Liebermann führt; damit ist der berlinischen Kunst in ihrer Ganz-heit das Rückgrat ausgebrochen. Man mag fich umsehen: dasspezifisch Berlinische fehlt. S k a r b i n a mit einem seinerspätesten und darum schlechtesten Bilder, dem„Mehr Volk", genügtnicht, um die zum Leben durchgedrungene berlinische Malerei zukennzeichnen. Was wir in diesen Sälen zu sehen bekommen, rsteigentlich mehr die in der EntWickelung steckengebliebene und damithistorisch bereits erledigte Kunst. Wir sehen Conrad Kieselund Koner, die beiden selbstgefälligen Porträtarrangeure, denalten Begas, den Bildhauer des Reichsbarocks, Meyerheim,den malenden Hackländer, Schott, Herter, Kauer und einigeder übrigen Denkmalsmehrer. Bei Arthur Kampf, der esin Berlin bis zum Präfidenten der Akademie gebracht hat, istman versucht, an Düsseldorf zu denken; das großformatigeHistorienbild, das er hier zeigt, hat noch keine Spur von der jetzigen,am Impressionismus geschulten Vortragsart des Malers. DiesesBild ist Akademie und damit nicht lokal festzulegen, vielmehr ver-wandt mit allem übrigen Akademischen. Das Akademische ist dieverhängnisvolle Jnternationalität der Kunst! Ob man LudwigKnaus einen Berliner nennen kann, ist sehr fraglich; er kamaus Düsseldorf und ist dem Vautier und dem Peter Janssen, demLehrer des noch jetzt für das alte Düsseldorf charakteristischenGebhardt verwandt.(Von Gebhardt ist hier übrigens eintemperamentvolles, von der späteren Geschichtsklitterung noch nichtbelastetes, an der Derbheit des Engländers Hogarth und an derDramatik Daumiers entzündetes Frühbild zu sehen.) Auch mitFriedrich Kallmorgens Berlinertum ist es unklar bestellt.Er gehört, wenn auch nur von ferne, zum Kreis um Liebermann;seine Bilder find aber doch mehr provinzial, sozusagen für einReisehandbuch durch Deutschlands Häfen, nachempfunden, als mitder sicheren und sichtenden Oekonomie des Grohstadters organisiert.Ganz intereffant ist es, ein frühes Bild des L e s s e r U r y zutreffen; es stammt aus dem Jahre 1884 und zeigt eine Landschaftaus Flandern. Ganz grün ist das kleine Bild und schon fast hell.Einen Augenblick erinnert man fich, daß Ury stets behauptet, ersei der eigentliche Lehrmeister Liebermanns; sieht man das kleinegrüne Bildchen dann aber genauer an, so zeigen sich schon an diesersrühen Arbeit recht deutlich die Spuren der späteren Nervositätund einer Fabrigkeit, die genau das Gegenteil von dem ist, wasLiebermanns Stärke ausmacht.Was die übrigen Städte Preußens betrifft, so werden wirdurch Karl Vinnen und Alfred Mohrbutter an diehoffnungsfrohe Episode der Worpsweder, dieser melancholischenMaler der moordunstigen Wasierkante, erinnert; Fritz Bühle,der in Frankfurt wohnt, zeigt als einer von manchen den EinflußThomas und Andreas Achenbach, der mit einer jener saubergeglätteten Landschaften, wie sie die Düsseldorfer und andereDeutsche während der achtziger Jahre in Italien malten, vertretenist, scheint uns glauben machen zu wollen, daß die rheinischeAkademie noch heute in Allmacht regiere. Die eine kleine Land-schaft von Eugen Kampf reicht nicht hin, um von den jungenDüsseldorfern, die inzwischen übrigens schon wieder alt wurden,Kunde zu bringen.Gewiß, für den Liebhaber der Malgeschichte gibt es hier nochmanche Seltenheit und Delikatesse zu entdecken: ein äußerst akku-rates, fast hartes, aber doch männlich schönes Bildnis, das F e r d i-nand Harrach malte, ein Porträt von der zaghaft strebendentand des Stauffer-Äern, eine» Pierrot, wie ihn Leo vonü n i g früher in der Sezession des öfteren gezeigt hat, und dersich heute in seiner geschmackvollen Melancholie Kochst seltsam nebeneinem mit ostelbischen Augen gesehenem Hirschkamps ivom ollen,ehrlichen Friese) ausnimmt.Der Dresdener Saal ist recht geschickt zusammengestellt woc-den. Max Klinger aus Leipzig bildet das Zentrum. Die be-kannte Grablegung, eines der besten Bilder dieses viel experimen-tiercnden und von der Natur zum Graphiker bestimmten fdurchden Reichtum des Vaters aber zur Monumentalität verführten)Künstlers, ist ein Werk von geklärter Ordnung und tiefer deutscherInnerlichkeit. Ganz kurios wirkt daneben Richard Müller,ein quengliger Schulmeister, wie er nur in Sachsen gedeihen kann;und doch zum mindesten eine Kuriosität für Anatomen; Müller malteine Nonne mit jeder Pore der Haut, jedem Fältchen der Haube;bei einer Ziege zeigt er jedes einzelne Haar. Arbeitssitzfleisch hatdieser mikroskopirendc Fanatiker. Die beiden DekorationsmalerZ w i n t s ch e r und II n g e r, die kartgezeichneten Naturalismuszu plakatartiger Wirkung bringen, sind in gewohnter Weise ver-treten; llnger n,it einem Einschlag dämonischen Helenentums,Zlvintscher gemietlicher. B a n tz e r bewährt die schön abgewogeneKraft eindrmglicher Menschenforschung: er zeigt eine der von ihmschweigsam geliebten hessischen Bäuerinnen, eine Alte, ganz inschwarz, lnit einigen verlorenen grünen Anklängen. Ein neuerMann ist Meyer- Buch wald; mit kalten yrauen und grünenFlächen weiß er Frühlingsstimmung in sein Bild zu bringen; einWanderer blickt mit Blaubiümchenaugen in die harmlose Welt.In dem Karlsruher Saal treffen wir drei starke Künstler:Thoma, Schönlcber und Trübner. Schönleber bekam außerdemzwei große Räume fiir eine Kollektivausstellung. Thoma wirdals ein echter deutscher Landschafter in die Malgefchichtc eingehen;Schönleber wird in weitem Abstand zwar, aber immerhin doch nochzugehörig, neben dem Eigcnbrödlcr des Schwarzu'aldcs stellen.Thomas Landschaften find exschaut, erwandert, gepflückt; Schön-l e b e r sucht Motive, um sie in ein Bildchen z» verarbeite». Ertut das mit großer Neigung und herzlicher Hingabe; aber es bleibtdoch ein Rest von Malprofessor in diesem Naturfreunde. Thomawirkt oft fast ungeschult, sast dilettantisch; aber niemals läßt ersich die kindlich hellen Augen durch irgendein System oder einProgramm irre machen. Von T r ü b n e r sieht man eines seinerbekannten, großformigen Reiterbildnisse, den Hessen. Man erinnertsich spontan an die gegenwärfig in der Sezession hängende Kollek»ttvausstellung und weiß dann, welch eine formende Manneskrafiin diesem Künstler lebendig ist. Die Stuttgarter haben niemanden/der das Maß des Wohlgefälligen überstiege. Der verstorbenePleuer, der Maler der Eisenbahn und der Glashütten-Jn-terieurs, hält fich; er malte mit dem Herzen. Haug langweilt ausdie Dauer; diese ewigen, halbdunklen Soldatenbilder sind wohl au»anständiger Gesinnung gesprossen, sie entbehren aber des Tem-peramentes. Davon dürfte bei Carlos Grethe und Aman»dus Faure ein wenig mehr vorhanden sein; indessen, die See-stücke des einen und die Zirkuskomödie des anderen sind zwarslott aber geistlos gemalt.Wien ist in dieser historischen Rückschau so ungenügend undschwach vertreten, daß fich darüber nichts sagen läßt. Aus Weimarkam Ludwig von Hofmann mit einigen sehr frühen undinteressanten Arbeiten. Man sieht die Einflüsse der Eckmannlinie,die Arabeske des Mucha, das Spirituelle des schnell entartetenJugendstils. Die späteren Bilder find Spiegelungen des Renoir,rosig im Fleisch und rundlich, was den Typus des Weibes betrifft.Ohne Frankreich ist Hofmann nicht gut denkbar; und dennoch hater in Deutschland, wie ein Prophet Arkadiens, neuen, heiterenEmpfindungen den Weg bereitet. Von den übrigen Weimaranernsind die meisten— Ausland oder wenigstens Fremdling: GariM e l ch e r s ist ein illuminierter Amerikaner, Eggcr-Liengknurrt als begeisterter Tiroler, Mackensen träumt von derWorpsweder Heide. Robert Breuer.kleines feuilleton.Das Fest der Eidechse«.Vor dem Taubenhause der Pension gurrt das verbuhlte Volkder Tauben liebevergnügt einem schönen Frühlingstag entgegen.In, breiten Getäfel der offenen Fenster spiegelte fich im filber»glänzenden Morgenkolorit der grandiose Felswuchs der Rosengarten-gruppe.Die junge Sonne wirft schon heiße Glut aus daS Unterfich, soauch aus das Bett mit mir, den Erwachenden.In den Weingärten künden die Amseln:„Aus, die Sonne ist dal"»Ich fliege wie ein Pfeil aus dem Bett— schnell hinaus in denleuchtenden Frühling—«ins, in die Hose, zwei in die Stiesel—die Sehnsucht ist der beste Kammerdiener— drei. Kragen, Hals-binde, Weste— graue Stube lebe wohl, du siehst mich einen ganzenTag nicht.Laufe die Treppe hinunter und stürze mich wollüstig in denStrom der durchsonnten Lust, der durch die Straßen des kleinensüdtiroler Kurortes flutet.Einen Blick auf das Dach des Kurhauses—Hurra, Hurra, dort oben Wimpeln die Fahnen der Hoffnung:Hemden, linterhosen und noch diskretere Begleitungsstücke, die dortzum Trocknen aufgehängt sind.Ihre Gegenwart zeigt einen schönen Tag an.Die Pächter des Kurhauses sind wettcrkundige Autochthonen,die ihre zu trocknende Wäsche keinen Wetterschwankungen aussetzen.Ich bin ganz in Sonne getaucht.Die niedrigen Felsbruchmauern, die die reichen Weinberge deSOrtes einfrieden, glühen wie Backöfen.In den Rissen, auf den rauhen Flächen des verwitterten Gestein»spielen hunderte Eidechsen; tanzen, huschen, sangen Insekten undsreuen sich der Sonne.Ein Bach fingt fich in die Ferne ein.Am grünen Ufer entlang schreite ich. Alte, knorrige Weidenwerfen dünne Schattenruten auf das lichtbeglänzte Band des Fnß-wegeS.Auch hier eine Menge Eidechsen. Die schlanken, grüngrauenKörperchen dieser zierlichen Reptilien flitzen wie lebendige Sonnen-strahlen in unbändigem Frohsinn zu beiden Seiten meiner Wander-schaft.Sie tanzen Sonne, trinken Sonne, leben Sonne!Unbeschreiblich glückliche Tiere.Weit in der Ferne ragen die Giebel der Konservenfabrik. Drei-hundert und mehr junge italienische Arbeiterinnen arbeiten darinzwölf Stunden in dumpsdunNen Räumen. Aus meine Augen legtsich ein Trübes. Ich denke an diese armen Mädchen.Sie arbeiten in halber Nacht, leben darin und ersticken im Dunkelihrer Jugend.Unbeschreiblich unglückliche Menschen IAlfon» Pctzold.Literarisches.Rolf Hiorth Schoyen: Der Herrscher. Der VerlagErnst Rowohlt fauch der Entdecker des früh verstorbenen GeorgHeyin) hat eine gute Witterung für starke Talente. In Hiorth