Briefe aus Deutsdiland Die Hölle von Sonnenburg Gärung In der Pfalz Nürnberger Nachklänge Sie liegen vor uns au! dem Tisch, kleine, flüchtig gefaltete Zettel, mit hasti­gen Zeichen bedeckt Briefe aus Deutschland . Die sie schrieben, wußten nicht, ob etwa schon der Häscher vor der Tür stand, wußten nicht, ob vielleicht jede Zeile Wahrheit, die sie zu Papier brach­ten, vor unbarmherzigen Blutrichtern wi­der sie zeugen würde. Sie wagten es trotz alledem, sie ertrugen das Bewußtsein der Gefahr, sie ertrugen nickt die schwei­gende Duldung schändlichen Unrechts. Die Welt soll wissen, was in Deutschland ge­schieht, die Kameraden außerhalb der blu­tigen Grenzpfähle sollen Kunde empfan­gen, sollen mit neuem Haß gegen die braunen Kerkermeister, mit immer neuem Kampfwillen erfüllt werden. Dieser bren­nende Wunsch drückt täglich gepeinigten Menschen drüben die Feder in die Hand trotz aller Spitzel und Sbirren. Ein Merk­mal ist all den Briefen aus Deutschland gemeinsam: phrasenlos, sachlich schildern sie das Geschehen, mit knappen Sätzen reihen sie Tatsachen aneinander, nach­weisbare Tatsachen, die eine aufwühlen­dere Sprache sprechen als die wortreich­ste Anklagerede. Für Pathos ist kein Platz. Wir, die wir in einer freieren Luft atmen dürfen, lesen die hastig beschriebenen Zettel und wissen nicht, ob die Schreiber zur Stunde noch in Freiheit, ob sie noc.i am Leben sind. Für uns sind die Briefe da vor uns auf dem Tisch kein totes Papier, Mahner sind sie, lebendige Ankläger ge­gen die braunen Landsknechte, die Deutschland zu einer verachteten und ver­ächtlichen Mörderhöhle gemacht haben. Wir geben hier einiges aus den Do­kumenten wieder. Namen lassen wir be­greiflicherweise fort. Die Verfasser sind uns durchweg als vertrauenswürdig be- kannt Eher vergesse idb meine Kriegserlebnisse** Ein au» dem Konzentrationslager Son­ne n b n r g entlassener Schntzhiltllng schil­dert»eine Schreckenszelt: Das Zuchthaus Sonnenburg war im Jahre 1928 wegen seiner schlechten Brunnen von Amts wegen geschlossen worden. Es durfte Weht mehr benützt werden, well die Gesund­heit der Gefangenen durch die mangelhafte Unterbringung gclfihrdet wurde. Für Schutz- häftlmge findet die nationalsozialistische Re­gierung diese Hölle eben recht AU unser dreißig Mann starker Trupp auf dem Bahnhof Soonertburg ankam, wurden wir V(» einem blutlungen Polizeileutnant empfan­gen, der die Namen aufrief und uns dann einer SA-Kolonne Oberließ. Sofort erschallten Korn- Wandos wie;Zu uns gerichtetl Still gestan­den! Zu vieren abzählen! In Gruppen links eehwenkt! Marsch r Da viele unter uns fcterzlercns ungewohnt waren, teilten die hraunen Wichter»chon in der ersten Viertel- Henpy Roche ! ort Und seineLaterne*' Von Ultor . Während der Faschismus seine Metho­den und sein System der Welt als etwas funkelnagelneues anpreist, ist er in i- Hkeit im Ganzen wie im Einzelnen ein geistloser Abklatsch längst verfaulten de- Gotischen Regimes. Namentlich dient das ***ite Kaiserreich In Frankreich , die Herrschaft Napoleons HL , allenauto- [rtären* Regierungen von heute. als Ein dickes Buch ließe sich darüber treiben, wie Mussolini den Bona- Dartismus in vielem einfach durchpaust. und auch der Hitlerismus, so sehr er sien germanischen Bärenfellen behängt hat "Napoleon dem Kleinen" das Entsche.den 4e abgeguckt. Auch damals eine Bande j;0* Glücksrittern. Entgleisten und Ver- bre ehern, die durch rohe Gewalt d �aatsmacht ergriff, nachdem sie das V Jlt feiler Demagogie und tonenden V Brechungen dumm gemacht� An't*n(j(. anials Massenverhaftungen d_ ** und Aufrechten, auch damals eme�rt vAl vor keiner Schandtat �nd. um politische Gegner zfm voH. zn bringen, auch damals ei JonimeneGleichschaltung Jer ,- it. ' �Jen Meinung, auch damals die Aufp ScWig der niedrigsten chauvimstiscben stunde Fußtritte und Kolbenstöße aus. Unter den derart Mißhandelten waren zahlreiche Män­ner von über fünfzig Jahren, indes der älteste Peiniger vielleicht 24, der jüngste nicht über 17 Jahre zählte. Wer etwas versah, weil seine Körperkräite versagten, kam in den Bunker. Die Bunker wa­ren Arrestzellen, deren einige gepolsterte Dop­pcltüren hatten. In diesen Zellen wurde un­barmherzig geschlagen. Trotz der schallsiche­ren Wände drangen die Schreie der Gefolter­ten bis zu uns. Die Kameraden, die schon von Beginn an in Sonnenburg waren, erzählten uns aus der er­sten Zeit entsetzliche Grausamkeiten. Fünf In­haftierte, deren Namen der ganzen Welt be­kannt sind, mußten in der Mitte des Hofes ihr eigenes Grab graben ein großer gelber Fleck ist heute noch zu sehen, dann ver­band man ihnen die Augen und schoß über ihre Köpfe hinweg. Diese blinden Erschießungen waren im Anfang überhaupt an der Tagesord­nung und bereiteten den brauuen Sadisten offenbar höllisches Vergnügen. Im Lager war zu meiner Zeit ein 72iähriger Mann, der die Spuren furchtbarer Mißhandlun­gen trng. Er hatte mit seiner 70jährigen Frau ein kleines Anwesen bewirtschaftet, gehörte wohl der SPD an, war aber, wie mir später ein Bewohner des gleichen Ortes bestätigte, politisch nie sonderlich hervorgetreten. Eines Abends kamen vier SA-Leute, holten den alten, gebrechlichen und schwerhörigen Mann ab, lichteten ihn im Spritzenhaus schrecklich zu und schleppten ihn dann zumAuskurieren" in unser Lager, damit in dem Weinen Ort nie­mand etwas erfuhr. Als auf dem Tempelhoicrfeld die Hinden- burgeiohe abgesägt worden war, befahl unser damaliger Kommandant, ein Poiizeileutnant, die 860 Insaßen des Lagers auf den Hof und verkündete, daß jüdisch-marxistische Buben in Berlin die Hindenburgeiche abgesägt hätten, würdeh die Kommunisten und Juden im Lager drei Tage lang kein Mittagessen erhalten. Am selben Abend begann ein Strafexerzieren, wie ich es beim Militär niemals erlebt habe. Die abkommandierten Leute fielen um wie die Fliegen, sie waren völlig erschöpft. Wir an­dern mußten zusehen und durften den Gepei­nigten nicht helfen, sondern mußten warten, bis das Kommando ertönte:Tragt die Schwei­ne fort!" Diese Schleiferei häte noch lange kein Ende genommen, wenn der Arzt sich nicht Ins Mittel gelegt hätte. Der SA-Mann Müller, der jetzt noch frei imbraunen Ehrenkleid" umherläuft und schuldlose Menschen ihrer Gesinnung wegen quält, Ist ein Mörder. Mitte August wurde ein SPD -Mann namens RUter, 52 Jahre alt, Vater von mehreren unmündigen Kindern, ein­geliefert. Müller folterte den Wehrlosen aufs Entsetzlichste. Am andern Morgen um 5 Uhr gab man uns bekannt, Ritter habe sich über Nacht in seiner Zelle erhängt. Der Arzt weigerte sich, den Totenschein auszustellen und verlangte Anzeige an die Staatsanwaltschaft, da der Häftling sich Instinkte die Parallelen drängen sich auf Schritt und Trift auf. Und wenn sich heute die Hitler , Görin g, Göbbels und Konsorten mit aufgeblasenen Backen rühmen, daß sie den Erdteil vor dem bol­schewistischen Chaos bewahrt hätten, glaubt man den andern, den Mann vom 2. Dezember 1851, salbadern zu hören, der sich unentwegt vor Europa alsRetter der Ordnung" vor derAnarchie" auf. spielte. Wie Deutschland in der heutigen Epo­che seiner tiefsten Erniedrigung, kannte auch das Frankreich der bonapartistischen Schande eine beträchtliche Emigration. Die einen waren über die Grenze gegan­gen, weil sie sich von den Kreaturen des neues Regimes an Leib und Leben bedroht wußten, die andern, weil sie in der Stick- luft des Despotismus nicht zu atmen ver­mochten, die dritten hatte man wider Recht und Gesetz aus ihrem eigenen Va­terlande ausgewiesen. Unter diesen Hmi- granten, die das wahre, das ewige Frank­ reich darstellten, fanden sich nicht nur weithin bekannte Politiker der Linken wie Louis Blanc , Ledru-Rollin , Pierre L e r o u x und Challemel-Lacour , sondern auch Gelehrte und Künstler von Weltruf wie der Philosoph und Historiker Edgar Ouinet und der Bildhauer Da­vid d'A n g e r s und als repräsentativ­ster von allen der wahrhaft nationale Dichter Victor Hugo : die Einstein, nicht das Leben genommen habe, sondern tot­geschlagen worden sei. Die Staatsanwaltschaft kam, besichtigte die Leiche und gab sie zur Beerdigung frei. Aber unseren Arzt haben wir nicht wieder­gesehen. Als ich endlich entlassen wurde, durchsuchte man mein Gepäck und prüfte jeden Zettel ge­nau nach. Unnütze Mühe! Ich führte nichts bei mir, ich hatte mir keinerlei Notizen gemacht. Was ich im Lager Sonnenburg erlebte, war so entsetzlich, daß ich mein Leben lang daran tragen werde. Eher vergesse ich meine Kriegs­erlebnisse! Aber trotzdem ich weiß, was mir droht, werde ich bis zum letzten Atem­zuge gegen die braune Schande kämpfen. Den Haß in uns können sie mit ihren Gummiknüp­peln nicht erschlagen. Wenn es heute anders kommt Ein anderer Brief erreicht uns, ans dem man einiges über die beginnende Mißstlm- mung in der SA erfährt. Lieber Freund! Von mir selbst will ich nicht viel erzälilen, Du weißt, wie schwer das Leben hier zu er­tragen ist. Aber nicht nur wir leiden unter dem braunen Terror, auch in der SA gibt es schon viele Enttäuschte. Im Konsumverein sagte ein SA-Mann:Der R. kann mich... Er soll seinen Aufmarsch alleine machen, ich gehe nimmer mit!" Und ein anderer, der dabei stand, fügte hinzu: Wenn es heute anders kommt, verbrenne ich meine Uniform und mache über politische Fragen nie mehr den Schnabel auf!" Viele sind dabei, die innerlich schon längst ins marxistische" Lager gehören. Vor einigen Wochen wurden in Mannheim 57 Leute ver­haftet Jetzt erfährt man, daß darunter 43 SA- Leute waren, die gegen den Nazi-Bürgermei­ster Reminger gemeutert hatten. Vielleicht ge­lüstet es einen andern nach der Steile. Oft geschiebt es, daß Lehrer, die um Beförderung einkommen, mit dem Bescheid nach Hause geschickt werden:Wenn Sie eine Hau p tle b r er in heiraten, kön­nen Sie deren Stelle einnehmen". Du kannst Dir denken, was für Ehen auf diese Weise zustande kommen. Die Braut ist häufig um viele Jahre älter. Auch die Referendare des Mannheimer Amtsgerichts wissen, was sie von derBesserung des Arbeitsmarktes in allen Berufen" zu halten haben. Als sie sich über die Aussichtslosigkeit beschwerten, in ihrem Fach voranzukommen, erhielten sie die Ant­wort:Ja, meine Herren, da müssen Sie sich eben nach einer anderen Beschäftigung um- sehenl" Das ist leicht gesagt wenn nur andre Beschäftigungen" zu haben wären! Die Stimmung ist fiberall gedrückt, aber ganz im Gebeimen werden doch manchmal bissige Witze weiter gereicht. Gaigenhumorl So erzählt man sich jetzt, eine Zeitung habe fol­gendes Inserat erhalten: Th, Th. Heine und Heinrich Mann von heute haben ihre Vorläufer. Selbstver­ständlich legte diese Emigration in Belgien , Holland , der Schweiz und England nicht die Hände in den Schoß, sondern suchte dem Pariser Gewalt- und Fäulnisregime Stoß um Stoß zu versetzen, damit es von seinem hohlen Gestell herabstürze. Kei­nem gelang das besser als Henri Roche­ fort mit seinerLaterne". Der Marquis de Rocfaefort de L u c a y genoß weit mehr den Ruf eines geistreichen Unterm-Strich-PIauderers als eines politischen Schriftstellers, als er am 31, Mai 1868 die erste Nummer einer WochenschriftDie Laterne" vdrlegte und sich damit sofort den großen Pamphle- tisten des Jahrhunderts einreihte. Ein ele­ganter Florettfechter, der die verwund­baren Stellen seines Todfeindes kannte, stieß hier mit tödlicher Sicherheit zu; nach dem Wort Joseph de Maistres handelnd:Man trifft die Meinungen nur dann, wenn man die Personen angreift", ging er dem Kaiser und seinen �llnistern wie der Kaiserin und der ganzen Sippe der Napoleonideen mit persönlichen In- vektiven zu Leibe, die eben so von Geist wie von Bosheit funkelten. Er schenkte ihnen nichts; er deckte all ihre Blößen auf; er gab sie schonungslos dem Geläch­ter und der Verachtung preis. Jeden Sams­tag Morgen erschien das in einen blut­roten Umschlag gehüllte sechzlgseltige Fast neuer Mercedes gegen ari­sche Großmutter einzutauschen gesucht!" Nachklänge vom Nürnberger Tag Vom nationalsozialistischen Parteitag, der offiziell in den rosigsten Farben geschildert wurde, erfährt man jetzt weniger rosige Ein­zelheiten. Die Zivilbevölkerung in Nürnberg bekrenzigt sieb noch beute, wenn sie an die Tage des Jubels" denkt. Hier einige Stel­len ans einem Nürnberger Brlei; in Nürnberg und Fürth war alles beflaggt, aber selbst SA-Leute gaben zu, daß viele nor aus Angst ihre Häuser schmückten. Uebrigens fibernahmen in der Königsstraße in Fürth einige SA-Leute selbst die Dekoration nichtbeflaggter Häuser. Obwohl der Befehl ausgegeben war, daß sich SA-Leute nicht be­trinken dürften, sah man während des Partei­tags gante Herden torkelnder und gröhlender Braunhemden. Frauen und Mädchen wurden derart be­lästigt, dafi viele sich nicht mehr auf die Straße wagten, solange die nationalen Erneuerer In Nürnberg umgingen. Ais das Zeltlager am Hainberg mit Bier versorgt wurde, verschwanden von den Brauereiwagen 12 M auf unerklärliche Weise und auf Nimmerwiedersehen. Bierfässer wur­den auch auf der Heimreise in den Zügen an­gezapft. Im Zeltlager Leyherstraße wurden einem SA-Mann die Stiefel und die Ausrüstung gestohlen. Ein beliebig ausgewählter Fürther Geschäftsmann mußte die Kosten ersetzen. Der SA-Führer, der ihm auf diese Weise das Geld aus der Tasche zog, meinte, er könnte sich ja an die übrigen Geschäftsleute halten und von ihnen einen Teil der Summe kassieren. Am Parteitagsonntag(3. September) kam es im Zeltlager am Hainberg bei Stein zu einer großen Raulerei zwischen den SA-Leuten, die Streitenden mußten am Ende mit Hille ▼on Wasserscblaucben getrennt werden. In der Kanalstraße in Nürnberg prügelten sich SA und SS, das Ueberfallkommando wurde alarmiert, 36 Nazis wurden verhaftet Nocli an anderen Steilen kam es zu braunen Prügeleien, über die aber Näheres nicht bekannt wurde. Die Wagenabteile, die ihre braune Fracht zum Parteitag brachten, waren wie die Wag­gons im Kriege mit Inschriften versehen. Wir haben uns einige gemerkt, darunter: Auf nach Oesterreich ! Haut den DollfuB!" und(neben der Karikatur eines Juden)Haut sie naus nach Palästina!" Ais der Parteitag beendet war, wollten die Nazis geschmückt heimkehren. Die von den Bewohnern keinen Schmuck erbetteln konnten, rissen ihn von den Häusern herunter und be­kränzten sich damit. Das ergab dann schöne Photographien, die als Beweis derBegeiste­rung und der Anhänglichkeit an die SA" in die Welt geschickt wurden. SA-Leute, die während des Parteitags bei Sozialdemokraten einquartiert waren, tchimpf- Heft und ging reißend ab; nach solcher Speise hungerten die Zwangsleser der gleichgeschalteten" Presse, die Tag für Tag Casars Lob sang. Rochefort hat­te die Kühnheit, die Hyäne in ihrer Höhle zu reizen: er gab dieLaterne" in Paris selber, unter den Augen der bonapartisti­schen Polizei, heraus! Die Machthaber zuckten wie unter Peitschenhieben zu­sammen, aber da selbst das Frankreich der Dezemberbande nicht auf eine solche Stufe der Barbarei herabgesunken war wie das Hakenkreuz-Deutschland von 1933, wo der Herausgeber sofort in einem Konzentrationslager verschwunden wäre oder in der ZelleSelbstmord" verübt hätte, setzte es nur Konfiskationen jeder Nummer und in rascher Progression stei­gende Geld- und Gefängnisstrafen; auch bedeutete die Polizei dem Drucker, daß seine Pressen zerstört würden, wenn er das verfemte Blatt welter herstelle. Um seinen Kampf ungehindert fortsetzen zu können, ging Rochefort ins Exil; von der zwölften Nummer ab war Brüssel der Druckort derLaterne". Aber da sie keine Zeitschrift von Emigranten für Emigran­ten sein, sondern in Frankreich als Gär­stoff wirken wollte, hieß das Hauptpro­blem, sie einzuschmuggeln. Es wurde auf mannigfache und oft erheiternde Welse gelöst. Die für Frankreich bestimmte Aus­gabe erschien in so kleinem Format, daß sie bequem In verschlossenem Briefum-