Nr. 74.- 1916.Unterhaltungsblatt des vorwärtsDienstag» 28. März.Unter ruPsihen Gefangenen.Von Sven Hedin.Seinen Beobachtungen und Erlebnissen aus dem West-tichen Kriegsschauplatz hat der sckwedische Forschungs-reisende Sven Hedm nun ebensolche aus dem Osten folgenlassen:„Nach Osten".(Verlag von F. A. Brockhaus-Leipzig. Große Ausgabe mit zahlreichen Abbildungen geb.10 M. Die gekürzte Soldatenausgabe kostet 1 M.) DieFrische und Unmittelbarkeit der Darstellung, die SvenHedin in all seinen Werken auszeichnen, geben auch diesenSchilderungen aus Ostpreußen, Galizien und Polen ihreBedeutung. Der durch jahrelangen Umgang mit vielenVölkern geschärfte Blick und die mannigfachen Sprach-kenntnisse erschlossen ihm vieles, was den Kriegsbericht-erstattern meist fremd bleiben mutzte.* n 12. März verbrachte ich den ganzen Tag in der Kirche vonSuwaUi. So oft ich konnte, benutzte ich die Gelegenheit, mich mitden Gefangenen zu unterhalten, ihren Betrachtungen über den Kriegzu lauschen, den sie alle verurteilten ihre malerischen Gruppen sichvon den erleuchteten Fenstern wie Schatten und von den goldenenHeiligenbildern wie schwarze Gespenster abheben zu sehen. Von demFeldwebel, der die Wache hatte, borgte ich mir einen Holzstuhl, unddann rief ich geeignete Typen herein, die mir Modell stehen odersitzen mußten. Während des Zeichnens plauderte ich mit ihnenund erhielt einen Einblick in ihr Leben, ibre Sorgen und Hofs-nungen. Ich könnte ein großes Buch mit Erzählungen davon füllen;denn die russische Volksseele ist unergründlich. Alle waren froh,daß sie gefangen waren, und hatten nie erfahren, weshalb sie sichschlugen. Tapfer und ausdauernd sind sie, solange sie in denSchützengräben stehen; wenn aber der Sturm losbricht und sieseine unwiderstehliche Kraft spüren, wenn die Offiziere gefallensind, dann verlieren sie leicht die Besinnung, werfen die Gewehre fortund halten die Arme hoch zum Zeichen, daß sie sich ergeben wollen.Während der Kämpfe, von denen ich vorhin einiges berichtete, geschah es einmal, daß eine ganze Kompagnie sich gefangen gebenwollte. Der Kompagniechef, ein Hauptmann, weigerte sich, mitzu-tun und wurde von seinen eigenen Leuten erschosien. Als seinLeutnant diesen schändlichen Mord sah, erschoß er sich selbst, woraufdie Kompagnie überlief. Helden und Memmen stehen so in derrussiscken Armee nebeneinander, und man kann wohl sagen, daßdie schlechten Eigenschaften der Soldaten sich verschlimmern, jelänger der Krieg dauert Da; Soldatenmaterial ist vortrefflich,und es ist ein Verbrechen, ganze Völkere außerhalb Rußlands inden Glauben zu wiegen, die Russen seien als Gegner nicht gefähr-lich und die russische Armee existiere zum großen Teil nur auf demPapier!Hier sitzt nun vor mir der sechsundzwanzigjährige MaximJwanowitsch Archarow aus Wladimir. In seiner Jugend hat eram Ufer der Kljasma gespielt und in seinem ManneSalter im102. Infanterieregiment Wjatka gedient, das zum 2. Armeekorpsgehört und in Friedenszeiten in Grodno liegt. Dorthin hattensich nach den letzten Kämpfen die Russen wieder in ungeordneterFlucht zurückgezogen, und auf dem Wege dahin wurde er am27. Februar gefangen genommen. Maxim trägt Soldatenmütze,Baschlik und Mantel, prächtige Stiefel und auf dem Rücken einenTornister mit seinen kleinen Habseligkeiten.Und hier ist Michael Nikitowitsch Nikitin aus der Umgegendvon Moskau. Einunddreitzig Jahre alt. Wie oft hat er nicht densilbernen Glocken des Iwan Welikij und dem Chorgesang in derUspenskij-Kathedrale gelauschtl Schön ist er nicht, und er wirdauch nicht durch die Pelzmütze verschönt, von deren struppigenZotten sein eigenes Haar nicht leicht zu unterscheiden ist.Mein Zeichenstift hält die Züge des Tataren Khairuddin ausKasan fest, eines Vierundzwanzigjährigen, der seit 1912 im 112.uralischen Regiment des 20. Armeekorps aktiv gedient hat und inWilna garnisoniert war. Am 21. Februar wurde er im Walde vonAugustowo gefangen. Nun betet er mit den übrigen Tataren inder Kirche von Suwalik sein„Bitzmillah errahman errabim", wenner in seinem Blcchtopf Fleischsuppe aus den deutschen Kesseln aufdem Kirchhof geholt hat.Während ich mit meinem Zeichenblock dasaß und einen altenSoldaten skizzierte, traten zwei deutsche Schwestern vom Roten Kreuzheran und fragte:: mich, wer der Junge wäre, der hinter meinemStuhl stände. Ich drehte mich um und gewahrte einen huschen, leb-hasten Knirps, der offenbar mit großem Interesse die Porträtierungbeobachtete.„Wer bist Tu denn?" fragte ich.„Ich bin Soldat in der russischen Armee, wurde aber leider am18. Februar am Bahnhof von Augustow gefangengenommen."„Du Soldat!? Du kannst ja kaum ein Gewehr tragen."„Ich bin mit einem kleinen Karabiner bewaffnet gewesen, undden habe ich auch gebraucht."„Wie heißt Du?"„Pawel Josifowitsch Koslowski."„Wie alt bis Du?"—„In siebzehn Tagen fünfzehn Jahre."„Bei welchem Regiment?"Beim 256. Infanterieregiment, wo ich als Telephonist gedienthabe."„Wo bist Du während des Krieges gewesen?"—„Ich bin seitdem 1. August dabei gewesen und habe den Marsch nach Ostpreußenmitgemacht, wo ich unter anderem drei Monate in Widminnen war."„Wo ist Deine Heimat?"„Ich bin aus Wilna; mein Vater ist dort Postmeister. Meinebeiden Brüder sind auch im Felde, der eine steiwillig, wie ich."All das erfuhren die Schwestern, und genau genommen fungierteich bloß als ihr Dolmetsch. Als sie weggingen, gaben sie Pawel dieHand zum Abschied. Da wendete er sich an einen Soldaten und sagte:„Sie hätten mir wenigstens ein Stück Schokolade geben können!"„Ach so. Du möchtest Schokolade?" sagte ich.„Nein, gewiß nicht. Ich scherzte nur."„Da hast Du ein paar Mark für Schokolade."Und nun war Pawel an der Reihe, Modell zu fitzen. Wirplauderten die ganze Zeit. Der kleine Kerl hatte ein gewinnendesWesen und war frisch und freimütig.„Können Jungen wie Du in die russische Armee eintreten?"fragte ich.„Ja, aber nur mit Zustimmung der Eltern."„Weshalb nahmst Du Kriegsdienste?"«Weil ich meine, sobald das Vaterland m Gefahr schwebt, ist esjedes waffenfähigen Mannes Pflicht, mit in den Krieg zu ziehen."„Und wer meinst Du wird siegen?"„Natürlich wird Rußland siegen. Man braucht ja bloß eineKarte anzugucken, um zu sehen, wievielmal Rußland größer ist alsDeutschland."„Aber Du weißt wohl, daß die deutschen Armeen überall aufrussischem Gebiet stehen und doch hat Deutschland auch noch Frank-reich und England und mehrere andere Staaten gegen sich."„Rußland hat auch vier Gegner, Deutschland, Oesterreich, lln.garn und die Türkei. Aber schließlich werden wir doch siegen; dennwir haben mehr Menschen als alle unsere Gegner zusammen."„Wie geht es Dir in der Gefangenschaft, Pawel Josifowitsch?"„Es macht sich. Langweilig ist es, und es wäre hübsch, wennwir etwa? mehr Brot bekämen. Aber die Deutschen sind gut gegenuns Gefangene. Sie sind auch Deutscher?"„Nein, ich bin Schwede."„Ach, da nehmen Sie mich mit nach Stockholm."„Wenn es erlaubt wäre, würde ich es gern tun. Aber es gehtnicht, mein Junge. Du mußt Dich gedulden, bis der Krieg zu Endeist. Dann kannst Du wieder nach Hause reisen...."Als ich in meiner grauen Lammfellmütze, ähnlich aussehend wiedie Russen, an das eiserne Gitter kam, von dem die Kirche umgebenist, und es öffnete, rief der Posten:„Wo willst Du hin? Mach, daßDu wieder zu den andern hineinkommst!" Ich zog meinen Ausweishervor, der Mann las ihn, schlug die Hacken zusammen und bat umEntschuldigung.„Sie haben nur Ihre Pflicht getan", sagte ich undbegab mich in meine Wohnung.(z)durch vortreffliche, ihrem Geiste emsig nachspürende Bearbeitungenvortragsgeeignet gemacht und nun erst eigenilich zu Kunstwerkengeschtlffen wurden. Die vorgetragenen Lieder entstammten demneuen Volksliederbuch für gemischten Chor.Das Konzert des Volkschors am letzten Sonntag in denakustisch freilich wenig geeigneten Germania-Prachtiälen war durch»weg auf heitere Volkslieder gestellt. Prachivolle Slücke warendabei, so vielgestaltig als farbig und charakreristisch, die allerdingswirklich geschulte Miichchöre voraussetzen. Der Berliner Volkschor,das darf ausgesprochen werden, bricht ihnen die Bahn durch vor-zügliche Wiedergabe. Es ist ein hoher Genuß, sich seinen Vorträgenhinzugeben.Besonders reizvoll war die? Programm durch die Einfügungvon solistischen zumeist norwegischen Volksliedern heilererGattung gestaltet, die Henrik Dahl, von Marta Dahl ver-ständnisvoll am Klavier begleitet, hier unseres Wissens zum ersten-mal vortrug.(Am Sonnabend hatte er im Choralioniaal ein ähnliches Programm vorgeführt.) Das Neuartige, Urwüchsige des indiesen Stücken hervorsprühenden Humors kam uns so überaus er-götzlich dank einer meisterlichen Gesangskunst und Mimik des Vor-tragenden zu Sinnen, daß der Froheit und eines geradezu stürmischenBeifalls kein Ende sein wollte. ek.kleines Zeuilleton.volkslieöer-ftbenü ües Serliner Volkschors.Schon bei einer früheren Gelegenheit habe ich an dieser Stelledie Ansicht vertreten, daß der Humor, sofern er sich in wahrhaftkünstlerischer Weise offenbare, zu jeder Zeit, also auch wohl währenddes Krieges, seine Berechtigung habe. Dieser Humor ist, wenigstensauf kurze Augenblicke, ein Sorgenbrecher und Schmerzbezwinger vonedelster Art. In dieser Erkenntnis hat die Leitung des Volkschorssich auch von jeher die Pflege des heiteren Liedes angelegen seinlassen. Doch auch noch aus anderen Gründen. Es gilt immer undüberall, der U n k u n st Schach zu bieten durch die Vorführungecht künstlerischer Gesänge. Unerschöpflich ist der Schatz unsereralten wie neueren Volkslieder, sowohl quantitativ, als namentlichso reich als lief an poetischem und musikalischem Gehalt. Ueberausfruchtbar aber beginnen diese Volkslieder zu wirken, seitdem sieDie öutter und das jugenSliche Wachstum.Wird jungen Tieren Butterfett verabreicht, so liefert es ihnen,nach Untersuchungen von Osborne und Waken, einen unerläßlichenzum Leben notwendigen Bestandteil, der ihre Entwicklung fördert.Es ist versucht worden, ihn zu isolieren, was jedoch nicht völlig ge-lungen ist. Der das Wachstum bei jungen Tieren fördernde Bestand-teil des Butterfelts ist dann auch in einzelnen anderen tierischenFetten nachgewiesen worden. In pflanzlichen Fetten und Oelen ister bisher nicht aufgefunden. Wenn man Ratten, die durch dauerndfettlose Ernährung bis zum äußersten abgemagert waren, Butter-fett gab, zeigte sich sehr schnell eine normale Entwicklung. Setzteman der fettlosen Kost etwa 50 Proz. Maiskorn zu, so zeigte sichauch eine normale Ernährung, setzte man 50 Proz. Weizenmehl zu,io trat zwar der Tod nicht ein, aber auch keine Erneuerung desWachstums. Diese Untersuchungen haben jedenfalls im Zusammen-hang mit der Verteilung der Buttermengen für Kinder ein gewissesInteresse._dle elektrische Schreibmaschine.Zwischen Gänsekiel und Schreibmaschine liegt ein recht erheb-liches Stück Fortichritt, und doch verdient die Schreibmaschine vonbeute, wie Porstmann im„Prometheus" ausführt, eigentlich ihrenNamen noch nicht. Sie ist ein Schreibwerkzeug, denn bei ihr ist, wiebei jedem anderen Werkzeug der Mensch der arbeitende Teil, dieMaschine dagegen ist ein Energietransformator, bei der der Mensch ledig-lich die Rolle des Lenkers spielt. Erst wenn die Arbeit der Schreibmaschinedurch tote Kraftquellen, also durch Elektrizität geleistet würde,während der Mensch seine geistigen Fähigkeiten nur zum Leitenbenutzt, wird die Schreibmaschine zur Maschine. Die elegantesteLösung wäre die, daß die Taster lediglich elektrische Schalter wären,wobei auch die Tastatur räumlich unabhängig vom Typenwerkwürde; da hierbei auch das Geklapper beseitigt werden könnte,so würde dadurch nicht nur Muskelarbeit gespart, sondern auchNervenkraft geschont. Daß der Elektrotyp der Schreibmaschine imBereich des Durchführbaren liegt, das beweisen die Apparate, diewir in Verbindung mit dem Telegraphen als Ferndrucker kennen.Nottze«.— Musikchronik. Frau Schnabel singt im nächstenKonzert der Volksbühne am Sonntag, den 2. April,mittags 12 Uhr, Lieder von Schubert und Brahms, Artur Schnabelspielt Klavierwerke von Beelhoven und Schumann.— Eine Kanone, die zum Schweigen verurteilti st. Ein Geschütz, das zur Vermeidung ruhestörenden Lärms seinFeuer einstellen muß, darf in dieser Zeit wohl als ein weißer Rabein der schwarzen Kanonenfamilie gelten. Dieses seltsame Geschützsteht zu Dundee in Schottland und erfüllte bisher die Aufgabe, dieStunden durch Abgabe einer entsprechenden Zahl von Schüssen an-zugeben. Da Dundee indessen heute stark mit verwundeten Soldatenbelegt ist, deren Nerven unter der anhaltenden Schießerei litten, sohat der Stadtrat angeordnet, daß die tägliche Angabe der Zeit durchden Mund der Kanone fortan zu unterbleiben habe. Durch das Ein,stellen des Feuers wird gleichzeitig dem Stadtsäckel jährlich ein Be-.trag von 2660 Mark erspart.64]Der Sang öer Sakije.Em Roman aus dem modernen Aegypten.Von Willi Seidel.Doch nun trafjhn etwas kalt und klar, wie Tropfen, dierhythmisch in den sumpf seiner toten Empfindung fielen undRinge auslösten, die ihn durchbebten.... Ein Gespräch, eineStimme: er sah über sich die dunklen Warzenhöfe kleinerBrüste schweben und ein geneigtes rundes Gesicht mitsaugenden Augen. Das Gesicht regte volle Lippen: es sprach.„Bey, womit haben wir sie gekränkt?— Was tun wirnicht, um sie zufriedenzustellen! Aber sie schenken uns keinenBlick..."Zlvei andere Hände, weiter entfernt, tauchten hervor uudhantierten mit leisem, bohrendem Geräusch am Napf derWasserpfeife.Und die Stimme sprach währenddessen wester, eintönig,einlullend, schmeichelnd:„Gewiß, Bey, sie berauben sich selbst. Schlagen sieuns!— Glauben sie, selbst das noch wissen wir zu schätzen.Mißhandeln sie uns l— Aber ihre Kälte ist grausam. Ha,wir werden uns wehren! Wir werden um uns schlagen!—Aber sicherlich, sie werden der Sieger sein... l"Diese Worte fielen auf ihn herab. Er bewegte sich heftig.Tie Erscheinung verschwand.Und doch, spürte er, blieben die Körper in semer Nähe...„Wallahi!" klagte eine Stimme hinter dem Nebel.„Ich bot ihm Unaussprechliches an, und er schlug nachmir..."Und eine andere Stimme wie ein Echo der ersten klagte:„Ai!— Er wünscht sich, was wir ihm nicht bietenkönnen..."„Gott ist groß! Gott weiß, was der Bey sich wünscht..."Leise girrend folgten sich die Stimmen, animalisch und ohneScham häuften sie Werbung auf Werbung, Angebot auf An-gebot, unablässig, grotesk und nackt, wie zwei buhlende Flötender Wasa....Langsam richtete sich Hassan auf und starrte in denNebel.„Das Bild!" sang es dort hinten.„Bey, wo blieb dasBild?"„Reize ihn!" fauchte es dazwischen.»Ah, mach ihn.wütend!— Er verschmäht uns!" jaus...„Ihr Hündinnen!" lallte der Bey.„Das Bild! Herlmit dem Bild!"„Hündinnen!" zischten die Töchter Achmed-Sef-el-Dinsund Jsmael-Pascha-Haschems...Er erhob sich und stürzte nach dorn. Zerrissenes Papierregnete auf ihn herab. Ein leichtes Kreischen entstand. Ertappte suchend herum. Die weißen Körper entglittenseinen Händen, und er brüllte wütend. Zwischendurch richteteer Verwüstung an. Sem Fuß zersplitterte ein Taburett; derRauchstsch, den er umwarf, vollsührte ein metallisches Ge-dröhn. Der Klang ernüchterte ihn flüchtig. Ein standhafterKlubsessel trat ihm sanft in den Weg; so gab er die Ver-folgung auf und torkelte auf den Diwan zurück. Böse in dieRichtung starrend, wo er die Fetzen des Bildes vermutete,suchte er wiederum nach dem Mundknopf der Pfeife und be-diente sich seiner, beharrlich saugend.— Dies beruhigte ihnnach und nach.Und doch, etwas war in ihm zurückgeblieben, dasihn dumpf quälte. Ach, dieses Fremde war nicht abzuschütteln,und es murrte in ihm; murrte um die Erfüllung eines Auf-trags, der ihn peinigte... Er hatte zu tun! Jetzt wußteer es! Er hatte zu tun I...Aber was? O, es muß sich zeigen! Es muß sich heraus-stellen!... Und irgendwie war diese murrende Unruhe mitden Stückchen der zerrissenen Photographie verknüpft, nachdenen er schier unbewußt immer noch spähte...Alles erlosch. Nur der Teppich schien zu wachsen. Erfüllte den Horizont; seine Muster wucherten in die Ferne,seine Farben durchtränkten glühend den Umkreis. Under war ganz und gar von weißen Papierstückchen ge-sprenkelt...Und auf ihm entstand eine Gestalt... Eine ganz helleGestalt. Sie kam verwischt heran. Auf einmal, wie miteinem Sprung, stand sie vor dem farbigen Wirrwarr, dersie schwärzte und ihr eine abscheidende Folie gab. Es warein magerer, weißer Knabe. Seine Augen waren schauder-hast leer und grau; sie wuchsen im Gesicht, wenn man insie hineinsah, und verschmolzen zu einer einzigen, tödlichnichtssagenden Masse, die doch aus zwei Augen bestehenblieb...Und darunter, scheinbar in ihnen, auf ihrem Grund,spalteten sich farblose Lippen und schürzten sich über zu-sammengepreßten Zähnen. Die Lippen liefen in spitze WinkelUnd die Gestalt gewann an Deutlichkeit. Sie bewegteden verschwommenen Kopf; die Lippen lächelten dünn, scharfund unsagbar höhnisch. Die Gestalt stand mit durchgedrücktenKnien, streng geschlossenen Beinen und knochigen Hüften da.Sie stemmte die Hände in die Weichen; aus ihrem kleinenMund brach etwas Gellendes, Scharfes hervor, wie eineFolge von Peitschenschlägen...Hassan fühlte Striemen an seinem Körper entbrennen;rote Male, die durch seine Kleidung leuchteten...Und die Gestalt wuchs, versteinerte sich gleichsam zueinem unverrückbaren Monument. Sie hielt eine Gerte inder Hand, mit der sie tändelte. Ein Hauch von Eis, einkalter, frostiger Hauch ging von ihr aus. als werde man plötzlich einem warmen Bad entrissen und heftigem Winde preis-gegeben....Hassans Körper brannte vom Frost und zugleich von derHitze der Striemen....Und siehe da, die Gestalt wandelte sich. Percy Aldridgestand dort.Er trug einen weißen Leinenanzug. Er war großund hielt sich sehr gerade. Auf der Lippe trug er blondenFlaum.Er hielt die Hände unter den aufgeschlagenen Schößendes Jacketts in den Hosentaschen. Er besah besinnlich seineSchuhe.Und plötzlich warf er den Kopf in denNacken und sagte etwas.„Wie belieben Sie?" fragte der Bey und fühlte seineBrauen vor nervöser Spannung zittern und in die Höhekriechen...„Halten Sic Ihren Tarbusch fest!"Ein leises Wutgeheul, wie das eines fernen Schakals,vibrierte irgendwo. Dem Bey schien es. es sei in ihm selberangeklungen; er verlegte sich aufs Lauschen, und es erleichterteihn...Nun hörte er es lauter und schärfer:„Halten Sie Ihren Tarbusch fest!"Hassau atmete schwer und keuchend.„Halten Sie ihnfest!" schrie jetzt die Stimme brutal wie eine Posaune.„Erlockert sich... Er lockert sich... Halten Sie ihn fest!"Ein wüstes Chaos von Tönen: schnarrenden, quinquilie-renken, rasselnden Instrumenten.Dann Totenstille.Eine Erschöpfung folgte.(Forts, folgt.)