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Wir waren an der Haltestelle der Trambahn angekommen. Mit ganz anderen Augen sah ich jetzt die eingeferbten Röllchen an den Drähten oben laufen. Wir stiegen ein. Der Lärm ber Stadt schlug wieder an die Ohren. Es wimmelte in den Straßen. Und mir kam es plöblich vor, als ob alle diese Menschen, alles das Ge­triebe in den Straßen gelenkt würde an unsichtbaren Fäden von der Dreißigtausendpferdigen, von der wir famen.

benke, die wird man eines Tages ersehen durch die reinlichen vor einigen Monaten eine Notiz über Schädelfragmente, die in Eng­unterirdischen Kabel. In diesen wird dann die durch die Sonne land auf dem Biltdown Common gefunden wurden. Die Stüde  in der Kohle vor Jahrmillionen aufgespeicherte Straft radienförmig wurden von Dr. Smith Woodward, dem berühmten Geologen und in das Reich hinausströmen Hunderte von Kilometern weit Kustos der geologischen Abteilung des Britischen   Museums refonstruiert. und reinlicher und billiger als je vorher. Auch der nicht minder berühmte Anatom und Kustus des Chirurgischen Museums Professor Keith unterzog die Fragmente einer Rekonstruktion. Aber die Resultate, zu denen die beiden Gelehrten tamen, sind grundverschieden. Zweifellos sind die Fragmente von sehr hohem Alter( man rechnet etwa 1 Millionen Jahre), auch wird all­gemein zugegeben, daß das Wesen, dessen Kopfteile vorliegen, ein affenähnliches Kinn besaß. Aber hier hört die Uebereinstimmung auch auf. Dr. Smith Woodward will diesem prähistorischen Menschen ein Gehirn von nur 1070 Rubitzentimeter gönnen, während ihm Professor Keith eine Gehirnkapazität von 1500 Stubitzentimeter, also das Gehirn des modernen Menschen zuschreibt. Dr. Smith Wood­ward behauptete, daß die eigentümliche Beschaffenheit des Unterkiefers ihn berechtige, von einer neuen Gattung zu sprechen, und er vers teidigte daher den Namen Euanthropus dawsonii.

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Wir standen im Bahnhof. Der Zug meines Freundes fuhr in zehn Minuten. Wir gingen auf und ab.

Das war nett von dir, daß du mir dies Gesicht von Zürich Beigtest, fagte mein Freund.

Und ich danke dir dafür, daß du's erklärtest. Nichts von Dant. Aber denk einmal darüber nach: Ihr Leute bon der Feder solltet wirklich einmal den neuen Baedeker schreiben du weißt schon, den der Arbeit.

Ich sah ihn an. Es war ihm ernst.

Und dann stand er schon auf dem Trittbrett. Da schoß mir noch ein Gedanke durch den Kopf: Hör mal, sagte ich, wird das die größte Maschine bleiben?

Nein, man wird noch größere konstruieren. Und dann wo ist die Grenze?

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Wir fönnen fie nicht sehen.

Ist das nicht eigentümlich, daß nicht nur bei den Maschinen, baß überall derselbe Konzentrationsprozeß zu Riesengebilden sicht­bar wird?

Ja, in den Syndikaten, in den Trusts, in den Mammutbanken. Und in den Städten selber, bie so riesig wachsen, in der ge­schlossenen Arbeiterbewegung überall der Massentritt, die Waffenwirkung. Und was wird das Endziel von dem allem sein? Die kompakte Menschheit, sagte er ernst und drehte sich auf bem Trittbrett um, weil eben der Bug anzog. Und dabei stieß er snir wieder seinen spizigen Stock, den er wagerecht im Arme hielt, an den Körper.

Donnerwetter! sagte ich, weil es weh tat. Nicht fluchen, winfte er noch unter der Tür zurück, wer weiß. vozu es gut ist!

Er meinte die kompakte Menschheit und ich den Stoc. Da Tonnte ich wieder lachen. Und das war gut so: Die Dreißig tausendpferdige und die Gedanken, die sie löfte, hatten doch ein tvenig schwer auf mir gefniet.

Kleines feuilleton.

Literarisches.

Wohlfeile gute Bücher. Der Inselverlag bringt wieder eine neue Serie seiner 50 Pf.- Bändchen. Diese schöne Sammlung noch weiter zu empfehlen, erübrigt sich. Was früher wiederholt von diesem Unternehmen gesagt wurde, gilt im vollen Maße auch von der jüngsten Serie. Man findet wieder Novellen von Tolstoj  . Dann ist der feine Schwede Hallström vertreten. Ferner Stendhal  , Heinrich Mann   und Stifter. Das Volksbuch vom Herzog Ernst und die Kinderlieder aus dem Wunderhorn illustrieren die Volks­dichtung. Zwei schöne Büchlein sind die Legenden vom Heiligen Franz und der Urfaust, die seinerzeit aufgefundene und von Erich Schmidt   herausgegebene Frühfassung der Goetheschen Dichtung. Sehr viel Freude macht die entzückende Geschichte der Ricarda Huch  : " Der Lebenslauf des heiligen Wonnebald Bück", eines Strolches, ber sich der göttlichen Gnade, die bekanntlich auch nicht immer nach Verdienst und Würdigkeit verliehen wird, gar nicht erwehren kann, zum Entsehen seiner Vorgeseẞten.

Gegen seine Ausführungen zog Professor Keith energisch ins Feld. Er erklärte, daß unser alter Vorfahr iveder atmen noch essen fonnte, wenn die Schädelrekonstruktion des Referenten richtig sei. Unter Auseinanderseßung anatomischer Regeln führte er aus, daß Dr. Smith Woodward einen Irrtum begangen hätte. Der Wiederaufbau eines Schädels hänge nicht von Meinungen ab, sondern lasse sich bei dem Vorhandensein gewisser Data mit mathematischer Sicherheit vollziehen. Denselben Frrtum habe man gemacht, als der Neanderthalmensch zuerst entdeckt wurde. Der Mensch von Biltdown habe die Augenbrauenvorsprünge des modernen Menschen, auch sei bei ihm jede Gehirnwindung des modernen Menschen deutlich vertreten. Doch die affenähnliche Bildung bes Untertiefers zeige das hohe Alter dieses ältesten Eremplars des Menschen, das bisher in Europa   entdeckt wurde. Der Kiefer vort Biltdown ſei weit älter als der Heidelberger   Kiefer, der schon menschliche Züge aufweise. Der Fund zeige uns, daß schon zu Anfang des Pleistozäns oder zu Ende des Pliozäns das menschliche Gehirn seine volle Größe er balten habe. Professor Elliot Smith erklärte, daß ihn die Größe des Gehirns, die Professor Keith dieſem prähistorischen Menschen guerfenue, nicht überrasche. Er habe Stets behauptet, daß sich die Vermenschlichung der Gesichtszüge und der Kiefer erst vollzog, nachdem das menschliche Gehirn seine volle Größe erreicht hatte. Wie schon erwähnt, ging es hier, wie bei fo manchem früheren Streit um die Schädel unserer Vorfahren, nicht ohne persönliche Ausfälle ab. So sagte der Anatom in bezug auf die Rekonstruktion des Geologen, daß er einen Schüler um zwet Jahre zurückversett hätte, der ihm einen solchen Schädel gebracht hätte.

Etwas Bestimmteres förderte die Besprechung nicht zutage. Aber anregend auf die Phantasie muß die Entdeckung dennoch wirken. Wenn der Mensch schon seit etwa 1, Millionen Jahren dieselbe Gehirngröße hat, wieviele givilisationen müssen dann im Staub der Erde schon begraben sein?

Aus dem Pflanzenleben.

Das Gift des Eisenhutes. Der Eisenhut gehört zur Familie der Ranunkeln und bildet die Gattung Afonitum mit einer ganzen Reihe von Arten, die ohne Ausnahme start giftig sind. Das wußte man schon im Altertum, sowohl in Griechenland   wie unter den germanischen Völlern. Die Griechen ließen den Eisenhut aus bent Geifer des Höllenhundes Berberus erwachsen. In guter und schlimmer Absicht wurden diese Gifte jedenfalls schon zu sehr früher Beit von dem Menschen benutzt, doch ist es der modernen Wissen schaft vorbehalten geblieben, ihre Wirkung auf den tierischen und menschlichen Organismus genau festzustellen. Früher machte man Versuche mit solchen Giften auf ebenso eigenartige wie gewissenlose Weise wissenschaftliche Bezeichnung Afonitum rührt aus dem Griechischen an Verbrechern, was insbesondere für den Eisenhut bezeugt ist. Die her, ist aber in ihrer Bedeutung rätselhaft geblieben. Die sonder­bare Form der Blüten hat die Einbildungskraft des Volkes in allen Ländern und zu allen Zeiten angeregt. Daber stammen die vielen verschiedenen Namen der Pflanze wie Mönchskappe, Jupiterhelm, Benuswagen, Mastenblume usw. Die Gattung ist sehr weit ver­breitet, nicht nur in der Alten Welt bis nach Sibirien   und

Auch die Romanbibliothek des Inselverlags, die hübschen roten 3 M.- Bände, die die besten Romane der Weltliteratur vereinen follen, haben Zuwachs bekommen. Sehr verdienstlich erscheint mir eine Ausgabe des Titan von Jean Paul  . Diefer deutscheste von all unsern Dichtern, sowohl in feinen Vorzügen wie in feinen störenden Willkürlichkeiten, ist heute nur Leuten zugänglich, die Muße und unnervöse Besinnlichkeit übrig haben. Nun sucht Her mann Heffe diesen Autor uns wieder näher zu bringen. Durch Huge chirurgische Eingriffe sucht er die schlimmen Auswüchse phan Japan   hin, sondern auch in Nordamerika  , und es gibt fein taitischer Willkürlichkeit, die uns von Jean Paul   zurückschreden, au tanut hätte. In Nordindien soll das Gift des Eisenhutes bis Bolt, das nicht die giftigen Eigenschaften der Pflanze er entfernen, so daß seine reinen Qualitäten wirklich zum Vorschein auf den heutigen Tag zur Vergiftung von Pfeilen ver tommen fönnen. Man muß seine tattvolle geschickte Hand loben, wandt werden, die auf der Tigerjagd benutzt werden, und denn er hat durch seine Operation den Titan wieder lebensfähiger nach einwandfreien Zeugen fann ein Tiger, der von einem gemacht. In der Romanbibliothek erschienen ferner noch Tolstois solchen Pfeil getroffen wird, höchstens noch 50 Meter zurücklegen, Anna Karenina  , Stendhals Rot und Schwarz   und Mörides Maler Nolten in der ersten Fassung. Hinzuweisen ist auch auf eine wunder- ehe er tot zusammenbricht. Das aus den Wurzeln oder Blättern boll gedruckte billige Ausgabe von Goethes Italienischer Reise mit gewonnene Gift bildet nicht einen einzelnen Stoff, sondern ist aus Nachbildung von interessanten Hanbzeichnungen des Dichters, fünf verschiedenen Giften zusammengesetzt, die von der Chemie als 2 Bände ,. 7,50 M., die der Inselverlag herausbrachte. Alonitin, Jfoalonitin, Afonin, Napellin( von der bekanntesten Art Aconitum napellus) und Homtonapellin bezeichnet werden. Auf die Nerven wirkt das Gift beruhigend und wird daher zur Behandlung Wie alt ist der zivilisierte Mensch? Um diese von Neuralgien benutzt. Dabei ist aber in jedem Fall die äußerste Frage tobte in der anatomischen Seltion des Internationalen medi- Borsicht notwendig, da manche Menschen schon durch die kleinsten zinischen Kongresses, der soeben in London   getagt hat, ein harter Mengen in Lebensgefahr gebracht werden. Ein Milligramm genügt Rampf, in dem es nicht an heftigen Ausfällen fehlte. Wir brachten fast immer, den Tod herbeizuführen.

Vom Menschen.

ph.

Berantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln. Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdruderei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin   SW.