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Dann verschwand auch er um die nächste Ecke. schwarze Türrahmen des Hauses gähnte wie ein offenes Grab. Und aus der Tiefe des Ganges   hörte man den alten Auf­zug traurig stöhnen und seufzen.

5.

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894 Der nach der es haschte, soweit die Kette ihm Spielraum gab; stolperte oder fiel es etwa gar, von der Kette im Laufe zurüdgehalten, so brachen die Kinder in ein triumphierendes Geheul aus und ver­schlangen die hingehaltene Lockspeise selbst. Auf die Frage des Schöffen, was das vorstellte, und was für eine verwilderte Kreatur das sei, erklärte der verlegene Turmwart, das sei das Hexenkind, das vor vier Jahren zum Feuertode verurteilt, aber dazumal nicht zwölften Jahre dürfe ein Kind nicht als Bauberer oder Hege justifi­berbrannt worden sei, weil die Richter geurteilt hätten, vor dem ziert werden. Es sei also beschlossen, daß es im Turme verwahrt werden solle, bis es zwölfjährig und damit zur Strafe heran­gewachsen wäre. Wie es dann im Winter bei der großen Kälte so jämmerlich geweint hätte, habe seine Frau sich des Waisenkindes erbarmt, und sie hätten es in ihre Wohnung genommen, was auch vom Rat gestattet worden sei.

Herr S. Tenney Ranch gestikulierte und grimassierte eifrig. Schwarzblau im Gesicht vor Anstrengung, mit großen Schweißtropfen auf der gelben Leichenstirn, wiederholte er immer aufs neue dieselben Agentenphrasen, während er in Albums, Karten und Plänen nachschlug und blätterte. Herr Swanson stelzte um ihn hem wie eine gadernde Henne und murmelte Erklärungen und Nebenbemerkungen, die ihm in feinen falschen Zähnen stecken blieben. Herr Roth lag, mit wohlwollendem Lächeln, halb über dem Pult, und ein paar fatholischer Christ eine schädliche Herenbrut bei seinen Kindern Der Schöffe fagte, er müsse sich sehr verwundern, daß ein guter fremde Herren, die bei ihm waren, stützten sich auf die Ab- leiden möchte; sie könne ja seine Kinder die Hegerei lehren oder Ab- katholischer teilungsschränke und versuchten, interessiert auszusehen, indem sonst unversehens dem Teufel überantworten. sie die Brauen in die Höhe zogen und wieder senkten, während ihre Stöcke ungeduldig gegen die Bügelfalte des Beinkleids und die ballonähnlichen Lackspißen der Stiefel schlugen. Das Geschwätz des Agenten sprudelte wie eine Sodawasserquelle: Und sehen Sie, meine Herren, sehen Sie hier haben wir vier Rauchsalons in Mahagoni und Juchten echtem Juchten und dann weiter, Gentlemen, hier sehen Sie- eine selbstrotierende, drehbare Doppeltreppe, die in den Bade­raum führt mit großem Schwimmbassin in pompejanischer Fayence, Marmor und versilbertem Nickel, mit Ventilatoren, Massageapparaten usw. Dann weiter, meine Herren pneumatischer Aufzug durch alle acht Decks zu einem Tennis­plaz mit automatischem Sonnenzelt und Diwanen, Hänge­matten und Palmen. Der Balkon, den Sie hier sehen, ist für das Orchester bestimmt fünfzig Mann, alles Solisten! Und hier, meine Herren Großartig! Gigantisch! Ueberwältigend! fiel hier Herr Roth ein und erhob sich.

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Ueberwältigend, großartig, gigantisch! murmelten die beiden Fremden und richteten sich auf.

Herr Ranch fuchtelte mit den Armen und griff sich in die Armlöcher, um seine Manschetten hochzuziehen.

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Einen Augenblick, Gentlemen, einen Augenblick! rief er. Bitte, folgen Sie mir.

Der Schornstein! flüsterte insgeheim Herr Swanson und krümmte hinter dem Rücken seines Chefs den Rücken wie

ein Rater.

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Gewiß, ia, rief entzückt Herr Ranch, der Schorn­stein!... Sehen Sie bloß...

( Fortfegung folgt.)

Das Dexenkind."

Von Ricarda Huch  .

An einem dunklen, feuchten Vorfrühlingstage des Jahres 1649 fam in Aachen   ein Schöffe in den Turm, wo die Gefangenen ver­wahrt wurden, um die Rechnung zu begleichen, die der Turmwart für Beföstigung der Gefangenen und andere Auslagen eingereicht hatte. Er war neu in seinem Amte, runzelte die Stirn und rügte die Verschwendung des Turmwarts, die zumal in so bösen Zeiten gefährlich sei. Die Malefikanten wären nicht eingesperrt, um mit Haferbrei und sauberer Wäsche ein Freudenleben zu führen, son­dern um durch Kreuz und Elend gebessert und womöglich dem Höllenrachen entrissen zu werden.

Der Turmwart entschuldigte sich, er sei über die Vorschriften der alten Zeit nicht hinausgegangen, wonach den armen Leuten Haferbrei und auch hie und da ein sauberes Hemdlein oder Bett gestattet wäre.

Vorschriften aus alter Zeit! rief der Schöffe. Die Menschen würden täglich frecher und boshafter und würden zuletzt rauben und morden, nur um ein Bläßchen im Turme zu bekommen. Die Stadt könne es nicht erleiden, so viele gottlose Bäuche zu füllen.

Der Turmwart erwiderte, das könnten die Herren draußen Teicht sagen, aber wenn man mitten darin säße und das Winseln und Jammern hörte, so könne man sich des Erbarmens nicht immer entschlagen.

Da gleichzeitig aus einem Nebenraume durchdringendes Ge­schrei ertönte, öffnete der Schöffe die Tür, um zu sehen, was das wäre, und stand erstaunt vor einem seltsamen Schauspiel, dessen Bedeutung er sich nicht sogleich zu erklären wußte. Vier bis fünf Kinder umtanzten ein blasses, mageres Geschöpf, das nur mit einem Mittel bekleidet war, und hielten ihm eine Brotrinde hin,

*) Aus dem dritten Bande der historischen Dichtung Der große Krieg in Deutschland  ", der demnächst im Insel­Berlage erscheint.

Nein, das sei nicht zu befürchten, sagte der Turmwart. Das arme Kind sei scheu wie ein Wöglein, tue feinem was zuleide, seine Kinder vertrieben sich die Zeit damit, und er habe kein anderes Bedenken, als daß seine Rangen es oft zu arg mißhandelten. Bei diesen Worten versette er seinen Kindern schnell ein paar kräftige Maulschellen, was sie bewog, fich schreiend unter das Bett zu ver­friechen. erkundigte sich der Schöffe. Wann denn das Kind das zwölfte Jahr erreicht haben würde,

Der Turmwart sagte, er wisse es nicht genau, glaube aber, es möchte bald so weit sein.

Dem Aussehen nach, meinte der Schöffe, könne es nicht mehr als sechs zählen.

Es sei an der Kette nicht so recht fortgekommen, sagte der Turmwart. Schöffe und ging fort, um dem Gericht anheimzugeben, daß der Der Teufel wird auch seine Hand im Spiele haben," sagte der Fall in Ordnung gebracht würde.

Es zeigte sich, daß das Kind das zwölfte Jahr fürzlich erreicht hatte und daß also der Exekution nichts mehr im Wege stand; die Richter zweifelten nur, ob dieselbe sofort vorgenommen werden oder eine nochmalige Untersuchung vorhergehen sollte. Da aber das Urteil damals schon gesprochen und nie aufgehoben war, auch bei Kindern von Heren, da das Früchtlein gemeiniglich nicht weit vom Stamme falle, das orimen( Berbrechen) als angeboren vorausgesetzt werden könne, einigte man sich dahin, dem Kinde nur noch ein paar Scheiterhaufen zu expedieren, da es der Stadt ohnehin schon soviel schickliche Fragen vorzulegen und es dann ohne Federlesen auf den gekostet hätte. Einer der Herren meinte, das arme Wurm fönne nicht viel Unheil anrichten; allein, da man ihm entgegenhielt, wenn man es freiließe, würde doch nur eine Betteldirne aus dem Kinde werden, da es ja teine Mutter hätte und die Verwandtschaft nichts von ihm würde wissen wollen, beschied er sich.

Gleich am folgenden Tage begaben sich zwei Richter in den Turm, feßten sich vor das angefettete Kind und fragten, ob es wisse, daß seine Mutter eine Hege gewesen sei. Das Kind sah die Herren eine Weile groß an, allmählich zog ein Lächeln über sein Geficht und es nichte, worauf die Herren sich einen bedeutsamen Blid zuwarfen und spöttisch auflachten. Ob seine Mutter es oft mit zum Tanze genommen hätte? fragten sie weiter. Das Kind nidte mit glänzenden Augen. Als einzige Erinnerung von den Verhören, die vor Jahren stattgefunden hatten, war ihm das nächt­liche Tanzen geblieben, von dem so viel die Rede gewesen war, und in ihrer langen dunklen Einsamkeit hatte es sich ein liebliches Bild von der Mutter gemacht, wie sie auf duftender Wiese einen Reigen mit ihm tanzte. Jetzt hätten sie den Braten gerochen, sagten die Herren zu dem unruhig wartenden Turmwart, mehr bedürfe es nicht, seine Frau solle das Kind für den folgenden Morgen her­richten.

Als das aufgehende Licht in das Turmstübchen fiel, nahm die Frau das Kind auf den Schoß, zog ihm ein sauberes Kittelchen an und fämmte ihm die Haare, wobei sie zuweilen eine Träne weg­wischte, die darauf fiel. Das Kind streichelte ihre tätigen Hände und ihr trauriges Gesicht und warf zuweilen einen ängstlich er­staunten Blick nach den Kindern, die heute so still waren. Komme ich jetzt zu meiner Mutter," fragte es, und werden wir zusammen tanzen?" Die Frau legte ihre Hand auf des Kindes Kopf und sagte, ja, es solle nur getrost sein, es werde jetzt die liebe Sonne sehen, und seine Mutter erwarte es im Himmel.

Als sie ins Freie traten, schauderte die Kleine zuerst und be­deckte die Augen mit den Händen; aber allmählich, während sie zwischen den Turmwartsleuten fißend auf dem Karren durch die Stadt fuhr, gewöhnte es fich, hielt die dünnen Hände in das Licht und sah zu, wie die frische Luft ihre Haare hob. Es waren nicht viele Buschauer in den Straßen; denn seit mehreren Jahren hatten feine Herenbrände mehr stattgefunden, und dieser vereinzelte Fall war nicht recht bekannt geworden. Auch von der Richterschaft waren zur Ersparnis der Tagegelder nur wenige da, und die Holzhütte, in der das Kind verbrannt werden sollte, war flein, weil das Holz teuer war, und die Stadt die Kosten tragen mußte.

Beim Anblick der Wiesen, die sich vor dem Lore ausbreiteten, stieß das Kind einen schwachen Freudenruf aus; denn es glaubte