Wie der Präsident vor Festsetzung der Tagesordnung mit- theilte, beabsichtigt man, die Session am S. Mai zu schließen, was allerdings, wie der Präsident selbst zugab, kaum möglich sein dürfte. Die Etatberathung muß im Laufe der nächsten Woche zu Ende sein, da das Budgetjahr am 31. April abläuft. Da gilt's freilich mit Dampfgejchwindigkeit arbeiten. Morgen wird schon um 10 Uhr Vormittags angefangen, und man munkelt schon von Abendfitzungen. Donnerstag soll u. A. die Kantecki-Affaire und der An- trag Kryger(Ausführunc> des Prager Vertrags betr. die Ab- tretung von Nordschleswig an Dänemark  ) zur Verhandlung kommen. Warten wir ab! 18. April. Fortsetzung der Gewerbeordnungsdebatte. Die An- tragsteller haben das Schlußwort. Zuerst tritt auf der conser- vativ'e Antragsteller Helldorf. Derselbe ist durch die Zusage der Regierung, daß eine Aenderung der Gewerbeordnung in Aus- ficht genommen sei, befriedigt. Im Uebrigen plaidirt er für die con- servativen Anträge: Contraktbruchbestrafung, Lehrlingszwang zc. Aus den Reden dieser Herren duftet immer ein gutes Stück Mittelalter. Erwähnenswerth erscheint uns noch, daß der Herr Einführung der Arbeitsbücher zum Schutz der tüchtigen Arbeiter verlangt. Erfreut sich, daß die sozialistischen Ab- geordneten ihren Antrag eingebracht. Derselbe enthalte eine ganze Reihe von Bestimmmungen, denen die conservative Partei aus vollem Herzen zustiinme. natürlich vorbehaltlich einiger Aenderungen. Es sei zu hoffen, daß, wenn die Sozialisten in dieser Weise fortfahren, sie wohl warme Freunde des Arbeiter- standes bleiben, aber aufhören werden, Sozialisten zu sein." Wir fürchten, dem Redner steht eine grausame Enttäuschung be- vor. Neu ist jedenfalls die Theorie, daß wer einwarmer Freund des Arbeiterstandes" ist, kein Sozialist sein kann. Mit derwarmen Freundschaft" des Hrn. v. Helldorff und seiner Gesinnungsgenossen scheint es jedenfalls eine eigenthümliche Be- wandtniß zu haben', eine ebenso eigenthümliche, wie mit seiner Logik. Im Namen des Ccntrums folgt ihm als Redner Windt- Horst, auf den die bisherigen Debatten einen sehr erfreulichen Eindruck gemacht haben, im Gegensatz zu seinem Parteigenossen Westermeyer, auf den sie einen sehr traurigen Eindruck ge- macht. Die Polizei, der Staat, können nicht Alles thun; durch Gesetze allein sei den Uebelständen auf gewerblichem Gebiet nicht abzuhelfen. Die Menschen müßten sich Entbehrungen auf- erlegen, weniger dem materiellen Genuß nachjagen das und das allein werde dauernde Besserung schaffen. Also eine neue Spartheorie, mit der freilich Herr Schulze nicht ganz zufrieden sein dürfte. Wir müssen Aszeten werden, möglichst viel Bedürf- nisse uns abgewöhnen wer keine Bedürfnisse hat, kommt Gott  am nächsten, und ein Volk, welches fromm und geduldig Hungers stirbt, hat chen Gipsel des Windthorst'schen Gcsellschafts-Jdeals erklommen. Das ist freilich die gründlichste Lösung der sozialen Frage. Zu den sozialdemokratischen Anträgen übergehend, be grüßt er deren Einbringung als ein ebenso bedeutsames als er- freuliches Ereigniß. Die Sozialdemokratie habe damit den Bo- den der Gesetzgebung betreten. Bisher, das sei nicht zu leugnen, seien die Vertreter der Sozialdemokratie im Reichstag nicht so behandelt worden, wie es sich geziemt habe. Man sei sogar so- weit gegangen, sie mit dem Knüppel zu bedrohen(Abgeordneter Lasker   hüpft empor,(als habe er eine Ohrfeige bekommen). Man habe mit Schießen gedroht(Flinte schießt, Säbel haut). Das sei nicht der richtige Weg, die soziale Frage aus der Welt zu schaffen. Man müsse mit den Sozialdemokraten im Reichs- rag discutircn und ihnen, dabei gleichen Wind und gleiche Sonne gewähren. Sein verstorbener Freund Mallinckrodt habe die Anwesenheit von 30 Sozialdemokraten im Reichstag gewünscht. Er(Windrhorst) stimme mit Mallinckrodt überein. Was nun speziell unsere Anträge betreffe, so seien dieselben etwas einseitig; sie befürworteten zu sehr die Interessen der Arbeiter und vcr- nachlässigten die der Arbeitgeber(als ob letztere nicht über Ge- bühr bereits von der Gesetzgebung bedacht wären!). Hr. Windt- Horst erging sich dann in einen kleinen Exkurs über die Har- monielehre, der Max Hirsch   das Herz im Leib hüpfen ließ. Die Interessen von Arbeitern und Arbeitgebern seien nicht von ein- ander zu trennen. Wenn es dem Einen gut gehe, dann gehe es auch dem Andern gut; und wenn dem Einen schlecht, dann auch dem Andern.Betrübt" hat es die kleine Excellenz, daß Fritzsche bei Vertheidigung des absoluten Verbots der Sonntags- arbeit gesagt habe, die Sozialdemokraten stellten diese Forderung nicht aus religiösen Motiven. Die Religion biete die einzige Damals gelang es demVielbekannten" seine Gattin dahin zu be- stimmen, daß sie diesen ihren Entschluß bis nach der Wahl vertagte. Nunmehr ist das Unvermeidliche eingetreten. Damit dürften auch die Mittel desrühmlichst bekannten Volksmannes", welche erforderlich sind, einer theuern Schönen am Rhein  , einer Anderen in der Leipziger Straße  in Berlin   und einer Dritten in der Eichhornstraße die nichtsthuende Existenz zu fristen, erschöpft sein. Und dieser Mann redete und schrieb sich so oft in Extase über die angeblich von den Sozialisten verletzte Heiligkeit der Ehe! Aus derbesseren" Gesellschaft. Die Zeitungen berichten aus Berlin  :Eine Hebamme, die sich in Damenkreiscn einer zahlreichen Kundschaft erfreute und schon seit Jahren ein förmliches Gewerbe daraus gemacht haben soll, den Folgen eines allzu intimen Umganges mit Männern vorzubeugen, ist, wie die Zeitungen melden, kürzlich ver­haftet worden. Die Verhaftung ist erfolgt auf Grund einer Denunziation, worin die Hebamme beschuldigt wird, durch die von ihr in Anwendung gebrachten Mittel den Tod eines jungen Mädchens herbeigeführt zu haben. Zur Feststellung des Thatbestandes hat vorgestern Nachmittag aus dem Thomas-Kirchhof die Ausgrabung der Leiche der Verstorbenen stattgefunden. Nach den angestellten Ermit'elungcn bestand das gedachte Mittel der Quacksalberin aus einem höchst eigenthümlichen Präparat, nämlich aus Nadelspitzen, die sie mit anderen Substanzen, vermischt in Pillensorm, den ihrer Hilfe bedürftigen Patientinnen verabreichte. Der Prozeß wird voraussichtlich viel Aussehen erregen, da in demselben Damen aus den angesehensten Familien der Stadt als Zeuginnen auf- zutreten haben werden." Ein Liebesbrief an RobeSpierre. Ein Pariser Wochen- blatt, dieRovue des documcnts historiqucs", entreißt der Vergangen­heit ein Schriftstück, das trotz seiner mangelhaften Orthographie und malerisch unregelmäßigen Wortfügung ein interessantes Streiflicht auf die Stimmung der Gewüther in Frankreich   während der großen Revolution wirft. Es ist ein Liebesbrief, den eine junge Wittwe an den ihr per- fonlich unbekannten Robespierre   schreibt und der folgendermaßen lautet: Am 13. Prairial des Jahres II. r. Mein lieber Robespicrre! i,*«' Revolution begonnen hat, bin ich verliebt in Dich, allein * �bckettet und wußte meine Leidenschaft zu besiegen. Heute bin ®emi ich habe meinen Mann im Bendeekriege verloren und ich wltt �lr angesichts des höchsten Wesen dieses Geständniß machen. fi- mir, mein lieber RobeSpierre, daß Du für dieses Ge- standniß, das ich Dir mache, empfindlich sein wirst. Es wird einer Frau hart, ein solches Geständniß zu machen, allein das Papier ist ge- dmdig und man errölhet weniger aus dxr Entfernung, als wenn man einander gegenübersteht. Du bist meine oberste Gottheit und ich kenne keinen andern au; Erden als Dich. Ich betrachte Dich als meinen Schutzengel und will nur unter Deinen Gesetzen leben. Sie sind so Ueb und juß, daß rch Dir schwöre, mich mit Dir für's Leben zu ver- emigen, wenn Du ebenso frei bist wie ich. Basis einer friedlichen sozialen Reform. Es habe ihn daher auch so bitter geschmerzt ob der fromme Redner bei diesen Worten Thränen vergoß, konnten wir wegen der diplomatischen Brille nicht sehen daß sein College Galen am Montag aus- gelacht worden sei, als er von der göttlichen und christlichen Weltordnung sprach, nach welcher Staat und Gesellschaft einge- richtet werden müsse, wenn nicht Katastrophen eintreten sollten. Die Sonntagsfeier fei eine religiöse Pflicht, und den Herren Meistern, die ja ebenfalls Arbeiter seien, zu empfehlen, daß sie sich dieser Pflicht erinnerten, und zum Excmpel keine Minister- Conferenzen, Reichstags-Schließungen oder-Eröffnungen am Sonntag vornähmen. Redner protestirt nun gegen die Schaf- fung einer burcaukratischen Maschinerie zur Ueberwachung der gewerblichen Thätigkeit, und hat nun die Brücke gefunden, welche ihn auf das Feld des Culwrkampfes führt. Eine solche Ma- schinerie würde zu Culturkampfzwecken benutzt werden; er habe nicht vergessens, daß es in einer preußischen Stadt Jahre lang gedauert habe, ehe einem katholischen Schlächter die Erlaubniß zum Schlachten ertheilt worden, und habe man nicht in den letzten Jahren erlebt, daß zahlreiche Anstalten, die der Er- ziehung des Volkes in Fleiß und Gottesfurcht gewidmet waren, unterdrückt worden seien? Und so weiter u. f. w. Zum Schluß applizirt Windthorst dem kleinen Lasker noch einige kleine par- lamentarische Liebesgrüße und bittet die Regierung, doch ja da- für zu sorgen, daß die Commissiou, in welche die verschiedenen Anträge unzweifelhaft verwiesen werden würden, nicht zu einer Todtengräberei werden möge. Herr Wehrenpfennig hatte die nicht sehr schwierige Aufgabe, den Liberalismus gegen die Angriffe ded Centrums zu vertheidigen, und machte die leichte Sache sich dadurch doppelt leicht, daß er mit großer Hartnäckig- keit den Boden der Thatjachen vermied, und sich auf die Nebel- regionen der Phrase beschränkte. Amüsant war ein Vergleich der Sprache, welche die Vertreter des Centrums im Reichstag und der, welche sie außerhalb desselben führen. Nicht minder amüsant wäre freilich ein Vergleich der nationalliberalen Sprache außer- und innerhalb des Reichstags gewesen. Als letzter Redner trat Bebel   auf. In einstündiger, klarer Rede präzisirte derselbe die Stelluag der Sozialdemokratie zur Ge- werbeordnung und löste unter Darlegung der sozialistischen   Ziel- punkte die von den Gegnern erhobenen Einwände einen nach dem andern auf, und erläuterte dann, so weit es in einer Ge- neraldebatte angeht, die Hauptbestimmungcn und-Forderungen des sozialdemokratischen Antrags. Obgleich es an scharfen An- griffen auf die alten Parteien: Conservative, Centrum, National- liberale und Fortschrittler nicht fehlte, so hörte das Haus im Ganzen mit Aufmerksamkeit die Ausführungen des Redners an. Als Bebel geendigt, begannen die persönlichen Bemerkungen. Herr Lasker, der die Unannehmlichkeit, nicht das letzte Wort zu haben, und Angriffe hinnehmen zu müssen, ohne daß man darauf antworten kann, zum erstenmal empfand, jammerte, daß ihm die Geschäftsordnung nicht erlaube, den Vorredner zu widerlegen, meinte, er sei von Bebel   mißverstanden worden, hielt unter der Firmapersönliche Bemerkung" eine kleine Rede, die nichts weniger alsPersönliches" betraf, und suchte u. A. auch den famosenKnüppel" wegzuexplizireu. Dies gelang ihm aber so wenig, daß sogar Abgeordnete seiner eigenen Partei und Mit- glieder des Bureaus ihm die Fruchtlosigkeit seines Bemühens privatim nachweisen, und die Ungenauigkeit seiner beschönigenden Erklärung zugestehen mußten. Bebel   erzählte noch kurz die tragi-komische Geschichte des Lasker-Knüppels Windthorst unterhielt das Haus noch durch einige Witze ein paar Witz- und Erklärungsversuche Windthorft's und Klcist-Retzow's(welch' letzteren Fritzsche über eine mißverstandene Aeußcrung in seiner vorgestrigen Rede kurz zu belehren hatte) und die Debatte war zu Ende. Der Reichstag   beschloß einstimmig die Ver- Weisung sämmtlicher eingelaufener Anträge und Resolutionen an eine Commission. Wir Sozialdemokraten haben alle Ursache, mit der parla- mentarischen Campagne der drei letzten Tage zufrieden zu sein. Durch unsere Redner Fritzsche und Bebel sind die Ideen und Prinzipien der Sozialdemokratie in würdiger Weise zum Aus- druck gebracht worden, wohingegen auf Seiten der Gegner sich die traurigste Rathlosigkeit bekundet hat. Wir werden die Ver- Handlungen des Näheren besprechen und erwähnen einstweilen, daß der stenographische Bericht der Reden unserer Abgeordneten nebst einem zum Verständniß nöthigen Resumä der gegnerischen Reden in Hamburg   veröffcntlicht werden wird. Ferner sei noch erwähnt, daß man den Wunsch zu erkennen gegeben hat, Ich biete Dir als Mitgift die wahren Eigenschaften einer guten Republikanerin, vierzigtaujend Francs Renten und die zwciund- zwanzig Jahre einer jungen Wittwe. Wenn dieses Anerbieten Dir entspricht, so antworte mu, ich flehe Dich darum an. Meine Adresse ist an die Wittwe Jakin, poste restaute, Nantes  . Wenn ich Dich bitte, mir poste restante zu schreiben, so ist es weil ich fürchte, daß meine Mutter mich um meiner Unüberlegtheit willen auszanken möchte. Wenn ich so glücklich bin, von Dir eine günstige Antwort zu erhalten, so werde ich mich beeilen, sie ihr zu zeigen. Dann kein Ge- heimniß mehr! Adieu, mein Vielgeliebter, denke an die kleine Nan- teserin und an diese unglückliche Stadt, die von der Geißel des Krieges hart getroffen ist. Da Dein Verdienst Dir in der Nationalversammlung viel Einfluß giebt, so mache doch Anstrengungen, um uns aus dem Elend, in dem wir stecken, zu befreien. Ich spreche nicht für mich, son- dern für alle die braven Ohnehosen und guten Bürger. Antworte mir, ich bitte Dich, wenn nicht, werde ich zudringlich werden. Adieu noch einmal. Denke an die Unglückliche, die nur für Dich lebt. Verwende nicht das Siegel der Convention. Schreibe mir als ein- facher Privatmann." Wie schade, daß man nicht weiß, was Robespierre   dem verliebten Gänschen aus Nantes   geantwortet hat! Es wäre so kurios, den großen Revolutionär in der neuen Beleuchtung eines erotischen Correspondenten kennen zu lernen. Opfer der heutigen Ausbeutung. An einem Neubaue in München   ist ein Gewölbe eingestürzt, wodurch eine schwangere Tag- löhncrin erdrückt und einer andern Frau durch die herabstürzende Masse beide Füße zerschlagen wurden; ein Maurer, der ebenfalls schwere Verletzungen erhielt, verschied auf dem Wege zum Krankenhause. Während' tausende kräftiger Arbeiter hungernd auf den Straßen herum- zulaufen gezwungen sind, müssen schwangere Frauen, um den Hunger ihrer Kinder stillen zu können, Männerarbeil verrichten und ihr Leben lassen, so will es die heutige göttliche Weltordnung. Ein Prozeß um einen Esel. Unser Parteiorgan, dieChem- nitzer Freie Presse", hat schon eine ganze Reihe von Preßprozessen überstanden. Der merkwürdigste ist ihr aber doch wohl kürzlich zu Theil geworden. Das gedachte Blatt schreibt nämlich:Entrüstet über die abgeschmackten Beleidigungsklagen, die wir erlebt hatten, bildeten wir in denRaketen" einen Esel ab mit der Unterschrift: Quäle nie einen Esel zum Scherz, Denn er fühlt wie du den Schmerz" und mit dem Hinzufügen� Nun wollen wir doch sehen, ob sich hierdurch Jemand getroffen fühlen und Strafantrag wegen Beleidigung stellen wird." Und in der That, es ist geschehen. Durch das erwähnte Bild mit der angeführten Unterschrift hat sich beleidigt gefühlt und Strafantrag gestellt Herr Hermann TheniuS,Redakteur" desChem- nitzer Tageblatt". Wir haben nichts hinzuzufügen." Wir auch nicht. einen sozialdemokratischen Abgeordneten in die Gewerbeordnungs- Commission zu wählen, und daß unserseits Fritzsche dazu vor- geschlagen wird. Nach Erledigung der Gewerbeordnungs- Anträge trat das Haus in Wahlprüfungen ein. Die Wahl Weigel's in Hanau  wurde von Bracke in längerer Rede bestritten, vom Haus aber trotzdem mit großer Majorität für gültig erklärt. Eine größere Debatte entspann sich über die Wahl Hasenclever's im 6. Ber­ liner   Wahlkreis. Der Berichterstatter der Wahlprüfungs-Com- Mission, der nationalliberale L aporte, beantragte, auf ein- stimmigen Beschluß der Commission, die Ungültigkeitserklärung. Most kritisirte in längerer, scharfer Rede die Vorkommnisse bei der Wahl, die mangelhafte Anfertigung der Wahllisten, das liederliche Verfahren der fortschrittlichen Gemeindebehörden, die eigenthümliche Entstehungsgeschichte des Wahlprotestes und die nicht minder eigenthümliche Logik des Commissions-Berichts und -Antrags. Der Geschäftspolitiker Richter ließ sich in Erwartung eines Valentin'schen Schlußantrags zu einer neuen Köterattacke auf die Sozialdemokratie verleiten, wurde jedoch, da Valentin gleich dem alten Homer manchmal schläft, von Most so gründlich gezüchtigt, daß dem Burschen die Lust verging, sich weiter her- vorzuwagen. Der zufällige Umstand, dag unsere sozialdemo- kratischen Abgeordneten, um besser hören zu können, in seine Nähe gekommen waren, verursachte dem tapferen Geschäfts- Politiker solche Beklemmungen, daß das Papier mit den Notizen, welches er in der Hand hielt, wie Espenlaub zitterte. Der nationalliberale Dernburg, der in seinem Wahlkreis Offenbach   nicht die Courage gehabt hatte, seinem Gegenkandi- baten Liebknecht   Auge in Auge gegcnüberzutreten, fühlte sich, in Mitten der Scimgen, muthig genug, der Sozialdemokratie einen kleinen Treff zu versetzen und beschuldigte Most, eine Versammlung, in der er(Dernburg  ) während der letzten Wahl- bewegung referirt, gestört zu haben ein Pfeil, der von Most, da inzwischen Valentin sein Amt verrichtet hatte, in persön- lichcr Bemerkung auf den unglücklichen Schützen zurückgeschnellt wurde. Das Alles konnte indeß nichts am Resultat ändern. Bei der Abstimmung erhoben sich blos die Sozialdemokraten, der Däne Kryger und der Centrumsmann Schröder-Lippstadt für Giltigerklärung der Wahl. Die Wähler des 6. Berliner   Wahlbezirks werden die Antwort auf den Reichstagsbeschluß nicht schuldig bleiben. Die Sitzung dauerte bis 4 Uhr Nachmittags. Für die morgige Sitzung, die auf 12 Uhr angesetzt ist, stehen Wahl- Prüfungen, der Kantecki-Fall und der Antrag Kryger auf der Tagesordnung. Correspondenzen. z«5onflantin«per, 12. April. Was mich zunächst hier beschäf­tigen wird, ist die Constitution, womit die Türkei   nun auch vom Himmel gesegnet wurde. Der weise Prophet scheint es sich zu Herzen genommen zu haben, feine Glaubenskinder mit all den Vortheilen zu bescheeren; die den europäischen   Nationen durch die Constitution erwachsen sind. Als biederer Inwohner des Himmels wo nach den neuesten Ermittelungen der hie- sigen Hodjas(Schriftgelehrten) auch die constitutionelle Regie- rungsform eingeführt worden sein soll, um die glücklichen Seelen der verschiedenen Religionen verfassungsmäßig zusammen zu halten, hat Mohamed nun auch diese himmlische Beglückungs- sucht bis auf die Erde ausgedehnt und Mithad-Pascha war dazu bestimmt, das Sprachrohr zu sein, wodurch die guten Türken eines Morgens zu ihrem großen Erstaunen erfuhren, daß sie nunmehr auch glückliche Besitzer einer Constitution seien. Wenn ich den Ursprung der neuen Verfassung im Himmel suche, so darf man sich darüber gar nicht wundern: kommt doch aller Segen von Oben, sagt ein Dichter! Aber besonders darf sich der dickwanstige Bürger darüber gar nicht wundern, dem der con- stitutionelle Staat doch über Alles auf der Welt geht und der darin die Quintessenz der heutigen Regierungsweisheit sieht, und da eben dieser Spießbürger gewöhnlich auch ein treuer Verehrer des Himmels ist, so wird er wohl begreifen, daß die Beglückung der Menschen in constitutioneller Form von Oben kommt. Allein himmlisches Glück ist auch nicht ohne Dornen und der Beglücker der Türken, Mithad, war der Erste, an dem die constitutionelle Freiheit durch Unfreiheit erprobt wurde. Gerade so ivie bei Ihnen schon mancher Rechtsvertheidiger auf ein paar Jahre in eine Festung wandern mußte, so mußte unser Mithad, von der Constitution geschirmt, nach dem Auslande ziehen. Unterdessen ist allerdings die Verfassung in Kraft getreten und die Kammer tagt fleißig, und hat bereits die übliche Adresse in Antwort auf die Thronrede erlassen; nächstens wird derselben ein Haufen von Projekten vorgelegt, die, nachdem sie sorgfältig berathen, nach hiesiger Sitte nie zur Ausführung kommen werden. Wer die Türkei   genau kennt, wird von derselben keine Re- formen erwarten, denn es fehlt ganz und gar an Elementen, die dieselben zur Ausführung bringen könnten. Um dies zu er- klären, will ich einige Betrachtungen anstellen, über das Volk, auf dessen Boden auf so unverhoffte Weise die constitutionellen Freiheiten hingeworfen worden sind; und hier tritt uns zunächst die gänzliche Unbildung des Volkes entgegen, welches den Sinn einer Constitution gar nicht zu fassen vermag und dem ein ge scheidterer Monarch als Abdul Hamid   jedenfalls mehr Roth thäte als alle möglichen Constitutionen der Welt, von denen es nichts zu hoffen hat, da die höheren, durch und durch entsitteten Klassen doch nur jede Verfassung dazu benützen werden, um das Volk Hand in Hand mit dem Monarchen zu prellen, Abdul Hamid   selbst ist ein kranker und ungebildeter Mann, den bald die eine, bald die andere Grille leitet und der von der Ver- fassung eben keinen bessern Begriff hat, als der harmloseste seiner Unterthanen. Daß der Mann seine Zustimmung zur Constitution gab, hat darin seinen Grund, daß seine Rathgeber ihn davon zu überzeugen wußten, daß endlich einmal etwas ge- schehen müsse, um Sand in die Augen der allerchristlichen euro  - päischen Monarchien zu streuen, die um das Wohl der in der Türkei   lebenden Christen so besorgt sind, währenddem es ihnen gar nicht darauf ankommt, die Christen zu Hause am Hunger- typhus zu Grunde gehen zu lassen. Hiermit will ich natürlich keineswegs gesagt haben, daß die leidenden Christen der Türkei  keiner Unterstützung würdig seien. Für dasHeil des türkischen   Volkes darf man also aufAbdulHamid nicht bauen; er wird der Spielball der ihn umgebenden Rath- geber bleiben und trotz Constttution hängt nach wie vor das Gedeihen des Staates vom Großvezir ab, oder von sonst einer dem Sultan   nahestehenden Persönlichkeit. Der Großvezir kann eigentlich auch nicht selbständig handeln; er muß die Zustimmung des Sultans besitzen, sind aber bei diesem andere Einflüsse stärker als die des Großvezirs, so reducirt sich des letzteren Wirken auf Null.   Gegenwärtig ist gerade dies der Fall. Mahmed Pascha ist der Rathgeber vom Vertreter des Pro­pheten, und die ersten Resultate seiner Thaten waren leider ve- rcits verderbend für das Land, dem Mithad entzogen wurde,