen Beifall fand". Im Jahre 1789 erschien dann das ganze Buch unter dem Titel .Lebensgeschichte und natürliche Abenteuer des armen Mannes im Tockenburg". Es ist ein großes Verdienst Adolf WilbrandtS, daß er dieses vergessene Buch bei Meyer u. Jessen in Berlin neu herausgegeben hat. Er wagt am Ende viel, wenn er meint, daß man eS ruhig neben Goethe stellen könne, aber er wagt meines Erachtens trotzdem nicht z u viel. In der Tat hat Uli Braeker viel mit Goethe gemein, vor allem die angeborene Genialität, dann aber auch die ruhige, heitere und malerische Art der Anschauung. Ich wüßte in unserer ganzen Literatur kein Buch, das an Dust und Frische der Schilderung die Lebensgeschichte dieses armen ManneS überträfe. Wilbrandt spricht von derentbauerten" Seele BraekerS, und er mag insofern recht haben, als der keusche Adel der Empfin- dung, der die Poesie des Buches durchströmt, mit der derberen Art des Bauern nichts gemein hat. Im übrigen aber ist BraekerS Seele so wenig entbauert, daß vielmehr eine ganze Reihe seiner glänzendsten Vorzüge mit seiner naturwüchsigen Bodenständigkeit zusammen- hängen. Er hat vom Bauern die wohltuende Art, die Dinge mit großer Selbstverständlichkeit bei ihrem natürlichen Namen zu nennen. Er hat den angeborenen Bauernrealismus, der ihn auch gewagten Situationen gegenüber nicht verläßt, und in solchen Augenblicken erinnert seine Kunst an die unvergängliche Kunst der niederländischen Meister. Er hat endlich die bäuerliche Plastik in der Redeweise. Der Bauer ist in seiner Sprache unbeholfener als der Städter und der literarische Büchermensch; er lebt viel in der Einsamkeit und hat darum nicht die sprachliche Routine, die sich aus vielem Reden ergibt. Es ist nicht seine Art, die Gedanken in langen fließenden Entwickelungsreihei? aufmarschieren zu lassen; das kann er nicht. Durch streng logisch durchgeführte Sätze und durch die Fülle der Worte vermag er niemals zu überzeugen. Das Wort geht ihm hierfür viel zu schwer und langsam vom Munde. Ueberzeugen aber will er, wie jeder, der sich der Sprache bedient, und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine wenigen Worte so an- s ch a u l i ch, so farbensatt, so derbmalerisch wie nnr irgend