Mr. IM.- 1914.
Unterhaltungsblatt öes vorwärts
Zomitüa, 2Z. Anguß.
Kriegstage in Petersburg  . IV. Am Morgen des 30. Juli erblickte ich vom Fenster au? einen Menschenhaufen, der bewegungslos auf einen an der Mauer hängen- den Anschlag starrte. Ich sprang hinunter und hörte, wie einer mit lauter Stimme eine Bekanntmachung vorlas: Es war die Mobili- sierungsorder. Die Menge hörte stumm zu. Viele schienen zu zweifeln. War das auch wirklich wahr, was der Vorleser der- kündete? Sie mußten es wohl oder übel glauben, da sie selbst nicht lesen konnten. Kein Zweifel mehr: das bedeutet den Krieg, den längst gefürch- teten Weltkrieg. Allein in Petersburg   wollte man noch nicht recht glauben, daß diese schreckliche Möglichkeit mit einem Male, über Aocht, so furchtbar nahe gekommen sein könnte. Man beschwichtigte sich gegenseitig: Die Mobilisierung der russischen Armee allein schon werde die Oesterreicher veranlassen,' von der Unterdrückung der armen serbischen Brüder abzulassen. Das Oesterreich, dasnur von denen noch nicht geschlagen ist, mit denen es noch keinen Krieg ge- führt hat", das in viele sich bekämpfende Nationen gespalten lei, werde es niemals wagen, mit Nußland Krieg zu führen. Wenn der Zar seine 10, 15, nein 20 Millionen Soldaten in Oesterreich   ein- marschieren laste, sei es um die Doppelmonarchie geschehen. So wurde nicht etwa bloß von dem»Mann auf der Straße geredet, sondern auch iu den Zeitungen von Leuten, die sich Professoren heißen. Und wenn die deutsche   Armee die»österreichische Barbarei" unterstützen sollte, so sei»für sie Platz genug auf den Feldern Rußlands   inmitten der ihr nicht fremden Gräber".(Wetschernoe Wremja" vom 30. Juli.) Der Patriotismus, die Selbstüberhebung oder die Unkenntnis verbot daran zu denken, daß Rußland   noch mehr rassenverschiedene Volksstämme birgt als Oesterreicht die gegenseitig in bitterer Fehde liegen und daß das Land der Pogroms und der Verbannungen am allerwenigsten berechtigt oder befähigt ist. sich als Beschützer eines unterdrückten Volkes aufzuspielen. Der aufmerksame Beobachter konnte leicht zwei Strömungen entdecken! eine die unter ständiger Betonung der Kriegsberehschaft und Unüberwindlichkeit Rußlands  Ermahnungen und Beschwichtigungen an das Ausland, an die deutsche Adresse richtete, und eine, die unentwegt den Krieg vorbereitete. Beide aber machten glauben, durch die Politik der Bluffs Oesterreich   und Deutschland   einzuschüchtem. Die Politik der einen Richtung wird treffend von der»Birschewja Wedomosti" dargetan: »Die Mobilisation stellt nur eine gewisse VorsichtS- Maßnahme dar, angesichts der aggressiven Handlungsweise der österreich  -ungarischen Regierung. Es wäre jedoch irrtümlich, unserer Mobilisation den Charakter solcher Maßnahmen zuzusprechen, worauf unweigerlich die Eröffnung des Krieges zu erfolgen hat." Diese Rechnung scheint von der formell wenigstens ver­antwortlichen Regierung inszeniert worden zu sein. Denn daß die Regierung, die die traurigen Zustände des Landes sowie die Un- bereitschaft der Armee kennen muß, einen Krieg in allem Ernste ge- wollt hat. ist nichr gut anzunehmen, es sei denn, sie sei vom Wahn- witz beherrscht. Die russische   Ernte ist durch Sonnenbrand verheert, eine ausgedehnte Hungersnot steht bevor; der Handel weist eine steigende Unterbilanz auf; die Einnahmen aus dem Schnapsmonopol gehen dank der Mäßigkeitsbewegung sehr zurück; und dann war erst vor ein paar Wochen eine Militärvorlage von der Duma be« willigt worden, wodurch die Armee in den Stand gesetzt werden sollte, einen Krieg mit einiger ErfolgSauSsicht führen zu können. Wenn es trotzalledem zum Kriege kam, so kann man nicht umhin, anzunehmen, daß die verantwortliche Regierung entweder mit ihrer schon manchmal gelungenen Politik des Bluffs zu weit gegangen ist oder daß die Kriegspartei, die Clique des Großfürsten, die Ober- Hand gewonnen hat. Und noch eine andere Meinung wurde geäußert. Die Clique der Großfürsten'habe zum Aeußersten gedrängt, um. wie einst der kleine Napoleon  , die Augen von der furchtbaren Not der Jndustriebevölkerung und von dem drohenden Gespenst der Hungers- not abzulenken. Zu dieser Desperadopolitik hätte sie sich um so lieber entschlossen, als sie ihr, wie einst beim Kriege mit Japan  , die leichte Möglichkeit zur Bereicherung bringe. Welche von diesen Ansichten die richtige ist, wird sich wohl erst nach Beendigung deS WeltbrandcS feststellen lassen. Unnötig zu sagen, daß man in Rußland   bei der herrschenden Kaste nur die allerhehrsten Beweggründe sucht, wie sie natürlich auch an die All- macht des Zaren und an die Ohnmacht seiner Feinde felsenfest glaubt. Wie lange noch? Nun wird ja sicherlich in KriegSzeiten von allen Seiten die Wahrheit zuungunsten des Feindes gestreckt und gestaucht. Allein was in den Tagen nach der deut'chen Kriegserklärung in Rußland  geschwindelt worden ist, kann durch schon Dagewesenes nicht belegt werden. In Berlin   war Revolution, die Banken gestürmt, halb Elsaß nach Frankreich   übergelaufen, die deutsche   Armee vor Lüttich   ohne Proviant, in Posen, Schleswig-Holstein   und Elsaß   Volkserhebung, der Krieg sei in einigen Wochen entschieden, weil»Deutschland   ohne Getreide bleibe und die englische Flotte die amerikanische   Zufuhr
abschneide." Noch viel schlimmere Zustände ivurden von Oesterreich  berichtet. Wenn der ständig vor dem Gebäude derWetschernee Wremja" versammelte Menickenhaufen dergleichen Meldungen ver- nahm, erdröhnte der Newskiprospekt vom Freudengeheul und frommem Dankgesana. Und das war gut für uns Deutsche   und Ocsterreicher, die wir noch in Petersburg   festsaßen. In der Nacht zum 1. August hatte der deutsche Botschafter in Petersburg   die Kriegserklärung überreicht. Tags darauf klebte an allen Straßenecken das Manifest deS Zaren, an seine getreuen Untertanen: »... Oesterreich, das die nachgebende und friedliebende Ant wort der serbischen Regierung nicht achtete und die wohlwollende Vermittlung Rußlands   ablehiirc, ging schleunigst zu einem be waffneten Neberfall über, indem es begann, das schutzlose Belgrad  zu bombardiereir.... Inmitten der freundschaftlichen Verhandlungen hat das mit Oesterreich   verbündete Deutschland   entgegen unseren Hoffnungen auf jahrhundertelange gute Nachbarschaft und in Nichtachtung unserer Versicherungen, daß die ergriffenen Maßnahmen durchaus nicht feindliche Zwecke verfolgen, sich bemüht, die sofortige Aushaltung dieser Maßnahmen zu erzwingen und es hat, nachdem es mit dieser Forderung bei Rußland   auf Widerstand gestoßen ist, Rußland un- vermutet den Krieg erklärt..." Dem Friedenszar, der dermaßen bedroht und mißachtet wurde, mußten die Patrioten eine Ovation bereiten, schon um ihm zu zeigen, daß das Volk zarcntreu und kriegslustig sei. Die große Kundgebung war für den Sonntag 12. August) angekündigt. Sie wurde von einem elegant gekleideten Mann zu Pferde den Newski Prospekt   hinauf vor den Ainterpalast geführt. Dem Zuge voran wurde das Bild des Zaren getragen und Schilder, worauf ge schrieben stand: Gott schütze den Zaren I oder: ES lebe England und Frankreich  ! lim die Standartcnträger herum bildeten Buben und Mädchen mit Pfaffen und Studenten eine Kette, hüpften und jubelten und stießeu Hochrufe auf den Krieg aus. Etwas Häßlicheres als solche die Beine in die Luft werfenden und Krieg schreienden Popen läßt sich nicht leicht finden. Ich betrachtete vom Restaurant Leiner, da? seiner Preiswürdig keit wegen viel von Russen besucht wird, den Borbeimarsch. Von Zeit zu Zeit schrie die Menge zu den Fenstern hinaus: Nieder mit Oesterreich! Haut die Deutschen I Die anwesenden Offiziere zeigten sich wiederholt an den Fenstern, um der heulenden Maffe zu be deuten, daß ihre Kriegswut nicht an die richtige Adresse ge> richtet sei. Die Besitzer des Lokals hatten als Leute, die ihr Voll kennen, schon alles getan, um keinen Anlaß zu Anständen zu geben. Die deutsch   und russisch gedruckten Speisekarten waren verschwunden, e? gab nur noch solche in russischer Sprache; die Reklameschilder des Münchener   Löwenbräu suchte man vergeblich; der als Direktor fungierende Landsmann hatte sich irgendwo verkrochen; die deutschen  eitungen waren weggeräumt worden. Man witterte togromlufti Die ganze Znrenfamilie hatte sich zu einem Bittgottesdienst im Winterpalast versammelt. Sie zeigte sich dann dem kriegslüsternen Volke. Als ich vor dem Winterpalast ankam, kniete gerade die viel tausendköpfige Menschenmasse auf dem Erdboden und betete laut zu Gott, daß er den edlen Zaren beschützen möge. Auch auf der Stelle knieten und beteten die Menschen für den Zaren, wo vor knapp zehn Jahren der Blutzar die von Gapon   ge- führten Arbeiter hatte zusammenschießen laffen. C h a g r i n.
Das /tafgebot öer Kinder. Bis in das entlegenste Gebirgsdorf und bis in die letzte, der- borgenste Ecke der Großstadt streckt die Kricgsnot die würgenden Arme aus, nach alt und jung, groß' und" Hein."DäZ Schulkind entgeht ihr nicht, und nicht das Kindchen, das kaum zu gehen be- gönnen. Diese Kleinen, die den Ernst der Zeit noch gar nicht er- fassen können, sie bekommen ihn zu füblen. Vater ist fort in den Krieg oder durch die Kriegskrise arbeitslos, Mutter muß hinaus auf Arbeitsuche, muß streben, etwa? Brot ins Hau? zu schaffen. Da hat sie keine Zeit, das Kind zu warten, oder aber nichts, um das Kind zu sättigen. Und hier war Hilfe doppelt not: im Interesse der Kinder und im Interesse der Mütter und Väter, die ihre Kinder so vor dem Allerärgsten bewahrt wiffen. Und so ent- stand unserKinderschutz". Einundzwanzig dieser Kinderschutz-Sammelplätze haben die Berliner   Wahllreise aufzuweisen. Am ersten Tage schon waren 1400 Kinder angemeldet, da aber viele Mütter auch un- angemeldet ihre Kindchen hinbrachten, ist die Zahl wohl auf 2000 gestiegen. Und seitdem wächst sie täglich. Immer klarer wird den Müttern, welch ein Segen diese Einrichtung ist, und lebhaft ist zu wünschen, daß alle Parteigenossen und namentlich Genossinnen» die über etwas Zeit verfügen, hier helfend eingreifen. Wir haben an einem der ersten Tage die Kindersammelstelle in Kellers Festsälcn, Koppenstraße, besucht. Durch den Hof nach rückwärts, zu den Rasenplätzen, die weitab von der
Straße liegen. Es war gerade wer Ubr, und da gab es den Naw- mittagskasfee. In der Mitte des Platzes eine Barriere von Tischen, mit einem schmalen Turchgang. Auf den Tischen eine Un- zahl von Kaffcctöpfcn und mächtigen Kaffeekannen, fast könnte man sagen Kaffeekübeln. Zwanzig Helferinnen zwölf Frauen und acht junge GeitosflnncU aus dem Jugendheim smfc in voller Tätigkeit. Jedes Kind hat den von Hause mitgebrachten Kaffee- topf sich aus der Topsphramidc auszusuchen, es erhält den Kaffee, eineSchnecke" und eine Schrippe und nimmt dann auf dem Rasen vor der Tischbarriere Platz. Hat das Kind noch Hunger, so bekommt es einen zweiten Topf Kaffee und, wenn möglich, auch noch etwas Gebäck. Aber freilich ist der Appetit dieser ja fast durchweg unterernährtcn Kleinen größer als die Mittel, die zur Verfügung stehen. Tie leitende Genossin erzählte mir, daß für die 230 Kinder, die an diesem Nachmittag dort waren, für 10 Mark oO Pfennige Gebäck und 7 Liter Milch gekauft wurden. Aber die Kinder hätten noch mehr vertragen. Da die schulpftick- tigen Kinder einen Mittagstisch in der Schule erhalten sollen, wird Mittagessen nur an die vorschulpflichtigen Kinder verabreicht. An jenem Tage waren es 54. Und die leitende Genossin staunte über den Appetit, den diese Knirpse hatten. Sie zeigte mir ein drei- jähriges Kerlchcn, dem Mittags der Teller dreimal gefüllt werden mußte und das trotzdem zum Kaffee schon wieder die dritte Schrippe verzehrte. Wie vielen von diesen Kindern ist es viel- leicht noch nie vergönnt gewesen, sich wirklich satt zu essen? Vor mir am Rasen kauert diese Schar der Kleinen mit den Töpfen und..Schnecken" oder Schrippen in der Hand. Man sieht: sie fühlen sich wohl und sind vergnügt. Aber immer und immer wieder taucht in der Schar ein schmales, blasses Gesichtchen auf, das einem jener unzähligen und unseligen Proletarierkinder ge- hört, die unterernährt und schicksalsbedrückt überhaupt nie lachen gelernt haben. Jene in frühester Jugend Gebrochenen und fürs ganze Leben Gezeichneten, die sichere Beute der lungenvcrheercn- den Proletarierkrankheit. Als diese eine Schar der Kinder sich dann erhebt, um der zweiten Hälfte Platz zu machen, nehme ich eins dieser Kinder beiseite. Eines jener Kinder mit den weiß- gelben Wangen und toternsten Augen, die so verschüchtert und furchtsam in die Welt blicken. ES ist fünf Jahre alt und mit einem Bruder hier. Die Mutter ist zu Hause, der Vaterist fort". Wo, weiß er nicht. Irgendwo im Feld. Er hat zwei Töpfe Kaffee gc� trunken und zwei Schrippen gegessen. Ich frage ihn, ob er noch Hunger hat? Und schüchtern antwortet er:Ja!.. Ein siebenjähriger Junge, auch so blaß und schwächlich, bleibt in der Nähe stehen und reckt sich behaglich. Ob es geschmeckt hat, frage ich ihn.FeinI" ist die Antwort. Auch er hat zwei Töpfe Kaffee erhalten und zwei Schrippe», und auch er hat noch Hunger. Wo sein Vater ist? Zu Hause arbeitslos. Und mehr als die Hälfte der Kinder, die ich frage, antworten:Vater ist zu Haufe, er hat keine Arbeit." Und die leitende Genossin bestätigt mir, daß die durch die Kriegskrise entstandene Arbeitslosigkeit alle Vor- stellungen übersteigt. Sie ist furchtbar, grauenhaft. Und so haben wir denn hier Zehntauscnde und Zehntausende von Kriegsopfern, hier mitten in der Großstadt, wo die Kanonen Nicht reden, aber auch die Fabriken und Werkstätten schweigen. Und der Staat und die Stadt haben für diese Kriegsopfer nichts übrig.... Zwischen Hofmauern auf Rasen 230 Proleiarieriinder, die heute noch bedrückter sind, als sonst. Welch ein Glück, daß sie es nicht wissen. Hier uns dort schläft so ein kleines Kerlchen. Dort kommt ein fünfjähriges Mädchen auf mich zugelaufen. Ob sie allein da sei? frage ich.Ja." Und Mutter?Zu Hause." Und Vater?Ist fort." Und im selben Atemzuge ruft sie:Onkel, ich kann bis in den Himmel springen!" Und springt hoch auf und ihre Augen glänzen. Sie fühlt sich hier so wohl! Tort hämmern einige der Kleinen, dort graben sie im Sand; jene springen, jene singen, diese spielen friedlich Und jene wieder prügeln sich. Und zlvffchen all diesen lärmenden und spielenden Kleinen eilen unsere Genossinnen hin und her, beruhigen hier,- stiften dort wieder Frieden und geben überall Anleitung zum Spiel. Und die Gruppen und Grüppchcn genießen den Sannen- schein und vereinigen sich dann zu einem großen, großen Ringel» tanz und singen in die Welt hinaus:Wir wollen morgen Hoch- zeit feiern.. Und helle Freude strahlt von ihnen aus. Welch ein Glück, daß sie für Stunden der grauen Not des Heims entzogen werden können; welches Glück für die Mütter, die ihre Kleinen in dieser Zeit behütet und mindestens halbgesätligt wissen! Und wie werden sie behütet! Wie liebevoll und rastlos betreuen die Helferinnen diese unsere kleinen Kriegskiuder. Frei- lich, die eine klagt, sie könne sich kaum auf den Füßen halten, die andere hat durch den Lärm so furchtbaren Kopfschmerz. Aber sie beißen die Lippen zusammen, halten aus und erfüllen ihren Kriegsdienst. Bis zum Schlüsse; da werden nämlich die Kinder unter der Wasserleitung gewaschen, all diese Gesichtchen und Händ- che». Und dann kommt Muttchen, und das Kind, das bei der Tischbarriere steht, springt ihr entgegen. Sind ältere Geschwister da, so bringen diese die Kleinen nach Hause. Aber die Helferinnen gehen zuletzt...
kleines Feuilleton. Der 5reiheits-Zar! Sämtliche russischen nicht mehr erscheinenden Blätter, eS sind fast alle!, veröffentlichen folgende Proklamation des Zaren! Wir, Nikolaus II.  , Zar aller Reußen usw., haben es mit Schmerz und Unmut empfunden, daß unser eigenes Volk, die ge- ..Friedenszar" undBlutzar" beigelegt haben. Uns aber den noch zwar die volkstümlichen und überall bekannten Beinamen ..Friedenszar" undBlutzar" beigelegt haben, un? aber den noch viel ehrenderen Titel einesF r e: h e i t S z a r e n" hartnäckig vorenthalten. Wir haben Uns deshalb entschlossen, auch diesen endlich voll und für immer für Uns zu erwerben. Nur deshalb haben wir diesen Weltkrieg mit allen Mitteln der ehr- lichen Lüge und der betrügerischen Aufrichtig- keit erzwungen! Ich greife zum Schwert, um allen die Freiheit zu bringen! Unsere Maschinengewehre und Klein- kalibrigen bringen nichts als eitel Erlösung von jeglicher Knecht- schaft jeglicher Art! Den Stämmen und Klassen Meines eigenen großen Volkes ist dieser Mein Wille schon nicht mehr neu. Schon feuern Meine getreuen Petersburger Arbeiter, die durch Unsere bewährten Spitzel und Meine im aufreibenden Bestechungswesen ehrlich er- grauten Polizeibeamten längst von Meinem beglückenden Ent- schlüssen verständigt wurden, unter den Fenstern Meines Schlosses scharfe Freudenschüsse ab! Noch heute fahre Ich nach Moskau  , um Mich auch dort an dem gleichen Schauspiel zu weiden! Schon flehen die Juden, die Ich von je so zärtlich schützte, in allen Synagogen jubelnd den Segen des SatanS auf Mein Haupt hernieder! Und haben die Polen   nicht bereits, auf einen Wink von Mir, in Warschau   die selbstherrlichen Rechte ihres edlen Volkes ver- kündet? Das alles ist Mein Werk! Die Stämme des Kaukasus  , zusammen mit den durch das üppige Friedenslebeu gekräftigten Naphthaarbeitern in Baku  , haben sich erhoben. Mächtig dröhnt ihr Freiheitsgesang und Kriegsgeschrei bis hinein in Mein Gemach, daß mir vor freudigem Schrecken fast die Feder entsinkt! Und auch in Finnland   Ich darf es mit Stolz sagen haben Meine Gouverneure die neue Zeit so gründlich vorbereitet, daß der besreiendtz Sturm stündlich WhreLeu kgvnl.
Indessen stürzen, beseelt von der Nagaika und dem Lebens- trank unseres herrlichen Wodka, Meine Kosaken sich auf feindliche Dörfer, deren Hammel, Hühner und bis an die Zähne zugeknöpfte Bürgermeister ihrer unüberwindlichen Tapferkeit vergeben? Wider- stand leisten! Diese unsere russischen Helden werden die Freiheit allen bringen, die noch unter dem Joch der westeuropäischen Gesittung seufzen den Preußen, die trotz des gutgemeinten Drei- klassenwahlrechts von der politischen Selbstbestimmung des rufst- ichen Arbeiters und Bauers keine Vorstellung haben, den Slawen in Oesterreich  , die sich so schmählich selbstver- walten müssen, den Franzosen  , unseren Freunden, die in Unkenntnis unseres paradiesischen Sibiriens   schon die Ver- bannung nach Cayenne für den Gipfel der Kultur halten, den Engländern, deren Staatsleiter gewiß schon recht gelehrig schwindeln, von der ethischen Macht unserer echtrusfischen Bestech- lichkcit aber noch nicht im entferntesten berührt sind kurz allen, allen! Und selbst die Reger Afrikas   und die Strauchdiebbanden des Balkan   werden noch manches von uns lernen können! Völker Europas  ! Ich bringe Euch, gastfreundlich vorweg dar- reichend, die heiligsten Güter Rußlands  : den Schnaps, das Schmiergeld, die Folter und die lachenden Potemkinschen Dörfer, die F r e ih e i t! Ich, nicht allein mehr derFried enSzar" und Blutzar' Ich, auch derF r e i h e i t S z a r"! gez. Nikolaus. __ gegengez. Kn ax. die Seobachtung See Sonnenfinsternis. Das Naturschauspiel konnte in den meisten Gebieten Mitte- europas ziemlich gut beobachtet werden, wenngleich die Witterungtk- Verhältnisse diesmal nicht ganz so günstig gewesen find wie bei d«r Sonnenfinsternis vom 17. April 1S12. Die Sonnenfinsternis bot diesmal das aussälligste Bild im östlichen Ostpreußen  , wo nur 4 Proz. der Sonnenoberfläche vom Monde unbedeckt blieben. In Berlin   umfaßte die Verfinsterung 84, im Südwesten des Reiches noch rund 70 von hundert Teilen der Sonnenoberfläche. Die Beobachtung auf den Sternwarten in Berlin   schien zuerst völlig vereitelt zu werden, da am Vormittag der ganze Himmel von dichtem Gewölk bedeckt war. Aus diesem Grunde war es auch leider nicht möglich, den Zeitpunkt der ersten Berührung des Mond- und Sonnenrandes genau zu fixieren, wie man beabsichtigt hatte. Erst um 12 Uhr 31 Minuten, 19 Minuten nach dem Begimi des Phänomens, trat die Sonne aus den Wollen hervor, nachdem sich das Gewöll in der Richtung von Süden nach Norden zerstreut hatte, Zu diesem Zeitpunkt war der
Mond bereits ziemlich weit ani Nordwestrande in die Soimenscheibe eingedrungen. Um 1 Uhr 24 Min. war nur noch eine schmale Sichel am Slldrande der Sonne übrig gebliebe». Ein sonst fahler, grau- grüner Schimmer schien über der Natur zu liegen, und der fühlbare Temperaturunterschied zwischen Sonne und Schatte» war fast unmcrk- lich geworden. Auch die Schattentemperatur fiel um einen halben Grad. In der Tier« und Pflanzenwelt ließen sich aussällige Wahrnehmungen nicht machen; der Grad der Bedeckung war dazu diesmal nicht groß genug. Die Wolkenbildimg, die etwa eine halbe Stunde nach Beginn des Phänomens in weitem Umkreis der Sonne verschwunden gewesen war, setzte zurzeit der maximalen Bedeckuna plötzlich von neuem ein, und zwar augenscheinlich infolge der atmosphärischen Abkühlung und der dadurch bewirkten Kondensation. Etwa eine Viertelstuden nach der Maximalbedeckung nahm das Gewölk am ganzen Himmel wieder zu und verhüllte aufs neue das Naturschauspiel, gegen dessen Ende die vom Monde fast wieder völlig freigegebene Sonne aber noch einmal hervortrat. Die letzte Berührung zwischen Mond und Sonne an deren südöstlichem Rand erfolgte um 2 Uhr 36 Minuten. Die fahl« Beleuchtung der Landschaft war schon gegen 2 Uhr wieder gewichen. Bei der Beobachtung mit den, Fernrohr ließen sich an dem dunklen Rande die hervortretenden Mondberge deutlich wahrnehmen. Inwieweit es im Auslande in der Zone der zentralen Verfinsterung gelungen ist, wissenschaftliche Beobachtungen von Bedeutung zu machen, bleibt abzuwarten. Man muß dieserhalb seine einzigen Hoffnungen auf Norwegen   und Schweden   setzen; in Rußland   dürfte der Krieg alle Beobachtungen vereitelt haben. lleberdieS besteht Grund zu der Annahme, daß in Rußland   weit- verbreitet ungünstige» Wetter geherrscht hat, da der ganze Osten Europas   im Bereich barometrischer Depressionen stand. ' Die Expedition der Charlottenburger Technischen Hochschule nach Norwegen   hat trotz großen Hindernissen, die der Krieg verschuldete, vollen Erfolg gehabt. Geheimrat Miethc telegraphiert dem.L.-A." darüber u. a.:»Die Totalität war großartig; der Himmel war tief schwarzblau bei gelbrötlichem Horizont. Die Corona war silbcr- weiß und zackig. Die Sterne waren hell und sichtbar. Der Gc- samteindruck der Beobachtunzen ist nicht wiederzugeben. Zahlreiche großartige Aufnahmen konnten gemacht werden, doch ist das end- gültige Resultat noch nicht so weit gesichtet, daß es niitgeteilt werden kann."_ Notize«. DaS Blnthner-Orchester veranstaltet Sonntag im Böhmischen Brauhaus am FriedrichSham ein Konzert unter Leitung de» Tirigemen Karl Prießel. Das Konzert beginnt 4 Uhr Uttö b«u«t bj» 10 Uhr,