Brummte stärker, als sie ihre Todfeindin herannahen sah, und fing wieder an in dem vergeblichen Bemühen, sich zu befreien. Sie siiefc wütend mit ihrem langen Rüsiel gegen die dünnen Fäden, ritz krampfhaft daran und streckte ihren Kopf vor, ähnlich wie ein er- boster Bock. Es war aber die letzte Kraftanstrengung. Der Kopf der Fliege war weit vorgestreckt auf dem dünnen Hals und hing schief, wie in einer Schlinge, die sich immer mehr um ihn zuzog. Sie ergab sich in ihr Schicksal und schielte hinauf zu der Spinne, die stoisch und ungerührt dreinblickte, in sattem Phlegma. Mich setzte das Gebaren der Spinne in große Verwunderung. Was hatte sie?... Ich konnte mir nicht erklären, weshalb sie die Fliege, die ich für sie ge- fangen, zu verschmähen schien. Mir begann die arme Fliege fast leid zu tun. Sie sah wirklich erbarmungswürdig aus. Sie war jetzt ganz verstummt, und traurig schlaff hingen ihre langen, dünnen Beine herunter. Unbarmherzig blickte die Spinne sie an, unbeweglich, geduckt verharrend, und ihre kleinen, schwarzen, starren Augen übten eine fast hypnotische Gewalt aus sie aus. Lange, drückende Sekunden vergingen. Ich hielt den Atem an und sah mit großem Interesse dieser stummen Tragödie zu. die ich herbeigeführt hatte. Langsam richtete sich die Spinne wieder ans und begann, mit ein wenig gesenktem Kops, näher heranzusidleitben. Es war wie das Spiel einer grausamen Katze mit der Maus. Sie rann plötzlich, mit einem Satz, auf sie los, fast fliegend, umkrallte sie hart mit ihren beiden Vorderzangcn, bohrte ihren spitzen Schnabel unter den Hals der Fliege und begann das Blut auS ihrer schönen, schwarzen, wie Ebenholz glänzenden Brust zu taugen, gierig, wild, in langen, durstigen Zügen. Die Fliege rührte sich kaum. Nur ihre beiden Borderfütze zuckten einmal auf, aber ganz leise und schwach wie im letzten Todeskramps. Sie schien vorher schon gestorben zu sein gestorben vor lauter Angst oder auch er- stickt von den feinen Fäden. Nach wenigen Augenblicken ließ die Spinne ab von ihrem Opfer, das jetzt schrecklich mager, verwelkt und ganz ausgetrocknet aussah. Dann begann sie um sie herumzulaufen und sie einzu- spinnen wie eine Puppe. Langsam ließ sie sich hierauf wieder in ihrem Winkel nieder, befriedigt und gesättigt. Ich kletterte ebenfalls von meiner Teigmulde. Es war bereits sehr spät geworden, und ich mutzte mich mit meinen Teigen beeilen, um noch rechtzeitig mit der Backwaare fertig zu werden. Ein paar- mal blickte ich hinauf, während ich mit den Armen im Mehle   wühlte und sah nach der Spinne, die wieder regungslos wie früher da- hockte. Sie verfolgte interessiert alle meine Bewegungen und mir schien es beinahe, als hätte sie jetzt mehr Zutrauen zu mir. Nachdem ich die Teige der Reihe nach alle aus der Mulde gearbeitet hatte, mutzte ich eine halbe Stunde Pause machen, um die Teige angaren zu lassen. Ich atz gewöhnlich in dieser Zeit mein Abendbrot zwei bis drei sehr dünn belegte Schmalzstullen, dazu trank ich einen schwarzen, sehr schwachen Kaffee, der wie Spülwasser schmeckte. Aber heute unterließ ich es, da ich keinen Appetit hatte, und mühte mich ab, nochmals eine Fliege für sie zu sangen. Ich erwischte mehrere. Die meisten entschlüpften mir wieder zwischen den Fingern, während ich die übrigen in meiner Hand zu Brei zerquetschte. Aergerlich und mißmutig gab ich mein Vorhaben wieder auf und kehrte zu den Teigen zurück, um sie aufzuarbeiten. Kaum wagte ich, zu ihr hinaufzusehen; ich suhlte etwas wie eine leite Beschämung, fühlte ihre Blicke, ohne sie anzusehen, boshaft, spöttisch auf mir ruben. Es war mir, als ob sie mich auslachte. Obne es mir einzugestehen, war ich sehr verlegen, und wütend nahm ich den Knüppelteig, kniff ihn in großen Stücken ab, wog sie und formte sie zu runden Ballen. (Schluß folgt.1 Hue der Kulturgefchichtc der 6he. Von Dr. Paul Landau. DieEntstehung der Liebe" hat einmal Kurt Breystg um das Jahr 1150 n. Chr. ansetzen wollen und als erstes Dokument dieser neuen Kulturerscheinung den für die Gräfin Maria von Champagne geschriebenen Licbestraktat des Kaplans Andreas analysiert. Wollte man dieEntstehung unseres Ehrbegriffs" in ähnlicher Weise zeitlich bestimmen, so mutz man etwa sechs Jahrhunderte weiter in der Kulturgeschichte vorschreiten, denn erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfuhr daS Eheideal jene seeliiche Vertiefung, die der Geistliche deS Mittelalters für die Liebe gefordert hatte. Nicht Reichtum und äußere Glücksumstände sollten jfiir die Wahl der Frau entscheidend sein, sondern innere Neigung, wie es Andreas dereinst für die Wahl der Geliebten verlangt. Uns ist der Gedanke, daß zur rechten Ehe die Liebe gehört, zum mindesten als sittliche Forderung so völlig in Fleisch und Blut über- gegangen, daß wir den Begriff einer Ehe als reiner Geschästssache als etwas höchst Barbarisches, ja Unmoralisches halten. Dabei ver- geffen wir, wie jung dieser Begriff in der deutschen Sittengeschichte ist. vergessen, daß er erst in dem Zeitalter unserer klassischen Dichtung auSpebildet wurde und erst in der Romantik, vor wenig mehr als einem Jahrhundert, weitere Gesellschaftskreise erfüllte. Richardson, den man mit Recht den Entdecker der modernen Frauenseele genannt hat, beschäftigt sich noch höchst ernhost mit der Frage, ob denn die Liebe überhaupt zur Ehe er» forderlich sei. und daß er sie bejaht, wird von anderen Autoren lebhaft bestritten. Es sind höchst nüchterne Erwägungen, bei denen Rücksicht aus Stand und Vermögen allein entscheiden, die die Helden der Romane von Gellert, Hermes, Frau la Roche   u. a. bei der Wahl einer Braut anstellen. Erst bei Wieland, wie in der englischen Parallelentwickelung bei Fielding und Sterne, fängt das Herz an, neben dem Verstand mitzusprechen, und den gewaltigen Umschwung des Gefühles bahnt erst Rousseau   an, vollendet Goethe mit..Werther  " undStella". Und der gleiche Umschwung des Enipfindens vollzieht sich viel langsamer in der Wirklichkeit. Gleichsam als äußerer Ausdruck der Tatsache, daß Liebe und Ehe nichts miteinander zu tun haben, steht in den fürstlichen Ehen des Absolutismus neben der Gemahlin als offizielle. ja unbedingt notwendige Erscheinung die Favoritin. Wenn ein Herrscher zufällig seine Frau liebt, wie der spätere Kaiser Karl von Oesterreich  , dann zwingt ihn das Hofzeremoniell doch, eineMaitrsssv en titre" zu wählen undoffiziell zu besuchen", und des Volkes Stimme spricht aus dem Wort jenes Bauern, der beim Einzug des Landesherrn mit seiner jungen Gemahlin ausrief: Nun fehlt unserem lieben guten Fürsten nur noch eine schöne Mai- treffe I" Ihre Sanktion dazu erteilten Philosophie und Staatsrecht, wenn sie, wie selbst Leibniz   und Thomasius, Polygamie und Neben- ehen nicht für unerlaubt erklärten. Die adligen Kreise eiferten dem hohen Vorbild nach und Ehepaare, die sich wirklich liebten, mußten dies bei Hofe sorgfältig verbergen, um nicht denFluch der Lächer- lichkeit" auf sich zu laden. Es war ein Zeitalter,wo die eheliche Liebe nicht besonders stark ist", wie Graf Lehndorff   einmal in seinem Tagebuch schreibt. Diese frivole Auffassung der Ehe war aber in den weiten bürgerlichen Kreisen deS Volkes durchaus nicht heimisch. Hier Herrschte frommet Ernst und ein starkes Bewußtsein von der Be- deutung dieses Schrittes; nur von Liebe war nicht die Rede. Der Pietismus  , besonders Zinzendorf  , sah in der ehelichen Gemeinschaft einAbbild und Vorbild der Vermählung Christi mit der Seele" und nährte die tiefen Bedenken gegen die Ehe, die nach LutHerS warmherziger Lobpreisung des Ehestandes unter den Frommen wieder erwacht waren. Jedersinnliche Affekt" ward ver- urteilt; wie Bruder und Schwester sollten die Gatten leben. Der erste Philosoph des Bürgertums Christian Wolf dagegen betonte die sittliche und staatliche Notwendig- keit und Wichtigkeit dieser Institution. dieMenschenpflicht" jede? einzelnen, einhübiches Häuflein von Sprößlingen der Mäßig- keit" zum allgemeinen Wohle zu erziehen. Heiraten war daher ein löbliches und lehr nützliches Werk, ähnlich wie Steuerzahlen, und daS Geschäft der Vermittelung betrieben Regenten und Fürstinnen, vornehme Beamte und strenge Gelehrte mit gleichem Eiser. Man heiratete viel, doch nicht inehr als heute, so daß die heutigen Klagen über die wachsende Zahl der Junggesellen vor der Statistik nicht ge- rechtfertigt erscheinen. Starb einer der Ehegatten, so entschloß man sich bald wieder zur Heirat, denndie Vernunft verlangte es". Da die Stimme des Herzens keine Entscheidung herbeiführt, so legt man sein Geschick vertrauensvoll in die Hände anderer. Per- sönlichkeiten, zu denen man mit besonderer Achtung ausblickt, wie Frau Gottsched   oder Gellert, empfangen hunderte von Briefen, in denen fie um Ratschlag bei einem Antrag angegangen oder nach einem passenden Lebensgefährten gefragt werden. Gellert gibt für eine gute Ehe folgendes Rezept:Man setze zwei verständige und gesittete Personen von beiden Geschlechtern, die einander kannten und liebten und auf das Geheiß ihrer Herzen, unter Einwilligung der Klugheit und auf den weisen Rat vernünftiger Eltern und Freunde, dies beilige und genaue Bündnis schließen." In den Romanen wird die Mesalliance immer wieder bc- handelt', noch bei Rousseau   trennen Standesrücksichtcn Julie von St. Preix und erst in �GoethesMeister" über- windet die Liebe die gesellschaftlichen Schranken. Vermögen ist der Punkt, um den es sich bei jeder Brautwerbung vor allem handelt. und mit vielen Formalitäten wird derEhepakt", die so wichtige geschäftliche Seite der Sache, geschlossen. Gellert gibt einem Fräulein B.. das ihm anvertraut, sie sei nicht reich genug, um heiraten zu können, ohne weiteres zu, daß das Geld sehr wichtig sei, ist aber im Prinzip gegen Geldheiraten. Er tröstet fie damit, daß sie, wenn sie doch einen Mann finde, um ihrer Tugend willen geheiratet werde. Aus welchen Motiven heiratete man min? Typisch dafür sind die Betrachtungen, die der Historiker Pütter in seiner Selbst- biographie darüber anstellt:Mittag- und Abendessen, wie es von Speisewirten zu haben war, entsprach gar nicht meinen Wünschen. Einsam zu esten, war gar nicht nach meinem Sinn. Andere häus- liche Beschäftigungen, Wäsche, Kaffee usw. waren für mich nnange- nehme Beschäftigungen." So suchte er sich eine Frau, und wie er, machten es viele andre geistig bedeutende Männer. Wenn ein frivoler Mensch wie der Professor Bahrdt   aus jede gute Partie losgeht, die ihm ein Kollege vorschlägt, so ist daS verstand- sicher i aber ebenso handelten sittlich einwandfreie Gelehrte wie Achenwall und Michaelis; selbst Bürger, der LiebeSsänger, wollte vor allem Geld, und Georg Forster   bestellte bei seinem Buch- Händler Spener   neben anderen Dingen sich auch eine Frau. Gustav Freytag   hat als das klassische Beispiel dieser nüchternen Ehe- schließungen die Heiratsgeschichte des großen Theologen Johann Salomo Semler   angesührt, wie er dies selbst in seiner Lebens- beschreibung erzählt: Der arme Profesior ist mit einerwürdigen