Beilage zu Nr. 60 desVorwärts". Die Agitationen gegen das Reichsimpsgesetz.) C. R. Seit Einführung des Reichsimpfgesetzes vom 4. März 1874 haben die Agitationen gegen die Schutzpockenimpfung über- Haupt erheblich an Ausdehnung gewonnen, und es ist bis jetzt keine Sessionsperiode des Reichstages vorübergegangen, in der nicht eine Anzahl Petitionen um Abschaffung des Impfzwanges an die deutsche Volksvertretung gelangt wäre. Der Reichstag ist über diese Petitionen, den Vorschlägen der Petitions-Eom- Mission gemäß, stets zur Tagesordnung übergegangen, und auch eine von circa 80 Aerzten unterzeichnete Petition, an deren Spitze der praktische Arzt Dr. med. Meyner in Chemnitz   stand, hat keine Gnade vor den Augen des Referenten dieser Com- Mission, des Dr. med. Thilenius gefunden, denn er nennt die Unterzeichner derselben:Homöopathen, Wasserärzte, Vegetarianer oder sonstige Fachmänner von zweifelhaftem Gewicht;" er thut dies, obgleich er den nur mit Hochachtung zu nennenden Namen des bekannten medezinischen Schriftstellers Dr. Paul Niemeyer, der Professoren Dr. Germann, Hameruick und Rapp unter derselben begegnen mußte. Und die jener Petition beigefügten 251 Krankheitsgeschichten, nach denen nicht blos die Kuhpocken, sondern auch andere ekelerregende Krankheiten über- tragen wurden, existiren für den Referenten der Petitions- Commission entweder nicht, oder sie sind für ihn nur seltene Ausnahmen von jener Regel, nach welcher die Zwangsimpfung als eine durchaus wohlthätige Einrichtung zu erachten ist. Salus publica suprema lex sdas öffentliche Wohl ist das oberste Gesetz). Gleich dem Spartaner, der die schwächlichen Neugeborenen ohne Weiteres tödtcte, weil sie seinem Staatswesen späterhin doch nichts nützen konnten, so ist cs auch den Freunden der Zwangs- impfung Nebensache, ob eine Anzahl schwächlicher Kinder dadurch zu Grunde geht, oder ob einige Andere durch den leidigen Zufall mit einer ansteckenden Krankheit bedacht werden wenn nur der Gesammtheit dadurch Vortheile erwachsen. Wir wollen uns an dieser Stelle nicht über das von Freunden der Zwangsimpfung zu Gunsten der letzteren aufgespeicherte statistische Material ergehen, denn bekanntlich haben deren Gegner dasselbe nach allen Richtungen hin, und zum Theil nicht ohne Geschick bemängelt, sondern es handelt sich hier nur um Er- örterung der Frage: ob die Agitationen gegen die Zwangsimpfung sofern sie sich nicht gegen die Schutzpockenimpfung im All- gemeinen wenden, sondern nur gegen den Zwang**) berechtigt sind oder nicht? Bis vor wenigen Monaten konnte man diese Frage weder sicher bejahen, noch verneinen. Heute liegt die Sache anders, und es ist uns nur auffällig, daß eine seit Ende vorigen Jahres bekannte Thatsache, an der kein Zweifel mehr zulässig erscheint, denn sie kann in jedem Augenblicke durch das Mikroskop erwiesen werden, geflissentlich von den maßgebenden Kreisen im Reichstage, wie im Reichsgesundheitsamte ignorirt wird; eine Thatsache, welche unter allen Umständen eine wesentliche Abänderung der bislang bei der Impfung beobachteten Gebräuche herbeiführen muß. Zu besserer Erläuterung dieser Angelegenheit müssen wir etwas zurückgreifen. 'Die Gegner des Impfzwanges haben unter Anderm namentlich auch die Behauptung aufgestellt: daß Skropheln, Tuberkeln, Syphilis?c. mit übertragen werden könnten. Die Wissenschaft- liche Pathologie gestattet eine solche Annahme nur dann, wenn es gelungen ist, ein spezifisches Gift(also Skrophelngift, Syphilis- gsst N. s. w.) zu entdecken, mit welchem man durch Impfung die gleiche Krankheit bei Gesunden erzeugen kann. Dies ist bis jetzt hinsichtlich der Skrophulose und Tuberkulose nicht möglich ge- Wesen, obgleich es feststeht, daß erstere sich bei vorhandener Disposition hierzu nach der Schutzpockenimpfung ebenso entwickelt wie nach gewissen ähnlichen Jnfektions-Krankheiten(Scharlach, Masern, Pocken zc.) Dagegen ist die Uebertragbarkeit jener kntsetzlichen Seuche, der Syphilis  , vermittelst der Kuhpocken- lymphe erwiesen. Die Syphilis   gehört zu den constitutionellen, d. h. zu den auf den gesammten Organismus sich erstreckenden chronischen Erkrankungen und manifestirt sich entweder durch äußerliche, in die Augen fallende Erscheinungen, theils kann sie latent(verborgen) im Körper fortbestehen, wenn jene äußerlichen Erscheinungen fehlen oder längst beseitigt sind. Das syphilitische Gist ist nach den exakten Untersuchungen Baerensprung's, Köbner's, Viennois' u. A. an die Geschwürsabsonderung, an das Blut und an das Semen virile des Erkrankten gebunden, und namentlich steht es fest, daß man mit dem Blute des syphi- '.-tisch Angesteckten, bei dem sich nur ein kleines Geschwür an irgend einer Stelle des Körpers entwickelt hat und der sich sonst ganz wohl befindet, die Syphilis auf Andere übertragen kann. Dasselbe ist hinsichtlich des Blutes der mit angeborener Syphilis behafteten Kinder der Fall. Es ist deshalb bis jetzt eine von allen Jmpfärzten beobachtete Regel, unter keinen Umständen Lymphe zu venvenden, welche augenfällig Blutkörperchen enthält, und nach einer allgemein verbreiteten, zuerst von Viennois aufgestellten Annahme kann man bei Anwendung wasserheller Lymphe sicher sein, die Syphilis nicht zu über- tragen. Nicht geringes Aufsehen erregte es deshalb, als der durch seine eminenten Leistungen auf gewissen Gebieten der Medizin hinlänglich bekannte Professor Dr. Klebs in Prag   vor wenigen Monaten in einer Sitzung des dortigen ärztlichen Vereins mit der Behauptung auftrat: daß er bei der mikroskopischen Unter- suchung anscheinend wasserheller Kuhpockenlymphe in fast allen Fällen Blutkörperchen gefunden habe. Klebs hielt sogar deren Anwesenheit deshalb für vortheilhaft, weil man nunmehr ein sicheres Zeichen habe, ob die Lymphe direkt von der Kuh stamme, oder ob es sog. humanisirte Lymphe sei, denn die Blutkörperchen des Rindes unterscheiden sich von denen des Menschen wesentlich. Humanisirte Lymphe aber, von der Kuh auf den Menschen über- tragene und nach EntWickelung der Pockenpustel von dieser ent­nommene Lymphe, wird in fast jedem Falle menschliche Blut- körperchen enthalten. Es unterliegt nach Auffindung dieser Thatsache nunmehr keinem Zweifel, daß die seither von den Jmpfärzten ausgeübte Jmpfmethode, entweder von Arm zu. Arm zu impfen oder sich der Glycerinlymphe(mit Glycerin vermischter, *) halten uns zur Aufnahme dieses Aufsatzes verpflichtet, weil derselbe, abgesehen von seinem durchaus wissenschaftlichen Charakter, die Impffrage in ein wenigstens für das große Publikum ganz neues Licht stellt und über eine Entdeckung berichtet, die, wenn sie sich bestätigt, eine Reform der Impsaesetzgebung absolut nvthwendig macht. R. d. B. **) Beides ist doch wohl untrennbar. Bietet die Impfung wirklich Schutz gegen die Pocken, ohne- bei Beobachtung der nöthigen und möglichen Borsichtsmaßregeln Nachtheile zu bringen, die diesen Bor- theil aufwiegen, so ist der Impfzwang berechtigt, ebenso berechtigt wie der Schulzwang. Thut sie dies nicht, so ist nicht blos der Impfzwang, I andern überhaupt das Impfen zu verwer en. Das einseitige Borgehen gegen den Impfzwang scheint uns inconsequent. R. d.«. humanisirter Kuhpockenlymphe) zu bedienen, nicht mehr gestattet werden darf und daß die Möglichkeit einer syphilitischen An- steckung nur durch den Gebrauch der direkt von der Kuh ent- nommenen Lymphe ausgeschlossen ist. Denn daß die Syphilis latent sein kann, wurde schon früher erwähnt, und außerdem ist sie verbreiteter, als vielleicht Mancher glaubt, ganz abgesehen von dem zwischen den Pathologen herrschenden Streite: ob der Name Syphilis   nur einer ganz bestimmten Form der venerischen Erkrankungen zukommt, oder ob es nicht Uebergangsformen der letzterwähnten Krankheiten giebt, deren eine sich aus der anderen entwickeln könne. _ Wenn wir den Freunden des Impfzwanges nun auch zu- gestehen, daß die Kuhpockenimpfung für viele Personen ein auf mehrere Jahre währender Schutz gegen Blattern ist, so dürfen wir nach der Klebs'schen Entdeckung, über die sich Näheres in Nr. 3 der Prager medizinischen Wochenschrift und pag. 233 der medizinisch-chirurgischen Rundschau(1877) findet, wohl er- warten, daß von Seiten des Reichsgesundheitsamtes schleunigst die nöthigen Schritte in der oben bezeichneten Richtung gethan werden, und haben, wenn die direkte Impfung von der Kuh nicht durch- führbar sein sollte, oder wenn, wie verlautet, die der Kuh ent- nommene Lymphe bei vielen Personen weniger gut haftet als die humanisirte, lieber auf Aufhebung des Reichsimpfgesetzes hinzuwirken. Correspondenzen. Leipzig  . DerKampf mit geistigen Waffen". Ein netter Beruf das, besonders wenn er mit einigem Geschick be- trieben wird. Und daß dasLeipziger Tageblatt  " von beson- ders geschickten Künstlern in diesem Genre bedient wird, ist ebenso bezeichnend für dasselbe, als daß es gelegentlich mit seinen dunklen Zuträgern auf den Mund geklopft wird. Hier das neueste Belegstück dafür. Unterm 16. Mai d. I. berichtet ein solch' dunkler Zuträger(ob Leonhardt, postprozessualischen An- gedenkens dabei mitgescheert hat, wissen wir nicht) demTage- blatt" Folgendes: Man schreibt aus Crimmitschau  : Wie das hiesigeTage- blatt" mitcheilt, ist der bekannte sozialdemokratische Stadt- verordnete E. I. Schlegel aus der Stadt verschwunden, allem Anscheine nach, um einem Wechsel von 15,000 M. aus dem Wege zu gehen, welcher von einem in Dresden   wohnhasten Ge- schäftsfreunde desselben eingeklagt wurde. Das Accept   desselben soll auf einem Verfahren beruhen, welches man im gewöhnlichen Leben mit dem Ausdrucke Wechselreiterei bezeichnet." Am 17. Mai schon muß Cadeaux-Hüttner u. Co. und sicherlich schmerzbewegt Folgendes melden: Zur Berichtigung der aus denDresdener Nachrichten" auch in unser Blatt übergegangenen Notiz über den Stadtver- ordneten E. I.   Schlegel in Crimmitschau   geht denDresdener Nachrichten" von dem dortigen Vertreter des Letzteren, Herrn Advokat Dr. Wolf II., folgende Mittheilung zu: Herr Schlegel hat vor mehreren Jahren dem Gutsbesitzer Hermann Richter in Dresden   gegen Einräumung von Cautionshypotheken und gegen Bürgschaft eines Zwickauer   Sachwalters Wechselcredit ge- geben und steht ihm aus dieser Geschäftsverbindung an den ge- nannten Richter auch jetzt noch eine Forderung von ca. 27,000 Mark zu. Um der Klagbarmachung dieses begründeten An- spruches ein Paroli zu bieten, hat Richter neuerdings einen aus dem Jahre 1875 herrührenden, nur aus Versehen in seinen Händen gebliebenen Solawechsel über 15,000 Mark, von dessen Existenz er beim wiederholten Empfang von Contocorrentauszügen mit keiner Silbe gesprochen, neuerdings gegen Schlegel geltend gemacht und sich sogar erdreistet, Wechselklage einzureichen, lediglich in der Absicht, gegen seinen Gläubiger eine Pression auf Rücknahme der gegen ihn einge- reichten Klagen zu üben. Nachdem Richter bei der widerrecht- lichen Geltendmachung jenes ungiltigen Wechsels selbst dann stehen geblieben, als er sich mir gegenüber bereit erklärt hatte, die Schlegel'sche Forderung nach Höhe von 25,200 M. anzu- erkennen, auch jenes Papier über 15,000 Mark ohne Weiteres auszuhändigen und damit also indirekt den Besitz dieses Wechsels als einen widerrechtlichen selbst gekenpzeichnet hatte; so hat Herr Schlegel auf meinen Rath heute die Hilfe der Staatsanwaltschaft gegen Richter angerufen. Um das Ma- terial zu seiner sehr umfänglichen Anklageschrift herbeizuschaffen, mar Herr Schlegel gezwungen, wiederholt in Dresden   und Zwickau   zu verkehren und also von Crimmitschau   abwesend zu sein. Bei dieser Sachlage von einem Verschwinden des Herrn Schlegel zu sprechen, zeigt von einem leichtfertigen Umspringen mit dem ehrlichen Namen eines geachteten Mannes und hätte das Crimmitschauer Amtsblatt(aus dem dieDresdener Nach- richten" geschöpft haben) sich füglich erst genauer orientiren sollen, ehe es eine solche reme private Angelegenheit an die große Glocke schlug." Daß dasTageblatt", demman" auf dem bekannten Wege der Scheerenredaktion" von dembekannten sozialdemo- kratischen Stadtverordneten Schlegel" so und so schrieb, bei der Berichtigung den Titelsozialdemokratisch" nicht er- ivähnte, versteht sich von selbst. Der Vortheil treibt's Hand- werk. Wie schade, daß abermals die Lumperei unter anderer Firma zu suchen ist! Also, nicht wahr, Bodeck'chen, der sozial- demokratische Stadtverordnete Schlegel ist noch Sozial- demokrat, wenn auch der Schnitt Eurer Dampfscheere ihn nicht über die Linie des ehrlichen Mannes hinwegbefördert hat!? Müßt wieder schleifen lassen, Herr Nachbar! Natürlich die geistigen Waffen. Leipzig  , 23. Mai. Heute begeht der Cigarrenarbeiter Wilhelm Schumann von hier ein Jubiläum seltener Art. Derselbe hat nämlich heute vor 25 Jahren sein Amt als Kassirer der Krankenkasse der Cigarrenarbeiter und-Sorttrer für Leipzig   und Umgegend angetreten, und dasselbe in diesem langen Zeitraum in redlichster Weise für einen geringen Gehalt verwaltet. Was für ansehnliche Summen während dieser Zeit durch seine Hände gegangen sind, sei hier nur dadurch bewiesen, daß die Kasse innerhalb dieser 25 Jahre allein an Krankenunterstützung circa 220,000 Mark neben 30,000 Mark für Todtenopfer zahlte. Diese Kasse, welche jetzt ein Vermögen von ca. 29,000 Mrk. besitzt, ist stets in humanster Weise gegen ihre Mitglieder verfahren. So sind z. B. neben anderen hohen Posten Krankengeld allein einem langjährig kranken Mitgliede gegen 3300 Mark gezahlt worden, gewiß ein einzig dastehendes Beispiel. Die Verwaltung dieser Arbeiterkasse, welche nur von Arbeitern be- sorgt wird, giebt einen schlagenden Beweis dafür, daß entgegen den Jntenttonen, denen das neue Hilfskassengesetz entsprungen ist, die Arbeiter es wohl verstehen, ohne Einmischung der Re- gierungen oder der Fabrikanten mit der Verwaltung ihrer Kassen auf eignen Füßen zu stehen. Die Art und Weife, wie diese Kasse verwaltet wird, ist ein schönes Zeugniß für die Reife der Arbeiter zur Selbstverwaltung. Dem Jubilar sei hiermit herz- lichst gratulirt; möge es demselben vergönnt sein, noch lange Jahre seine Dienste den Arbeitern zu widmen. E. ei Hrohengain, 4. Mai. In dieser Zeit des maßlosen Elends hat man am besten Gelegenheit, zu sehen, wie der Arbeiter, der doch alles schafft, als Kanaille betrachtet und behandelt wird. In Zeiten, wo das Geschäft flott geht,erlaubt" man es schon einmal, daß der Arbeiter eine eigene Meinung hat, weil man seine gewinnbringende Arbeitskraft nvthwendig braucht, und man oersucht es nur, es ihm auf dem Wegegütlicher Vorstellungen" klar zu machen, daß er anBegriffsverwirrung" leide. Aber in Zeiten, wo, wie jetzt, Arbeitskraft in Hülle und Fälle zu haben ist, soll es Einer wagen, andrer Meinung zu sein, als es sein Brodherr wünscht er kann dann gewiß sein, daß ihm von seinem Fabriktyrannen derBrodkorb höher gehängt" wird. Besonders aber haben hierunter diejenigen Arbeiter zu leiden, die dem Sozialismus huldigen: man gibt ihnen einfach die Ent- lassung, wie das auch hier schon in einzelnen Fällen vorgekom- men ist. Weiter hat man aber auch Gelegenheit, zu sehen, wie von Verwaltungsbehörden nicht die mindeste Rücksicht auf be- stehende Verhältnisse genommen wird, wofür wir hier einen neuen Beleg liefern wollen. Bei der diesjährigen Einkommen- abschätzung z» den hiesigen städtischen Centralanlagen wurden die Arbeiter im Durchschnitt um 50 Mark, theilweise mehr, er- höht, so daß jetzt die Weber auf 450 Mark gegen 400 im Vor- jähr, und die Cigarrenarbeiter auf 500 gegen 450 im ver- gangenen Jahre veranschlagt sind. Zu dieser Abschätzung werden von den Fabrikanten Lohnverzeichnisse der Arbeiter geliefert und weisen diese Lohnverzeichnisse beider obengenannter Arbeiter- kategorien einen Durchschnittslohn von 525 Mark auf. Das städttsche Anlagenregulativ enthält nun einen Paragraphen, nach welchem die Gehälter der Beamten bei der Abschätzung um 2025 Prozent reduzirt werden. Nach stillschweigendem lieber- einkommen, wie es scheint, hatte man diese Reduktion schon seit mehreren Jahren auch auf die Arbeiterlöhne ausgedehnt, so daß dies Verfahren nun allgemein als rechtsgebräuchlich betrachtet wurde. Daß dies Verfahren auch ganz richtig ist, wird Jedem einleuchten, der annimmt, daß die Herren Fabrikanten das Ein- kommen der Arbeiter gewiß richtig angeben. Auf Grund dieser allgemeinen Annahme nun glaubten die Arbeiter, besonders aber die Weber, denen die Fabrikanten im Borjahre, die schlechten Verhältnisse benützend, einen l0prozentigen Lohnabzug bescheerten, ihre Einschätzung sei zu hoch gegriffen und sie reklamirten da- gegen. Den Abzug von 25 Prozent nahm man, als zu Recht bestehend, zur Begründung. Alle diese Reklamanten erhielten hierauf den gleichlautenden Bescheid:Abzulehnen, da Retla- mant einen prozentale» Abzug nicht zu beanspruchen hat." In stadtoäterlicher Fürsorge hat man also in diesem Jahre des Nothstandes von diesem Gebrauche Abstand genommen, obgleich man wußte, daß die Weber, die hiervon am meisten getroffen sind, seit nun einem Jahre 10 Prozent weniger verdienen, sowie daß dieselben 5 Wochen lang(Strike) nichts verdienten. Doch was kümmert das unsrer Stadtverwaltung? Stritt nicht, laßt Euch ohne Gegenwehr das Fell über die Ohren ziehen! So will es die Harmonie. Die große» Pläne im Kopfe unsrer Stadtväter kosten Geld und das muß geschafft werden. Unsre städttsche Verwaltung wird seit einigen Jahren immer kostspieliger; aber vielleicht glaubt man, der Anblick unseres neuen Rathhauses niüßte einen Jeden mit neuer Opferwilligkeit erfüllen. Doch wenn wir uns obige Zahlen noch einmal betrachten, so finden wir bei der Vergleichung, das man doch Gnade walten ließ. Trotzdem der Arbeiter keinen prozentalen Abzug zu beanspruchen hat, er sei denn Beamter, so brachte man doch einen solchen in Anwendung, denn es wurde das von den Fabrikanten auf 525 Mark angegebene Einkommen auf 450 Mark 14*/: Prozent reduzirt. Also merkt's Euch: zu beanspruchen habt Ihr nicht»; dies Jahr wird noch Rücksicht genommen, später nicht. Oder hat der Stadtrath etwa diese Reduttion eintreten resp. dieselbe gelten lassen, damit er eine Ausrede habe, wenn man ihm ent- gegen hielte, daß die Lohnarbeiter verhältnißmäßig schlechter daran sind als die anderen Steuerzahler? Als Laien sind wir, nebenbei bemerkt, der Ansicht, daß der für Arbeiter sehr in Be- tracht kommende Mehrbetrag der Steuer aus andere Weise auf- gebracht werden könnte; wenn mau nämlich das Einkommen tinsrer Großfabrikanten, daß uns(als Laien) zu niedrig gegriffen scheint, in seinem vollen Umfange ermitteln wollte. Da» ist aber für unsre Abschätzungskommission ein Problem! Allerdings suchen die Fabrikanten alle Mehrausgaben aus den Arbeiter ab- zuwälzen, so daß dieselben in Nichts gebessert wären, aber es würde mehr Klarheit geschaffen über die soziale Stellung aller Individuen und die Wahrheit dürfte Manchen überzeugen, wo er den Hebel zur Besserung anzusetzen hat. Hotditz. Anfang dieses Jahres fanden hier die Stadtver- ordnetenwahlen statt, und drangen bei denselben viele Kleinbürger durch. Darüber großes Entsetzen in unsrrn Philisterkrcisen, die sich in ihrer Existenz bedroht fühlen. Ein hiesiger Fabrikant soll zu seinem Sohn geäußert haben:Aber Sohn, sie wählen nur Leute aus dem Volke, wo bleibst henn Du?" Ist das nicht ein Beleg für die Thatsache, daß sich diese Sorte Menschen nicht zum Volke rechnet. Die oppositionelle Wahl ist lediglich dem Verhalten des Stadtraths in der Schulfrage zuzuschreiben. Er beschloß nämlich, eine neue Schule, welche auf 180,000 Mrk. Baukosten veranschlagt war, zu bauen, wogegen in der Bürger- schaft allgemein die Meinung verbreitet ist, daß nur ein Umbau der alten Schule nöthig sei, wozu höchstens 50,000 Mrk. erforderlich wären. Die alten Stadtverordneten waren immer mit 3050 Stimmen in das Collegium gekommen. Diesmal fielen die meisten mit ihren 4050 Stimmen glänzend durch, denn die Majorität betrug 100140 Stimmen. Die Schulbau- angelegenheit ist nun vor der Hand bei Seite geschoben, aber mit um so größerer Spännung sah man der diesjährigen Com- munal-Abschätzung entgegen, denn man glaubte allgemein, daß die Communalsteuer, wenn der Schulbau bei Seite geschoben wird, heruntergesetzt werden würde, wenigstens dachte Niemand an Mehrbesteuerung. Aber nun ist doch eine höhere Abschätzung, sowie ein Zuschlag von 30 Pf. auf jedes Hundert Mark Ein- kommen erfolgt, und die Stadtverordneten, von denen man an- fangs dachte, daß sie eine Mehrforderung ablehnen würden, stimmten mit allen gegen eine Stimme mit Ja. Darüber ist nun der Kleinbürger- und Arbeiterstand, und zwar nicht mtt Unrecht, sehr entrüstet, und bildet dieses Thema jetzt allenthalben das Tagesgespräch. Diese Thatsache ist für uns von größtem Nutzen, und wir werden bei der nächsten Neuwahl selbst Can- didaten aufstellen. Wie schwer diese hohen Abgaben vorzügltcb