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jäh Ernüchterten, der während seines Rausches eine Schand-| fat verbrochen. Und immer aufs neue fragte sie sich, ob sie es wirklich sei, fie, die stolze Germaine, die sich im Walde hin­gegeben hatte. Sie sah sich, noch rein und unberührt, wie fie bis vor kurzem gewesen. Und eine einzige Minute hatte genügt, all das zu vernichten! Nun war sie nicht besser als alle anderen Mädchen, die sich weggeworfen hatten. Sie hatte einen Geliebten! Bis zum Ueberdrusse wiederholte sie sich dieses Wort. Einen Geliebten! Aber seltsam, je öfter sie es aussprach, desto inniger dünkte ihr dieses Wort; es zitterte eine füße Hingabe darin, die sie vor Wonne erbeben ließ. Mein Gott! wie viele vor ihr hatten einen Geliebten gehabt, ohne darum gleich zugrunde gegangen zu sein.

Dieser Tag, ein Dienstag, war im Haushalte fürs Aus­bessern der Wäsche bestimmt. Eine eigene Stube diente zur Aufbewahrung der gesamten Hauswäsche, die zwei Wand­schränke bis hinauf füllte und überdies auf längs der Wände laufenden Borden hochaufgespeichert lag. Auf dem Tische türmte sich ein Berg schadhafter Wäsche. Auf einem Stuhl ruhten Nadelkissen, Scherenetuis und Zwirnspulen in Menge. Hier saß sie mit untätigen Händen und träumte von ihrer Liebe, ihrem Glück und von dem Schweigen im Walde. Bisweilen durchlief es sie siedendheiß, daß sie zu ersticken meinte. Dann erhob sie sich, nach Atem ringend, ergriff die Arbeit und ließ sie neuerdings fallen.-Einen Moment lang hatte sie daran gedacht, mit ihm zu fliehen und irgend wohin in die weite Welt zu wandern; nichts mehr hinderte fie dann, als Mann und Frau miteinander zu leben. Doch war das bloß eine Idee von vielen anderen, die auf ihr er­schittertes Gemüt einstürmten. Allmählich überfam fie eine Schwäche, und sie schlief ein.

Eine Stimme, die ihren Namen rief, ließ sie erschrocken auffahren. Draußen im Hofe stand der Bächter vor dem Fenster. Er hatte den halbangelehnten Flügel aufgestoßen und fie, gutmütig lächelnd, ein Weilchen beobachtet.

Mir scheint, Germaine, die Kirmes steckt Dir noch in den Gliedern," sprach er neckend.

Vor Schrecken ward sie bis in die Lippen bleich. Ihre Augenbrauen spannten sich, als hätte sie etwas Furchtbares erschaut, und wie angewurzelt stand sie vor ihm, ohne eine Silbe hervorzubringen. Was hatte er da gesagt? Ein ein ziges Wort war in ihrem Gedächtnis haften geblieben: von der Kirmes hatte er gesprochen.

( Fortsetzung folgt.

fifi.

Eine Hundegeschichte.

Ich weiß, es gibt unzählige Hundegeschichten, geschriebene und ungeschriebene, und die ungeschriebenen, die nur in den Familien fortleben, in denen sie sich einst zugetragen haben, sind vielleicht die rührendsten und ergreifendsten.

"

Die Geschichte, die ich erzählen tvill, ist eine der letzteren. Jeder in unserer Familie erinnert sich noch an Fifi. Eine Tante von mir, die niemals einen Zeichenstift noch viel weniger einen Pinsel in die Hand genommen hat, behauptet trotzdem jedesmal, wenn die Rede auf Fifi kommt, daß sie das Tier heute noch malen fönne. Dabei war Fifi, das muß im Interesse der Wahrheit gleich vorweg gesagt werden, durchaus kein Bild". Sie war, wenn man ihre Rasse unbedingt festgestellt sehen will, vielleicht am nächsten den Pinschern verwandt. Böswillige behaupteten zuweilen, daß Fifi auch einen Dackel in ihrer Ahnenreihe gehabt haben müsse, wobei sie mit boshaftem Lächeln nach Fifis Beinen schielten. Aber das war eine Uebertreibung und Verdächtigung, die nur Neid- und Spottsucht aussprechen fonnte. Allerdings, Fifi hatte keine Ursache, stolz auf ihre Ahnenreihe zu sein. Nur ihre Mutter war mit Sicherheit bekannt, während über ihren Vater eigentlich nie richtige Klarheit entstanden ist. Ich hatte Fifi als Knabe bon ländlichen Verwandten beim Abschied nach einem Ferien­aufenthalt geschenkt erhalten und sie in einer leeren Bigarrentiste, säuberlich auf weichem heu gebettet, nach Hause ge= tragen. Damals war Fifi erst vor drei Tagen zur Welt gefommen. In einem leeren Abteil des Schweinekobens hatte ihre Mutter auf einem Bündel Stroh ihre Kinderwiege eingerichtet. Fünf hoffnungs­volle Sprößlinge lagen dort, gelb und ohne Abzeichen wie die Mutter, die schwarzen Nasen dicht aneinander gedrückt und sich gegenseitig warm haltend, wenn Flora einmal in dringenden Geschäften abwesend Mit geschlossenen, noch blinden Augen lagen sie da, als wüßten sie, in was für eine Welt der Niedertracht fie geboren worden waren, eine Welt, auf die es sich nicht lohnte, neugierig zu sein.

war.

Ich war Feuer und Flamme für Floras Kinderstube, und es berging wohl faum eine Stunde am Tage, in der ich nicht wenigstens einmal nach den Tieren gesehen hätte.

Als ich fortging, schenkte man mir Fifi.

Ahnte Flora, daß eines der fünf jungen Hundeschicksale sich zu erfüllen anschickte, als ich Abschied nahm und das fleine Wesen, das man mir überantwortet hatte, vorsichtshalber noch einmal gründlich am Busen der Mutter sich fatttrinken ließ?

Jch pacte das Tierchen dann, wie gesagt, in eine leere Zigarren­fiste, die ich mit Heu, so sorgfältig es ging, gepolstert und mit Bind­faden ebenso sorgfältig verschnürt hatte und nahm dann etwas un­geduldigen Abschied; wünschte ich doch nichts sehnlicher, als recht bald mit meiner Bürde zu Hause sein zu können.

Unterwegs ließ es das fleine Vieh an lebhaften Protesten gegen die zum mindesten eigentümliche Behandlung, die ihm zuteil geworden war, durchaus nicht fehlen. Er quiefte zuweilen ganz jämmerlich in seiner Niste, und meine heimliche Sorge, ob ich es wohlbehalten nach Hause bringen würde, wuchs mit jeder Minute. Gewiß war es auch für einen Hund feine Kleinigkeit, drei Tage alt, vom Herzen der Mutter und aus einem warmen Nest genommen zu werden, in einem tabaksduftenden Holzkistchen, das einem Sarge ähnlicher sah als einer Wiege, einige Stunden weit über Land transportiert zu werden, um zu guter Zezt noch eine mehrstündige Eisenbahnfahrt zu überstehen.

angenehm überrascht war, als ich ihr nach einer besonders Ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, daß meine Mutter liebevollen Begrüßung die Zigarrentiste auf den Schoß stellte und die Enthüllung mit den Worten einleitete: Erichrid nicht, Mutter, es ist keine Natte drin!" Vorsichtig löste ich die Schnüre und überließ es dann meiner Mutter, den Deckel zu heben.

Vielleicht ist meiner Mutter in diesem Augenblick ähnlich zumute gewesen, wie weiland der Tochter Pharaos, als ihre Dienerin das bekannte Kästchen aus dem Nil zog... Ein mitleidiger Blid traf das Hündchen, das in diesem Augenblick instinktiv seine Schnauze ein wenig in die Höhe hob, um sein mir längst bekanntes flägliches Quiefen und Winseln von neuem zu beginnen. Aber der Fall lag hier doch schwieriger als seinerzeit der ähnliche in Aegypten  . Woher sollten wir eine Mutter nehmen, die das Hündlein nährte? Mit einem Gummisauger und einer Flasche wird es gehen," schmeichelte ich und jubelte auf, als ich hörte:" Du kannst es ver­suchen!"

Triumph! Ich hatte gewonnen, und die bange Sorge, wie man meine Sühnheit, ohne Erlaubnis einen Hund ins Haus zu bringen, aufnehmen würde, war geschwunden. Mit leichtem Herzen sprang ich davon, die nötigen Sachen zur Aufzucht meines jungen Hundes zu beforgen.

Einen Hund zu besitzen, war immer mein sehnlichster Wunsch gewesen, und es war nicht zum ersten Male, daß ich versucht hatte, einen ins Haus zu schmuggeln. Einmal schon war mir ein junger Mops auf der Straße nachgelaufen und bis in das Haus gefolgt und ein anderes Mal ein Spiz. Aber jedesmal hatte sich zu meinem Leidwesen der Eigentümer des Tieres bald gemeldet und ich hatte mit schwerem Herzen von den Tieren wieder Abschied nehmen müssen.

So etwas war diesmal ausgeschlossen! Ich hatte einen Hund und durfte ihn sogar selbst großziehen! In wenigen Minuten war ich mit Flasche und Gummisauger zurück, und meine Ammendienste fonnten beginnen.

Ich muß gestehen, das Hündchen benahm sich dabei anstelliger, als ich erwartet hatte. Nach einigem Sträuben hatte es durchaus begriffen, um was es fich handelte. Es fog aus Leibeskräften.

Noch an demselben Abend wurde der Säugling getauft. Mein Bruder schlug die unmöglichsten Namen vor: Nero, Wallenstein  , Kastor, Phylax.

Aber von dieser Reihe war kein einziger zu gebrauchen, denn es handelte sich um eine sie.

Wir durchsuchten die ganze Weltgeschichte nach berühmten Frauen­Die Uebers namen, aber feiner wollte uns passend erscheinen. legungen währten Stunden und wurden mit einem Eifer fortgesetzt, der der Wichtigkeit der Sache entsprach.

Ich weiß nicht, wie wir dann endlich auf den prosaischen Namen Fifi verfallen find, aber bei diesem Namen blieb es.

Wer beschreibt die Qual und Sorge der nächsten Wochen. Fifi war wirklich ein unruhiger Säugling. 3wei- bis dreimal des Nachts weckte uns das erbärmliche Quieken Fifis, die hungrig in ihrem Korbe, den wir zur Vorsicht in unsere Kammer gestellt hatten, umherkroch, um getränkt zu werden.

Wer weiß, wie fest ein Knabe schläft, wird ermessen können, wie groß unsere Liebe zu Fifi war, und wie energisch sie uns an ihre Rechte zu erinnern wußte!

Aber wie gedieh Fifi auch. Sie hielt nicht eher im Trinken inne, als bis sie sich an dem reichlich fließenden Quell ihrer Sehnsucht bis zur Kehle vollgesogen hatte und wie ein gefüllter Schlauch wieder in ihren Heuforb gelegt wurde.

Nach neun Tagen öffnete sie zum ersten Male die Augen. Ich weiß nicht, ob sie erstaunt war, sich ohne Mutter und Geschwister, statt im Schweinestall zu Blockwinkel in einer städtischen Etagen­wohnung zu finden. Schwarz und blank wie ein Paar Jetperlen faßen die kleinen Augen in dem faltigen Gesichtchen, und uns dünfte, sie blickten sofort mit anerkennenswerter Intelligenz in die Welt.

Nach wenigen Tagen kamen die ersten Spaziergänge in Fifis Dasein, die allerdings, wenn man der Wahrheit die Ehre geben will, mehr ein Spazierrutschen auf dem Bauche darstellten, da Fifi