Nr. 124 BEILAGE

Neuer Vorwärts

Die erneuerte Frau

Vor den deutschen   Fleisch- und Milch­läden fällt in diesen Tagen manch kräftig Wörtlein. Viele der Frauen, die dort um ein Viertelpfund Butter, um ein Achtel­chen Speck wie anno 1917 Schlange stehen, berufen sich darauf, daß sie dem Dritten einstmals Geburtshilfe geleistet, Reiche daß sie den neuen Staat mit ihren Stimm­zetteln aus der Taufe gehoben haben und leiten daraus das Recht ab, an ihrem Zieh­kind unverhüllt Kritik zu üben. Die übli­chen Einschüchterungsversuche der brau­nen Knüppelgarden wollen nicht ziehen, denn hier kämpfen die Frauen auf ihrem den ureigensten Gebiet, das ihnen von ausdrück­neuen Machthabern nochmals lich zugewiesen wurde, hier kennen sie je­den Stein des Anstoßes, während die SA­Männer und Polizisten auf Schritt und Tritt straucheln. Die haben bereits begrif­fen, daß mit Drohungen wenig auszurich­ten ist und versuchen es oft mit Zureden, aber die Frauen weisen ihnen nach, daß man aus nichts keine Suppe kochen kann. Die Beschwichtigungskolonnen rufen, wie Meister Göbbels es befahl, zur» Verbrau­cherdisziplin< auf, aber sie können Frage nicht beantworten,

die

mit was man braten soll, wenn es kein Fett gibt. Vor dem Mikrophan läßt sich's besser predi­gen als vor einem leeren Buttergeschäft. noch andere Aber die Frauen haben Klagen vorzubringen. Die Jungen werden beim in der Hitlerjugend  , die Mädchen BDM   verdorben und entziehen sich immer mehr dem Einfluß des Elternhauses. Die­ses Thema ist von uns des öfteren behan­delt worden, wir können auf Einzelheiten verzichten. Jedenfalls ist die Verärgerung der Hausfrauen und Mütter gegenwärtig am deutlichsten fühlbar. Damit soll jedoch keineswegs gesagt sein, daß andere Kreise der weiblichen Bevölkerung weniger aufge­bracht wären. Wenn die deutsche Arbeits­losenstatistik kritisiert wird, fehlt unter den angeführten Fehlerquellen häufig ein wichtiges Argument: die Arbeitslosigkeit jener Frauen, die unter den Arbeitsuchen­den nicht mehr geführt werden und auch sonst in keiner Liste stehen. Ihre Zahl ist nicht gering. Zum Teil wagen sie nicht, sich bei den Aemtern zu melden, weil sie fürchten müssen,» in Landarbeit<< abge­schoben und so zu einer Tätigkeit gezwun­gen zu werden, die sie nicht gelernt haben und von der sie sich, abgesehen von der schändlichen Entlohnung, keine Befriedi­gung versprechen. Zum Teil ist ihnen kur­zerhand bedeutet worden, daß sie entwe­der den Eltern auf der Tasche liegen oder heiraten oder eine Stelle als Haus­tochter(> schlicht um schlicht«<, das heißt ohne Bezahlung) annehmen müssen. Wenn sich in der letzten Zeit die Selbstmorde wir erinnern nur junger Mädchen mehren an das Schicksal der Berliner   Haustöchter und Hedwig Erika Sucker Krott, deren Verzweiflungstat unlängst in Deutschland   Aufsehen erregte sind braucht man nicht lange nach Gründen zu suchen. Die beruflichen Aussichten gleich null, und die Flucht in eine unfrei­willige Ehe, in eine Zweckheirat erscheint,

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SO

schafterinnen,

am

noch männliche Kollegen ar- ben: beitslos sind, sind ebenfalls nicht mehr zeitgemäß...

27. Oktober 1935

Sogenannte Haustöchter, Stützen, Wirt- werten ist, geht aus den folgenden Tat-| chen aussehen? Jedenfalls bunt, und des­nicht gelernte Büfettfräu- sachen hervor: Die» eigentliche und gründ- halb nimmt es auch nicht wunder, daß leins und alles andere ohne positive Be- lichste Schulung wird den Mädelschar- sich unter den also geschulten Ehrendamen zeichnung im Gewerbe arbeitende Bedie- und Mädelgruppenleiterinnen in den noch heute die Hauptverfechterinnen des nungspersonal haben zum Besten der Ge- Obergauführerinnenschulen zuteil. Dauer Nationalsozialismus' finden. Ein gewisser samtheit zu verschwinden. Weib- der Kurse: zwei bis höchstens drei Wo- Stimmungsumschwung ist aber auch hier liche Bedienungskräfte, die zu Schützen- chen. Was in dieser Zeit getrieben wird, zu verzeichnen. Teils haben Väter, Brüder festen usw. von anderen Städten aus heran- erfahren wir aus einem Aufsatz, den meh- und Freunde dazu beigetragen, die entwe­geholt werden, obwohl Platze rere deutsche Zeitungen nachgedruckt ha- der dem Stahlhelm oder der kirchlichen Opposition angehören, teils haben die Mäd­In diesen Kursen wird an die Führerin- chen selbst begonnen, sich schlicht und nen all das herangebracht, was sie für die recht zu langweilen. Plötzlich besinnen sich Arbeit in ihren Einheiten brauchen. Von die sozusagen Gebildeten unter ihnen auf der Erb- und Rassenkunde   her kann die alte Frauenbewegung, die das Berufs­jedes Mädel erst in vollem Umfang die und Geistesrecht der Frau in einer Zeit verbaut großen Zusammenhänge unseres Volkes be- verfocht, da alle Wege ebenso greifen. Vom Geschichtsaufriß, waren wie heute. Es setzt in Erstaunen, wenn z. B. in der» Deutschen Allgemeinen Zeitung«<, die wie auf andern Gebieten so auch in der Frauenfrage von je eine reak­tionäre Haltung einnahm, folgende Sätze zu lesen sind:

Die sogenannte» Damenbedienung<< hat aus Thüringen   zu verschwinden.<< Die Entrüstung des braunen Gewaltigen wäre wahrlich einer schlechteren Sache wert. Aber» solange männliche Kollegen arbeits­

Sozialismus der Tat

TIETZ

WERTHEIM

ROSENHAYN

Michels

Grunfels

S

B

Was war denn der Lebensinhalt der jungen( und häufig auch der älteren) Weib­lichkeit vor dem Anbruch der Frauenbewegung? Vergnügen und ein vielfach ausgebildeter, zumeist überflüs­Die Mädchen siger Kultus des Schönen. wurden auf diesem Wege so erzogen, daß sie willensschwach, leistungs­unfähig und vor allem egoistisch werden mußten. Für diese Fehler der Er­ziehung machte man dann das Geschlecht haftbar....

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Wollen wir auf diese soziale Erweckung wieder verzichten? Und zu dem überwundenen Stand­punkt der Frau zurückkehren, deren Leben wie man gesagt hat die 3 K ausfül­len: Kinder, Küche und Kleider. Nein, wir müßten uns bald überzeugen, daß eine solche Frau auch den Kindern von heute nicht gerecht werden könnte.

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die

Man sieht: die Frauenbewegung, im Dritten Reiche von den Führenden im­mer wieder beschimpft und von den brau­nen Gefolgsleuten immer wieder verlacht wird, findet Verteidiger dort, wo man sie" am wenigsten vermuten sollte. Es zeigen sich sogar schüchterne Versuche, in klei­nen Zirkeln eine Art Wiederbelebung der Bewegung von ehedem vorzubereiten. Wir erinnern an den Leserkreis der» Deut­schen Kämpferin«. Allerdings ein aus­sichtsloses Unternehmen, denn innerhalb eines entrechteten Volkes kann es für die Frau keine Freiheit geben.

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Interessant ist es, die Suche nach etwa noch vorhandenen Berufsmöglichkeiten zu beobachten. Die Frauengeneration, die jetzt ihr Studium beendet, findet nahezu alle, Türen verschlossen, und wer keine glän­zenden Beziehungen zu braunen Partei­gewaltigen hat, wird des Anklopfens sehr bald müde. Aerztinnen sind in Kranken­häusern und Kliniken» unerwünscht«, fast alle Stellenausschreibungen in den Fach­zeitschriften gelten nur den männlichen Kollegen. Juristinnen finden in den selten­sten Fällen Gelegenheit, auch nur die Re­ferendarszeit bei Gericht zu absolvieren. Lehrerinnen kommen nicht mal in den Mädchen-, geschweige denn in Berufs­

Wien Frauen ebenso unerträglich wie das Ley und Streicher:» Den andern die Rittergüter, uns die oder Knabenschulen unter, der Prozentsatz jüdischer Geschäfte!«<

Los der alten Jungfer«. Dieser Begriff

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ist

man glaubte ihn schon überwunden übrigens von dem Gauwalter der Arbeits­

front, Duschön, soeben neu belebt worden. los sind« wird eben die weibliche Konkur­Duschön verkündete bei einem Jugend- renz als freche Herausforderung empfun betriebsappell in Königsberg  ,» man habe den. Die in solcher Weise aus dem Beruf kein Interesse daran, daß die Frau als alte gewiesenen Mädchen werden in keiner Ar­Jungfer im Betrieb sterbe«. Vielleicht ist beitslosenstatistik auftauchen. Dagegen ist das der Grund, warum man die Frauen in zu befürchten, daß ein Teil von ihnen eines hinauswirft. Tages in einer andern Rubrik geführt Prostituiertenliste. Denn Scharen aus den Betrieben Wenn schon alte Jungfer, dann zur Strafe wird, in der Not lehrt nicht immer beten. ohne Beruf.

Man höre, in welchem Ton sich der Gaufachgruppenwalter für Gaststätten in Thüringen   gegen weibliche Bedienung wen­det. Er schimpft in einem Aufruf:

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Bei den besitzenden Schichten hat die

Enttäuschung der hitlerbegeisterten Frau­en später eingesetzt als in den proletari­schen und kleinbürgerlichen Kreisen. Die

> Für das ganze Land Thüringen   kann höheren Töchter studierten zunächst ruhig gesagt werden, daß die weibliche Bedienung weiter in dem Bewußtsein, daß sie eines keine übliche Sitte ist und auch nicht wer- Tages auch ohne Broterwerb von Hunger den darf. An dieser Tatsache ändert auch geschützt sein würden. Denjenigen Mäd­der Umstand nichts, daß in Ost- und Süd- chen» aus guter Familie<<, die

ohnehin

vom

Wirken fremder Mächte.

männlicher Lehrkräfte auch in den Lyzeen steigert sich von Jahr zu Jahr. So setzen denn verzweifelte Versuche ein, hier oder nationalsozialistischen Blickfeld aus da Neuland zu erobern. Das heute noch gesehen, einschließlich Grenz- und Aus- gültige Schriftleitergesetz vom 4. Oktober landsfragen, erfaßt es das Schicksal 1933 z. B. enthält keinen Sonderpara­unseres Volkes, erkennt es das feindliche graphen, der etwa die Frau vom journali­Gestaltung stischen Beruf ausschlösse. Die Folge ist, eines allumfassenden neuen daß die anderwärts Vertriebenen sich an Volkstums, eines neuen Kulturaus diesen Strohhalm zu klammern suchen. In druckes steht als Forderung vor uns. Lied den Zeitungswissenschaftlichen Seminaren und Sprechchor, Spiel, Tanz und zu Berlin   stellten die Frauen in den letzten Werkarbeit bilden den Ausgangspunkt die- Semestern etwa ein Drittel aller Studieren­ser Arbeit... den. Freilich gab es bald eine herbe Ent­Neben der weltanschaulichen Schulung täuschung. Wer nämlich in die Reichs­nimmt die körperliche Erziehung einen presseschule aufgenommen werden will, großen Teil der Arbeitszeit ein, deren Besuch künftig als Abschluß der denn das Ziel ist, alle Führerinnen soweit Ausbildung obligatorisch werden soll, muß durchzuschulen, daß sie die sportliche Ar- zuvor durch ein Arbeitsdienstlager für beit in ihren Einheiten selbst leiten können. Journalisten gegangen sein. Und siehe Wer diesen Speisezettel aufmerksam zum ersten Kursus dieser Art wurden 85 und zwei Mädchen zuge­35 Prozent weibliche Seminar­

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thüringen noch sehr viele Lokale vorhanden auf Berufsausbildung keinen Wert legten, durchliest und dabei nicht außer acht läßt, junge Männer sind, die weibliches Personal beschäftigen. erschloß sich sogar ein neues Gebiet, sie daß die Ausbildungszeit nach Abrechnung lassen. Die Nähe Sachsens  , wo die weiblichen Be- konnten in der NS- Frauenschaft   und im des Ankunfts- und Abreisewirbels besten- studenten, rund 22 Prozent Arbeits­dienungskräfte leider noch sehr stark ver- BDM   zu Ehrenstellen und zu einer Art falls 19 Tage beträgt, wird sich leicht ein dienstlerinnen. Das bedeutet: man läßt die treten sind, bringt diese bedauerliche örtlicher Berühmtheit gelangen, ohne sich Bild von dem wüsten, verwirrenden Durch- Mädchen zwar Kolleggelder zahlen und ein Wie mag es wenig herumstudieren, denkt aber gar Tatsache mit sich; ebenso im Westen übermäßig aufzuopfern. Wie die»> Ausbil- einander machen können. dung der weiblichen Jugendführer zu be- nach beendeter» Lehrzeit in den Köpf- nicht daran, sie ernsthaft als Konkurrenz

das benachbarte Bayern  ...