-

915

Die Herbſtausstellung. das Wehende und Aimende des Waldes grün empfinden; er ist nun

Im Hause der Berliner   Sezeffion. Man hatte uns glauber gemacht, in dieser Herbstausstellung einen Tummelplab junger Talente zu treffen. Solch Versprechen wurde nicht gehalten; was da am Kurfürstendamm   zu sehen ift, fann bestenfalls eine bunte Schüssel( mit modernem Aufguß) ge­nannt werden. Es fehlt das Rassige, das revolutionäre Tempo, der Wille zur Entwickelung. Wenn die Jurh herzloser gewesen wäre, so hätte sie der Kunst und uns eine Wohltat erwiesen. So aber, mit den ältesten Herren, den mildesten Romantikern und selbst den höchst gleichgültigen Deforateuren kompromisselnd, wurde eine gar matte Limonade angerichtet.

Nur aus solcher Mildigkeit ist es verständlich, daß hier ganz schwache Bilder von den beiden Hübner gezeigt werden; die " Bäonien" des Heinrich sind in ihrem rosa Lack dünn und schlapp, die Brennende Sägemühle" des Ulrich mit ihrem blauen Baum und den zappeligen Flammen ist kraftlos. Auch Ludwig von Hof­ mann   hat uns nicht mehr viel zu sagen. Auf seiner Adonisklage" gibt es wohl allerlei Bewegung zu sehen, hochgeschleuderte Arme, abwärts sintende Körper, ein Zerreißen und Zerwühlen; aber das alles bleibt dekorative Geste. Gewiß, es zeugt für einen verständi­gen Komponisten, daß inmitten all des Klagelärms der Körper des Adonis   in der schlichten Ruhe der Horizontale lagert; aber mehr als den Eindruck der Klugheit empfangen wir nicht. Auch Melzer und Meid haben nur wenig zu bieten. Melzers Grüne Madonna" erinnert an die bäuerischen Spiegelbilder, die von den Dorfmalern Süddeutschlands   von der Zeit des Barod bis gestern gepinselt wurden. Melzer ist wohl geschmackvoller als diese Votivmaler, er ist aber nicht so naib und darum nicht so überzeugend wie sie; er hat allerlei Japanisches und Russisches gesehen und hat es so be­nubt, wie etwa eine gewandte Modedame orientalische Tücher sich um den Nacken legt. Das heißt man mit Recht arrangierte Malerei. Bei Meid ist solche theatralische Deforation noch greifbarer. Eines feiner Bilder zeigt die Geschichte vom verlorenen Sohn; wir sehen die schattenhafte Fassade eines festlich erleuchteten Schlosses, barode Menfchlein torfeln im Fadelschein, sie erregen sich. Man glaubt aber nicht recht an das Dramatische des Augenblids; man spürt den Bühnenprospett. Reinhardt macht so etwas viel besser. Ganz merkwürdig versagt Th. Th. Heine  ; er zeigt Freiheitskämpfer, ladend, zielend und schießend, auf Himbeerrotem Grund. Dieser Gluthimmel soll wohl ein Symbol des flammenden Mutes oder des blutigen Todes sein; wir schmecken aber nur den Himbeer. Diesen Malern gefellt sich der Bildhauer Tuaillon  ; er zeigt einen Stier, der in der römischen Campagna von zwei Reitern gejagt wird. Das mehr als lebensgroße Relief foll im Krefelder   Museum dauernd verwahrt werden; das Handgeschick und das akademische Können lassen sich nicht leugnen, aber man überlegt vor solchem Panoptikumstüd sehr gründlich: wodurch die Kunst sich von der Natur scheidet. Solchem Ueberlegen sind die Schafgruppen des August Gaul   weit angenehmer; vor ihnen denkt man nicht an Blöken und Wolle, man sieht die Bronze und die Form, die aus dem beobachteten Tierförper geklärt wurde. Recht interessant ist es, zu prüfen, wie der famose Tierbildner sich mit dem menschlichen Aft abfand; er hat einen nadten Merkur   gestaltet. Der Körper ift der eines städtischen Menschen, schlecht entwickelt, stubenhocfig; die Gebärden spiegeln die Börse, es wird gehandelt. Diese Figur ist nicht ganz selbständig, denn sie erinnert besonders in den Beinen an Haller( was durch ein Vergleichen mit den nebenan stehenden, Jehr gefühligen zwei Frauenfiguren dieses Künstlers leicht fest­gestellt werden kann); sie ist aber sehr geschickt gemacht und wirkt nicht reizlos.

Zu denen, die in einer Ausstellung der Jugend schon eher etwas zu suchen haben, gehört Mag Beckmann. Freilich, irgendwelche Ueberraschungen dürfen wir von ihm nicht erwarten; er reift, aber er entwickelt sich nicht mehr. Darüber braucht man nicht zu flagen; man kann diese zäh gewollten Figuren, diese mit allerlei Bhilosophie belastete Kunst unbedentlich annehmen. Viel Erdenschwere ist in Bedmann; ein finsteres Violett und ein dumpfes Grün herrschen in diesem fast angstvoll hingefegten Bildern. Es ist, als säße diesem jungen Maler ein greifenhafter Sput auf den Schultern. Man muß den Degner dagegenhalten; das ist ein frecher Draufgänger. Seine grobzügigen und ungeschlachten Sterle, die entweder Frauen rauben oder selber in Ketten geschleppt werden, wirken sehr animalisch, ihre Schädel zeigen eine hartnäckige Physiognomie. Dieser Maler ergößt uns nicht durch Schönheit; er suggeriert uns aber eine muskulöse Brutalität, und das ist auch etwas wert. Erbslöh ist dann wieder ein ruhiges Gemüt; er hat den Zug zum Klaffifchen, und wenn er den Frauenatten, die schwer und rund nebeneinander stehen, nicht eine moosgrüne Patina gäbe, könnte man ihn für einen studierten Professor halten. Bengen, der sich in größeren Kompositionen versucht, will hier genannt sein; und auch Hofer ist zu verzeichnen. Dieser, den man einen Neu- Römer ge­heißen hat, zeigt uns drei wohlabgewogene Bilder. Ganz leicht flingen Erinnerungen an Feuerbach, auch an Marées mit; es werden die Körper nicht um ihrer selbst willen gegeben, vielmehr als Elemente der Bildarchitektur. Dabei umkleidet Hofer seine Frauen mit einem zärtlichen Klingen milder Farben, so daß man neben der monumentalen Absicht die lyrische Sehnsucht lebendig fühlt. Lyrik erstrebt auch Waldemar Rösler  . Er ließ uns früher

plötzlich sehr farbig geworden. Es blieb aber solche Farbe un besiegtes Material. Man hat noch nicht das Empfinden, daß da Sonne leuchtet und Natur fich üppig regt, man glaubt auch nicht recht an die Hymne, die in der Vorstellung des Malers erflang, man sieht noch überwiegend die Pigmente. Solche Unvollkommenheit wird Rösler mit seinem guten Instinkt für das Malerische zu über­winden wissen; Theo von Brochusen aber, der mehr ein Verstand ist, wird sich sagen, daß es auf dem Weg, den er da plößlich wählte, tein Weiterkommen gibt. Er ist in Italien   gewesen; dies ver­führerische Land, das von jeher die Malerei der Deutschen   beein flußte, beginnt wieder seine Zaubereien zu üben. Während mehrerer Jahrzehnte waren wir überwiegend von Frankreich  ) und Holland   abhängig; plöglich, seit gestern hat der Zug über die Alpen  wieder begonnen. Seltfam, gerade Liebermann  , der ein Lebenlang in Amsterdam  , in Scheveningen   und sonst in Holland   gemalt hatte, ging nach Rom   und mühte sich, wenn auch vergeblich, den klaren Himmel und die falte Selbständigkeit der südlichen Landschaft zu erfassen. Corinth folgte ihm; heute treibt es selbst die Jüngsten wieder in das Land des Frescos und der statuaren Monumentalität. Rom   ist wieder erwacht; das wird fünftighin noch zu beobachten sein. Ob der deutschen   Kunst dadurch eine Förderung wird, muß ab­gewartet werden; was wir heute an solchen Südfrüchten vorgesetzt bekommen, ist noch recht fäuerlich. Brockhusen, um auf diesen Irr fahrer zurückzukommen, ist in Florenz   geradezu ruiniert worden. Solange er die märkische Landschaft malte, zwanzigmal und mehr die Brücke von Baumgartenbrück, da fand er blindlings seinen Stil, die Mathematik des Wurzelns und des Wachsens; nun, unter den scharfen Pfeilen der füdlichen Sonne, hat er den Veitstanz be­tommen. Er toot sich aus. Er malt plöblich Kreuzigungen und eine Flucht nach Aegypten  ; er wütet förmlich in dem Blute von Melonen. Das alles wirkt wie eine Krankheit; aus diesem grellen Gewüft gibt es feine Klärung, nur ein Zurück.

Eine Gruppe für sich, leidlich anzuschauen, wenn auch nie er regend, sind jene Deforateure, die ihren Geschmack durch die moderne Propaganda, bald durch China   und Japan  , bald durch Ungarn   und Rußland  , bald durch irgendein Kunstgewerbe erzogen bekamen. Diese Leute machen Bildchen, die ihrem fünstlerischen Grad nach ein wenig höher stehen als Platate, die aber nie restlos das Arrangement, so eine Art geistreicher Tapeziererei, verleugnen. Diese Kunst ist nicht notwendig, aber sie ist auch nicht unangenehm. Orlit, der scherzhaft Japanisches rezitiert, E. R. Weiß, der ein wenig pathetisch das Biedermeier   beschwört, Klaus Richter   und Magnus Zeller  , die miteinander den Breughel beschwören, müssen in solchem Zusammenhang aufgezählt werden. Auch Erich Waste Erich Waste ist ein ganz und Hugo Krah sind zu nennen. typischer Fall; er malt einen Abend am Meer", der durch die mystische Kupfrigkeit der Farbgebung überrascht. Bald aber sieht man, daß solcher Kolorismus mehr ein Bluff als eine Notwendig­feit ist. Deforative Scherze sind eben nie notwendig, sondern meist nur ein Zeitvertreib.

and

Notwendig ist, was Munch  , Picasso  , Bechstein und Kokoschka  gestalten. Hinter diefen Künstlern regt sich ein tellektiver Wille; sie sind mehr oder weniger Exponenten, Aufzeiger ihres Volfes, ihrer Zeit, ihrer Stunde. Munch, der Norweger, enthüllt uns in den Entwürfen für die Wandgemälde einer Universität die Seele des Nordens. Die Sonne ist das natürliche und das seelenvolle Zentrum dieser Welt; wir sehen sie fich machtvoll heben, sie steigt aus dem Meer und gießt ihre fristallene Glut über die Feiszaden einer einsamen Küste. Es ist eine Symphonie der Lüfte, die da fieghaft aufrauscht; es glibert die Atmoshpäre in allen Farben des Prismas, sie scheint in geschliffene Gefäße gefaßt und körperhaft gelvorden zu fein. Eine gewaltige Reinheit, etwas heldenhaft Episches ist in diesem Bild von der Sonne. Und auch die übrigen Gestaltungen, die Munch für die typischen Lebensvorgänge des Menschlichen erfand, haben das Maß, das dem Epos gebührt. Raturvorgänge verden   erzählt, die welterhaltenden Triebe offen­Der Landmann fät; wir hören das Zerftampfen der baren sich. Schollen und fühlen den Flug des Kornes. Der Wald rauscht und läßt den Jüngling, der zwischen den Stämmen schreitet, den Gesang des Blutes empfinden. Früchte werden gepflüdt, Quellen werden getrunken, Männer und Frauen baden, Liebende schauen sich an, bas Geheimnis des neuen Werdens regt sich. Und über dem allen thront der blinde Greis, der Ahnherr, der Wissende; er sitzt unter den weit ausladenden Zweigen eines ehrfürchtigen Baumes und erzählt dem Knaben, der gläubig an seinen Knien lehnt. Diese Bilder Munchs erscheinen auf den ersten Blick wohl spröde und kalt; wenn man aber lange in fie hineinschaut, erlebt man die große Welt der Felsen, des Meeres und des Lichtes. Man erlebt ein Geschlecht von Erdenföhnen, deren Ohren vogelsprachefund und deren Seelen dem Sturm verwandt sind.

Picasso   ist längst nicht von solchem Format; dazu ist er zu sehr Individualist und technischer Grübler. Wir treffen auf dieser Ausstellung einen ganzen Saat seiner Bilder, wir können seine Entwidelung verfolgen. Er fing durchaus akademisch an und ließ sich im Laufe der Jahre von den verschiedensten Künstlern beein­flussen. Toulouse Lautrec   und Degas   spürt man ganz deutlich, auch Manet  . Dabei behielt Picasso   aber immer eine eigene Ge­fälligkeit, eine echt franzöfifche Galanterie.( Daher tommt es, daß er zuweilen süßlich, beinahe titschig wirft.) Jm leßten Stadium ( im bisher lepten) regt sich der Methematifus; durch die groteske