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die Allee des Schlosses ein, wie das Hauptgebäude von Gyldholm genannt wird. Indes schreitet der Zug der Arbeiter mit seinen Gäulen und edigen Gestalten, mit den hängenden Köpfen und gebeugten Nacken weiter, immer weiter, unter dem Rasseln und Klingeln der Eisenteile und begleitet vom Gutsverwalter, dessen dicht zugeknöpfter Rock so viel als möglich an eine Uniform erinnern soll.
Er bleibt ein Stück hinter den anderen zurück und sicht mit seinem dicken Stock aus, als triebe er eine Herde vor sich her.
Die vierzehn Pflugscharen, die in den Furchen der Hochgelegenen Gyldholmer Felder stehen, kommen langsam in Betrieb. Mühsam und mit zäher Ausdauer geht es vorwärts. Der Boden ist fett und feucht; er klebt am Pflug, an den Hufen der Pferde, den Hosen der Männer, und ballt sich zu Klumpen unter ihren Holzschuhen.
Wenn sich die schläfrigen Pflüger in Senkungen oder im Schuß überhängender, abschüssiger Stellen, dem scharfen Blick des Aufsehers entzogen zu haben glauben, halten sie inne, als wollten sie völlig einschlafen mit Ausnahme von Tammes, dem Großknecht, der gleichmäßig vorwärtsschreitet und allen anderen weit voraus ist. Doch die Stimme des Verwalters weckt sie bald auf.
Und seine groben Worte pflanzen sich fort, werden zu Schimpfworten und Flüchen im Munde der Männer und bewirken straffes Anziehen und Rücken und Zerren der Zügel, daß das Gebiß den feuchenden Tieren das Maul zersägt.
Die vierzehn Gespanne und Pflüge bewegen sich gleich erdkriechenden, zehnbeinigen Wesen, die langsam die schwarzen, hügegen Aecker auf und ab friechen, während die fruchtbaren Felder Gyldholms bearbeitet werden.
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heitskultur noch auf der Kante Afiens lag, begann hier die schattenhafte Münchhausen- Welt wie heute im Herzen Afrikas oder Neu Guineas . Die Zeiten wechseln. Jetzt famen die Zoologen und durchsicbten die leisen periodischen Strömungen, die vielleicht einst au der Charybdis- Sage Anlaß gegeben, mit dem Müller- Netz auf durchsichtige fleine Meertiere. Kein Ort ist solcher Suche günstiger als der Hafen von Messina . Nur an einer Stelle, gegen Norden, öffnet sich das Bassin. Machtlos ist vor dieser Lage der Westwind, den die Gebirge über der Stadt hemmen. Auch der böse Südwind, der Scirokko, der die Meerenge weiß aufschäumen läßt, fann hier nicht herein. Nur der Nordwind jagt die Wasser von außen in das Bassin. Mit den Wellen, die er bringt, schwimmen aber zwangsweise dann Millionen von Seetieren herein. In dem blindsackartigen Bauche des Hafens stauen sie sich auf. Wehte gar vorher in der Meerenge Sciroffo und häufte ohnehin schon aus den südlichen Teilen vor dem Hafenmunde die Tierschwärme- und setzt dann ist dann Nordwind ein und stößt alles in den Hafen selbst, es, als„ lebe" das ganze Wasser. Wer mit dem Glas hineinschöpft, der erhält nicht Wasser, sondern einen Tierbrei", in dem die Tiere ein größeres Volumen einnehmen, als die Flüssigkeit, ein kristallfarbig- glashelles Völklein durchweg, fleine Quallen, Salpen, Krebslein, Würmer und was dergleichen mehr da jagt und treibt. An dieser flassischen Stätte war es, wo Haeckel seinen Ruf als Zoologe begründen sollte. Durch Beobachtung einer Gruppe winzigster Geschöpfchen, die zugleich noch einen andern Sinn berührten: den Kein Zweifel, daß eine geheime, vom Glück begünstigte Wahlverästhetischen, durch die geheimnisvolle Schönheit ihrer Formen. wandtschaft hier waltete. Der Aesthetiker in Haeckel schloß an dieser Stelle einen Kompromiß mit dem Zoologen. Jener hatte in Landschaft, Volk und Stimmung geschwelgt. Jetzt erschien im MüllerNetz und im Mikroskop eine neue Welt tiefverborgener Schönheit, die noch keiner gewürdigt vor ihm. Indem er sich ihr hingab, blieb er mit dem einen Bein in seiner Schönheitssuche. Mit dem andern aber faßte er für immer festen Fuß in der Meisterschaft der strengen Zoologie.
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Es ist ein zäher Glaube, daß die ästhetische Betrachtung augenblicklich aufhöre, sobald das Mikroskop einsett. Da liegt die herrliche Vom höchsten Punkte aus hat man einen kleinen Rund- blaue Meerenge von Messina. Dein Blick, der sie in ihrer Totalität blick nicht wie in Nord- und Westjütland auf weite Flächen faßt, trinkt in durstigen Zügen ihre Schönheit. Was wird Dein und langgestreckte Wiesen, die wie erstarrte, vom weiten Welt- Mikroskop davon geben! Sein Lichtfeld faßt nur ein Tröpflein meer hineingerollte, breite Wogen aussehen, sondern auf eine Wasser noch. Nicht einmal mehr blau ist es in solcher Atomisierung. Landschaft, die furzen Spizwellen im Binnenwasser gleicht. Mag die Wissenschaft hier fortschreiten, das Reich der schönen Form Gyldholm selbst liegt tiefer, als hätte der Erdboden sich Logie und so weiter, auf das Mikroskop gebaut, gelten als der Gegenist aus. Jene ganzen Lehren der Histologie( Gewebelehre), Embryogesenkt unter der Wucht der schweren Steinmaffen der vielen pol alles Aesthetischen. Sie lösen auf, die schöne weiße MenschenGebäude. Das Hauptgebäude, das Schloß", ist ein Stein- haut, das duftende Rosenblatt, den bunten Schmetterlingsflügel ,. haufen von zwei Stockwerken und drei Flügeln, mit roten in Bellen". So auch hier mit dem Wassertropfen. Und doch ist es Ziegeln und zackigen Giebeln. Bei all seiner Plumpheit hat das Schloß mit seinen breiten, weißgefalften Mauerflächen, den kleinen Fenstern und festverschlossenen Türen ein gewisses bornehmes, reserviertes Aussehen. Und dann liegt es völlig isoliert, hinten im Walde, inmitten ausgedehnter Gartenanlagen, weit ab vom Lärm der Arbeit und vom simplen Geruch der Scheunen und Ställe.
Die Grenzscheide bildet ein weiß angestrichenes Gitter. Und dieses weiß angestrichene Gitter ist eine sehr wichtige Grenzscheide.
Die Wiesen und Felder, die sich wie ein breiter Gürtel um Gyldholm herum erstrecken, bilden ebenfalls eine Scheide
wand.
Und hinter dieser liegen die Dörfer- als hätte ein mächtiger Arm sie in respektvolle Ferne gerückt: Darum, Falling und Derum.
Fast kann man von oben in die Schornsteine der verfallenen Höfe von Darum hineinblicken. Sie sehen aus, als würden sie alle demnächst wie Betrunkene zusammenbrechen und jetzt nur noch aufrechterhalten durch Stüßen und Balken und gegenseitiges Anlehnen. ( Forts. folgt.)
Wie Haeckel Naturforscher wurde.*)
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Die Meerenge von Messina ist die Perle von Italien . Meinem Geschmack nach steht sie über Neapel . Der ungeheure Feuerberg, das tiefe blaue Wasserband, das gerade in seiner Begrenzung durch die ferne weiße Küste so abgeschlossen groß erscheint wie ein märchenHafter Riesenstrom, alles gibt eine Erhabenheit, gegen die der Golf von Neapel mir wie ein Idyll in der Erinnerung ist. Dabei die Farben noch satter, jene Bläue, die man körperlich zu greifen meint, wenn man in die Flut faßt. Uraltes Sagenland ist hier. Im Aetna hämmern die Cyklopen. In der Meerenge lauern Scylla und Charybdis. Einst, in Homers Tagen, als die Sonne der Mensch
*) Bu Haedels 80. Geburtstage wollen wir an seine ersten entscheidenden naturwissenschaftlichen Studien erinnern, die er im Winter 1859/60 in Stalien begann. Wilhelm Bölsche hat sie meisterlich geschildert in seinem Lebensbilde Ernst Haeckels, der besten Einführung in des Naturforschers Leben und Denken.
nur die Unwissenheit, die so redet. Die Natur ist keineswegs so dünnschichtig in ihrer Schönheit, daß das Mikroskop die Schicht beein ganzer neuer Sternenhimmel auch ästhetischer Schönheiten, soreits durchschlüge. In unermeßlicher Fülle zeigt sich hier vielmehr bald nur die rechten Wege des vertieften Sehens eingeschlagen werden. Und auf einen solchen Weg geriet jetzt Haeckel.
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Gleich bei seinen ersten Zügen im Hafen von Messina Oftober 1859 fallen ihm sonderbare Gallert- Klümpchen und Streifchen ins Neb. Ovi di mare, Meer- Gier, nennen sie die Fischerfnaben am Ort. Und in der Tat konnte man diese passiv treibenden Dinger gar wohl etwa für ein Fädchen gereihter Mollusken- Gier halten, wenn man noch nicht wußte, was es war. Unser junger Forscher weiß es aber bereits. Es sind gesellig lebende Radio
Iarien.
Das Wort Radiolarium, von Radius abgeleitet, heißt Strahling oder Strahl- Tierchen. Dem Laien wird es nicht gerade leicht gemacht, sich in den Bau eines solchen Geschöpfchens hineinzudenken. Er muß zunächst so ziemlich alles über Bord werfen, woran er bei einem Tiere" zu denken pflegt. Dieses Radiolar lebt, bewegt sich, empfindet, atmet, frißt, pflanzt sich fort. Aber das alles nicht so, Sein ganzer Reib ist wesentlich ein Klümpchen einheitlicher Maſſe wie wir es von einem Tiere dem guten Brauch nach gewöhnt sind. lebendigen Stoffs. Bloß ein etwas festerer Kern ist darin und um ihn verdickt sich die weiche Gallertmasse zu einer Art Kapsel. Aber sonst keine Spur echter Organe. Dieses Schleimklümpchen frißt,.- aber es hat feinen Magen; es frißt mit dem ganzen Leibe, indem seine weiche, gallertartig lose Körpermasse im ganzen die Nahrung umfließt und aussaugt. Es atmet( und zwar nach tierischer Art) aber es hat keine Lunge oder Kieme, der ganze Leib schluckt Sauerstoff und scheidet Kohlensäure aus. Es bewegt sich, schwimmt, aber es hat keine Beine oder Flossen fest am Leibe, sondern die breiige Masse dieses Leibes fließt nötigen Falles in einen Strahlenkranz loser Fortsäße aus, die das Leibchen geschickt in der Balance halten; sind sie nicht mehr nötig, so fließen sie einfach in die Gallertmasse restlos zurück. Wir untersuchen den seltsamen Gesellen mit dem schärfsten Mikroskop auf seine Histologie". Die Gewebe, die Organe der höheren Tiere lösen sich unterm Mikroskop auf in ein unendlich kunstvoll ineinander gewirktes Netz von winzigen lebenden Gallertkörperchen mit einem Kern in der Mitte: den Zellen. Unser Radiolar besitzt aber, so wenig wie einen Magen oder eine Zunge oder sonst eins dieser Organe, echte Gewebe von Zellen in sich. Nichts anderes ist es, als eine einzige solche Zelle mit Kern und Gallertleib. Und diese eine Zelle ist doch hier ein„ ganzes" Individuum, ein ganzes Tierchen für sich, das lebt, sich bewegt, frißt,