Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 58.
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Jm Bauernland.
Dienstag, den 24. März.
Von Johan Skjoldborg . ( Berechtigte Uebersehung aus dem Dänischen von Laura Heldt.)
Per Holt war also von Gyldholm fortgejagt worden, um den Giftstoff zu entfernen, der sich eingeschlichen hatte. Man wollte nicht, daß die Leute auf Gyldholm von den modernen aufrührerischen Gedanken angesteckt würden; es war schlimm genug, daß es war, wie es war. Solche Dinge zu verhüten und andere davor zu schüßen, das war eine Pflicht, die gebildete Menschen sowohl Gott als der Gesellschaft gegenüber hatten.
Das Rittergut wollte einem solchen Unruhestifter nicht einmal einen Wagen leihen, damit er sein Eigentum fort schaffen konnte. Per hatte Miffel Krat vom Knurrhause mieten müssen mit feinem alten schwarzen Pferd, das genau einen solchen Budel auf dem Rücken hatte wie Mikkel Krat felber.
Als Per Holt sich am Eingange des Waldes umwendet und einen Blick auf das Schloß zurückwirft, auf die Felder des Rittergutes, die Scheunen, Ställe und Nebengebäude, auf die ganze Welt und Atmosphäre, die bisher sein Leben ausgemacht hat, da fühlt er, daß es mit dem Höllenleben auf dem Rittergut ein für allemal ein Ende hat.
Als er zwischen den Bäumen ist und der Wald sich hinter ihm schließt, ist ihm, als sei er mit diesem Lebensabschnitt fertig.
Sophie atmet tief auf und feufzt: Gott sei Dank!" Einen Augenblick ist es, als höben sich die dunklen Erinnerungen von ihrer Brust und flatterten davon wie eine Schar Vögel. Der kühle, duftende Waldeshauch streicht wohltuend über ihre müden Augen und sie blidt freudig zu Ber empor. Die beiden haben jeßt diefelben Gedanken.
Niemals ist ihnen der Wald so frisch erschienen wie heute. Wie ein Bad wirkt er auf sie. Der Duft ist er frischend, er löscht manches Schwere aus dem Gemit. Und wie stolz sich die üppigen Buchen über dem grünen Waldboden mit dem feinen Waldmeister und den ständig wechseln den Sonnenflecken wölben! Hört, wie die Insekten summen! Dort ertönen aus der Tiefe des Waldes die dunkelklingenden Laute der Schwarzdrossel, und es wird so herrlich einsam ringsum. Per und Sophie bliden einander an, als verständen sie sich besser in dieser Stille.
Und lächelnd geben sie sich Träumereien hin. Von neuen Zeiten.
Von einer besseren Zukunft. Bis der Wagen über eine Brücke raffelt, die aus unebenen Steinen besteht, so daß das Fuder, das ihre armseligen Mobilien enthält, hin und her schwankt. Ein Bach eilt unter der Brücke hin, so eilig, so eilig ins Land hinaus. Sie sollen denselben Weg.
Ja, da draußen liegt also jetzt die Zukunft. Bald haben sie den Wald durchquert und sehen die Bauernsiedelungen vor sich. Hier in diesen stillen Dörfern herrscht ein ganz anderes Leben als auf dem lärmerfüllten Rittergut.
Sie blicken sich wieder an, Per und Sophie. Sie haben beide denselben Gedanken, und in ihrem Herzen ist dieselbe Hoffnung und auch in ihren Augen. Nun aber nähern sie sich dem Fallinger Kirchhof zur Rechten, und Sophie beginnt zu weinen.
Dabei ist nichts zu machen. Seit dem Unglück mit den Kindern bricht sie dann und wann in solch hilfloses Weinen aus.
Per bemüht sich um sie und drückt heimlich ihre Hand. Miffel Krat, diese Mißgestalt, redet mit dem Pferd, weil er wohl begreift, daß die anderen von ihren eigenen Gedanken in Anspruch genommen sind, und weil sein eigener Mund nicht gut stille stehen kann. Auch er blickt voll Mitgefühl auf Sophie. Beide Männer hegen den Wunsch, sie fühlen zu lassen, daß sie den Schmerz der noch nicht vernarbten Wunde begreifen.
1914
hin, die sie hier haben. Daß doch auch ihre kleinen Kinder so elendlich umkommen mußten, weil sie beide zur Arbeit auf dem Rittergute abwesend waren. Das Grauen über dieses Brandunglück schlägt wieder über ihrem Haupte zu1sammen.
Sophie beugt sich hinab über die Gräber, die sie mit ihren Händen streichelt, als wären es die lebenden Kinder selber. Sie preßt ihre Hände ineinander, als wolle sie die kleinen Wesen um Verzeihung bitten, daß sie damals nicht zu Hause bei ihnen war. Sie schreit laut vor Verzweiflung. Per blickt sich um und versucht liebevoll sie zu beruhigen, was auch ein wenig zu helfen scheint.
Aber plötzlich wirft sie sich auf die Knie, und indem sie den Kopf hin und her wirft, murmelt sie ganz unverständliche Dinge. Schon an dem Ton hört man, wie sehr ihr Hera gequält ist..
Ber hebt sie auf und füßt ihr verweintes Antlib, und dann führt er sie vom Kirchhofe fort, dorthin, wo Miffel Krat mit dem Schwarzen ihrer wartet.
Nach und nach versiegen Sophies Tränen, und noch bevor sie nach Derum fommen, ist sie wieder ganz ruhig geworden.
Beim Anblick der vielen kleinen Familienhäuser des Dorfes, die ihm eigentlich erst heute so recht auffallen, und als er sieht, wie frei und wie gemütlich jede Familie hinter ihrem Garten zu leben scheint, sagt er unwillkürlich:
Ja, das ist denn doch etwas ganz anderes als das Nitter
gut!" " Ja, Per," antwortet Miffel Krat, ich glaube auch, daß es flug von Dir war, bier hinaus zu ziehen!" Miffel rinnt der Speichel aus dem Munde auf die Wefte herab; die niemals nimmt er sie heraus. Miffel räuspert sich, er ist schwere Pfeife hängt beständig in einem Mundwinkel, und ganz froh, daß er wieder reden kann. He, he, ich kenne jedes Haus und jeden Hof hier, von Aarhus bis nach Randers , und weiß wie der Mann heißt he, he. Das ist noch von der Beit her, als ich hier mit dem Frachtwagen fuhr. Dies hier ist Lars Thomsen, und dann kommt Ber Monsen und dann Seristen Wartenur- ja, das ist nur so ein Beiname, verstehst Du, he, he.
"
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Er fuhr fort zu reden. Aber Per hörte nicht auf ihn. Denn drinnen im Garten der Hochschule, der Bauernhoch schule, ertönte ein Lied der Mäehen, so sommerlich frisch und rein
... In den grünen Tälern zwischen Nachtigallen und den anderen Böglein klein.
Sieh, so etwas haben wir nicht gekannt," sagt Per. Sophie blickt traurig hinüber.
An der Wegbiegung liegt ein eines Fachwerkhaus mit schwarzen Balfen und rotgetäfelter Mauer. Die Stockrosen recken sich wie Kinder, die auf den Fußfpißen stehen, und schauen zum Fenster herein. Im Garten sind zwei furze Wege, der eine mit breiten Büschen eingefaßt, die von oben bis unten voll von schweren behaarten Stachelbeeren hängen, und der andere mit sonnendurchtränkten dunkelroten Johannisbeertrauben.
Per und Sophies Augen können sich nicht von dem Anblick dieses Hauses trennen, und sie wenden sich um und wieder um, um es noch einmal zu betrachten.-
Am Giebel standen zwei Frauen und starrten ihnen nach. Sie steckten die Köpfe zusammen. Jetzt sind sie fort," sagte die eine.„ Waren das nicht die beiden, deren Kinder drüben auf Gyldholm verbrannten?"
„ Ja gewiß waren es die," antwortete die andere ,,, ach die armen Menschen, wo die wohl jetzt hinwollen?"
Der Wagen erregte Aufsehen, wo immer er sich blicken ließ. Erst der schwarze abgezehrte Gaul mit dem Buckel auf dem Rücken und dann die Habe, die im Wagen lag; zerrissene Säcke, durchlöcherte Matratzen, Stühle mit zerbrochenen Beinen, zerbrochene Töpfe und Kübel- es fab aus, als enthalte das ganze Fuder nicht ein einziges ordentliches Stück. Auf der anderen Seite von Falling und Derum tat sich das weite Land vor ihnen auf, und mitten hindurch führte
Mikkel lenkt den Wagen auf den Fallinger Kirchensteg, und zwar auf die Seite, die zum Dorf hinausführt, und dann schreiten sie gemeinsam zu den drei kleinen Kindergräbern die Landstraße.