Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 34.

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Dienstag, den 18. Februar.

Gefchichte einer Bombe.

Von Andreas Strug.

1918

tragen, welche Dich seinerzeit vor anderthalb Jahren für ihr eigenes Geld aus dem Gefängnis gekauft, Freund Brücken­aufseher", und Dir das ganze Leben und die ganze Freiheit wiedergegeben hat, und dafür von Eurer Partei nur die Hälfte von dem zurückbekam, was uns nach Rechnung ge möge die gute Sache Erfolg haben! Dein Richter"."

Sei nicht böse, Richter", aber alle sagen, die Revolution bührte. Leb wohl, antworte sofort auf die alte Adresse, und ift zu Ende!"

,, Und was heißt das?"

Das heißt, die Polizei ist obenauf, und der Bourgeois fürchtet sich nicht mehr. Deshalb wird es einem eng in

Warschau  ."

Und was meinst Du, Schneider"?"

" Ich weiß nichts. Ich werde Dir stets gehorchen, Richter", wie ich es bisher getan habe. Aber es ist bei allen Barteien so still geworden, weil es schlecht ist."

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Das Städtchen Szlamowce lag weit ab in einer wäldigen und fumpfigen Gegend, fern von der Bahn, und kein Mensch im Lande wußte etwas vom ihm. Die Bevölkerung bestand vorwiegend aus Juden. Es befand sich dort eine Obrigkeit, eine Bezirkskasse, Landgendarmerie, ein Ringplak mit einem Sumpf in der Mitte, ein Bezirksgefängnis, eine Kirche für die umliegenden Pfarreien, es gab einen Bezirksarzt, einen Chef, und seit der Revolution war dort auch eine Soldatenabteilung Stationiert.

Man sagte in der Gegend, die Kirche sei noch von Kasimir dem Großen gegründet worden, und daß unter Napoleon   eine große Schlacht bei Szlamowce geschlagen worden sei, und ein Kenner des Landes, ein Gutspächter aus der Umgebung, behauptete sogar, die Kirche stamme noch aus der Zeit Leszeks des Schwarzen), und die Schlacht hätte während der Barer Konföderation stattgefunden.

Nun, so hört, ihr Idioten, was ich Euch sage! Hört zu und macht Euch auf große Dinge gefaßt! Was versteht Ihr bon Politik! Eure Sache ist es, einem Klügeren zu gehorchen. Die Stadt war sehr altertümlich. Die Kirche versant Einer wie der andere sagt: die Revolution hat ausge- fast in den Boden, die Misthaufen bildeten vor der Stadt spielt, von den Parteien hört man nichts. Das ist wahr. bereits einen großen Berg, und vor der Kirche stand eine alte Aber welche Revolution hat ausgespielt? Die sozialistische sterbende Linde, die tausend Jahre alt sein sollte. Aber die Revolution, die polnische Revolution, die kleinrussische Re- Geschichte der Stadt war noch nicht erforscht und geschrieben. volution, doch nicht unsere! Die Sozialisten kämpfen nicht mehr, sie sißen in den Gefängnissen, in der Verbannung. Sie werden uns nicht mehr hindern. Ihre Kampfgruppe wird unsere Kameraden nicht mehr morden. Die Polizei bedeutet nichts für uns. Was kann die Polizei wissen? Ja, der Bund", die Partei Poale Zion  " oder diese PPS., die waren es, die uns nicht leben ließen. Sie hatten ihre Leute in jedem Haus, in jedem Laden, in jeder Fabrit, an jeder Straßenecke, sie hatten ihre widerwärtigen Kampfgruppen, um Leute tot­zuschlagen. Sie haben es geleugnet, daß sie gegen uns tämpfen, aber wer hat den Barsch" beim Kommunemachen beim Kaufmann Eisenstern ermordet? Mitglieder des Bundes waren es1 Wer hat am hellen Tag auf der Straße unseren guten Kameraden, den Deutschen  ", erschossen? Wer hat ohne Erbarmen in seiner eigenen Wohnung vor den Augen feiner Frau und seiner Kinder den Weißen" erschlagen? Es waren diese jüdischen Renegaten von der PPS.! Wer hat uns immer auf die Finger gefehen? Wer hat uns unsere Geschäfte ber­dorben? Wer hat die Unferigen aus den Fabriken fort­gefagt? Wer hat uns in diesen efelhaften Zeitungen für Banditen erklärt? Wer hat jene Selbstwehr eingeführt, die schlimmer als die Polizei die Unserigen verfolgte und die diden Bürger in Schuß nahm? Wer hat jene privaten Ge­richte eingeführt, wo die Leute noch schlimmer als unter " Grün" gefoltert wurden, und wo Du," Schneider", und Du, " Draht", jeder seine fünfzig Hiebe übern Rücken bekommen

hattet?

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Jetzt hat es mit alledem ein Ende. Jetzt haben an­ständige Leute wieder freie Hand. Jekt müßten wir tanzen vor Freude, und Ihr schneidet Gesichter, als wäre der jüngste Tag! So oft schon habe ich Euch gesagt, wie dumm Ihr feid! Aber ich sage es noch einmal: Idioten! Und wer dumm ist, der soll einen Klügeren hören!"

Nachdem er eine Reihe Anordnungen gegeben und noch einmal jeden der Genossen besonders ausgeschimpft hatte, verlangte der Richter" Papier und schrieb unter ständiger Begleitung der Schimpfreden und Flüche der gelähmten Greifin folgenden Brief:

Die Hand der Gerechtigkeit" entbietet brüderlichen Gruß den Fünf Tapferen". Möge der Erfolg stets die gute Sache begleiten, und der böse Zufall Ihre Söhne verschonen! Ich habe für Dich ein Geschäft, alter Freund Brücken auffeher" Und was für ein Geschäft das ist, wirst Du aus dem Bettel, den ich mitschicke, leicht ersehen. Die Angelegen­heit ist wichtig. Doch ist die besagte Sache Euch zu nichts nüße, aber uns. Du wirst das verstehen, Freund Brücken­auffeher", und das tun, um was ich Dich bitte! Wäre es nicht so weit, so würde ich selbst fahren oder einen von den Unserigen schicken. Von Euch aber ist es kaum zwei Meilen entfernt so wurde mir gesagt. Darum schreibe ich an Dich, Freund, tu, mas nötig ist, und bringe uns die Sache mit der nötigen Vorsicht her. Dafür werden wir Dir fünf­undzwanzig Rubel bar bezahlen, und die Fünf Tapferen" werben so zum Aufblühen der Hand der Gerechtigkeit" bei­

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Der Bürgermeister, ein Amateur der Archäologie und Numismatit, widerlegte diese Hypothese und bewies, daß die Kirche in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts erbaut worden sei, daß aber die Malereien auf den Wänden sowie die Bindung des Daches aus einer späteren Zeit stammten. Was die Schlacht betrifft- stützte er sich auf seine eigenen Ausgrabungen in einem alten Grabhügel, der un­gefähr fünf Werst von der Stadt entfernt lag. Dort hatte er ein Hufeisen, eine Schnalle, zwei große Nägel, vier Schien­beinknochen und sieben Wirbelknochen gefunden, worüber er ein Referat an die Akademie der Wissenschaften in Krakau  erstattate, in dem er um Unterstützung für weitere For schungen ersuchte. Er wartete nun seit zehn Jahren auf Antwort und hatte die Ausgrabungen unterbrochen. Trok dem behauptete er auf Grund des erforschten Materials, das in einem Glasschränkchen in seinem Bureau stand, daß die Schlacht bestimmt noch vor Erfindung des Schießpulvers und Schießgewehrs stattgefunden haben müßte, denn wie tief er auch gegraben, hätten sich feine Kugeln, sondern einige kleine runde Eisenstückchen gefunden. Der Afzisenaufseher, der Saufbold und Polenfreund Sufin, behauptete, daß dies wohl Sanonenkugeln seien, welche jedoch infolge der jahrhunderte­langen Einwirkung des Erdmagnesiums und verschiedener chemischer Prozesse zusammengeschrumpft sind, und daß allein die Regelmäßigkeit der runden Form der gefundenen Rügelchen beweise, daß sie unter dem Einfluß der Naturkräfte zu dieser Winzigkeit gebracht worden wären..

Erst unter der freiheitlichen Bewegung**) begann sich auch Siefes Städtchen und seine Umgebung zu rühren. Es wurde eine nationale Prozession um den Sumpf auf dem Ringplak veranstaltet, an welcher die Grundbesißer der Gegend zu fammen mit der städtischen katholischen Bürgerschaft teil­nahmen, unter der Anführung von zwölf Geistlichen. Man umkreiste den Sumpf, sang religiöse Lieder und das National lied: Gott, der du Polen  ... und so weiter. Die städtischen Behörden zitterten vor Angst, und die Juden waren beleidigt, daß man sie nicht zur Teilnahme eingeladen, dagegen ihnen befohlen hatte, die Läden zu schließen und den Handel für die Zeit der Prozession zu unterbrechen. Der Herr Bürger­meister hielt eine Rede an die Menge, in welcher er zur Ruhe und zur Ordnung ermahnte und zur Dankbarkeit aufforderte gegen Seine Majestät, als dem König von Polen  . Er er mahnte auch die Juden streng und schloß mit den denk­

*) Sagenhafter Bolentönig.

**) Das Oftober- Manifest von 1905, das die Konstitutionen an fündigte.