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wartete uns sehr vergnügt und munter. Er erzählte, daß er zeitig aufgestanden sei und diese Gewohnheit, bei der er sich stets wohlbefunden, schon sein ganzes Leben habe. Dann fuhren wir mit dem Wagen in den Wald."
,, Nun erzählen Sie uns, was sich dort ereignet hat." Der Bericht über die Vorbereitungen zur Jagd stimmte, abgesehen derjenigen Bunkte, in denen Herr d'Entraque Lermantes widersprach, mit der Anklageschrift überein.
Der General wollte durchaus im Rückwechsel jagen?" fragte der Präsident. Nicht wahr, er bestand darauf?"
,, Das tat er. Er setzte eine gewisse Koketterie darein, seine Widerstandskraft und Frische zu zeigen. Er erzählte mit Vorliebe, daß er seine Muskeln noch mit denen junger Leute messen könne."
,, Da Sie doch so gut mit ihm standen, hätten Sie ihm vorstellen können, daß diese Rolle gewöhnlich von jüngeren Jägern ausgeübt wird. Weshalb taten Sie es nicht?"
Ach, Herr Präsident, ich hätte nicht gewagt, den General an fein Alter zu erinnern. Nichts war ihm unangenehmer, als sich als Greis behandelt zu sehen. Uebrigens war er sehr autoritativ und erlaubte keinen Widerspruch."
Die Antworten wurden schnell und flott, ohne Zögern gegeben. Lermantes drückte sich mit vollkommener Ungezwungenheit aus. Ganz seiner Unschuld sicher, verblüffte ihn fein noch so eigentümliches Zusammentreffen. Aus seiner Stimme klang vollkommene Aufrichtigkeit. Er sprach wie jemand, der auf die Wahrheit baute und entglitt ohne Anstrengung dem Neß des Verhörs. Eine ziemlich lebhafte Disfuffion erhob sich über die Verteilung der Plätze. Hatte fich Lermantes selbst den Platz am äußersten Ende der Schüßenlinie gewählt, um die Allee zu übermachen, durch welche der General kam oder hatte dieser, wie der Angeklagte versicherte, ihm seinen Stand angewiesen? Der Punkt blieb zweifelhaft.
Wir wollen die Zeugen darüber hören," beschloß der Bräfidnt, in einem Bunft sind sie jedenfalls nicht mit Ihnen einig. Herr d'Entraque behauptet, daß er Sie die Ladung Ihres linken Laufes nach der Verteilung der Pläße wechseln fab; Sie dagegen jagen aus, daß Sie es erst taten, nachdem Sie Hallo" schreien hörten."
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" Ich behaupte es, weil es wahr ist. Uebrigens, wenn ich es selbst vorher getan hätte, was würde das beweisen? Mein zweiter Schuß ist oft scharf geladen. Manchmal hat es mir Spaß gemacht, auf einfache Kaninchen scharf zu schießen. Das ist Jägerliebhaberei."
Der Präsident ließ die Hand durch den Bart gleiten, schüttelte den Kopf und bemerkte ironisch:
Auf diefer Jagd find viele Liebhabereien ausgeübt worden. Troß seiner 75 Jahre muß der General im Rückwechsel jagen: Greisenliebhaberei! Sie nehmen Kugeln anstatt Schrot: Jägerliebhaberei!"
( Fortsegung folgt.)
Aus dem Grabe
eines 48er Revolutionärs.
Unter dem vorstehenden Titel ist bei Gustav Gohlke in Leipzig ein Buch neu herausgegeben worden, das Richard Wagner furchtbar und mordbrennerisch aufregend" nannte und das er nach seinem eigenen Geständnis gradeswegs gefressen" hatte. Wenn einmal die Deutschen so weit fommen sollten, daß sie wirklich in ihrer eigenen Kultur leben, wird dieses Buch als ein erschütterndes Dofument jedem Gebildeten bekannt sein. Es stammt aus der Feder August Röckels, der einst königlicher Musikdirektor am Hoftheater in Dresden war und wegen seiner Beteiligung an den MatEreignissen 1849 zum Tode verurteilt wurde, um dann zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt" zu werden.
Lebenslänglich währte die Gefangenschaft' nun freilich nicht, aber 13 Jahre hat August Röckel hinter Kerkermauern schmachten müssen und davon 11 in einem Zuchthaus, das die Hölle bereits auf diese Erde brachte. Es liegt in der Natur der Sache, daß dieses mit dem Blut des Herzens geschriebene Buch seine Bedeutung auf zwei verschiedenen Gebieten suchen muß. Es ist wuchtig, bedeutungsschwer, groß als historisches Dokument; es ist wuchtig, bedeutungsschwer, groß als ein graufiger Anklageruf aus der Nacht des Zucht Haufes.
Daß der Verlag dieses bedeutende Buch neu herausgegeben hat, ist außerordentlich dankenswert. Noch dankenswerter aber wäre es gewesen, wenn er es mit einer historischen Einleitung in die politischen Zustände jener Tage versehen hätte. Der moderne Leser hätte dann den Hintergrund der Zeit greifbar vor Augen gehabt
und sein Verständnis wäre vertieft worden. Hier liegt eine Unterlaffungssünde vor, die vielleicht in späteren Auflagen gut gemacht werden kann.
August Röckel war bereits als Schüler in Aachen in die widerlichen Bänkereien zwischen Katholiken und Protestanten eingeweiht und Scheinreligion eingefogen. Anfang 1830 fam er nach Barts, worden und hatte dadurch eine gründliche Verachtung aller Formelwo er die Julirevolution an sich vorüberbraufen sah und die Führer der Bewegung fennen lernte. 1832 führte ihn sein Weg nach England, wo er an der großartigen Reformbewegung fennen lernte, wie die tiefgreifendsten staatlichen Umwandlungen fich leicht und friedlich vollziehen können, sobald die Regierung nur ihre Stellung Aufgaben ehrlich vollzieht. Obwohl er nun unter den freien Inals Dienerin des Staates begreift und die hieraus erwachsenden ftitutionen dieses Landes heranreifte und obwohl die Nachrichten, die aus Deutschland herüberdrangen, jammervoll waren, vermochte doch nichts das Heimweh seiner Brust zu vermindern, und 1838 fehrte er sehnsuchtsvollen Herzens in das langvermißte Vaterland zurück. Wie ein Mensch, der nie aus seinem engen Kreis herausgekommen ist, seine Träume in die Ferne zu verlegen pflegt, so verlegte Röckel, der von der Ferne umspült wurde, seine Träume Ort aufsucht, wo man seine Träume angesiedelt hat. Aber so in das Vaterland. Man wird gewöhnlich enttäuscht, wenn man den furchtbar wie Röckel konnte doch nur ein Deutscher enttäuscht werden. Die Schilderung, die er von dem vormärzlichen Deutschland bietet, das er bei seiner Rüdfehr antraf, ist von geradezu klassischem Wert. Dieses herrliche gesegnete Land inmitten Europas zerrissen und zerfest in einige hundert Stücke, die oft in weiter Entfernung von einander zu zehn und zwanzig einen Staat bildeten. Diese große, mit den höchsten Gaben des Geistes und des Herzens reich 36 verschiedene" Bölker", denen der deutsche Nachbar jenseits der beschenkte Nation von 45 Millionen, zerfiel in nicht weniger als bunten Grenzpfähle bereits ein Ausländer" war. An ihrer Spike dieser maskeradenhafte Flittertand, dieser findlich- feierliche Bomp, dieses ganze ebenso nichtige wie wichtigtuende Treiben der Höfe; diese hohle Aufgeblasenheit eines Adels, der statt dem Volf ein Führer und Vertreter au sein, bei vollständigem Mangel alles ernsten höheren Strebens sein Spiel nur mit Bändchen und Kreuzchen und Sternchen, mit Frivolitäten der läppischsten, wenn nicht nach innen, ihre Ohnmacht nach außen und ihr berächtliches Kriechen der verwerflichsten Art hatte; diese brutale Willtür der Regierungen vor dem nordischen Schirmherrn, wie dereinst vor dem korsischen Eroberer; dieser probige Uebermut des Militärs und Beamtentums: und all dem gegenüber dieser Mangel allen Selbstgefühls, diese Schafsgeduld und knechtische Ergebenheit des Volkes.
Schon dieser ganz allgemeine Charakter der deutschen Zustände mit seinem vollständigen Mangel an Scham und Würde, PflichtRödel mit Efel und Abscheu erfüllen. Es begreift sich darum leicht, gefühl und Rechtsachtung mußte den aus England heimkehrenden daß seine Seele der gewaltigen erlösenden Bewegung der Märztage auschütteln suchte, der sie so schwer bedrückt hatte. wonnetrunken entgegenschlug und jubelnd den finsteren Alp ab
Er beteiligte sich an der revolutionären Bewegung durch die Herausgabe von Flugblättern, von denen eins( ein" offner Brief an die Soldaten") ihm eine Anklage und Untersuchungshaft zuzog. als die Wahlen heranrückten, hatte die demokratische Partei ihn auf die Liste ihrer Kandidaten gesetzt, und der Wahlkreis Limbach bei Chemnitz sandte ihn als Abgeordneten in die Zweite Kammer. Aus der Untersuchungshaft wegen des" offnen Briefes an die Soldaten" war er auf Grund einer Kaution entlassen worden, die ein unbekannter Bürge für ihn gestellt hatte. In seiner Eigenschaft als Abgeordneter war er nun zunächst vor einer Wiederverhaftung ficher, aber diese Sicherheit schwand, als eine Auflösung des Landtages drohte. Seine Freunde, insbesondere Bakunin , bewogen ihn, nach Prag zu gehen und sich dort mit den revolutionären Kräften in Verbindung zu setzen. Wie bitter die revolutionäre Stimmung ihn in Prag enttäuschte, soll hier nicht näher ausgeführt werden, genug, daß Bakunin sich von der vorhandenen revolutionären Energie völlig falsche Anschauungen gemacht hatte. In Prag erreichte ihn dann ein Brief Richard Wagners, der ihm meldete, daß in Dresden die Revolution wieder loszubrechen scheine, und sofort eilte Röckel zurück.
Wie er mit der Post durch Sachsen fuhr, fand er die Wege stark belebt. In allen Ortschaften war die Bevölkerung bersammelt, um über ihre Haltung zu beraten und allenthalben hatte man sich bereits für die fräftige Unterstützung der Voltssache entschieden oder war im Begriff, es zu tun. Schon in weiter Entfernung von Dres den bernahm man das Dröhnen der Geschüße, näherhin das Stürmen der Glocken und Knattern des Gewehrfeuers, bis endlich von den letzten Anhöhen aus die Stadt selbst sichtbar wurde, aus der zwei Rauchsäulen in den hellen Maihimmel emporstiegen: das alte Opernhaus, von einem Unbekannten angezündet, und ein von den Preußen in Brand gestecktes Privathaus standen in Flammen.
Es war am Sonntag, den 6. Mai nachmittags, als Rödel in Dresden eintraf, wo er sich sofort auf das Rathaus begab, um sich der provisorischen revolutionären Regierung zur Verfügung zu stellen.
In der Schilderung jener Tage der Verwirrung und des Kampfes findet er in seinem Buch beredte Worte für den wahrhaft erhabenen Charakter dieser großen Volksbewegung. Nicht nur, daß das Eigentum in feiner Weise bedroht wurde, selbst die Pre feffionsdiebe( die es gerade in dieser Zeit so leicht gehabt hätter