Der Direktor der Anstalt war abwesend. Nach dieser Behandlung Session gefaßten Beschlusses, daß der Reichskanzler in Gemäßheit licheu, wahrhast empörenden Zuständen ein Ende machen«olle»?Twurde der Gefangene in eine Zelle gebracht, die eine vollständigeZuchthauSzelle war, nur möblirt mit einem Strohsack, einemSchemel und einer alten Lampe. Er wurde am nächsten Morgenin Reih und Glied mit den andern Züchtlingen ärztlich untersucht.Er mußte um 6 Uhr Abend« die Lampe löschen und um 5 UhrMorgens ausstehen. Auf seine Beschwerde wurden ihm am fol-genden Tage einige Erleichterungen und Bequemlichketen, wie einreiner Bettüberzug, Matratze und Schreibmaterialien gewährt.Alles die« wurde ihm jedoch den nächsten Tag wieder entzogenmit Rücksicht auf einen Artikel im„Westsälrschen Merkur«, derseine bisherige Behandlung schilderte. Er beschwerte sich aufs neue,und hieraus, also erst am vierten Tage nach seiner Verhaftunggelang eS ihm, eine einigermaßen anständige Behandlung zu erlangen. Ein ähnlicher Fall ist folgender: Mehrere katholischePriester aus dem Regierungsbezirke Düsseldorf wurden infolgeConflists mit den Bestimmungen der Maigesetze verhaftet und indie Strafanstalt in Kleve abgeführt und dort in völlig gleicherWeise wie alle Züchtlinge der Anstalt behandelt. Ihre Strafzellewar sehr eng und so gelegen, das sie als Durchgang zu einemgroßen Strassaal diente, sodaß die Insassen dieser Zelle gezwungenwaren, die nicht sehr angenehmen Gespräche der Züchtlinge mitanzuhören. In diese enge Zelle aber wurden noch mit den Geist-lichen zusammen zeitweise abwechselnd eingesperrt: aufgegriffeneLandstreicher, Vaganten, Diebe und jugendliche Verbrecher. DerRaum war dadurch oft so beengt, daß die Strohsäcke, auf denendie Insassen schliefen, sich unmittelbar berührten. Die Geistlichenwurden gezwungen zu arbeiten, und mußten Düten kleben. DieNahrung, die ihnen vorgesetzt wurde, zeigte sehr häufig die Spurenvon Ratten und Mäusens. die in den Magazinen gehaust hatten.Dreimal des Tages wurden die Geistlichen unter den Augen derübrigen Sträslinge zu den Aborten des Gefängnisses geführt; wa«für weitere Fatalitäten sich für diese Männer dort anschlössen, kannich hier nicht aussprechen.Ich unterlasse jede weitere Kritik dieser Thatsachen, zumal ichinsbesondere das Verfahren der Regierung zu Düsseldorf in einerparlamentarischen Weise nicht bezeichnen kann, ich denke aber, dasGerechtigkeitsgefühl aller in diesem Hause wird mir zugestehen, daßdieS wahrhast entsetzliche Zustände sind. Die Strafe soll eineSühne für da» verletzte Recht sein. Diesem Satze wird durchein solche« Versahren geradezu ins Gesicht geschlagen. Die Be-völkerung verliert bei solchen Vorkommnissen nachgerade das Gefühl, daß sie durch die Gesetze vor Mißhandlung noch geschütztsei, und steht in dieser BehandlungSweise nicht sowohl eine Sühnede» Gesetzes, sondern eine persönliche Rache gegen einen Wehrlosen.Ich kann versichern, daß in dieser Beziehung bereits ein Zug destiefsten Unwillens und der Erbitterung durch die ganze Bevölkerungder westlichen Provinzen geht. Ich hosse wenigstens, der Justiz-minister wird uns hier erklären, daß gegen solche offenbar völliggesetzwidrige Vorkommnisse für die Zukunft Remedur geschaffenwerde, und ebenso der Minister des Innern, zu dessen Ressort dieStrafanstalt zu Kleve gehört.Gcheimrath Starke: Ueber den ersten hier erwähnten Fallhat der Justizminister sofort, als er davon aus den Zeitungenerfuhr, Bericht gefordert, der ihm jedoch keinen Anlaß zur Remedurgab, da eine solche von feiten deS dortigen KreiSgerichtSdirektorSinzwischen schon eingetreten war. Die Sache liegt aber doch in-sosern etwaS anders, als die Verhaftung des Dr. Winkler zwaram IS. Januar erfolgte, am 17. Januar aber ein gegen den Gc-fangenen früher ergangenes Erkenntniß rechttkiästig wurde, sodaßderselbe von diesem Tage an nicht mehr UntersuchungSgcfangener,sondern Strafgefangener war. Der zweite Fall gehött, wie derVorredner selbst erwähnte, in da« Ressort deS Ministeriums desInnern, und kann ich daher hier bei Berathung deS Justizetatsaus denselben nicht eingehen(!).Abgeordneter Windthorst-Bielefeld: Die allgemeine De�batte über den Culturkampf möchte ich heute gern vermeidenWenn bereits ein so tiefer Constckt besteht, so ist dieser allerdingskürzlich auf daS stärkste verschärft worden durch die neueste Kundgebung deS Papstes, die jedem katholischen Mitbürger geradezudie Frage auszwingt, ob er noch ferner Staatsangehöriger desKönigreichs Preußen oder Unterthan des Papstes sein will. Dieheute hier vorgeführten Thatsachen verdienen aber gewiß die ernstesteErwägung deS Hauses sowohl wie der Regierung. ES muß imhöchsten Maße daS Rechtsgefühl verletzen, wenn ein Untersuchung«-Sesangcner wegen Preßvergehen inS Zuchthaus gebracht wird.ibenso verdient da« in solchem Grade inhumane Verfahren indem zweiten Falle den entschiedensten Tadel und die schärfste Re-crimination. Ich hoffe, der Justizminister wird sich durch dieseDebatte um so mehr veranlaßt sehen, die Reform deS Gefäng-wesenS energisch in die Hand zu nehmen und sofort wenigstensdurch eine angemessene Instruction für eine anständige Behand�lung der politischen Gefangenen Sorge zu tragen.G-heimrath Starke: Daß der UntersuchungSgefangene inMünster in ein Zuchthaus gebracht wurde, ist allerdings nicht inder Ordnung, aber eS giebt doch ausnahmsweise Zustände, die eSerklären. DaS Gesängniß in Münster ist nämlich gegenwärtig imBau begriffen, und ein anderes Gesängniß war eben nicht vor-Händen.Abgeordneter Wtndthorst-Meppen: Wir haben heute wiedereinmal das Schauspiel erlebt, daß ein Ministerium die Schuld ausda« andere schiebt, welches zufällig im Hause nicht vertreten ist.Wir stehen bei der Etatsberathung dem Gesammtministeriumgegenüber, uud da ist eine solche Antwort auf eine Beschwerde derVolksvertretung ganz unzulässig. Die heute hier vorgebrachtenThatsachen sind so schreiender Natur, daß die Herren Ministerüber die Behandlung politischer Gefangenen so schleunigst alsmöglich dasjenige erlassen müssen, was nöthig ist. Thun sie daSnicht, so kann wirklich bei uns und im Auslande die Frage auf-geworfen werden, ob wir in Preußen noch in einem cimlisirtenStaate leben. Hat man je gehört, daß ein gebildeter Mann alsUntersuchungSgesangener wegen PrcßoergehenS ins Zuchthaus ge-bracht wird? Wer garantirt unS, daß solche Fälle nicht morgenwieder vorkommen? Der Justizminister kann nicht sagen, daß zueiner Reform in dieser Frage bisher die Zeit zu kurz gewesen;die Sache hat sich lange genug durchgearbeitet, ist seit lange genugöffentlich diScutirt worden, und jede Stunde Zeitverlust ist einVerbrechen gegen die Humanität. Sollte uns heute keine be-fticdigcnde Erklärung zu Theil werden, so werde ich diese Fragejeden Mittwoch zur Sprache bringen.Justizminister Dr. Leonhardt: Eine neue Regelung desStrafprozesses ist nothwendig und wird erfolgen, sobald das möz-lich ist. Eine weitere Erklärung kann ich nicht geben.—Und damit Basta! WaS weitergesprochen ward ist gleichgültig.Der betreffende Posten wurde natürlich bewilligt.— Zur Ergänzung und Commentirung deS Obigen lassen wir nachstehendehalbamtliche Notiz folgen, die jetzt durch die Presse läuft:«Die Ausführung des seitens des Reichstages in seiner letztendeS Artikels 4 Nr. 13 der ReichSverfassung den Entwurf eines Naive Fragen! Daß Leute stehlen, um Brod und Obdach zuGefängnißzefetze«, betreffend die zu regelnde Strafvollstreckung und finden, kommt tausend- und aber tausendmal vor; e« ist wederdie Reform deS Gefängnißwesen« dem Reichstage baldthunlichst� unnatürlich noch empörend, sondern ganz in der Ordnung, uudvorlegen lasse, stößt, wie wir von zuverlässiger Seite erfahren, insofern auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten, als die Gesängniß-anstalteu der meisten kleineren deutschen Staaten gar nicht imStande sind, sowohl in Bezug aus die ungenügenden Räumlichkeiten,wie in Bezug auf die Einrichtungen, vom Standpunkte der Huma-nität au« betrachtet, den an sie gestellten Forderungen zu genügen.Wegen Mangels an den nöthigea Mitteln, um selbst ausreichendeFürsorge für eine gehörige körperliche Pflege und Behandlung derGefangenen und ebenso für eine geeignete regelmäßig- Beschästi-gung derselben, wie solche nach§ 16 de« Strafgesetzbuches ver-langt werden kann, gewähren zu können, haben die Regierungenvon Schwarzburg-SonderShausen, Altenburg, Gera und Greiz mitder preußischen Provinzial Regierung in Merseburg einen Vertragabgeschlossen, nach welchem diese Kleinstaaten alle innerhalb ihrerGerichtsbarkeit erkannten Gesängnißstrafen, die über 4 resp. 6Wochen Dauer haben, im Zuchthause zu Zeitz verbüßenlassen, so daß also die zu Gesängniß Verurtheilten in Zeitz so-wohl in Betreff der Bekleidung wie der Beköstigung, Beschästi-gung und Behandlung ebenso wie die ZuchthauSsträflinge be-handelt werden. WaS speciell da« preußische Gefängnißwesen an-betrifft, so fehlt eS in Preußen bekanntlich an einer einheitlichenLeitung, die Zuchthäuser und Polizeigefängnisse stehen regelmäßigunter dem Minister deS Innern, die GerichtSgesängniffe unter demJustizminister. Dieser Mangel einheitlicher Leitung ist an undfür sich al« ein erheblicher Uebelstand zu betrachten und wurde dieBeseitigung desselben schon unter der Regierung deS Königs Fried-rich Wilhelm III im Jahre 13V4 in Erwägung gezogen und späterwiederholt in Aussicht gestellt. Auch der Justizminister Dr. Leonhardt versicherte in der Sitzung de» Abgeordnetenhauses vom 23.vor. MlS. auf Beseitigung de« DualiSmuS in der Gesängniß-Ver-waltung hinwirken zu wollen. Wie wir erfahren, besteht dieserDualiSmuS nur deshalb gegenwärtig noch, weil ver förmlichenCentralisation durch Ueberweisung aller Gesängnisse in daS RessortdeS Ministeriums de» Innern große finanzielle Schwierigkeilenentgegenstehen.«Also vorläufig wären wir mit der„Reform« in Behandlungder politischen Gefangenen dahin gekommen, daß sie in'«— Zuchthaus gesperrt werden. O,„wir haben eS herrlich weit gebracht!«— Fürst Bismarck— beiläufig„bleibt Er" wieder einmal— hat in einer schlaflosen Nacht entdeck!, daß er den Ultramon-tanen noch nicht genug Vorschub geleistet hat, und die Folge isteine neue„geniale« Maßregel, die den„Revival«(die Wceder-erweckung) deS KatholiciSmuS jedenfalls beträchtlich fördern wird.Die Maßregel nennt sich„Gesetzentwurf betr. die Einstellung derLeistungen auS Staatsmitteln für die römisch- katholcschen Bis-thümer und Geistlichen« und besteht darin, daß der kätholischenKirche die StaatSsubvention von jährlich llOO.OW Thlr. entzogenwird. Natürlich werden die Katholiken daS Geld ausbringen unddie katholischen Geistlichen ein wohlseileS Märtyrerthum erlangen,daS ihre Macht verdoppeln wird. Wahrhaftig Mallinckrodt wußte,was er that, als er kurz vor seinem Tod in einem Privatbriesden außerordentlichen Nutzen deS CulturkampfS betonte; uud ebensorecht hatte ein lebender Führer deS CentrumS, der da im vertraulichen Gespräch meinte: Bismarck ist für unS nicht mit Gold ans-zuwiegen!— Ein Zeichen der Zeit. Am Mittwoch schrieb das BiS-marck'fche Leibblatt, die„Norddeutsche Allgemeine Zeitung«, Frank-reich wolle Iv.tXK) Pferde in Deutschland kaufen; den Tag daraufbrachte der amtliche„ReichSanzeiger" ein Verbot der Pferde-ausfuhr. Wenn ein Ultramontaner im Reichstag die prekären(unsicheren) Beziehungen zum Ausland erwähnt, brüllt ihm dienationale Meute zu, er wolle da« lammfromme Reich verdächtigen.Und nun diese, in FriedenSzeitcn geradezu unerhörte Maßregel!Freilich— sie paßt zu dem„Frieden«, den unS die Blut- undEifenpolitik aufgetischt hat.— Die Presse als Helfershelferin der Spitzbuben.Die Leser eriunern sich noch der Londoner DicbSbande„Clackeund Comp.«, die vor mehreren Monaten auch in Deutschland ihrBauernsängergeschäft trieb und dabei von unseren hervor, azenstenZeitungen(„Kölner Zeitung«,„Deutsche Allgemeine Zeitung«,„Magdeburger Zeitung« zc.) werkthätig durch Aufnehme der betreffenden Schwindelannoncen unterstützt wurde. Jetzt wird auSder Schweiz geschrieben:„Die bekannte Schwindlergesellschast Sydney Clarke u. Co. inLondon, welche sich im vorigen Jahre durch die großen Inserateüber«Sicheren Gewinn auf englischen Rennbahnen« bcmerklichmachte, wurde f. Z. von der Londoner Polizei aufgehoben.Wie die letztere dem schweizerischen BundeSrath offiziell mitheilt,hat die erwähnte Sippschaft von Deutschland auS circa20,000 Pfd. St. eingezahlt erhalten, von welchem Betrageindeß ca. 3000 Pf. in die Hände der Polizei gefallen sind. DiePolizei bewahrt diese Summe für Rechnung der Absender auf;wenn daher auch au« unserem Leserkreise Jemand durch diesenSchwindel benachtheiligt sein sollte, so wird derselbe gut thun, sichan die Londoner Polizei zu wenden, da möglicherweise unter dembeschlagnahmten Gelde auch das seinige enthalten sein könnte.«Wir möchten den Beschwindelten rathen, sich bei einem Anwaltzu erkundigen, ob es nicht möglich ist, die Zeitungen, durch welcheden Londoner Betrügern 20,000 Pfd. St.(—400,000 Mark!) indie Taschen praktizirt worden sind, aus Entschädigung zu verklagen.Die deutschen Herrn Staatsanwälte aber möchten wir fragen, warumdiebetreffendcuZeitungennichtalSHelferShelfer der LondonerSpitzbuben kuminell belangt werden? Wir glauben, die Gesetzezu kennen, und sind der Ueberzeuzung, daß auf Grund derselbenein Prozeß eingeleitet werden kann.nothwendig, damit die Leute, die Brod und Obdach haben, auchstehlen können— letztere selbstverständlich, ohne in» Zuchthaus,oder Gesängniß zu kommen.— Arbeiterelend in Nordamerika. In der„NewyorkerStaatSzeitung«, einem keineswegs arbeiterfreundlichen Blatte, wirddie grauenvolle Lage der Arbeiter von Newyork geschildert. ESheißt da:„Da» schreckliche Elend, von welchem tausende von Bewohnernunserer Stadt infolge der herrschenden Arbeitslosigkeit und derin allen Gewirken stattgefundenen und noch jeden Tag stattfinden-den Lohnabzügen befallen find, wird von vielen unserer Leser nurgeahnt, weil sie noch nicht G-lezenh-it genommen haben, mit eigenenAugen die Sceneu zu schauen, welche sich an den Versammlung«-orten der Armen, den Stationshäusern und den Localen derWohlthätigkeitsgesellschasten, alltäglich abspielen. W:r dort nureine Stunde verweilt, dem muß ei tief in« Herz schneiden ob de«Anblicks der halb ohnmächtig daherschwankenven, ausgehungerten,vor'Kälte steifen und zitternden Gestalten mit den gramdurch-furchten Gesichtern, welche unaufhörlich kommen und gehen. Dakann nur ein ganz gefühlloser Geizhals frei bleiben von den Re-gungen de» Mitleid«, und davon gehen, ohne ein Scherflein zurMilderung des gesehenen Elends zurückzulassen. Wen würde eSz. B. nicht tief ergriffen haben, wenn er dieser Tage im Localeder St. John'S Guild gewesen wäre und die Ankunft eine«ManueS mit seiner Frau und zwei K-udern gesehen hätte, vondenen da« eine in den Armen der Mutter lag und vor Hungerund Kälte bitterlich jammerte, während da« andere Kind die ktei-nen zitternden Finger in den Mund steckte, um die Kälte au»ihnen zu saugen. Die Leute waren aus ihrer Wohnung vertrie-den worden und hatten den ganzen Tag über in ihren faden-scheinigen Kleidern und ohne Nahrung die Stadt durchwandert,um ein anderes Obdach zu suchen. Der Manu sah bleich undhohl wie ein Gespenst auS, während die Mutter dreinschaute, al«verwünsche stc ihr Dasein und die ganze Welt.«E» ist keine Frage: daS in so grellen Farben gemalte Bilv istlebenswahr. Aber das wird klüglich verschwiegen, daß die Nothder Aibeiterklasse, hüben wie drüben, da« Produkt der heutigenkapitalistischen Mißwüthschast ist, die den Arbeiter zum Spielballder Laune des einzelnen Arbeitgebers und der wirthschaftlichen undpolit.schen Wechselsälle macht. Allein wmn dem auch so ist, sobürgt doch da« erwachende Klassenbewußtsein der Arbeiter dafür,daß sie nicht ewig das Elend zu Nutz und Frommen einer ver-schwindenden Minderheit ertragen werden.— Die beste der Welten nnd die beste der Gesellschaften.Unsere sozialen Zustände, schreiben die„Wupperthaler Volks-blätter" ä. ä. Elberfeld 1. März werden durch folgende Geschicktecigenthümlich illustrirt. Am Mittwoch Abend forderte ein Menscheinen Polizeibeamten auf, ihn pflichtgemäß zu arretiren, da er ob-dachloS sei. AlS aber der Beamte diesen Akt christlicher Barmherzigkeit nicht ausüben wollte, ging der Obdachlose nach dem Kip-dors und stahl dort mit Ostentation einen Schirm und ließ sichofort ergreifen. Der UebAthäter sprach bei der Vernehmung seineZreude über die gelungene Verhaftung auS und sagte, eS sei nun'chon daS 12. Mal, daß er, um ein Obdach zu finden,gestohlen habe, um in die liebgewonnenen Räume desArresthaufeS wiederum zurückzukehren."WaS sagt Ihr dazu, Ihr Fanatiker der heutigen GesellschastS-ordnung, und warum bekämpft Ihr uns, die wir solch unnatür-— AuS Rußland. Ein russischer Arbeiter schreibt unS:Die Nummern 2 und 3 des in London erscheinenden russischensozialistischen BlaatS„Vorwärts«(�Vpergoä) von 1875 enthaltenFolgendes über die Zustände in den sogenannten„Kornkammern"Rußlands(SzamarifcheS Gouvernement): Fürchterliche Hanger«-noth herrschte vor einem Jahre in der ganzen Provinz. Die ein-zige Ursache dieser Noth ist, wie der Verfasser deS Artikels„DaSVolk und daS Studententhum« ausführt, welchem wir unsre Notizenentnehmen, die ungerechte Vcrtheilung des Ackerlandes. Von den3056 Quadratmeilen oder 15,598.750 Dcßjatinen(1 Deßjatiue— 4'/- preuß. Morgen), welche das Szamarische Gouvernementumfaßt, gehören nur 2,427,332 Deßjalinen oder ein Sechstel de«ganzen Bodens dem Volke, die übrigen fünf Sechstel dagegen demStaate oder den Großgrundbesitzern, unter denen das kaiserlicheHau« Romanow obenan steht. Dabei bekommen noch heutigenTageS die„Herren« mitunter Hunderttausende Deßjatinen Seiten«des Staates als Belohnung für Hof- und sonstige den Gewalt-habern geleistete Dienste. Diese Herren beziehen von ihren Güternso viel Rente, daß sie ihre Güter lieber verpachten al« selberverwalten; die Pächter siav gewöhnlich reiche Kauflmte. Natürlichwird die mühelos erworbene Rente in Petersburg, Paris oderanderSwo in den rafstnirtcsten Genüssen vcrthan.Die H'rren Pächter(Areudatoren) pachten große Strecken de«Ackerlandes auf mehrere Jahre, welches sie dann in kleinerenTheilen an ärmere Pächter oder an die Bauern abgeben, welchenicht genug eigenes Land haben, um existiren zu können. WaSdie Herren dabei verdienen, läßt sich am besten aus folgendemBeispiel ersehen. Ein gewisser Malzew— der reichste dieser„Waizenbarone«— hat auf mehrere Jahre circa 100,000 Deß-jatinen— 427,000 preuß. Morgen gepachtet und zahlt für dieDeßjatine jährlich 60 Kopeken(100 Kopeken— 1 Rubel oderca. 1 Thlr.); er selber aber verpachtet das Land in kleineren Par-tien an Bauern für einen Sack Waizen per Deßjatine. Ein SackWaizeu wiegt 400 Pfd. und kostete im Jahre 1874 in Szamara16 Rubel. Der Herr hat also, wenn wir seine Verwaltung»-und Bestechungsunkosten(die Bestechung ist bei der Pachtüber-nähme unvermeidlich) in Abzug bringen, einen sicheren Ge-winn von fast 1,400,000 Rubel. Wahrhastig, ein recht hübscher„Entbehrungslohn" für soviel„ausreibende Arbeit«.WaS die Lage der Bauern oder Arbeiter in dieser„Korn-kammec« Rußlan:« betnffr, so lesen wir über dieselbe in demoben angeführten Artikel Folgendes:„Im Winter ist keine Arbeitzu haben. Im Monat Februar(1874) antwortete man mir aufmeine Frage(ver Verfasser wohnte eine Zeit lang in der genanntenGegend), welchen Tagelohn der Arbeiter jetzt bekomme?„Jetztwürde man den Arbeiter nicht einmal für's Brod annehmen, daman ihn nicht brauchen könnte. Arbeit ist keine da, und die Kostist theuer.« Im Sommer bekommt hier ein männlicher Arbeitertäglich 20—50 Kopeken(6—15 Gr.) Aber der Monate, inwelchen die Arbeiter täglich 50 Kopeken(15 Gr.) verdienen, gibtes nur drei, höchsten« vier im Jahre.Weiter lesen wir, daß nach offiziellen Berichten der Landes-Verwaltung(Zemstwo) im Szamarischen Gouvernement der jähr-liche Ertrag für eine Deßjatine 4 Rubel 94 Kopeken ausmacht,und daß das jährliche Einkommen einer Bauernfamilie aus 2'/, Per-sonen bestehend(die weiblichen Individuen werden bei derSchätzung nicht mitgezählt) zwischen 44 Rubel 46 Kopeken und4 Rubel 94 Kopeken*) schwankt. Die Ausgaben einer solchen Fa-milie können aber nach Angabe dnselben Landesverwaltung nichtunter 132 Rubel(wovon 32 Rubel auf Staats- und andereSteuern abgehen) per Jahr betragen. Das jährliche Defizit einerBauernfamilie beträgt mithin 88— 127 Rubel.„Millionen RubelRente für die auf den Nacken deS Volke« tretenden„Waizenbarone« und 83—127 Rubel jährliches Defizit, bemerkt der Ver-') Letztere Ziffer kann wohl kaum richtig fein; mit einem„jährlichenEinkommen" von nicht ganz 5 Thlr. kann keine Familie vegettren, auch!nicht das nothdürftigste Leben fristen. Es müßte denn unter„jährlichem!Einkommen" blo» der verbleibende B o d« n e r» r a g verstanden sein. R. d. V. j