Ar. 2.- 1917. Unterhaltungsblatt des vorwärts llimttrrst«! 4. Janvar. Mls öeutscher Nlaurer üurch öas Morgenlanü. Es ist ür der Allgemeinheit wenig bekannt, was von deutschen  Handwerksgesellen an Fußwanderungen geleistet wird. Meist ist man geneigt, den wandernden Gesellen als eine längst überlebte Erscheinung anzuseben. Das ist aber durchaus nicht richtig. Im Verhältnis zur Gesamtheit der gewerblichen Arbeiter ist die Zahl der Wandernden freilich zurückgegangen, an sich ist sie aber auch in unserer Zeit noch recht beträchtlich, und sie hat in Friedenszeiten sicherlich noch nach Zehntausenden gezählt. Die wirtichaitliche Be- beutung der wandernden Gesellen freilich ist sehr zurückgegangen. In der Zunftzeit, wo jeder Geselle wandern mußte, war fie sehr groß, da waren die Wanderburschen die eigentlichen Repräsentanten und Sachwalter der gewerblichen Arberterschaft. Davon ist heute nicht mehr die Rede. Heute ist es weniger ein Zwang, der den jüngeren Handwerksgesellen zu Bündel und Reisestab greifen läßt. Was heute wandert, ist von der Abficht getrieben, fremde Slädte zu sehen und vor allem die früh- liche Ungebundenheit, den heiteren bunten Wechsel des Handwerks- burschenleben? zu kosten. Wer wirklich aus wirtschaftlichen Gründen andere Orte aufsuchen muß. der»neidet die Landstraße und fährt mit der Eisenbahn, wo er sein Ziel in weniger Stundeu erreicht, als er auf der Landstraße Tage dazu brauchte. Aber von fenen Handwcrksburfchen. die aus reiner Freud« am Erlebnis zu.Berliner  " und Stenz greifen, werden auch heute noch Strecken zurückgelegt, die manchem sogar im V-Zug reichlich weit er­scheinen mögen. Kaum ein anderes Boll ficht feine jungen Handwerlsleute so auf weiten Reisen, wie sie von deutschen Burschen unternommen werden. Der französische   Handwerksbursche verläßt sein Sprachgebiet niemals. Der Engländer ist auf den Heerstraßen des Festlandes ganz un- bekannt. Dagegen reist die gewerbliche Arbeiterjugend Skandi« navierrs fleißig, wobei sie jedoch nur selten über die Städte der norddeutschen Tiefebene hinausgeht. Auch der Dentsch-Oestcrreicher gehört zu den Wandervögeln, dagegen ist das Reisen der Ungarn  und besonders der Italiener ganz anderer Art, es ist ein Jagen nach Arbeit, ein Stillsitzen, sobald die Arbeit gefunden ist, ein emsiges Sparen, dem mit dem Winter die Heimfahrt folgt. Das Wandern um des Manderns willen ist eine Eigenart der deutschen  Stämme. Sie war eS schon vor 100 und 200 Jahren. Der deutsche Tischler, Schlosser, Rlaurer und Zimmerer   wanderte und wandert bis heute nach Amsterdam  , nach Kopenhagen  , nach Riga   und Warschau  , besonders viel und gern auch nach den schweizerische» Städten Basel, Zürich  , St. Gallen  . Und die Verwegensten nnter ihnen zieht eine unbezähmbar« Sehnsucht nach Süden, über die Brennerstratze nach Italien  , wo nicht wenige dann der Versuchung unterliegen, ihren.Stenz" auch auf die Erde Afrikas   oder Asiens  zu setzen. Konstantinopel   und Jerusalem   sind die Hochziele dieser aberteuerlustigen Gesellen. Einer von ihnen hat kürzlich seine Reisen geschildert. Ein Maurer Fritz Ulrich   erzählt uns in einem handlichen Buche, wie er aus seinem mecklenburgischen Dorfe den Flug in die weite Welt wagte und schließlich.als deutscher Maurer durch das Morgenland' wanderte. Diesen Titel trägt das Buch, da» in Altona   im Selbstverlage des Verfassers erschienen ist; sein Preis beträgt 2 M. Ulrich hat seine Erlebnisie niedergeschrieben, und zwei andere Maurer, A. Winnig und A. Elbinger, haben fie druck» fertig gemacht. An diesem Buche fesselt vor allem das Stoffliche. Die Bearbeiter haben sich gehütet, etwas.Literarisches" au« diesen einfachen und ganz fachlichen Auszeichnungen zu machen. Die Schilderung ist ganz im leichten, ober durchaus nicht trockenen Erzählerton gehalten und feffelt durch die Fülle beä Erlebens und durch die ungeschminkte Wahrhaftigkeit auf jeder Seite. Sie beginnt mit einer armen Jugend, der der Verfasser da» Be« kenntnis voraufschickt, daß er schon von seinen Knabenjahren an einen starken Drang nach ungebundenem Wandern gehabt habe. Er rückt infolgedessen des öfteren aus, kann aber schließlich doch seine Lehrzeit beenden und gebt dann ohne allen weiteren Zeit» Verlust in hie Fremde. Im ersten Jahre begnügt er sich mit einer Rundreise durch Deutschland  . Danach ergreift ihn wieder der Wanderdrang, und er geht wieder loS. Diesmal nach der Schweiz  . In St. Gallen   gelüstet es ihn, die Alpenriesen von der anderen Seite zu sehen und dein schönen Italien   einen Besuch abzustatten. Er führt däS Borhaben aus, muß freilich erst einige Ge- fängnisie kennen lernen, ehe er in die Lombardei   gelangt. Der Kampf mit der Polizei begleitet ihn eigentlich auf der ganzen Reise. Bon besonderem Jntereffe ist, was Ulrich über die deutschen Kunden in Italien   erzählt. Man weiß bei unS gar nicht, wieviele deutsche HandwerkSburschcn dort auf und abwandern. ES sind ihrer vielleicht Tansende, und zwar eine sehr gemischte Ge» sellschast. Der bessere Teil sind die jungen Burschen, die. wie Ulrich. nur von ihrer Wanderlust getrieben dorthin ziehen, sich schlecht und recht durchfechten und nach etlicher Zeit wieder verschwinden, um entweder nach ferneren Gestaden zu kreuzen oder nach der Heimat zurückzukehren, um dem Lumpentum zu entfliehen. Eine ganz andere Nummer find jene Kunden, die sich lältgst heimisch gemacht haben und jahraus, jahrein dort wandern und al« Straßenbettler ihr Leben fristen. Ulrich stellt uns den Typ eines solchen Kunden vor. er trifft ihn erst in Genua  , ein Jahr später, bei einer zweiten Jtalienreise, in Rom  ; es ist der Kundenköuig, wegen seiner Gestalt und Haartracht JekuS genannt, der sich damals schon 26 Jabre in Italien   umher- trieb und in dieser ganzen Zeit nicht gearbeitet, sondern nur vom Straßenbettel gelebt hatte. Ulrich sucht als organisierter Maurer die italienischen Mourerorganisationen auf and berichtet mit merk­barem Stolz, wie gut man ihn dort aufgenommen bat. So durch- wandert er ganz Italien   der Länge im» bis nach Neapel  , wo er sich als blinder Passagier einschifft, um sich in Port Said   absetzen zu lassen. Run beginnt die Reise nach Jerusalem. Geld haben die drei jungen Burschen kein», aber viel Humor und Wagemut, der dann aber bei der Wanderung durch das syrische Wüstenland auf eine harte Probe gestellt wird. Indessen sie fechten und schlagen sich eine Weile durch. Bald erlangen sie ein Huhn, einmal eine» Hund, dann leben sie von Rei» und Datteln  . Sie be- gegnen reisenden Einwohnern, mit denen sie Mahlzeiten und Nachtlager teilen. Manches Abententcuer haben sie zu bestehen. Schließlich passiert ihnen das Mißgeschick, bei diesen Abenteuern auseinander zu kommen. Doch das Glück ist den Burschen doch wieder hold, in der Philisterstadt Navbia treffen sie sich wieder. Schlägereien mit Arabern, Zusammenstöße jener Art. für die das deutsche Strafgesetz den ß 175 enthält in bunter Reihe rollen die Erlebnisie ab. In Gaza   nimmt sich die türkische Polizei der Wanderer an nun geht'S per Schub nach der heiligen Stadt. Eine wunderliche Reise: die Burschen treiben sehr aktiv passive Resistenz und erreichen damit, daß sie als Reiier auf allerdings sehr traurigen Araberpferden ihren Einzug in Jerusalem   halten. Dos Leben in Jerusalem   schildert Ulrich sehr gründlich. Sie gelten offiziell als.fromme Pilger" und nehmen gern die Gaben an, die man ihnen als solchen bietet. Von dort gehtS ins Gebirge Gilead. Ulrich kommt an die HedichaSbahn, an der man»och baute, er macht sich mit den Arbeitern bekannt. Die Folge ist ein schwerer Opiumrausch, in dem ihn grausig« Traumbilder quälen. Noch nach dem Rausch ist Ulrich überzeugt,' daß er gestorben sei, er wandert blindlings in die Wüste und glaubt, daß er aus dem Wege ins 5ienseiS sei. In Damaskus   ruft ihn eine heikle Affäre, die gerade ein gutes Licht auf türkische Rechtspflege wirft, aber ganz ins Be- wußtseil, zurück. Von Damaskus   reist er mit der Bahn auf Kosten der Konsnlarbehvrde nach Konstantinopel   und bald von dorr nach der Schweiz   zurück. Unterwegs hat er aber noch Gelegenheit, an der Maifeier der Budapesier Genossen teilzunehmen. In St. Gallen  , von wo er die Reise angetreten, triff: er nach acht Monaten wieder «in und die Gäste des VereinShauseS machen wieder einen Europäer aus dem jungen deutschen Maurer. DaS Buch, von dem wir bier nur sehr wenig sagen konnten, ist außerordentlich lesenswert. Insbesondere sollten es unsere jungen Genossen lesen und sich an dem frischen Mut und dem prächtigen Lebenstrotz erfreuen, der dem Berfasier eigen ist und der ihn nie verlassen hat. Doch ist das Buch auch eine Art Kultnrdokument. Nicht in dem Sinne, daß es eine literarische Arbeiterleistung dar- stelle das ist nicht der Fall, obwohl es auch sprachlich, und stilistisch ein solides Buch ist. Aber es ist ein Kulturdokument, indem es Mensche» und Zustände schildert, die von den eigentlichen Reiseschilderern selten nein, überhaupt nicht erreicht werden. ix. kleines Keuilleton. Getreiüeöl. Der deutschen Kriegswirtschaft ist es gelungen, einen Weg auS- findig zu machen, auf dem jährlich 10000 Tonnen Oel au» Stoffen gewonnen werden können, die bislang der menschlichen Ernährung größtenteils verloren gingen. Es bandelt sich dabei um die Ge- winnung von Oel   aus Getreidekeimen, über die Karl Wachwitz im ..Prometheus" Mitteilungen macht. Neben den Keimen von Mais, die man in Amerika   bereits seit einiger Zeit auf Oel verarbeitet, können auch Körner unseres Brotgetreides, des Roggens und des Weizens, zur Oelgewinniing in großem Maßstabe verwandt werden, und mit dieser Aufgabe beschäftigen sich in Deutschland   wie in Oesterreich   die verschiedenen Kriegsausschüsse für Oele, Fette und Futterstoffe. Die Amerikaner verarbeiten den Mais haupisäch- lich auf Stärke, und das ZWaiSol verwenden sie in der Seifen-, Farben- und Firniserzeugung. Die Maiskeime enthalten etwa 25 v. H. Oel, und dieser Oelgehalt, der etwa 5 v. H. des ganzen Kornes ausmach!, läßt sich durch Zucht erheblich steigern. Ter nädjste Schritt zur Lclgewinnuug ist die Entkeimung der Körner, die in Deutschland   und Oesterreich-Uiigarn ohne besondere Kosten wirtschaftlich durchgeführt wird. Die Rückstände der Oelgewinnung werden der Landwirtschaft wieder zugeführt, so daß deren geringer Verlust an Fnttermenge durch die größere Güte des Futters wieder ausgewogen wird. Zur Sieigerrmg der Oelgewinnung aus Mais- keimen habe» die deutschen und die österreichischen Kriegsausschüsse Preise aus Verbesserung des Verfahret»« der Oelgewiiumng ausgr setzt. Beim Roggen kann die Entkeimung im üblichen Mühlen- betriebe durchgeführt werden; bei den Weizenkörnern dagegen sind besondere technische Einrichtungen erforderlich, zu deren Errichtung die deutsche Müllerei sich bereit erklärt hat. Bislang schenkte man den Getreidekeimen bei uns wenig Beachtung; sie gingen während des Mahlvorganges zum geringen Teil in das Mehl, zum größeren in die Kleie über, weil früher ibr Oelgebalt für die menschliche Er- nährung nickt benötigt wurde. Allein reine Roggen- und Weizen- keime enthalten rund 12 v. H. Fett uebcn je R v. H. Eiweiß und Kohlehydraten, und da die Oelgewinnung einen großen Teil des Gesamtgehaltes ausbeuten kann 1 v. H. des Gesamtgewichtes tvärc eine gute Ducchschniiisausbeuie so kommen ganz crheblicho Mengen zusammen. Nimmt man an. daß von den 15 Millionen Tonnen Getreides, die in Deutschland   jährlich vermählen werde». auch nur% vorder zur Oelgewinnung entkeimt werde», so lieser» diese Getrcidekeime jährlich 10 000, Tonne» Oel  , u»d dancbr» können sie noch 90 000 Tonnen Ei- und Fleischersatzi ergeben, und diese Mengen fallen für die Ernährung einer Bevölkerung von 70 Millionen ins Gewicht. Mochte man die so gewonnenen Fett- und Eiweitzmenge» ausschließlich den Bevölkerungskrcisen zugängig. die bei der Ernährung aus Schwierigkeiten stoße», so könnte nia» dieser Schwierigkeiten Herr werden. Das Getrcidcöl läßt sich von den unangenehmen Fettsäuren befreien und ist dann als Speiseöl oder auch als Rohstoff für die Margarineerzeugung van großem Werte. Die fahrende Schulzahnklinik. Eine fahrbare Schulzahnktinik Kai der Leiter der Dortmunder  Schulzahnklinik erfunden. Sie besteht ans eurem 6t- Meter laugen und 2K Meter breiten Wagen, der in seinem Innern alles ent­hält, was zu einer Zahnklinik gehört und io viel Raum bietet, daß in ihm gleichzeitig der Leiter der Zahnklinik» sein Assistent und eine Gebilfin arbeiten können. Große Fenster au einer Seite und Spiritusglühlampen ermöglichen stets ausreichende Beleuchtung. Natürlich ist der Wagen auch heizbar. Die Neuerung ist namentlich siir das Land von Bedeutung, in welchem die Schulzahnpflege sehr rückständig ist. Für die Schulkinder auf dem Lande, welche oft wegen der weiten Entsernung des Wohnortes ooin Sitze eines Zahlt- arztcs sich nur in seltenen Fällen in die Behandlung eines solche» begeben können, hflt man zuerst in der Provinz Hannover   durch Anstellung eines Arcisschulzahnarztes gesorgt. Dieser hat sämtliche Schulkinder in den Landgemeinden alle zwei Jahre zu untersuchen. Um den Kindern die Gewährung der zahnärztlichen Behandlung zu erleichtern, besucht der Kreisschularzt neuerdings die Gemeinden im Automobil und führt zur Behandlung der Kinder einen zerlegbaren Operationsstuhl, eine Bohrmaschine und das nötige Zubehör mit, so daß die Kinder vormittags in der Schule untersucht und nach- mittags behandelt werden._ Notlze». Vorträge. Die Anforderungen an ei« Deutsche- Kolonial- reich behandelt Direktor Friedrich Huvicld in einem Vortrage, mit dem am Freilag, den 5. Januar, abends 8 Uhr. die zweite Reihe der Oeffentlichen Vorträge de» Instituts für Meereskunde beginnt. Im Monistenbund spricht Freitag, abends 8'/, Uhr lim Humbserbräu. Tauentzinftr. 7), Dr. Magnus Hirschfeld   über:.Das ProstiiutionSproblem". Der.Mundfederhalter". Einen Federhalter, der zum Gebrauch Armloser bestimmt, also für armlose KriegSverletzle geeignet ist, ist von deutsche» Acrzten geschaffen worden. Der Mund ist«'s, der an Stelle der Hände da« Schreiben übernimmt, und demgemäß ist dieser Mundfedei Halter darauf eingerichtet, vom Gebiß gehalten zu werden. Der eigentliche Halter besteht auS zwei ver- schiebbaren Hülsen, mittels deren er auf verschiedene Längen ein« gestellt werden kann, außerdem erhält er drei Gelenkfiellen. DaS Papier muß beim Schreiben festgeklemmt werde», und e« versteht sich von selbst, daß da» Schreiben mit dem Mnndfederhaller in geduldiger Arbeit erlernt werden muß.--fut i2] Ums Menschentum. Ein Schiller-Roman von Walter von Molo  . »Freunde? Lehrer, sagen Sie? Ich weiß kaum ihre Siamen; Sie sind der einzige, der in meine Seele einzog. Wächter und Lehrer, die schwere Menge haben an mir herum- geschnitzt in den langen, traurigen Jahren, haben mich erzogen" l Mein Aug und Ohr vergaß sie schon, als sie noch neben mir standen. Und Freunde! Ach Gott  !" Tun Sie dem Scharffenstein nicht unrecht!" Er tritt bald aus; ich werde ihn dann nie mehr sehen!" Papperlapapp! Er wird Offizier und Sie werden Doktor, Arzt, Leibmedikus oder was weiß ich. Ihr werdet Euch noch oft genug in Stuttgart   auf die Zehen steigen. Wetten wir?" Wenn'S dem Herzog gefällt!" »Wird ihm schon gefallen!" Zwischen ntir und dem Herzog gibt eS keinen Frieden, Herr Professor; täuschen Sie sich nicht! Wir sind Todfeinde vom Anfang der Dinge her." Schiller  ! l" mahnte mit leisem Entsetzen der Lehrer,er ist Ihr Landesherr!" Jede Handlung des Menschen ist nur ein Glied in der Schicksalskette, die von Ammenlaunen oder schlechten Hof- meistern, vom väterlichen Temperamente und vom Blute der Mutter geschmiedet wurde. Warum lügen? ES gibt zwischen dem Herzog und mir keinen Kompromiß! Ich Hab' eS lange erkannt! Ich fühl's, lvenn sich auch die Feigheit in mir noch oft nach solchem sehnet und sich gegen die Erkenntnis spreizt; eS ist so! Er hat mich aus der Bahn geworfen und hat mich beschenkt. ohne daß ich ctwaS verlangte. Die gebende Hand ist stets i» Gefahr, gebissen zu werden. Er selbst ist schuld daran, daß ich ihn nur mit Wut sehe. Sr gibt mir als Gefangenem nicht die Distanz, ihn anders zu messen. Er herrscht mit der bewaffneten Macht und strengsten Gerichtsbarkeit, ich will auch herrschen! Mein Hirn ist meine Kaserne! Jeder Mensch muß ein Stücklein Welt haben, in dem er Gott   ist. Jeder! Soll ich nur für ihn leben? Soll alles zu Ende sein, wenn meine Brust den letzten Odem zieht? Seinetwegen? Leb' ich deshalb, um Ihm ein Steinchen auf dem Wege der Schöpfung zu sein, damit Er besser und trock- ncren Fußes durch ihre herrlichen Gärten ivandle? Keine Sekunde habe ich, die nlir gehört, alles ist eingeteilt, für Ihn! Wenn ich in mich horchen will, muß ich lügen; die Freiheit für ein paar Stunden muß ich mit Betrug erkaufen. Muß ich mich zur Schlechtigkeit erziehen lassen? Wo ist mein Menschcnrecht? Ich muß meine Gedanken töten, mein Hirn umspannen, wenn es ihm beliebt; mein Herzblut muß Habt-Acht stehen, wenn er es befiehlt. DaS ist Mord, dessen Befehltger dort an den Galgen gehöret! Hören Sie noch nicht das Malefizglöcklein der Freiheit, ich hör' eS klingen, es schreit, ich will es meinem Jahrhundert läuten Schiller  ! Um des Himmels Willen seien Sic still! Wenn unS einer denunzieret, sind wir verloren!" Wenn Sie Angst haben, so verlassen Sie mich!" Schiller  !" Vorwurfsvoll sah ihn der kleine Mann an. .Habe ich das verdient?" Ehe er sich versah, saß ihm ein heißer, inbrünstiger Kuß auf der dicken Hand. Die Tränen standen nun klar in Schillers schmerzvollen Augen.Aber was sollen sich denn die Leute denken?" sagte der kleine Mann verzweifelt und rieb verlegen den geküßten Handrücken. WaS sollen sich denn nur die Leute denken?" Der Menschheit Meinung Hab' ich stets verachtet!" Kommen Sie, kommen Sie?" Abel zog ihn hastig am Herrenhaus vorbei, neben dem der Galgen und der Pranger nntätig standen, hinein ins Bären-Gäßle. Nun, da Schillers Herz wieder die Oberhand hatte, wuchs Abels Ernte; er hielt die UeberredungS-Sichel bereit zum Schnitt. Auf der Stifts- Kirche schlug die Uhr. Ueber dem weiten Platze drüben standen die Akademicgebäude und sahen neugierig herüber. Endlich gelang Abel die geordnete Rede:Sckiiller. Sic müssen heraus aus der Akademie! WaS dem Durchschnitt frommt, paßt nicht für Sie. Sie müssen ein Probestück aus- arbeiten, vielleicht bewilligt Ihnen das Profeflorenkollcgium den Austritt zu früherem Zeitpunkt. Die Literatur muß einst- weilen ruhen. Man beweiset auch die Willensstärke im Kampfe mit sich selbst! Ohne Selbstzucht kein Meister! Stellen Sie Ihr Können einmal in einer»oissenschaftlichen Arbeit heraus und studieren Sie wie der Teufel, damit Sie zur Freiheit kommen!... ..Wenn Sie Ihr eigener Herr sind, dann treiben Sie die Poesie gewiß bis ans Lebensende, das weiß ich sicher, und das kommt, das Lebensende nämlich, hoffentlich erst sehr spät! Aber jetzt studieret und die Feinde mit den eigenen Waffen geschlagen! Ich werde Ihnen belfen! Sie dürfen nicht auf der Schulbank zerbrechen oder Schaden im Charakter leiden. Und wenn Sie Geld brauchen, so sagen Sic niir'S: ich Hab', Gott sei Tank, etlichen Mammon aus der Seite. Schiller, befolgen Sie meinen Rat, beherzigen Sie ihn! Ich tu' es ja nicht für mich! Und glauben Sic wieder an Ihre Freunde. Rennen Sie nicht weiter allein, wie die letzten Wochen. Verbittern Sie sich nicht! Innerlich können Sie ja einsam sein, aber äußerlich verträgt das kein Mensch; er hat so kein Gegen- gewicht, mit dem er den innern Reichtum tvägen kann und nur auf dem basieret die wirkliche Ueberleaenheit. Ihre Freunde gehen für Sie durchs Feuer! Lassen Sie ihnen aber auch das eigene Denke», Sie, unheimlicher Patron! Sic: Arme Leute kochen eben mit Wasser! Bedenken Sie das! Darf ich dem Petersen und de» andern sagen, daß Sie sich besinnen wollten? Die haben ci»e Todesangst um Siel" Professor Abel räusperte sich verlegen und schuldbewußt. Mau ist nämlich an mich herangetreten!" Schillers arg­wöhnischer Blick brannte auf ihm.Der Gedanke mit der Probearbcit aber, der ist von mir!" widerstand er stolz. Irgendwo klimperte ein Klavier, eine Mädchcnstimme sang:Blühe, liebes Veilchen Durchs Eßlingrr Tor rollte eine Karosse. Ein Stutzer, im violetten Frack, init Schonheits pflästorchen im Antlitz, promenierte vorbei. Er sah hochmütig Fritz Schiller an und dachte:.Ciel!(Himmel». Was für ein häßliches Gebilde; der macht doch sein Leben lang nicht Karriere!' Warme, gütige Luft glitt von den Rebenhügeln nieder und streichelte Schillers gequälte Stirn. Professor Abel zog an seinem Uhrband und zählte die Fenster des linken Akademietraktes. In Schillers Antlitz ivar Kampf und Rührung. Waren die Menschen doch am Ende gut? Die geballten Fäuste entspannten sich, die Falten auf der Stirn und um den Mund wurden milder; Fritz Schiller schlug die Augen auf. Sie leuchteten Ivieder hell und freudig. wie die Sonne nach stürmischem Wcttertag. Ich will!" sagte er und streckte Professor Abel warm blütig die Hand hin,ich danke Ihnen! Sie haben der Menschheit heute einen Dienst erwiesen!"--- (Forts, folgt.)