r. 1.- 1915.

Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Eröffnung der Volksbühne.

fampf der Arbeiter, die anderen redneten mindeſtens auf die längst

-

Freitag, 1. Januar.

lied auf das Glück des Daseins als zweigeſchlechtige Lebewesen. Aus der Kunstgeschichte des Kalenders.

gegangen.

schwäßigkeit seines Alters( der andere Alte war gerade im Alter Riemen und den nägelbeschlagenen Schuhen trägt. Minister Grippo wuchtig knapp) gestaltet Björnson in seinem legten Stück die Ein- teilte mit, daß er sofort nach der Wiedereröffnung des Parlaments renfung einer Ebe. An den mancherlei Liebeserfahrungen, die ihre drei ein Gesetz einzubringen gedenke, das den Hügel von Lumae, auf dem Töchter machen müssen, entzündet sich aufs neue die langerloschene Glut die Ausgrabungen vorgenommen werden und wo erst kürzlich die Die überschwänglichen Jllusionen, mit denen man einst an das zweier Eheleute. Was diesen Vorgang wertvoll macht, ist der Lebensmut. gewaltigen Mauern der Stadt und der Tempel des Apollo freigelegt Werf einer Freien Voltsbühne heranging, find längst auf ein Auch Ibien predigte ähnliches im Epilog. Aber wie zeigen diese wurden, zum nationalen Baudenkmal erklären soll. nüchternes Maß zurüdgeführt worden. Die einen erhofften in der beiden Nordmänner in ihren Schlußstücken neben der Aehnlichkeit Freien Volksbühne ein neues Kampfmittel für den Emanzipations auch den Gegensah ihres Wesens! Die Aehnlichkeit im Preis­fällige Wiedergeburt der dramatischen Kunst. Aber jene übersahen, Erst dahinter, und wenigstens bei bien bewußt dabinter gestellt, daß die Bühne, im klassischen Zeitalter des Bürgertums ein notge fommt die Lebensaufgabe. In dieser Tendenz liegt soziologisch das Nun hängen wir wieder den neuen Kalender an die Wand, drungener Schauplag des geistigen Befreiungskampfes, diese Eigenschaft Urteil gegen beide eingefchloffen. Der Gegenfasstedt am greif­längst zugunsten anderer Kriegsschaupläge abgelegt hatte. Parlament und barsten natürlich in der Zonart und im Ausgang. Bei dem Dur- deſſen mit Bildern gezierte, mit weisen Sprüchen und schönen Preſſe ſtellten in all ihrer Beschränkung und Ünvollkommenheit doch Björnson ist es immer noch nicht zu spät. Er geht nicht, wie der ehren bedruckte Blätter uns durch alle Tage des Jahres be­einen so riesigen Fortschritt dar, daß die Rückkehr zur Schaubühne Moll- Ibsen, rücksichtslos und starr bis ans Ende. Sanguinifer können gleiten sollen, und bei der Betrachtung des mehr oder weniger als der politischen Arena nur ein komischer Rückfall gewesen wäre. das nicht. Sie bringen fich eher um. Ehe Björnson auch nur das geschmackvollen Reichtums, der sich hier auftut, gedenken wir der Bei den ganzen Frrtum wirkte die politische Fesselung der achtziger zahmste der späteren Jbsenstücke geschrieben hätte, würde er ver­bescheidenen Anfänge, aus denen unser Kalenderwesen hervor­Wie einfach waren die mittelalterlichen Kalender­Jahre noch bestimmend mit. Nicht viel anders stand es mit dem zweifelt abgetreten sein. Ohne Optimismus, ohne Siegesgewißheit, tafeln, die nur über die Zeitpunkte der beweglichen und der stehen­Wahne derer, die da glaubten, das Drama auf dem Boden der ohne Erfolg zu leben, war dem Politiker nicht möglich. Freien Volksbühne zu neuem Leben erwecken zu können. Auch hierbei Tiefere Probleme werden übrigens nicht aufgedeckt, eine Welt- den este unterrichten wollten und nach denen man die Daten der lag der Fehler zugrunde, daß man die Verhältnisse von einst auf anschauung steht nicht zur Debatte. Höchstens etwa die, daß die einzelnen Tage festlegte. Denn nach den Wochen- und Monats­die Gegenwart übertrug. Aber die klassische Beit nötigte ja eben Frau fein Drache sein soll. Und viel liefsinniger sind ja die Pointen tagen zu rechnen, wie wir es tun, hat man erst zu Ende des durch die völlige politische Unfruchtbarkeit ihre besten Stöpfe zu jenen in Björnsons Dramen selten oder nie. Er rückt, wenn man von der und doch so fein beobachteten Monatsbildchen, die sich allmählich 15. Jahrhunderts allgemeiner angefangen. Zu den unbehilflichen geistigen Großtaten, unter denen das klassische Drama mit obenan Psychologie absieht, weit näher zu L'Arronge als zu bien. Den ſteht, während hundert Jahre später die ungehemmte wirtschaft- norwegischen Bauern hat er nie abgelegt, und das ist für die Kunst in köstliche Werke der gotischen Miniaturkunst wandelten, treten in liche Betätigung die Geisteskräfte des Bürgertums labmlegte immerhin fein Vorteil. bunter Mannigfaltigkeit Auskünfte astrologischer und praktischer und der politische Kampf die Kräfte des Proletariats Die technische Primitivität des Stückes wurde durch die Regie Natur, in denen nicht nur aus den Gestirnen die Zukunft kühn absorbierte. Und so blieb denn gerade den regiamſten wenig getrübt. Man spielte lang und breit. Ein paar Kräfte getveissagt wird, sondern in denen man sich auch über alle Ange­Geistern in der Freien Voltsbühne schließlich das die lockendste scheinen aber dabei zu sein. Nur haben sie noch keine Namen und legenheiten des Feld- und Gartenbaues, der Viehzucht, über Heil­Aufgabe, im Rahmen dieser Organisation auch nur den hatten am ersten Abend überhaupt keine, da der Bettel fehlte. mittel und Aderlaß unterrichten kann. Die alljährlichen und an­politischen Kampf gegen die äußere Bedrückung dieser Organisation Kurz, diese Eröffnung war eine Nottrauung; aber das soll ja geblich ewigen" Stalender werden zu den wichtigsten Aufzeichnun zu führen. Das Theater war nicht mehr der Schauplab, es war der immer die besten Ehen geben vorausgesetzt, daß die Beteiligten am gen der Bauernregeln, und noch heute findet sich wohl hier und Gegenstand des Kampfes geworden und eben nur ein Gegenstand. Leben bleiben. Sa im Kalender das Wetter für das ganze Jahr und auf jeden Und dieser Kampf wurde um so erfolgreicher, je mehr die Freie Tag vorher bestimmt. Volksbühne ihren proletarischen und Kampfcharakter ablegte und eine dem Wesen nach bürgerliche, genauer: eine flassenlose Organi­sation wurde, die ihre Aufgabe nur darin sah, möglichst weiten Kreisen möglichst billig möglichst gute Kunst zu vermitteln.

Staatsanstalt der Alten werden.

--

Rudolf Franz.

Neue Ausgrabungen in Pompeji  .

Mit der Entwickelung der, Buchdruderkunst nahm auch das Kalenderwesen einen großen künstlerischen Aufschwung. In Form von Wandtafeln der verschiedensten Größe, die auf einem Blatt Während der Kriegssturm, der mit rasender Gewalt über die den ganzen Tert vereinigten, sowie von bildergeschmückten Heften Der organisatorische und wirtschaftliche Erfolg der Volksbühne" Lande braust, erbarmungslos viele Stätten neuer und alter Kultur wurden die Almanachs" feit der Mitte des 15. Jahrhunderts die darf freilich nicht zu neuen Jllusionen verführen, wie zu der von in Schutt und Trümmer legt, fördert die Ausgrabung von Pompeji   verbreitetsten Druckerzeugnisse, die in alle Schichten des Volkes Bruno Wille   im Einführungsheft geäußerten, der Kultur- immer wieder neue Wunderwerke aus der durch die Wut der drangen. Sie erzählten nicht nur vom Kreislauf des Jahres, fieg" dieser Bühneneröffnung zeige zeige die Möglichkeit, daß Elemente zerstörten alten Stadt zutage, die vor mehr als sondern auch von allerlei seltsamen Ereignissen, von Krieg und in mancher Großstadt des neuen Vaterlandes, vielleicht auch 1800 Jahren der Vernichtung entgangen sind. In Begleitung seines Pestilenz, von Sonnen- und Mondfinsternissen und nahmen in auf­auf dem Lande, und zwar dann in Form der Naturbühne, das mit der Aussicht über die italienischen Museen betrauten Abteilungs- geregten Zeitläuften in Predigt und Spott Partei für bestimmte So boten sie auch dem Künstler Theater dem Volte in ähnlicher Weise gewidmet sein fann, wie bei direttors Spinazzola hat sich in diesen Tagen der Minister Grippo Ideen und Persönlichkeiten. den alten Griechen, und wie es dem sittlichen Erzieher Schiller   vor- nach) Pompeji   begeben, um die neuen Ausgrabungen zu besichtigen. mannigfache Gelegenheit zur Betätigung; Holzschneider und schwebte". Gott   bewahre! Noch viel weniger als zur moralischen Man zeigte ihm zunächst einen großen Balkon, dessen gewaltige Kupferstecher zierten die Kalender mit würdigen Bildern und Anstalt des jungen Schiller   kann das Theater heute zur religiösen Brustwehr noch völlig unversehrt geblieben ist, die Fassade eines frechen Karikaturen. Kunstwerke höheren Ranges entstanden auf Hauses mit überlebensgroßen Götterbildern, sowie ein zweites Haus diese Weise, nachdem die prachtvolle Volkskunst der Gotik dahin­Die Eröffnungsvorstellung war, und zwar nach Stück und Dar- mit riesigen Plakaten, auf denen Hunderte von Anzeigen über gegangen war, hauptsächlich in Frankreich   und Holland  , wo der stellung, ebenfalls geeignet, den Blick vergleichend auf die Anfänge öffentliche Spiele und Wahlen angezeigt werden. Besonderes Kalenderzeichner eit geschmackvolles Publikum fand. der Freien Volksbühne  ( deren Haus aber nur Volksbühne heißt) Interesse zeigte der Minister aber für die jüngst aus- In Deutschland   inandte man dem Schmuck des Kalenders erst zu richten. Ja jogar die entschuldigenden Worte Julius Babs vor gegrabene großartige Waschanstalt, in der noch alles im 18. Jahrhundert hähere Aufmerksamkeit zu, als eine einzig­der Vorstellung standen im Gegenfag zu jenen Anfängen. Damals an seinem Blaze steht, und ein pruntvolles Patrizier- artige und nie wieder erreichte Blütezeit des Almanachwesens proklamierte man den Realismus, die Wahrheitskunst. Bab ent- haus mit reichem fünstlerischen Schmuck, dessen schönstes Stück anbrach. Die Aufklärung räumte mit all dent abergläubischen schuldigte ihn sozusagen, bedauerte die Alltagskunst, zu der man, am ein Altarschrein mit Friesen und buntausgemalten Arabesten ist. Stram, der die Kalender bis dahin erfüllt hatte, energisch auf; die Göz" verhindert, habe greifen müssen. Und wenn Wille im Ein- Man sieht hier Reliefbilder, die in Weiß und auf blauem Grunde besten Tage zum Purgieren, die Wetterregeln traten in den Hinter­führungsheft seine Rede vom 29. Juli( nicht Juni) 1890 zitiert, so den Stampf zwischen Hektor   und Achill   und die Auslösung der Leiche grund, und statt dessen machte sich neben praktischen Mitteilungen zitiert er sie sehr schlecht und läßt alles aus, was ihr damals das Hektors durch König Priamus   veranschaulichen. Neben und hinter über den Bostverkehr, über Münzen, Gewichte usw. das belehrende eigentümliche Gepräge gab. Nach dem Kriege wird man darauf diesem Hause ist ein ganzes Labyrinth von Kellern, von Gärten, und unterhaltende Glement mehr und mehr geltend. Der Kalender zurückkommen dürfen. Heute nur zwei Urteile über die Eröffnung. von wiederhergestellten Häusern erstanden, das in seiner Größe und trat nun erst mit der Literatur in enge Beziehung; die Buchform Eines aus der Deutschen Tageszeitung":" Daß im Festipruch auch Lebendigkeit außerordentlich eindrucksvoll wirkt. Das Haus hat die verdrängte die Tafelform völlig, und seit 1720 etwa wird der Al­die schönen Worte Deutschland  , Deutschland   über alles" enthalten Treppe bewahrt, die nach dem oberen Stod hinaufführt, die beiden manach ein wichtiger Teil des Schrifttums, ein ebenso vielseitiges waren, und daß der Redner fich durchaus auf großdeutschen, aller Bugangstüren, den gemalten Deckenhimmel, der sich über die Vor- wie aktuelles Buch, das besonders den Interessen der Damen durch Barteieinseitigkeit fernen Boden stellte, trug wesentlich zur all- balle spannt, einen Wandschrank und Marmortische, die von Künstler- Aufnahme von Gedichten und Modeberichten entgegenkommt. Welche gemeinen frohen Stimmung der Gäfte und zum hoffentlich dauernden hand bemalt sind. Ueberraschend an üppiger Pracht und nst Bedeutung der Kalender in der Geschichte unserer Literatur und Erstlingserfolg der jungen Bühne bei." Das andere aus dem lerischen Reizen sind die Zimmer mit ihren Säulen, ihren Studs besonders in der Entwickelung unserer Klassischen Lyrik spielt, be­Reichsboten":" Wir können nur wünschen, daß in diesen Räumen verzierungen und mit ihrem reichen Bildschmuck, wie er schöner und weist die Tatsache, daß sich jede neue poetische Richtung von nun eine Kunst für das Volk gepflegt werden möge, die neben dem Zwede feiner bisher in Pompeji   noch nicht gefunden wurde. an einen eigenen Kalender schuf, vom Göttinger Musenalmanach  der Stärkung wahrhaft vaterländischen Geistes eine von Sonder- Zwischen all diesen Wundern befindet sich eine Gruppe von an über den Schillerschen und die zahlreichen romantischen Al­tendenzen freie Pflege des Edlen, Wahren und Schönen sich angelegen Skeletten, die noch die Stellungen zeigen, in denen sie der Tod manachs bis zu den Musenalmanachen der Jüngstdeutschen. Das fein lasse." überraschte. Es wurden auf einem Platz neun Personen ge- Rofofo machte aus dem Kalender ein Buchkunstwerk, das den fein­Und nun die Wahl des Stückes: Am 18. Oktober 1890 funden, die ersichtlich in dem Steller Schuß gesucht hatten, und sten Duft dieses eleganten, das Niedliche und Bikante betonenden begann man mit den Stüzen der Gesellschaft". Den jetzt die die Furcht, daß der Aschenregen ihnen den Ausgang versperren Stils atmet. Die Kalender waren so winzig, daß sie fogar als angesezten Göz", dieses zweideutige und fast reaktionäre würde, schließlich nach oben getrieben hatte, wo sie an der Schwelle Berlocquen an der Uhr getragen werden konnten; in den seidenen Drama, das damals in der Freien Volksbühne   undenkbar des hängenden Gartens den Erstickungstod fanden und auf das und vergoldeten Einbanddecken waren Spiegel und Täschchen mit gewesen wäre, wollte das Schickial wohl eben deswegen nicht Aschenbett santen, das das Grab der Stadt wurde. Eine der Leichen Necessaires   angebracht, die Almanache mit feinen und dauerhaften haben und griff daher im legten Moment mit zerstörendem ist die eines kleinen Mädchens. Sie umschlingt die Brust einer Er- Parfüms getränkt. So wurde der Damenalmanach zu einem Finger in eine Maschine des neuen Theaters. So behali wachsenen, wahrscheinlich auch einer Frau, als wenn sie dort Hilfe Bierstück des Boudoirs, und seinen höchsten Reiz verlieh ihm die man sich mit dem jugendfrohen, aber altersschwachen Lustspiel fuchen wollte. Eine andere Leiche liegt auf dem Bauch. Es ist die Kunst des Kupferstechers, die ihn mit entzückend feinen, auf flein­Björnsons Wenn der junge Wein blüht". Mit der Ge- eines Jünglings, der noch an den Füßen die Sandalen mit den ster Fläche ein reiches Leben entfaltenden Blättern schmückte. Der Dies war der innerste Ursprung all seines Fleißes, in Wirklichkeit war alle Arbeit seinem franken Körper zuwider - und war es gewesen, seitdem er Kind war.

1]

"

Ueberfluß.

Von Martin Andersen Nerö. Einzig autorisierte Ueberseßung aus dem Dänischen von Hermann Kiŋ. 1.

Das Leben hatte ihn im Stich gelassen! Keine schwellende Blutfülle war in ihm, fein Schimmer von Uebermut in feinem grauen Blick, keine Spannung über­starker Muskeln in seinem Körper.

Sein Störper war wie eine Gegend, verheert von Seuche und Dürre, wo das Leben allerorten floh und dem nächsten Ansiedler dem Tode den Platz räumte.

-

-

Ja, versengt war er, fieberdürr, mit etwas unreiner Feuchtigkeit in den ausgetrockneten Flußläufen. Unfruchtbar, cußerstande, das geringste Leben zu erzeugen, aber ertötend für jeden Samen, jeden Keim, der sich hierher verirrte. Und mehr als das. War er nicht wie eine tote Hand auch für seine Umgebung, erstarben nicht Lächeln und Jugend auf der Lippe derer, die sich ihm näherten? Er war in der Tat ein Bestloch, ein giftiger Sumpf, der weit über sich selbst hinaus tödlich wirkte.

Und erst sechsundzwanzig Jahre! Er war gezeichnet!

In Jahr und Tag hatten andere ihn wie einen vom Tode Erforenen behandelt. Die Miten seufzten, wenn sie ihn sahen, wie vieles doch in die Erde wandern sollte. Er war für sie der Inbegriff aller gesunden Jugend, sittlich, streng ernsthaft, eine suchende Natur. Nur den Frieden in Gott   hatte er nicht, aber das würde schon kommen, bei seinem ernſten Suchen mußte es fommen. Und sie behandelten ihn wie einen, der Gott   nahe stand.

Auch die Jugend hatte ihn gezeichnet. Sie verkehrte aus Mitleid mit ihm, machte aber am liebsten einen großen Bogen um ihn, wie um einen Kirchhof.

das Zugeständnis erst gemacht war, überfiel ihn die Tatsache mit unheimlicher Stärke und verdrängte alles andere aus seinem Sinn.

Gesund war er nie gewesen; er konnte sich jedenfalls nicht dar mis kesinnen. Aber in seiner Kindheit hatte er doch so einigermaßen mit den anderen Kindern Schritt halten können, war wie sie in die Schule gegangen, ohne nennenswerte Unterbrechungen, war wie sie zum Studium angehalten worden und hatte seine Eramina bestanden, sogar in ver­hältnismäßig kurzer Zeit ganz wie sie.

--

Bei alíedem hatte er das ewige Nagen in seinem Innern immer wacher und wacher verfolgt. Aber er ertränkte das Gefühl in Fleiß und lebermüdung, suchte Schmerzen und Unwohlsein, Straftlosigkeit und Flimmern vor den Augen einfach wegzuerklären, schob die Schuld auf Uebergangsalter und Bubertäter hatte sich ja so spät entwickelt. Und er klammerte sich an diesen Punkt, die späte Entwidelung: war er doch noch mitten im Uebergangsalter, gerade in der kriti­schen Periode. Er fühlte schon einen Fortschritt; und wenn er über den Berg weg war, so würde es mit reißender Ge­schwindigkeit vorwärts gehen.- So betrog er sich lange Zeit selbst.

Das Kriterium für seinen wirklichen Zustand, das die Auffassung der Umgebung für ihn hätte sein können, zer­störte er, indem er ihr von vornherein andere Beweggründe als die wirklichen unterschob. Bei vielen war es Neid oder Schadenfreude, wenn sie mit ihrem: Herr Gott, wie schlecht fichst Du aus!" zu ihm kamen. Bei anderen wars Gefühls­duselei; sie liebten es, die Leute totzuschlagen, um sie her­nach beweinen zu können. Namentlich für die Familie galt das lettere, jede Familie hatte gern ihr Schmerzens find, so gut wie ihren begabten Jungen; nun hatte man ihn zu beiden erforen... das war so pikant!

-

-

Es gelang ihm tatsächlich, seiner Umgebung und durch sie sich selbst Sand in die Augen zu streuen. Nur der Vater, den er am meisten liebte, bot nicht die Hand dazu, die falschen Illusionen zu nähren; und das erfüllte den Sohn mit einer Bitterkeit, die sich allmählich stark dem Haß näherte. Aber dann famt der Zusammenbruch.

Er kam nicht in der Form einer ungestümen Enthüllung, nicht einmal plöglich. Jahr auf Jahr hatte sich Gering­fügiges zu Geringfügigem gehäuft; alle die Tatsachen, die er zu einem Nichts verleugnete, hatten sich aufgetürmt und einen unsichtbaren Berg gebildet. Und eines Tages, ganz unber­mittelt, während er unterrichtete, nahm es feste Form an und versperrte ihm den Weg als der massivste Koloß unum­gänglicher Wahrheit.

Es war nicht einmal ein Stoß für ihn. Nur ein bitteres Lächeln durchzuckte ihn, und er ertappte sich beim Nachsinnen, welche Geringfügigkeit wohl bewirkt habe, daß das Ganze sich kristallisiere- bis er zu dem Ergebnis gelangte, daß in Wirk­lichkeit alles die ganze Zeit hindurch sichtbar gewesen war. Schwieriger war es also nicht, sein eigenes Todesurteil zu fällen. Und er hatte gekämpft wie ein Wahnsinniger, bloß um eine Lebenslüge zu retten! Er war nahe daran gewesen, seinen Vater zu hassen, bloß weil der die gleichgültige Lüge nicht mitlügen wollte!-

Aber ein Zusammenbruch war es troßdemt.

Von dem Augenblick an, wo die Wahrheit ihm flar wurde, rich all sein Wille zum Leben. Der Unterricht hatte ihn stets ermüdet, nun vermochte er ihn nicht mehr fortzuseßen. Er konnte sich nicht bis zum Ende der Stunde aufrechthalten, sein Kopf wurde müde; es war ihm eine schmerzhafte Ueber­Da er jedoch zu nüchtern war, sich auf die Dauer mit windung, den Mund zu öffnen und zu sprechen. Und die Gedanken! Er konnte das Erforderliche nicht dieser Bertuschung beruhigen zu können, suchte er die Auf­faijung, die andere von ihm hatten, durch seine Arbeitskraft| denken, konnte überhaupt nicht im Zusammenhang denten.. zu beeinflussen. Obwohl ihm alles, was Bücher und Studium Sein Denken war Verbitterung und Resignation, er bäumte hieß, von Grund aus zuwider geworden war, seitdem er sein sich zu galligent Protest auf und sank hin in unüberwindliche Staatsexamen gemacht hatte, peitschte er sich dazu auf, weiter Lethargie. Und dann ärgerte er sich über weniger als eint zu studieren; und mitten in der für ihn strengen Arbeit für Nichts ärgerte sich, daß er laut und hysterisch vor der Klasse die Doktorpromotion, für die er nur aufrichtige Verachtung schrie und die Jungen lachten. Danach sank er zusammen und übrig hatte, unterrichtete er vier Stunden täglich, um nicht rührte sich auch nicht, wenn die Schüler auf die Bulte sprangen. Er wollte So schleppte er sich fast swei Jahre lang weiter, dann hinter dem ärmsten Studenten zurückzustehen. feine Umgebung in den Glauben versehen, daß er hinter löften er und der Schuldirektor die Verbindung. Sein Studium gab er auf nicht vorläufia, fondern fir Er war der legte gewesen, es einzugestehen. Aber als I feinem schwächlichen Aeußern eine eiserne Gesundheit verbarg.

Er zog das Alter an und stieß die Jugend ab- bedurfte es wohl eines besseren Zeugnisses? Das Leben hatte ihn im Stich gelassen, das fühlte er bis zum Ueberfluß in allem, jeden Augenblick am Tage. In dem heftigen Schwindel, der ihn ergriff, wenn er sich bloß ein wenig Lückte, in der Uebelfeit, so oft er etwas gegessen hatte, in dem mattmachenden Schweiß, wenn er schlief.

-

-