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" Haben Sie einen letzten Wunsch zu äußern?"
Der Verurteilte lächelte flüchtig.
"
" Ich hätte Lust, Ihnen zu antworten, daß ich Englisch lernen möchte", fagte er, aber ich glaube, das ist bereits gesagt worden. Also nicht, nein?... Ich möchte gern zu Chantecler gehen, aber zu dem ins Varietee... Da wir aber in der Provinz find Er setzte den Fuß auf den Nand seiner Pritsche, um seinen Schuh zuzuschnüren. Ich habe immerhin Dusel", setzte er fort, daß mein letztes Auftreten nicht in Paris stattfindet, wo die öffentlichen Hinrichtungen unterdrückt werden.... Hier dagegen! Hören Sie nur, wie sie heulen... Es müssen wohl an die zehntausend sein?" Chandon- sur- Loire ist da", sagte der Direktor, geneigt, dem Ver„ Ganz urteilten eine letzte Freude zu bereiten.
Es schlug halb neun. Zwei harte Hammerschläge, haben also gewonnene Zeit", erwiderte der unverbefferliche darüber auch dieses Weh wieder verstummte. Um sieben hätte Schwätzer. er zu Hause sein sollen. Eine Weile griffen die erschöpften Beine hurtig aus, wie von einer Fuchtel bedroht. Nun war ihm Konrad natürlich schon mit einem guten Erlös zuvor gekommen. Sicher hatte der wenigstens das Dreifache eingenommen und durfte sich nun ordentlich sättigen an Kaffee und gebratenen Erdäpfeln. Während der Säumige dies bedachte, kam er gerade an einer Gasthofsküche vorüber. Aus dem Erdgeschoß stiegen aufreizende Gerüche von unbekannten Speisen in seine Nase. Was das wohl für schmackhafte Gottesgaben sein mochten? Im Paradies fonnte es auch nicht köstlicher duften. Sein Hunger warf sich demiitig in den Staub vor dem Ueberflu, den seine Augen gewahrten. Aber da unten regierten strenge Männer mit schneeweißen Jacken und Müßen, sie legten die Hand auf alle Leckerbissen, spektafelten gewaltig mit Pfannen und Platten und sorgten dafür, daß die gebratenen Tauben nicht durchs Fenster entwischten. Matthias mochte wohl seine Nase, doch nicht seinen Gaumen leben. Er konnte ja noch von Gunst sagen, wenn ihm daheim ein trockenes Stück Brot verabreicht wurde... ( Forts. folgt.)
Als der Gefängnisdirektor mit seinem Gefolge am frühen Morgen in die Zelle des Constant Troustat eindrang, fanden sie zu ihrem Erstaunen den zum Tode Verurteilten bereits vom Lager erhoben, bei seiner Toilette.
Der vortreffliche Monsieur Blaviot hielt es nichtsdestoweniger für seine Pflicht, eine den Umständen angemessene Miene aufzu setzen.
"
Mut, Troustat!" fagte er.
" Ihr Gnadengesuch ist zurückgewiesen 1" fuhr der Verurteilte in spöttischem Tone fort. Nein, wirklich, Herr Direktor, wenn Sie mir nur deshalb zu so früher Stunde Ihre Aufwartung machen, um mir das mitzuteilen, so gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie nichts destoweniger zu spät aufgestanden sind!"
Er zeigte auf das hohe schmale Fenster, durch das ein undurch dringlich verworrenes Geräusch wie Meeresbrausen hereindrang. Seit drei Stunden höre ich das," sagte er.„ Da habe ich mir gesagt: Aufgepaßt! Heute geht's los."
"
Nun!" murmelte Blaviot, immerhin ein wenig außer Fassung. " Ich sehe, daß Sie den Dingen gefaßt gegenüberstehen."
Der Prediger trat vor:„ Mein liebes Kind," sagte er,„ eine so lobenswerte Ergebung, läßt mit hoffen..."
Auf was? Auf was?" entgegnete der Verurteilte.„ Sie, Herr Pfaffe, machen Sie sich vor allem aus dem Staub, wenn Sie mit heilem Maul davonkommen wollen! Nicht wahr, oder sagen Sie einmal. Wozu dient eigentlich die Trennung?"
wählte."
Die Stunde ist für politische Diskussionen schlecht gewählt, Troustat!" Verzeihen Sie, Herr Direktor, aber ich war's nicht, der sie „ Meine Pflicht schreibt mir vor, Sie bis an die Schwelle des Schafotts zu führen," sagte der Geistliche Colliard mit festem und sanftem Ton. Es steht Ihnen frei, mein liebes Kind, die Trostworte zurückzuweisen."
„ Trostworte!" rief Trousiat.„ Es ist ja der schönste Tag meines Lebens! Ohne Uebertreibung! Sie scheinen zu glauben, daß ich Ihnen' was weis mache! Aber ich fühle mich nicht im geringsten verletzt. Hören Sie mich einen Augenblick an."
Blaviot zog seine Uhr heraus.„ Troustat," sagte er, Augenblicke find gezählt."
unsere
Die meinen erst recht," erwiderte der Verurteilte.„ Sie werden mir vielleicht sagen, daß das Parkett ungeduldig wird!" Mögen sie ein wenig warten, sie versäumen nichts.... Ich werde ihnen zeigen wie man für 175 000,, Meter" stirbt. Denn ich bin schließlich fein Verbrecher wie die anderen, fein Handwerkspfuscher oder GeIegenheitsarbeiter, der für 2 Frank 75 schuftet. Wenn ich Vater und Mutter Drapier, ihr Göhr und ihre Köchin um die Ecke gebracht habe, so weiß ich wenigstens, warum ich es tat. Ich habe ihr Heim gründlich gesäubert, um mich bis ans Ende des Lebens weich zu Betten. Wäre nicht Phemie, das Kamel, das mich dem Gericht ausgeliefert hat... Nun gut, mit meinem Glück ist's aus, aber es bleibt mir der Ruhm!"
Der Geistliche begab sich auf den Korridor, die Arme zum Himmel erhoben, der übrigens, wie gewöhnlich, feine Entrüstung geigte.
" Ja, was sage ich Ruhm", setzte der Verurteilte mit überschwenglicher Stimme fort. Ich bin ebenso berühmt wie Rostand , Dufahel, Potin und Sarah Bernhardt ... Mein Porträt wird auf der ersten Seite aller Zeitungen zu sehen sein."
" Troustat," unterbrach Blaviot, der Tag ist bereits angebrochen, es bleiben die Formalitäten der Toilette.
„ Der Toilette? Welcher? Ich bin mit meiner fertig, wir
Ein Funke des Stolzes blickte in den grünen Augen Troustats auf. Er richtete seine schlanke Gestalt auf und wölbte seine breite Brust.
„ Schneidig!" sagte er.„ Anstatt langweilig als Krüppel oder als unbrauchbares Sujet zu sterben, mache ich meinen Abgang mit 28 Jahren unter dem lauten Beifall einer unzähligen Menge, wie es auf den Anschlagzetteln geschrieben steht. Nur schade, daß nicht einige Kameraden aus meiner Nachbarschaft hier sind, damit sie sehen, wie ich abfrage. Das ist noch nicht alles, Herr Direktor. Ich sehe, daß Ihnen das Haar zu Berge steht. Sie werden so freundlich fein, mir einen Absinth servieren zu lassen... Jawohl, ein Glas Absinth, flar, gut eingeschenkt und eine Echte für 1 Frank 50 von Eduards Sorte. Sie werden mir doch die Ehre antun, mit mir anzustoßen... Wissen Sie, man darf niemals auseinandergeben, ohne den letzten Schluck zu nehmen!"
Während der letzten Toilette entwickelte Troustat sprühenden Witz; er begann mit dem Geistlichen Coillard eine lebhafte und animierte Unterhaltung über das Geheimnis der Beichte; er zitierte Leo Taril; er behielt stets das legte Wort; er wagte einige luſtige Witze und drückte mit etwas eigentümlich gewählten Worten das Bedauern aus, das er darob empfand, daß er nicht alle hübschen Frauen, die in diesem Augenblick an ihn dachten, lieben durfte.
Als er den lezten Schluck Absinth genommen hatte, den ihm ein Wächter gereicht hatte, erhob er sich, die Hände bereits auf den Rücken gebunden, und gab das Zeichen zum Aufbruch.
„ Vorwärts!" sagte er.„ Haltung zeigen! Ich werde mich doch nicht unterkriegen lassen!"
Der Zug durcheilte lange, feuchte Korridore, man überschritt einen kleinen Hof. Dann öffnete sich die Gefängnistür und der von einer schwarzen Menge wimmelnde Play lag plötzlich vor ihnen. Bom Militär zurückgedrängt, strömte die Menschenmenge in die Nebengassen: Dächer, Balkons, Mauervorsprünge, Bäume, Laternenpfosten, alles war von neugierigen Augen und gespannten Gesichtern besetzt. Troustat betrat mit leichtem, elastischem Schritt die Stufen des Schafotts; er stieß den Geistlichen, der die Guillotine vor ihm verbergen wollte, mit der Schulter fort.
Gehen Sie aus dem Weg, man sieht mich nicht."
Seine Ericheinung wurde mit einem Gebeul begrüßt, das ihm der Anmut beraubt zu sein schien. Er stellte sich stolz zwischen den Posten auf und salutierte vor der Menge.
Da brach plötzlich ein einmütiges Beifallsllatschen aus, Troustat erfuhr die köstliche Freude der Huldigung, jene Wollust des unmittelbaren lebendigen Ruhms, der die Tenöre und Redner zu bitteren Tränen rührt... Die ganze versammelte Menge zollte ihm Beifall: Die Männer schwangen die Hüte, die Frauen wedelten mit den Taschentüchern. Die Posten selbst traten zur Seite, gleichsam von einem plöglichen Respekt erfaßt, und der Exekutor der hohen Taten schien seine Funktion zu vergessen.
Troustat glaubte, daß die Stunde gekommen sei, einige ents scheidende Worte zu sprechen.
„ Das ist zu viel!" rief er." Sie sind wirklich zu liebenswürdig." Aber ein eigentümliches, eintöniges Geräusch übertönte feine Stimme. Es schien ihm, als berühre ein Flügel sein bedrohtes Haupt; als er bemerkte, daß die Leute in die Höhe sahen, erhob er auch die Augen und gewahrte endlich das Luftschiff, einen graziösen, leichten Monoplan, der hoch oben am flaren Himmel über dem Gefängnis auftauchte.
Da begriff Troustat die Nichtigkeit des Ruhms, er begriff, daß die Dvationen dem Aviatifer galten. Er wurde von einer tödlichen Verachtung für seine Mitmenschen erfaßt und speziell für das zudringliche Wesen, das sich erlaubte, mit ihm in so unlauteren Wettbe: verb zu treten.
gang."
" So ein Kamel!" Inurrte er. ,, Er verdirbt mir meinen AbInzwischen näherte sich der große Vogel mit den weißen Flügeln der Erde.
„ Das ist Bletham!" riesen die Stimmen. Er wird auf dem Marché- Neuf landen."
Das war das Zeichen dafür, daß die Menge nach allen Seiten auseinanderstob. Im Nu fehrten alle Zuschauer der Guillotine den Rücken. Eine ungeheuere Bewegung brachte Verwirrung in die Menge. Troustat fühlte, daß sein Publikum ihn verließ.
"
Bürger!" brüllte er.
Aber die Posten famen wieder zur Besinnung und packten ihn mit fester Hand. In kürzerer Zeit, als notwendig ist, ein historisches Wort zu sprechen, wurde Troustat der Länge nach ausgebreitet, die