Ar. 2.- 1917.Unterhaltungsblatt des vorwärtsllimttrrst«! 4. Janvar.Mls öeutscher Nlaurer üurch öasMorgenlanü.Es ist ür der Allgemeinheit wenig bekannt, was von deutschenHandwerksgesellen an Fußwanderungen geleistet wird. Meist istman geneigt, den wandernden Gesellen als eine längst überlebteErscheinung anzuseben. Das ist aber durchaus nicht richtig. ImVerhältnis zur Gesamtheit der gewerblichen Arbeiter ist die Zahlder Wandernden freilich zurückgegangen, an sich ist sie aber auch inunserer Zeit noch recht beträchtlich, und sie hat in Friedenszeitensicherlich noch nach Zehntausenden gezählt. Die wirtichaitliche Be-beutung der wandernden Gesellen freilich ist sehr zurückgegangen.In der Zunftzeit, wo jeder Geselle wandern mußte, war fiesehr groß, da waren die Wanderburschen die eigentlichenRepräsentanten und Sachwalter der gewerblichen Arberterschaft.Davon ist heute nicht mehr die Rede. Heute istes weniger ein Zwang, der den jüngeren Handwerksgesellen zuBündel und Reisestab greifen läßt. Was heute wandert, ist von derAbficht getrieben, fremde Slädte zu sehen und vor allem die früh-liche Ungebundenheit, den heiteren bunten Wechsel des Handwerks-burschenleben? zu kosten. Wer wirklich aus wirtschaftlichen Gründenandere Orte aufsuchen muß. der»neidet die Landstraße und fährtmit der Eisenbahn, wo er sein Ziel in weniger Stundeu erreicht, alser auf der Landstraße Tage dazu brauchte.Aber von fenen Handwcrksburfchen. die aus reiner Freud« amErlebnis zu.Berliner" und Stenz greifen, werden auch heute nochStrecken zurückgelegt, die manchem sogar im V-Zug reichlich weit erscheinen mögen.Kaum ein anderes Boll ficht feine jungen Handwerlsleute soauf weiten Reisen, wie sie von deutschen Burschen unternommen werden.Der französische Handwerksbursche verläßt sein Sprachgebiet niemals.Der Engländer ist auf den Heerstraßen des Festlandes ganz un-bekannt. Dagegen reist die gewerbliche Arbeiterjugend Skandi«navierrs fleißig, wobei sie jedoch nur selten über die Städte dernorddeutschen Tiefebene hinausgeht. Auch der Dentsch-Oestcrreichergehört zu den Wandervögeln, dagegen ist das Reisen der Ungarnund besonders der Italiener ganz anderer Art, es ist ein Jagennach Arbeit, ein Stillsitzen, sobald die Arbeit gefunden ist, einemsiges Sparen, dem mit dem Winter die Heimfahrt folgt. DasWandern um des Manderns willen ist eine Eigenart der deutschenStämme. Sie war eS schon vor 100 und 200 Jahren. Der deutscheTischler, Schlosser, Rlaurer und Zimmerer wanderte und wandertbis heute nach Amsterdam, nach Kopenhagen, nach Riga undWarschau, besonders viel und gern auch nach den schweizerische»Städten— Basel, Zürich, St. Gallen. Und die Verwegensten nnterihnen zieht eine unbezähmbar« Sehnsucht nach Süden, über dieBrennerstratze nach Italien, wo nicht wenige dann der Versuchungunterliegen, ihren.Stenz" auch auf die Erde Afrikas oder Asienszu setzen. Konstantinopel und Jerusalem sind die Hochziele dieseraberteuerlustigen Gesellen.Einer von ihnen hat kürzlich seine Reisen geschildert. EinMaurer Fritz Ulrich erzählt uns in einem handlichen Buche, wieer aus seinem mecklenburgischen Dorfe den Flug in die weite Weltwagte und schließlich.als deutscher Maurer durch dasMorgenland' wanderte. Diesen Titel trägt das Buch, da» inAltona im Selbstverlage des Verfassers erschienen ist; sein Preisbeträgt 2 M. Ulrich hat seine Erlebnisie niedergeschrieben, undzwei andere Maurer, A. Winnig und A. Elbinger, haben fie druck»fertig gemacht.An diesem Buche fesselt vor allem das Stoffliche. DieBearbeiter haben sich gehütet, etwas.Literarisches" au«diesen einfachen und ganz fachlichen Auszeichnungen zumachen. Die Schilderung ist ganz im leichten, ober durchausnicht trockenen Erzählerton gehalten und feffelt durch die Fülle beäErlebens und durch die ungeschminkte Wahrhaftigkeit auf jeder Seite.Sie beginnt mit einer armen Jugend, der der Verfasser da» Be«kenntnis voraufschickt, daß er schon von seinen Knabenjahren aneinen starken Drang nach ungebundenem Wandern gehabt habe.Er rückt infolgedessen des öfteren aus, kann aber schließlich dochseine Lehrzeit beenden und gebt dann ohne allen weiteren Zeit»Verlust in hie Fremde. Im ersten Jahre begnügt er sich mit einerRundreise durch Deutschland. Danach ergreift ihn wieder derWanderdrang, und er geht wieder loS. Diesmal nach der Schweiz.In St. Gallen gelüstet es ihn, die Alpenriesen von der anderenSeite zu sehen und dein schönen Italien einen Besuch abzustatten.Er führt däS Borhaben aus, muß freilich erst einige Ge-fängnisie kennen lernen, ehe er in die Lombardei gelangt.Der Kampf mit der Polizei begleitet ihn eigentlich aufder ganzen Reise. Bon besonderem Jntereffe ist, was Ulrich überdie deutschen Kunden in Italien erzählt. Man weiß bei unS garnicht, wieviele deutsche HandwerkSburschcn dort auf und abwandern.ES sind ihrer vielleicht Tansende, und zwar eine sehr gemischte Ge»sellschast. Der bessere Teil sind die jungen Burschen, die. wie Ulrich.nur von ihrer Wanderlust getrieben dorthin ziehen, sich schlecht undrecht durchfechten und nach etlicher Zeit wieder verschwinden, umentweder nach ferneren Gestaden zu kreuzen oder nach der Heimatzurückzukehren, um dem Lumpentum zu entfliehen. Eine ganz andereNummer find jene Kunden, die sich lältgst heimisch gemacht habenund jahraus, jahrein dort wandern und al« Straßenbettler ihrLeben fristen. Ulrich stellt uns den Typ eines solchen Kunden vor. ertrifft ihn erst in Genua, ein Jahr später, bei einer zweiten Jtalienreise,in Rom; es ist der Kundenköuig, wegen seiner Gestalt und HaartrachtJekuS genannt, der sich damals schon 26 Jabre in Italien umher-trieb und in dieser ganzen Zeit nicht gearbeitet, sondern nur vomStraßenbettel gelebt hatte. Ulrich sucht als organisierter Maurerdie italienischen Mourerorganisationen auf and berichtet mit merkbarem Stolz, wie gut man ihn dort aufgenommen bat. So durch-wandert er ganz Italien der Länge im» bis nach Neapel, wo ersich als blinder Passagier einschifft, um sich in Port Said absetzenzu lassen. Run beginnt die Reise nach Jerusalem. Geld haben diedrei jungen Burschen kein», aber viel Humor und Wagemut, derdann aber bei der Wanderung durch das syrische Wüstenland aufeine harte Probe gestellt wird. Indessen— sie fechten und schlagensich eine Weile durch. Bald erlangen sie ein Huhn, einmal eine»Hund, dann leben sie von Rei» und Datteln. Sie be-gegnen reisenden Einwohnern, mit denen sie Mahlzeiten undNachtlager teilen. Manches Abententcuer haben sie zu bestehen.Schließlich passiert ihnen das Mißgeschick, bei diesen Abenteuernauseinander zu kommen. Doch das Glück ist den Burschen dochwieder hold, in der Philisterstadt Navbia treffen sie sich wieder.Schlägereien mit Arabern, Zusammenstöße jener Art. für die dasdeutsche Strafgesetz den ß 175 enthält— in bunter Reihe rollen dieErlebnisie ab. In Gaza nimmt sich die türkische Polizei derWanderer an— nun geht'S per Schub nach der heiligen Stadt.Eine wunderliche Reise: die Burschen treiben sehr aktiv passiveResistenz und erreichen damit, daß sie als Reiier auf allerdings sehrtraurigen Araberpferden ihren Einzug in Jerusalem halten.Dos Leben in Jerusalem schildert Ulrich sehr gründlich. Siegelten offiziell als.fromme Pilger" und nehmen gern die Gabenan, die man ihnen als solchen bietet. Von dort gehtS ins GebirgeGilead. Ulrich kommt an die HedichaSbahn, an der man»och baute,er macht sich mit den Arbeitern bekannt. Die Folge ist ein schwererOpiumrausch, in dem ihn grausig« Traumbilder quälen. Noch nachdem Rausch ist Ulrich überzeugt,' daß er gestorben sei, er wandertblindlings in die Wüste und glaubt, daß er aus dem Wege ins5ienseiS sei. In Damaskus ruft ihn eine heikle Affäre, die geradeein gutes Licht auf türkische Rechtspflege wirft, aber ganz ins Be-wußtseil, zurück. Von Damaskus reist er mit der Bahn auf Kostender Konsnlarbehvrde nach Konstantinopel und bald von dorr nachder Schweiz zurück. Unterwegs hat er aber noch Gelegenheit, ander Maifeier der Budapesier Genossen teilzunehmen. In St. Gallen,von wo er die Reise angetreten, triff: er nach acht Monaten wieder«in und die Gäste des VereinShauseS machen wieder einen Europäeraus dem jungen deutschen Maurer.DaS Buch, von dem wir bier nur sehr wenig sagen konnten, istaußerordentlich lesenswert. Insbesondere sollten es unsere jungenGenossen lesen und sich an dem frischen Mut und dem prächtigenLebenstrotz erfreuen, der dem Berfasier eigen ist und der ihn nieverlassen hat. Doch ist das Buch auch eine Art Kultnrdokument.Nicht in dem Sinne, daß es eine literarische Arbeiterleistung dar-stelle— das ist nicht der Fall, obwohl es auch sprachlich, undstilistisch ein solides Buch ist. Aber es ist ein Kulturdokument,indem es Mensche» und Zustände schildert, die von den eigentlichenReiseschilderern selten— nein, überhaupt nicht erreicht werden.—ix.kleines Keuilleton.Getreiüeöl.Der deutschen Kriegswirtschaft ist es gelungen, einen Weg auS-findig zu machen, auf dem jährlich 10000 Tonnen Oel au» Stoffengewonnen werden können, die bislang der menschlichen Ernährunggrößtenteils verloren gingen. Es bandelt sich dabei um die Ge-winnung von Oel aus Getreidekeimen, über die Karl Wachwitz im..Prometheus" Mitteilungen macht. Neben den Keimen von Mais,die man in Amerika bereits seit einiger Zeit auf Oel verarbeitet,können auch Körner unseres Brotgetreides, des Roggens und desWeizens, zur Oelgewinniing in großem Maßstabe verwandtwerden, und mit dieser Aufgabe beschäftigen sich in Deutschland wiein Oesterreich die verschiedenen Kriegsausschüsse für Oele, Fetteund Futterstoffe. Die Amerikaner verarbeiten den Mais haupisäch-lich auf Stärke, und das ZWaiSol verwenden sie in der Seifen-,Farben- und Firniserzeugung. Die Maiskeime enthalten etwa25 v. H. Oel, und dieser Oelgehalt, der etwa 5 v. H. des ganzenKornes ausmach!, läßt sich durch Zucht erheblich steigern. Ternädjste Schritt zur Lclgewinnuug ist die Entkeimung der Körner,die in Deutschland und Oesterreich-Uiigarn ohne besondere Kostenwirtschaftlich durchgeführt wird. Die Rückstände der Oelgewinnungwerden der Landwirtschaft wieder zugeführt, so daß deren geringerVerlust an Fnttermenge durch die größere Güte des Futters wiederausgewogen wird. Zur Sieigerrmg der Oelgewinnung aus Mais-keimen habe» die deutschen und die österreichischen KriegsausschüssePreise aus Verbesserung des Verfahret»« der Oelgewiiumng ausgrsetzt. Beim Roggen kann die Entkeimung im üblichen Mühlen-betriebe durchgeführt werden; bei den Weizenkörnern dagegen sindbesondere technische Einrichtungen erforderlich, zu deren Errichtungdie deutsche Müllerei sich bereit erklärt hat. Bislang schenkte manden Getreidekeimen bei uns wenig Beachtung; sie gingen währenddes Mahlvorganges zum geringen Teil in das Mehl, zum größerenin die Kleie über, weil früher ibr Oelgebalt für die menschliche Er-nährung nickt benötigt wurde. Allein reine Roggen- und Weizen-keime enthalten rund 12 v. H. Fett uebcn je R v. H. Eiweiß undKohlehydraten, und da die Oelgewinnung einen großen Teil desGesamtgehaltes ausbeuten kann— 1 v. H. des Gesamtgewichtestvärc eine gute Ducchschniiisausbeuie— so kommen ganz crheblichoMengen zusammen. Nimmt man an. daß von den 15 MillionenTonnen Getreides, die in Deutschland jährlich vermählen werde».auch nur% vorder zur Oelgewinnung entkeimt werde», so lieser»diese Getrcidekeime jährlich 10 000, Tonne» Oel, u»d dancbr»können sie noch 90 000 Tonnen Ei- und Fleischersatzi ergeben, unddiese Mengen fallen für die Ernährung einer Bevölkerung von70 Millionen ins Gewicht. Mochte man die so gewonnenen Fett-und Eiweitzmenge» ausschließlich den Bevölkerungskrcisen zugängig.die bei der Ernährung aus Schwierigkeiten stoße», so könnte nia»dieser Schwierigkeiten Herr werden. Das Getrcidcöl läßt sich vonden unangenehmen Fettsäuren befreien und ist dann als Speiseöloder auch als Rohstoff für die Margarineerzeugung van großemWerte.Die fahrende Schulzahnklinik.Eine fahrbare Schulzahnktinik Kai der Leiter der DortmunderSchulzahnklinik erfunden. Sie besteht ans eurem 6t- Meter laugenund 2K Meter breiten Wagen, der in seinem Innern alles enthält, was zu einer Zahnklinik gehört und io viel Raum bietet, daßin ihm gleichzeitig der Leiter der Zahnklinik» sein Assistent und eineGebilfin arbeiten können. Große Fenster au einer Seite undSpiritusglühlampen ermöglichen stets ausreichende Beleuchtung.Natürlich ist der Wagen auch heizbar. Die Neuerung ist namentlichsiir das Land von Bedeutung, in welchem die Schulzahnpflege sehrrückständig ist. Für die Schulkinder auf dem Lande, welche oftwegen der weiten Entsernung des Wohnortes ooin Sitze eines Zahlt-arztcs sich nur in seltenen Fällen in die Behandlung eines solche»begeben können, hflt man zuerst in der Provinz Hannover durchAnstellung eines Arcisschulzahnarztes gesorgt. Dieser hat sämtlicheSchulkinder in den Landgemeinden alle zwei Jahre zu untersuchen.Um den Kindern die Gewährung der zahnärztlichen Behandlung zuerleichtern, besucht der Kreisschularzt neuerdings die Gemeinden imAutomobil und führt zur Behandlung der Kinder einen zerlegbarenOperationsstuhl, eine Bohrmaschine und das nötige Zubehör mit,so daß die Kinder vormittags in der Schule untersucht und nach-mittags behandelt werden._Notlze».— Vorträge. Die Anforderungen an ei« Deutsche- Kolonial-reich behandelt Direktor Friedrich Huvicld in einem Vortrage, mitdem am Freilag, den 5. Januar, abends 8 Uhr. die zweite Reiheder Oeffentlichen Vorträge de» Instituts für Meereskunde beginnt.—Im Monistenbund spricht Freitag, abends 8'/, Uhr lim Humbserbräu.Tauentzinftr. 7), Dr. Magnus Hirschfeld über:.DasProstiiutionSproblem".— Der.Mundfederhalter". Einen Federhalter, derzum Gebrauch Armloser bestimmt, also für armlose KriegSverletzlegeeignet ist, ist von deutsche» Acrzten geschaffen worden. Der Mundist«'s, der an Stelle der Hände da« Schreiben übernimmt, unddemgemäß ist dieser Mundfedei Halter darauf eingerichtet, vom Gebißgehalten zu werden. Der eigentliche Halter besteht auS zwei ver-schiebbaren Hülsen, mittels deren er auf verschiedene Längen ein«gestellt werden kann, außerdem erhält er drei Gelenkfiellen. DaSPapier muß beim Schreiben festgeklemmt werde», und e« verstehtsich von selbst, daß da» Schreiben mit dem Mnndfederhaller ingeduldiger Arbeit erlernt werden muß.--futi2]Ums Menschentum.Ein Schiller-Roman von Walter von Molo.»Freunde? Lehrer, sagen Sie? Ich weiß kaum ihreSiamen; Sie sind der einzige, der in meine Seele einzog.Wächter und Lehrer, die schwere Menge haben an mir herum-geschnitzt in den langen, traurigen Jahren, haben mich„erzogen" l Mein Aug und Ohr vergaß sie schon, als sienoch neben mir standen. Und Freunde! Ach Gott!"„Tun Sie dem Scharffenstein nicht unrecht!"„Er tritt bald aus; ich werde ihn dann nie mehr sehen!"„Papperlapapp! Er wird Offizier und Sie werdenDoktor, Arzt, Leibmedikus oder was weiß ich. Ihr werdetEuch noch oft genug in Stuttgart auf die Zehen steigen.Wetten wir?"„Wenn'S dem Herzog gefällt!"»Wird ihm schon gefallen!"„Zwischen ntir und dem Herzog gibt eS keinen Frieden,Herr Professor; täuschen Sie sich nicht! Wir sind Todfeindevom Anfang der Dinge her."„Schiller! l" mahnte mit leisem Entsetzen der Lehrer,„erist Ihr Landesherr!"„Jede Handlung des Menschen ist nur ein Glied in derSchicksalskette, die von Ammenlaunen oder schlechten Hof-meistern, vom väterlichen Temperamente und vom Blute derMutter geschmiedet wurde. Warum lügen? ES gibt zwischendem Herzog und mir keinen Kompromiß! Ich Hab' eS langeerkannt! Ich fühl's, lvenn sich auch die Feigheit in mirnoch oft nach solchem sehnet und sich gegen die Erkenntnisspreizt; eS ist so! Er hat mich aus der Bahn geworfenund hat mich beschenkt. ohne daß ich ctwaS verlangte.Die gebende Hand ist stets i» Gefahr, gebissen zu werden.Er selbst ist schuld daran, daß ich ihn nur mit Wut sehe. Srgibt mir als Gefangenem nicht die Distanz, ihn anders zumessen. Er herrscht mit der bewaffneten Macht und strengstenGerichtsbarkeit, ich will auch herrschen! Mein Hirn ist meineKaserne! Jeder Mensch muß ein Stücklein Welt haben, indem er Gott ist. Jeder! Soll ich nur für ihn leben? Sollalles zu Ende sein, wenn meine Brust den letzten Odem zieht?Seinetwegen? Leb' ich deshalb, um Ihm ein Steinchen aufdem Wege der Schöpfung zu sein, damit Er besser und trock-ncren Fußes durch ihre herrlichen Gärten ivandle? KeineSekunde habe ich, die nlir gehört, alles ist eingeteilt, fürIhn! Wenn ich in mich horchen will, muß ich lügen; dieFreiheit für ein paar Stunden muß ich mit Betrug erkaufen.Muß ich mich zur Schlechtigkeit erziehen lassen? Wo istmein Menschcnrecht? Ich muß meine Gedanken töten, meinHirn umspannen, wenn es ihm beliebt; mein Herzblut mußHabt-Acht stehen, wenn er es befiehlt. DaS ist Mord, dessenBefehltger dort an den Galgen gehöret! Hören Sie nochnicht das Malefizglöcklein der Freiheit, ich hör' eS klingen, esschreit, ich will es meinem Jahrhundert läuten„Schiller! Um des Himmels Willen seien Sic still!Wenn unS einer denunzieret, sind wir verloren!"„Wenn Sie Angst haben, so verlassen Sie mich!"„Schiller!" Vorwurfsvoll sah ihn der kleine Mann an.„.Habe ich das verdient?" Ehe er sich versah, saß ihm einheißer, inbrünstiger Kuß auf der dicken Hand. Die Tränenstanden nun klar in Schillers schmerzvollen Augen.„Aberwas sollen sich denn die Leute denken?" sagte der kleineMann verzweifelt und rieb verlegen den geküßten Handrücken.„WaS sollen sich denn nur die Leute denken?"„Der Menschheit Meinung Hab' ich stets verachtet!"„Kommen Sie, kommen Sie?" Abel zog ihn hastig amHerrenhaus vorbei, neben dem der Galgen und der Prangernntätig standen, hinein ins Bären-Gäßle. Nun, da SchillersHerz wieder die Oberhand hatte, wuchs Abels Ernte; er hieltdie UeberredungS-Sichel bereit zum Schnitt. Auf der Stifts-Kirche schlug die Uhr. Ueber dem weiten Platze drüben standendie Akademicgebäude und sahen neugierig herüber.Endlich gelang Abel die geordnete Rede:„Sckiiller. Sicmüssen heraus aus der Akademie! WaS dem Durchschnittfrommt, paßt nicht für Sie. Sie müssen ein Probestück aus-arbeiten, vielleicht bewilligt Ihnen das Profeflorenkollcgiumden Austritt zu früherem Zeitpunkt. Die Literatur muß einst-weilen ruhen. Man beweiset auch die Willensstärke im Kampfemit sich selbst! Ohne Selbstzucht kein Meister! Stellen SieIhr Können einmal in einer»oissenschaftlichen Arbeit herausund studieren Sie wie der Teufel, damit Sie zur Freiheitkommen!.....Wenn Sie Ihr eigener Herr sind, dann treiben Siedie Poesie gewiß bis ans Lebensende, das weiß ich sicher,und das kommt, das Lebensende nämlich, hoffentlich erst sehrspät! Aber jetzt studieret und die Feinde mit den eigenenWaffen geschlagen! Ich werde Ihnen belfen! Sie dürfen nichtauf der Schulbank zerbrechen oder Schaden im Charakter leiden.Und wenn Sie Geld brauchen, so sagen Sic niir'S: ich Hab', Gottsei Tank, etlichen Mammon aus der Seite. Schiller, befolgenSie meinen Rat, beherzigen Sie ihn! Ich tu' es ja nicht fürmich! Und glauben Sic wieder an Ihre Freunde. RennenSie nicht weiter allein, wie die letzten Wochen. VerbitternSie sich nicht! Innerlich können Sie ja einsam sein, aberäußerlich verträgt das kein Mensch; er hat so kein Gegen-gewicht, mit dem er den innern Reichtum tvägen kann undnur auf dem basieret die wirkliche Ueberleaenheit. IhreFreunde gehen für Sie durchs Feuer! Lassen Sie ihnen aberauch das eigene Denke», Sie, unheimlicher Patron! Sic:Arme Leute kochen eben mit Wasser! Bedenken Sie das!Darf ich dem Petersen und de» andern sagen, daß Sie sichbesinnen wollten? Die haben ci»e Todesangst um Siel"—Professor Abel räusperte sich verlegen und schuldbewußt.„Mau ist nämlich an mich herangetreten!" Schillers argwöhnischer Blick brannte auf ihm.„Der Gedanke mit derProbearbcit aber, der ist von mir!" widerstand er stolz.Irgendwo klimperte ein Klavier, eine Mädchcnstimmesang:„Blühe, liebes Veilchen Durchs Eßlingrr Tor rollteeine Karosse. Ein Stutzer, im violetten Frack, init Schonheitspflästorchen im Antlitz, promenierte vorbei. Er sah hochmütigFritz Schiller an und dachte:.Ciel!(Himmel». Was für einhäßliches Gebilde; der macht doch sein Leben lang nichtKarriere!'— Warme, gütige Luft glitt von den Rebenhügelnnieder und streichelte Schillers gequälte Stirn. ProfessorAbel zog an seinem Uhrband und zählte die Fenster deslinken Akademietraktes. In Schillers Antlitz ivar Kampf undRührung. Waren die Menschen doch am Ende gut?Die geballten Fäuste entspannten sich, die Falten aufder Stirn und um den Mund wurden milder; Fritz Schillerschlug die Augen auf. Sie leuchteten Ivieder hell und freudig.wie die Sonne nach stürmischem Wcttertag.„Ich will!" sagte er und streckte Professor Abel warmblütig die Hand hin,„ich danke Ihnen! Sie haben derMenschheit heute einen Dienst erwiesen!"---(Forts, folgt.)