Verlag; Karlsbad. Haus„Graphia"— Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte SeiteHitler seht aufs GanzeEuropa in größter Verwirrung(öDlioltemfllratifcty**Kr. 148 SONNTAG, 13. April 1936Aus dem Inhalt;Der große WahlbetrugSorgen um die AufrüstunDeutsch-polnischeVerstimmungenArische RiesenkorruptionDie internationalen Verhandlungen haben in Genf wieder begonnen. Die Lage istverworrener als jemals zuvor. In der gegenwärtigen großen Krise trifft alles zusammen, was in den letzten Jahren ankritischen, die Stabilität in Europa störenden Momenten aufgetreten ist. Die Schleiersind von den Dingen gezogen, hinter denIdeologien treten die harten Realitäten desMachtkampfes hervor. Der Sinn von Hitlers außenpolitischem Vorstoß war, wiehier von Anfang an gesagt wurde, d i eErringung der Vorherrschaftin Zentral- und Osteuropa. DieBefestigung der Rheinlandzone soll dasEingreifen Frankreichs und Englands verhindern, wenn Hitler im Osten vorgehenwilLWorin bestand bisher die Gegenaktionder Westmächte gegen das deutsche Hegemoniebestreben? Sie haben bisher versucht, Hitler zur Rückgängigmachung oderwenigstens zur Abschwächung der Rheinlandbesetzung zu bewegen. Die deutscheAntwort war eine Abweisung dieses Verlangens, England hat darauf die Garantieder französisch-belgischen Grenze im Falleeines nichtprovozierten Angriffs Deutschlands erneuert. Diese Garantie ist dadurchverstärkt, daß trotz des Widerspruchs Hitlers die Generalstabsbesprechungen zwischen England und Frankreich jetzt aufgenommen werden. England ist auch nocheinen Schritt weiter gegangen. Es hat zugesagt, daß im Falle des endgültigen Scheitern der Verhandlungen mit Deutschlandüber eine neue europäische Friedensorganisation sofort neue Verhandlungen zwischen England einerseits, FYankreich undBelgien andererseits über die gegenseitigeGarantie der Grenzen gegen einen deutschen Angriff stattfinden sollen. Es istwahrscheinlich, daß Italien, das bisher infolge des abessinischen Konflikts äußersteZurückhaltung übt, sich dem englischenVorgehen anschließt Aber mit dieser Aufrechterhaltung der Locarnogarantien fürFrankreich und Belgien ist ja d a s w i r k-liohe Problem— eben die Befestigung der Rheinlandzone mit all ihren weittragenden Folgen— noch nicht einmal berührt Was wird nun weitergeschehen?Die deutsche Antwort vom 1. Aprilläßt an Hitlers Absichten keinen Zweifel.Sie lehnt jedes Entgegenkommen ab; esbleibt bei der Rheinlandbesetzung und diedeutsche Regierung würde höchstens füreinen Zeitraum von vier Monaten, in demdie neuen, von ihr vorgeschlagenen Nichtangriffspakte abgeschlossen werden könnten, auf eine Verstärkung der im Rheinland befindlichen Truppen, unter Voraussetzung eines gleichen Verhaltens der belgischen und der französischen Regierung,verzichten. In bezug auf die Befestigungenübernimmt die offizielle Antwort überhauptkeine Verpflichtungen, und nur mündlichhat Herr Ribbentrop dem StaatssekretärEden versichert, daß die Anlage der Befestigungen viel längere Zeit brauchenwürde, als die vier Monate, in denen diedeutschen Friedensvorschläge angenommen werden sollen.Die Vorschläge sind im übrigen diegleichen, die Hitler in seiner Reichstagsrede gemacht hat: fünfundzwanzigjährigerSicherheitspakt zwischen Frankreich undBelgien einerseits und Deutschland andererseits unter englischer und italienischerGarantie, sodann Abschluß von einzelnenNichtangriffspakten mit den NachbarnDeutschlands an seiner Südost- und Nordostgrenze; Wiedereintritt in den Völkerbund und Bereitschaft zum Abschluß einesRüstungsabkommens.In eine Kritik der deutschen Vorschlägenochmals einzutreten, erübrigt sich. DerZweck, sich im Osten freieHand zu sichern, liegt ja offenzu Tage. Zunächst ist von dem Angebot,Nichtangriffspakte abzuschließen, Rußland ausgeschlossen. Dann bedeutet derAbschluß von Nichtangriffspakten desmächtigen Deutschlands mit jedem einzelnen seiner schwachen Nachbarnnicht nur viel weniger als der Kelloggpakt,sondern auch viel weniger als bisher derVölkerbundspakt an Schutz für den Angegriffenen garantierte. Denn nach demFlintritt Deutschlands in den Völkerbundwürde Deutschland allein oder mit Hilfeseiner Bundesgenossen darauf rechnenkönnen, die Feststellung des Angreifersjedesmal zu verhindern und damit den Angegriffenen des kollektiven Schutzes durchdie Völkerbundsmitglieder zu berauben.Die Nichtangriffspakte wären also schonrein rechtlich selbst gegenüber dem bisherigen Zustand ein Rückschritt; aber werzweifelt daran, daß Hitler in jedem Fallestets der Angegriffene sei, daß nie er, sondern der Jeweilige Gegner den Pakt gebrochen haben wird? Und da Hitler nach seinen eigenen Aeußerungen nie einen anderen Richter anerkennt als das von ihmselbst bestimmte souveräne Recht derdeutschen Nation, so ist der mit solcherReklame angepriesene konstruktive Teildes Friedensangebotes ein wirklicher Hohnauf jede ernste Friedenssicherung.Dasselbe gilt von dem Angebot einesRüstungsabkommens. Der schwachePunkt der deutschen Machtpolitik ist heute vor allem der ungenügende finanzielle und wirtschaftliche Unterbau. Es ist kein Zufall, daß alle Mitteilungen über die Ausgaben radikal unterdrückt werden. Eben hat das deutscheVolk erfahren, daß das Kabinett den neuenEtat für das am 1. April beginnende Rechnungsjahr pünktlich verabschiedet hat,aber über den Inhalt erfährt es kein WortDeutschland ist das einzige Land inder Welt ohne Budget. Seibat dasfaschistische Italien veröffentlicht— unddazu in einem Kriegsjahr— seinen Etat.Und mögen auch die Ausgaben für die Rüstung und den Krieg nur unvollständigoder auch irreführend sein, so werden docheben die Angaben gemacht Nur die Hitlerdiktatur unterbindet völlig jede Kontrollmöglichkeit, und höchstens aus Verordnungen über neue Steuererhöhungen werden die Untertanen erfahren, daß die Rüstungsausgaben immer noch wachsen.Die wirtschaftlichenSchwierigkeiten sind also dieeinzigen, die die Diktatur mitBesorgnis erfüllen. Deshalb könnteHitler nichts günstigeres passieren, als daßer ein Rüstungsabkommen erhält, das seinemilitärische Ueberlegenheit stabilisiert(ein anderes würde er nicht schließen) undihm die finanzielle Ruhepausebringt, deren er so dringend bedarf. Esgibt ja überhaupt in dem deutschen Friedensangebot keinen einzigen Punkt, dessenErfüllung nicht eine Stärkung der deutschen Machtpolitik und eine Erleichterungdes künftigen deutschen Angriffs bedeutet Die Machtpolitik hat eben ihre eigeneLogik.Wie verhalten sich demgegenüber dieWeltmächte? Frankreich fordert eine neueZusammenkunft der Loc arnomächte. Diesefindet jetzt in Genf statt zusammen mitder Tagung des Achtzehner-Ausschusses,der über den abessinischen Konflikt beraten soll. Frankreich wird den Versucherneuern, England für eine Verhinderungder Rheinlandbefestigung zu gewinnen.England sucht aber Zeit zu gewinnen und will die Tür zu Verhandlungen mi t D e u t s c h I a n d auf alleFälle offenhalten. Um die Wirkung, die das Friedensangebot Hitlers aufeinen Teil der englischen pazifistischenöffentlichen Meinung ausübt, abzuschwächen, macht Frankreich gleichzeitig einenGegenvorschlag, der die kollektive Sicherheit durch den Völkerbund verstärkt undRußland mehr als bisher in ein neueseuropäisches Friedenssystem einbeziehtMan sieht, der Gang der Ereignissewird auch in nächster Zeit durch dasVerhalten Englands bestimmt Bisher sind die Westmächte auf die Stellegetreten, während Hitler gehandelt hat.Hitler wird auch die Zwischenzeit benutzen, um, während die anderen beratschlagen, den Festungsbau möglichst voranzutreiben.Gelingt ihm das, so kann ihm das spätere Schicksal seiner oder der französischen Sicherheitspläne ziemlich gleichgültig sein. E!s geht ja nur um die sehr einfache, aber auch sehr bedeutsame Machtfrage der Befestigung. Wird die englischePolitik sie zu seinen Gunsten entscheiden?Unterdessen hat sich neuer Zündstoffaufgehäuft. Die italienischen Siege überdie aller modernen Waffen ermangelndenAbessinier haben die Ansprüche Italiens gesteigert und ihr Vormarsch hatsie bis an den Tana-See, an das Quellgebiet des Blauen Nils, gebracht. In Afrikaund in Europa zugleich fällt das italienische Gewicht nunmehr stärker in dieWaagschale. Englands Abessinienpolitikist in eine schwierige Lage gekommen.Oesterreich hat nach deutschemVorbild die allgemeine Wehrpflicht proklamiert, ein neuer Vertragsbruch, sehr unbequem in dem Augenblick, in dem dieAufrechterhaltung der Verträge gewahrtbleiben soll. Oesterreichs Vorgehen mußaber das ungarische nach sich ziehen, unddurch die ungarische Aufrüstung fühltsich die kleine Entente noch mehr bedrohtals durch die österreichische. Die Lagein Mitteleuropa verschärftsich also im gleichen Augenblick, in dem Hitlers Vorgehenschon ohnedies ernste Gefahren heraufbeschworen hat.Englands Politik hatte seit Kriegsendebis jetzt mit dogmatischer Starrheit dasZiel verfolgt, Verpflichtungen über denSchutz der französischen und der belgischen Grenze hinaus unter allen Umständen zu vermeiden. Hitler hat Englandjetzt vor die Entscheidung gestellt, ob eaan diesem Ziel noch länger festhaltenkann, ohne ihm die Macht über Mittel-und Osteuropa auszuliefern, nach derenErlangung nicht nur Frankreich, sondernauch England direkt bedroht wäre. Dasmacht die Entscheidung für England soschwer und läßt es nach immer neuenKompromissen suchen. Hitler aber gehtaufs Ganze...»Wahlen« in Hamburglieber Lohn als Hitlerworte— Unruhe bei Blohm& Vofi—Luftsdiu� und Wahlarbeit■— Wunder der Stimmenzählung.Hamburg, Anfang April.Vor der Wahl: Werksversammlung beiBlohm& Vofl. Am Freitag, dem 27. März,nachmittags, hörte bekanntlich ganz Deutschland des Führers Rede aus der KruppschenLiokomotlvhalle In Essen. Bei Blohm& VoBhatte che Werksleitung am Tage vorher durchAnschlag das Programm für die»Feier« bekann tgem acht; 1. Musikvorträge der Werk-Kapelle, 2. Ansprachen: a) Direktor Staatsrat, M. d. R. Blohm, b) Habedank, c) Reichsstatthalter Kaufmann, d) der Führer amMikrophon. Aus diesem Anlaß allgemeinerArbeitsschluß schon 15.20 statt 18 Uhr. Lohnzahlung nach der Führerrede. Nachmittagsgegen 16 Uhr stauten sich die Massen(dasWerk beschäftigt z. Zt. zirka 8500 Mann)vor der»Feierhalle«. In der Halle nur einigetreue Seelen. Die Feder beginnt. Es redenBlohm, Habedank, Kaufmann. Die Massenstehen noch demonstrativ vor der Halle.Der Führer beginnt zu reden. Da setzen sichdie Massen in Bewegung in Richtung auf dieLohnauazahl ungsschalter beim Ausgang. Hierverharren sie in aulgeregter Stimmung. DieUnruhe wird immer größer, als bekannt wird,daß auch die Im Flugzeugbau beschäftigtenSchichtarbeiter, deren Schicht um 15 Uhr beendet war, nicht aus dem Betrieb gelassenwurden und noch um 16% Uhr auf ihrenWochenlohn warteten. Erst vereinzelt, dannstärker und endlich Im Sprechchor rufen.-ie:wir haben Hunger, wir wollen unseren Lohnhaben. Einige Amtswalter in Uniform rasenheran, doch die Massen rufen welter: wirhaben Hunger. Bs geschieht ihnen nichts. Um17% Uhr werden die Lohnschalter geöffnet.Die Wahl: Mit allen nur denkbaren Mitteln des Individuellen Terrors wurden dieWähler an die Urne gebracht und ihreStimmabgabe beeinflußt. Schwer kranke,vor Schmerzen schreiende Frauen hat manherausgeachleppt. In den Krankenhäusernund Stiften wurden die Kreuze in die Stimmzettel gesetzt— von den Wahlheüfem, Zumgrößten Teil waren die Wahlboxen so aufgestellt, daß man bequem vom Tisch aus indie Box sehen konnte. Ein bis ins kleinsteorganisierter Schleppdienst sorgte für Belebung der Treppenhäuser. Schon ab 13 Uhrkamen die Hitlerjungen etc. an die Türen.Die gesamten Luftschutzkräfte waren mobilisiert. Jeder Luftschutz-Hauswart erhielt einMerkblatt für seine— Wahlarbeit. Er hatte»seine« Hausbewohner anzuhalten und zuüberwachen, damit sie auf Jeden Fall ihrerWahlpflicht genügten. Waren alle Hausbewohner zur Wahl, hatte der Luftschutz-Hauswart an der Haustür ein rotes Plakatmit der Aufschrift:»In diesem Haus hat alles gewählt« anzubringen. Man sah aber vieleHäuser ohne Plakat.Nach der Wahl: Man sah in Hamburgviel lachende Gesichter: vor Verblüffung oderaus Ironie. Ueberau, wo jemand eine Zeitung in der Hand hielt mit dem Wahl ergeh-