Aufgabelt der Emigration Von Friedrich Adler  In denInternationalen Informatio­nen" veröffentlicSht Gen. Friedrich Adler   einen Aufsatz überDie Auf­gaben der Emigration in der vergewal­tigten Partei. Darin fuhrt er u. a. fol­gendes aus: Wie tiefgreifend die Wendung ist, die nun erfolgt, tritt schon darin zutage, daß seit 1890, seit dem Fall des Sozialisten­gesetzes, ununterbrochen und unbestritten die gleichen Formen der Parteiarbeit in Geltung waren, weshalb sie der jüngeren Generation geradezu als die selbstver­ständlich gegebenen erscheinen mußten. Hie neuen Methoden des Kampfes, die Methoden der Organisation, die die Aufrichtung der faschistischen Diktatur erfordert, bedeuten daher gerade für deut­sche Sozialdemokraten einen tiefgrei­fenden Umstellungsprozeß. So wird es begreiflich, daß der Wunsch, die alten Arbeitsmethoden doch irgendwie erhalten zu können, zunächst dazu führte, daß man auf jede scheinbare Nachgiebig­keit der faschistischen Gewalthaber Hoff­nungen setzte, daß man sich der Illusion hingab, die verbotenen Zeitungen wieder erhalten zu können, ja sogar den Partei­apparat bei genügender Vorsicht für eine, wenn auch beschränkte Tätigkeit konser­vieren zu können. Der Kampf zwischen der Hoffnung auf Erhaltung des alten Apparates und der Einsicht, daß die alten Methoden unmög­lich geworden, hat in jedem einzelnen deutschen   Sozialdemokraten stattgefunden und ist bei vielen noch immer nicht end­gültig ausgefochten. In diesem Kampfe hat die Scheu vor Emigrantenpolltfk eine weit größere Rolle gespielt, als bei sozialistischen Parteien anderer Länder und als bei der deutschen   Sozialdemokra­tie selbst, als sie unter Bismarcks Sozia­listengesetz zum erstenmal ihre Leitung und ihr Zentralorgan ins Ausland verlegen mußte. Die Erinnerung an dieses Helden­zeitalter der Partei ist bei sehr vielen heute nicht mehr lebendig und daraus er­klärt sich zum großen Teil das Unver­ständnis für die Notwendigkeiten von heute, wo ein Verfolgungssystem in Deutschland   aufgerichtet wurde, gegen das die Bismarckschen Schurkereien ge­radezu harmlos erscheinen. Als wir wenige Tage nach Hitlers   ent­scheidenden Wahlsieg die Gedächtnisfeier des fünfzigsten Todestages von Karl Marx   begingen, da wurde uns die Lage der deutschen   Sozialdemokratie unter dem Sozialistengesetz aufs eindrucksvollste be­wußt, als wir uns erinnerten, daß der Be­richt über die Totenfeier ihres größten Vorkämpfers, der die größere Hälfte sei­nes Lebens im Eni verbracht hatte und als Emigrant gestorben war, nur im Aus­land, imSozialdemokrat" in Zürich  , er­scheinen konnte und daß die deutsche  Partei ihre Gedächtnisfeier wenige Wo­chen später auf ihrem Parteitag in Kopen­ hagen   halten mußte. In der Tat, wer sich an jene Periode erinnert, wer weiß daß die deutsche Sozialdemokratie alle ihre Parteitage auf Schloß Wyden  , in Kopenhagen  , In SL Gallen nur im Ausland abhalten konnte, wer sich der Bedeutung des geistigen Zentrums, das derSozialdemokrat" in Zürich   und nach seiner Vertreibung aus der Schweiz   in London   darstellte, bewußt Ist, wird keinen Moment an der Wichtig­keit der Emigrantenpolitik zweifeln kön­nen. Man lese heute wieder in Mehrings Geschichte der deutschen Sozialdemo­kratie" den AbschnittUnter dem Sozia­listengesetz" und man wird über die Aufgabe der Emigration in der vergewaltigten Partei reichlich Aufklärung finden. Man wird dort aber auch sehen, wie sich auch damals der Uebergang zu den neuen Methoden der Parteiarbeit nur zögernd, mit schwersten Inneren Hemmnissen vollzog, so daß Meh­ring dem ersten Kapitel seines Abschnit­tes über das Sozialistengesetz den Titel gab:Ein Jahr der Verwirrung". Als ob es über die heutige Zeit geschrie­ben worden wäre, lesen wir dort; Viele Parteimitglieder glaubten, wenn mir �er erste Ansturm ausgetobt habe, würde wieder ein aktives Vorgehen möglich Sie richteten ihr Hauptaugenmerk darauf, den unnatürilchea Haß, der in den neutralen Schichten der Nation gegen die Sozialdemo­kratie herangezücbtet worden war, durch kluge Zurückhaltung zu entwaiinen, und sie fürchteten, daß er ans der rücksichts­losen Sprache ausländischer Blätter neue Nahrung saugen würde... Die Notwendigkeit und Nützlichkeit eines ausländischen Blattes wurde deshalb nicht eigentlich bestritten, aber man meinte, es sei noch viel zu früh, damit vorzugeben. Seine erste Folge würden neue Verfolgungen sein...(Mehring  : Geschichte der deutschen Sozialdemokra­tie", 2. Teil, Seite 408 ff., Stuttgart   1898.) Die deutsche Sozialdemokratie hat un­ter dem Sozialistengesetz nahezu ein Jahr gebraucht, bis sie sich zur Herausgabe desSozialdemokrat" in Zürich   entschloß. In jeder vergewaltigten Partei sind im­mer wieder Gegensätze zwischen den Ge­nossen im Inland und den Genossen im Ausland entstanden, und diese Gegensätze werden auch der Arbeiterschaft Deutsch­ lands   nicht erspart bleiben. Schon in die­sen wenigen Monaten hörten wir immer wieder, daß die Genossen, die in Deutsch­ land   geblieben waren, erklärten, die Emi­gration könne die Lage im Lande nicht beurteilen und umgekehrt konnte die Emi­gration stets betonen, daß die Genossen in Deufechland keine Ahnung davon haben, wie die Dinge vom Ausland her aussehen. Und in der Tat wußte die Arbeiterschaft in Deutschland   bei der vollständigen Aus­schaltung aller Meinungsfreiheit nahezu nichts von dem, was in der Welt, und am allerwenigsten von dem, was in Deutsch­ land   selbst vorging. In einer späteren Periode werden die Genossen in der Emigration immer wieder von den Genossen, die im Inland arbeiten, zu lernen haben. Vorläufig steht es aber anders. Die Genossen, die ins Ausland kamen, haben stets sehr rasch erkannt, daß alle Versuche der Anpassung an das Gewaltregime zum Scheitern ver­urteilt sind, daß die Sozialdemokratie unter Hit­ler ihre legale Tätigkeit nicht fortsetzen kann, daß sie zu einer vollständig neuen Organisierung der Parteiarbeit übergehen muß. Die Genossen in Deutschland   mit dieser Erkenntnis zu erfüllen, ist die Ar­beit, die die Emigration vor allem jetzt zu leisten hat. Aber die Lage der deutschen   Arbeiter­bewegung ist eine durchaus andere, als sie jemals nach einem Siege der Reaktion in Erscheinung trat. Es wäre eine höchst ver­hängnisvolle Vogelstraußpolitik, wenn wir uns nicht klarmachen wollten, daß das Vertrauen der deutschen   Arbeiterschaft zu ihrer Führung durch die entsetzliche Nie­derlage, die sie erlitten, eine schwere Er­schütterung erfahren hat, daß diese Ver­trauenskrise gleichermaßen die so­zialdemokratische wie die kommunistische Führung trifft, ja, daß darüber hinaus, was weit gefährlicher, eine Erschütterung der Siegeszuversicht der Arbeiterklasse und damit eine Erschütterung ihrer Kampf- fählgkeft stattgefunden hat. Alle Anpas­sungsversuche in Deutschland  , die W a h n- sinnstaktik der Gewerkschaf­ten, die dem Feinde die Festungen der Arbeiterklasse möglichst wohlerhalten aus­lieferte, die Wahnsinnstaktik eines Teiles der Parlamentsfraktion, die, an­statt Hitler zu demaskieren, ihm die Mauer machte, haben die Verwirrung in der Ar­beiterschaft weiter gesteigert, das Ver­trauen weiter erschüttert. Das Schlagwort taucht auf, daß der Generalstab der Par­tei, der die Schlacht verloren,vor das Kriegsgericht- gehöre. Mit solchen Re­densarten ist sehr wenig getan. Sicher soll niemand seiner Verantwortlichkeit entho­ben werden. Aber das Gericht über die Fehler der Vergangenheit hat nur soviel Wert, als daraus Erkenntnis entspringt für den Neuaufbau der Zukunft. Und daher ist die brennende Aufgabe von heute eine ganz andere, als sie in diesen Stimmungen Aus­druck findet. Nach dem großen Zusammen­bruch der Arbeiterbewegung in Deutsch­ land   haben wir mit dem größten Ernst zu untersuchen, was in der Zukunft werden soll. Alle Probleme der Arbeiterbewegung sind durch den Sieg des Faschismus neu gestellt. Der Weg, den die Arbeiterklasse zu ge­hen hat, die Möglichkeiten des proletari­schen Klassenkampfes müssen von Grund aus neu untersucht werden. Eine geistige Klärung, die wegweisend für die Zukunft ist, muß in der internationalen Arbeiter­bewegung stattfinden. An dieser großen Arbeit mitzuwirken, gehört zu den wich­tigsten Aufgaben der deutschen   Emigra­tion. Bayern   unterm Hakenkreuz Bittelständler demonstrieren Aus Bayern   wird uns geschrieben; Die Enttäuschung, Aber den Hitlerismus wächst auch in Bayern   von Tag ru Tag. Eine der Organisationen die der derzeitigen bayri­schen Regierung wohl am meisten Schwierig­keiten bereitet, ist der Kampfbund des Mittelstandes zur Bekämpfung der Kon­sumvereine und Warenhäuser, unter Leitung des Nazimannes Sturm. Sturm hat die ganze Zeit vor dem Putsch die kleinen Geschäfts­leute in eine Organisation gepreßt mit der Ver­sicherung, daß hn Augenblicke der Machter­greifung durch Hitler   mit den Konsumverei­nen, Warenhäuser und Einheitspreisgeschäften Schluß gemacht werde, und alle diese Leicht­gläubigen sehen sich nun bitter enttäuscht Schon wenige Wochen nach dem Umsturz bewegte sich in Demonstratknung von etwa 6000 Mittelständfera durch die Straßen Münchens   und In einer einstimmig gefaßten Resolution wurde erklärt, daß man den Kampf gegen die Regie­rung so lange fortführen werde, bis sie dem Mittelstand gegenüber die gegebenen Verspre­chungen einlösen werde. Die Stimmung unter den kleinen Geschäftsleuten wurde noch er­heblich verschärft, als Herr Himmler  , der Führer der politischen Polizei Bayerns   wegen Ueberschreitung des Butterpreises einige hun­dert Geschäfte schließen und deren Inhaber ins Konzentrationslager nach Dachau  bringen BeB. Anfang dieses Monats fand in einem großen Saal Münchens   eine Versammlung der Mittel­ständler statt, zu der man den Innenminister Wagner zitiert hatte. Schon bei Eröffnung der Versammlung ging es sehr stürmisch zu. Die Anwesenden erklärten, sie brauchten keinen Saalschutz und verlangten die Entfernung der anwesenden SA. Kaum hatte Wagner das Rednerpult betreten, als ihn(he Versammlung auspfiff und Ihm zurief: Ihr habt die Verkehr­ten nach Dachau   geschickt, man sollte Euch nach Dachau bringenlSchickt uns Männer mit Köpfen, aber keine Lausbubenl" Schließ­lich wurde die Empörung im Saale   so groß, daß Ueberfallskommandos und bereitgestellte SA. einschreiten mußten. Aber auch Jetzt trat noch keineswegs Ruhe in der Versammlung ein und schließlich erklärte der Herr Innen­ministerwem's nicht paßt, der kann gehen", worauf mehr als X der Mittelstän�er den Saal verließen. Am nächsten Tage war Herr Sturm, der bayrische Kampfbundführer, seines Postens enthoben. Damit aber, daß ein Sflndenbock in die Wüste geschickt wurde, ist die Ruhe noch lange nicht hergestellt. Blutiger Gesellentag Die katholtschen Gesellenver­eine hatten nach München   eine Tagung ein­berufen, die jedoch zunächst verboten wurde. Daraufhin entschloß man sich, Herrn Vize­kanzler von Papcn das Hauptreferat bei dieser Tagung zu übertragen, aber auch dadurch ließen sich die bayrischen Nazibehörden nicht dazu bewegen, die Tagug ru genehmigen. Herr von Papen fuhr darauf per Flugzeug nach München   und erreichte in langwierigen per­sönlichen Verhandlungen, daß die Abhaltung der Veranstaltung bewilligt wurde, jedoch wurden eine Reihe von Auflagen gemacht, zu deren Einhaltung von Papen sich verpflichten mußte. Schon mehrere Tage vor dem festgesetzten Termin machten SA.-Leute Stimmung gegen die Gesellentagung und versäumten nicht, auf die Volksschädlichkeit des Treibens der katho­lischen Priester hinzuweisen. Diese Hetze blieb dann auch nicht ohne Folgen. Schon den Ankömmlingen der ersten Extrazüge wur­den am Bahnhof die orangefarbenen Hemden ausgezogen und in der ganzen Stadt setzte planmäßig eine wüste Verfolgung der katholischen Gesellen ein. Insbesondere deren Führer, die in der Hauptsache kath. Priester sind, wurden von der Straße weg in die Haus- ftare geschleppt und dort mißhandelt, andere In de Cafts und Restaurants verprügelt. Die Dekorationen in verschiedenen Straßen, durch die sich der Festzug bewegen sollte, wurden von SA.-Leuten heruntergerissen und die Emaiischllder am katholischen Gesellenhaus zerschossen. Am Sonntag fand die Tagung, die bis Mon­tag abends dauern sollte, ein i ä h e s Ende. Der Festzug wurde an verschiedenen Stellen von SA. überfallen und die Zugsteilnehmer mit Hieb- und Stichwaffen aufs schwerste miß­handelt Etwa 20 sohwerrertetzte Gesellenverelns- mltglieder mußten In die Krankenhluser gebracht werden; unter ihnen befanden sich auch schweizer und österreichische Staatsangehörige. Verschiedene Festteilnehmer erlitten erheb­liche Stichverletrungen und Knochenbrüche, einem Priester wurde ein Arm ab­geschlagen. Zahlreiche Verhaftungen wur­den vorgenommen unter den Verhafteten be­fanden sich auch etwa 20 österreichische Staatsangehörige, bei denen man zum Teil Heimwehrausweise vorfand. Im Verlauf der Schlägereien wurde ein SS.-Mann in die Isar geworfen. 24 Stunden früher als geplant brachten die Sonderzflge die Teilnehmer der erhebenden Feier wieder in ihre Heimat Mord und Folter in Dachau  Die Zustände im Konzentrationslager Da­ chau   bei München   wachsen sich immer mehr zu einer Kulturschande ersten Ranges aus. Alle Augenblicke werden dort wehrlose Menschenauf der Flucht" er­schossen. In Wirklichkeit kan keiner der Bedauernswer­ten an eine Flucht denken; denn das Konzen­trationslager ist mit einer hohen Mauer um­geben, hinter der sich ein etwa 10 m breiter Raum befindet, der des Nachts taghell be­leuchtet ist und der wiederum durch einen mit elektrischen Hochspannungs­strom geladenen 2 m hohen Stacheldraht­zaun gesichert ist. Von den In der letzten Zeit in Dachau   Erschossenen sind mir noch In Erinnerung ein Herr Benario, Rechtsan­walt Alfred Strauß, Rechtsanwalt Siege!, der frühere Syndikus des Münchner Kauf­hauses U h 1 f e 1 d e r, ein Rechtsanwalt A r o n, der kommunistische bayrische Landtagsabge­ordnete Götz, sowie das Mitglied der KPD  . Freiberger und der frühere Angestellte bei der Gauleitung der NSDAP  , der Kaufmann W e n d t. Alle wurdenauf der Flucht" er­schossen. Bezüglich des Abgeordneten Dre­sel, des Vorsitzenden der Landtagsfraktion, wurde imVölkischen Beobachter" erklärt, daß Dresel sich im Konzentrationslager Dachau  innerlich derart umgestellt habe, daß er aus Scham über seine frühere polltische Einstel­lung sich die Pulsadern geöffnet habe. In Wahrheit wurde Dresel von den ent- meschten SA.-Leuten, die das Lager be­wachen, buchstäblich zu Tode geprügelt. Die Leiche des Dresel, die entsetzlich zuge­richtet war, warf man dem gleichfalls in Da­ chau   befindlichen kommunistischen   Abgeord­nete Bäumler vor die Füße und erklärte Ihm, daß es Ihm morgen genau so ergehe. Die Erschießungen In Dachau   haben einen so großen Umfang angenommen, daß die um­liegenden Gemeinden in Eingaben an den bay­rischen Innenminister Wagner gebeten haben, man möge für das Konzentrationslager Dachau  einen eigenen Friedhof errrichten, well auf den Friedhöfen der kleinen Gemeinden nicht ge­nügend Platz sei, für alle Jene, welche in Dachau   erschossen werden.' Zar Zeit befinden sich sämtiiebe Stadträte der sozialdemokratischen Parte! und deren Ersatzleute in Dachau  , wo sie den schwer­sten Mißhandlungen ausgesetzt sind. Sie werden auf Tische geschnallt und ge­schlagen.