Nr. 153 SONNTAG, 1?. Mai 19366�ial�molra�ifc�gg SPpcfrgnfrto#Verlag; Karlsbad, Haus„Graphia"«— Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte SeiteAus dem Inhalt;Kapitulation vor der GegenrevolutionSchachts TodesahnungPolen, wohin?Schwerindustrie will abwertenDiktatur über EuropaVom Mussolinifrleden zum HitlerfriedenMussolini hat Abessini en erobert undseinen Schattenkönig zum Kaiser vonAbessinien befördert. Die Eroberung hatnicht Jahre gedauert, wie die meisten militärischen Sachverständigen voraussagten,sondern nur sieben Monate. Die Gründesind klar. Noch nie ist ein Kolonialkriegmit so überwältigender Uebermacht anMaterial und Mann geführt worden. DieMotorisierung und die Flugwaffe reduzierten die Gelände- und die Nachschubschwierigkeiten in unerwarteter Weise, machtenjeden Widerstand geschlossener Formationen, die nicht über gleichwertige Aus-rüstung verfügten, aber auch den gefürchteten Guerillakrieg unmöglich. Soweit eszu kriegerischen Handlungen kam, war esdas Morden fast Wehrloser durch die Italiener, und auch Giftgase durften nicht fehlen. Jubelnd feiert Rom die Heldentatenseiner Armee.Mussolini hat nicht nur den Völkerbundzerrissen, er hat auch die Verträge von1906 und 1925 über die Abgrenzung derInteressensphären Italiens, Frankreichsund Englands durch die nunmehr proklamierte vollständige Besitzergreif ung Abessiniens vernichtet. Das ganze Abessinienmuß es jetzt ga«. Dgs igt u.« fax gern a n a, der faschistische Friede....Bedeutet Hitlers Rheinlandbefestigungden beginnenden Umsturz der Machtverhältnisse in Europa, so Mussolinis Sieg denAusgang für weitreichende Aenderungenin den imperialen Beziehungen. Abessinien,in der kriegerischen Hand der italienischenDiktatur, ist eine unmittelbare Bedrohungder englischen Stellung in Aegypten, demSudan und in Kongo, der Durchfahrt durchdas Rote Meer und damit des Seewegsnach Indien, die sich zur SchwächungEnglands im Müttelmeer gesellt. Es ist diestärkste Gefährdung des englischen Imperiums seit der deutschen Kriegserklärung von 1914.Mussolini konnte das abessinische Abenteuer wagen infolge der völligen Aende-rung der europäischen Machtlage durch diedeutsche Aufrüstung. Die, die heute seineUntat verurteilen, das Binde des Völkerbundes, das Ende der»kollektiven Sicherheit« bejammern, damals aber die Aufrüstung Hitlers ruhig geschehen ließen,damals als es Zeit war, und es keinenKrieg und kein einziges Menschenleben gekostet hätte, tragen die Mitverantwortung.Aber damals hat die englische Regierung,hat die Labour Party, ach, so viel Verständnis für die Gleichberechtigung desGangsters gehabt, hat die Labour Partysich gegen jede wirkliche Verständigungmit dem unmittelbar bedrohten Frankreichgestemmt, hat jede wirksame Aktion vereiteln helfen. Als Deutschland von derheimlichen Aufrüstung zur offenen überging, als es die Abrüstungskonferenzsprengte und den Völkerbund, auch dawäre es noch Zeit gewesen, und wiederwurde sie versäumt Wieder versagte dieenglische Hilfe, wieder panzerte sich dieLabour Party mit ihrem unerschütterlichen Pazifismus, die französischen Regierungen fühlten sich allein zu schwach unddie französischen Sozialisten pflanzten mitschöner Geste noch am Grabe die Hoffnungauf und forderten die»Fortsetzung derAbrüstungskonferenz mit oder ohneDeutschland. Mussolini wurde dabei vergessen und die beiden Diktatoren bereiteten unterdessen ungestört ihre Kriege vor,Hitler in seinem Vertrauen auf die englische Politik neu bestärkt durch das Flottenabkommen mit England, das seinen Vertragsbruch sanktionierte.So kam, was kommen mußte. Frankreich, angesichts der Bedrohung durchHitler von England immer wieder in Stichgelassen, suchte seine Position zu stärken;Bund mit Rußland, Annäherung an Italien,die England unterstützte und der es sichin Stresa anschloß. Die»Front von Stresa«sollte die neue Garantie des europäischenFriedens sein, im Völkerbund ließ sie einedrohende Verwahrung gegen künftigedeutsche Vertragsbrüche beschließen, undgeschah auch nichts gegen die fieberhaftedeutsche Kriegsvorbereitimg— die Abwehr der Völkerbundswelt unter Führungder drei Großmächte und der Hilfe Rußlands schien gesichert.Aber Mussolini ist kein Friedenswächter und die Sicherheit Frankreichs ist nichtseine erste Sorge. Der Diktator geht seinen Weg und— als Mitglied des Völkerbundes oder nicht— die kollektive Unsicherheit und nicht die kollektive Sicherheit ist sein Interesse. Die Tragödie nahmihren Verlauf. Hätte der Ausgang verhindert werden können? Frankreich wußte inseinem Rücken das stets anwachsendeHeer Hitlers. Sollte es Italien in die ArmeDeutschlands treiben oder es als künftigenFactor gegen Hitler ausschalten? Konntees andererseits zulassen, daß ein ungestörter Krieg gegen ein Völkerbundsmitgliedden Völkerbund zerstörte, auf dem bisherseine Politik der Sicherheit beruhte, diegerade jetzt so gefährdet war? Aber derVölkerbund hatte soeben in der alles entscheidenden Frage der deutschen Aufrüstung versagt und der Beweis war erbracht, daß ohne England die anderen Regierungen— Rußland vielleicht ausgenommen— kein Vorgehen wagen wollten oderkonnten, das ohne England für sie Kriegsgefahr bedeutete. Ohne völlige Einigungzwischen England und Frankreich auf allen wichtigen Gebieten der Politik ist derVölkerbund aktionsunfähig. Sollte Frankreich seine ganze Kraft gegen Italien zurVerfügung stellen, dessen Annäherung ihmeben erst erlaubt hatte, seine Truppen vonder italienischen an die deutsche Grenzezu verlegen, so mußte es wenigstens derenglischen Unterstützung in Zukunft gewiß sein, wenn es um lebenswichtige Fragen seiner Sicherheit und um die des europäischen Friedens in Mittel- und Osteuropa geht. Aber gerade eine solche zuverläßliche, bestimmte, verpflichtende Zusicherung war von England nicht zu haben. So blieb Frankreich in dem unauflöslichen Dilemma stecken, in das es dieWeigerung Englands, Verpflichtungen übereinen unprovozierten Angriff Deutschlandsauf Belgien oder Holland hinaus zu übernehmen, gebannt hatDie Diktaturen, wie immer ihr momentanes gegenseitiges Verhältnis ist, stützeneinander durch ihr bloßes Vorhandensein.Denn indem jede jeweilig in erster Linieeine Bedrohung für eine Macht oder" Militärgruppe ist, spalten sie die Interessender Abwehrmächte und verhindern, jederzum Vorteil des anderen, deren Zusammenwirken. War Mussolinis Krieg nur möglichdurch die deutsche Aufrüstung, so HitlersRheinlandbesetzung nur durch das abessinische Abenteuer. Und Mussolinis Siegbekräftigt Hitlers entscheidenden Erfolg.War England— und zwar wieder Regierung ui�d. Labour Party•— schon währenddes Krieges nicht bereit etwas Wirksamesgegen die Wiederbesetzung der Rheinzoneund gegen deren Befestigungen zu tunoder zusätzliche Garantien gegen Friedensstörungen in Mittel- und Osteuropa zuübernehmen, so noch weniger nach ItaliensSieg. Denn da dieser eine permanente undgefährliche Steigerung der italienischenMacht bedeutet, so wird die AbneigungEnglands, neue Verpflichtungen einzugehen, sicher nicht verringert werden unddas Bestreben, Hitler-Deutschland zufriedenzustellen, ein Zusammenwirken beiderDiktatoren auf alle Fälle zu verhindern,vielleicht noch seltsamere Blüten treibenals bisher.Bald zehn Wochen sind seit dem 7.März vergangen und England ist so weit,an Hitler einen Fragebogen zu richten, in dem er um nähere Auskünfte überseinen Friedensplan ersucht wird. Von derberühmten Uebergangsperiode, in der diedeutsche Grenze von englisch-italienischenTruppen— komisch, nicht?— besetztwerden, das deutsche Militär beschränktund Befestigungen unterlassen werdensollten, ist nicht mehr die Rede. Die deutsche Zementproduktion hat allerdings unterdessen eine neue Rekordhöhe erreichtWann und was Hitler auf die Fragen wegen seiner Absichten in bezug auf Sowjetrußland oder Oesterreich, auf seine Kolonialansprüche oder gar auf seine Absicht,in Zukunft Verträge zu halten, antwortenwird, steht dahin. Aber es ist auch ganzgleichgültig. Denn was wird geschehen,wenn die Antworten ungenügend und unbefriedigend ausfallen? Das ist schon vor-i gekommen, zum Beispiel neulich, als Hitler sich weigerte, einem Friedenspakt imOsten beizutreten oder kürzlich, als Hitlerdie freundliche Aufforderung Englands,einem Luftpakt anzuschließen, unbeantwortet ließ. Der Ostpakt wurde fallen gelassen, der Luftpakt wurde nicht geschlossen. Hitler braucht also nur wieder seineallgemeinen Redensarten zu wiederholenund die Akten werden eine Zunahme erfahren. England wird sich hüten, Deutschland in die Arme Mussolinis zu treiben, wiesich Frankreich gehütet hat, Italien in dieArme Hitlers zu treiben.Mussolini hat ein Reich, das dem Völkerbund angehörte, er hat wichtige Verträge vernichtet, aber die Illusionen zuzerstören, hat er nicht vermocht. Die französische Politik träumt von einer Wiederherstellung der Stresafront Aber die römische»Tribuna« erklärt in einem halbamtlichen Artikel:»Wir möchten diejenigen, die es wagen, von der Stresafront zusprechen, wenigstens um ein Mindestmaßvon Schamgefühl bitten«. Und Hitler läßtbereits die Wiederaufrichtung der Stresafront in seiner Presse als eine neue Bedrohung Deutschlands hinstellen. Weder inParis noch in London will man sehen, daßdie aggressiven Diktatoren sich ihrer innersten Natur nach nicht in ein Friedens-Die Gestapo darf morden!TSn ganzes Heft der Zeitschrift»DeutschesRecht«, dem Zentralorgan der NS-Juristen-schaft, ist der Geheimen Staatspolizei gewidmet. Vorab verdienen zwei Sätze festgehalten zu werden. Es heißt dort:»Alle staatlichen Einrichtungen müssenan sich unbedingt in festen und gleichbleibenden Formen arbeiten, wenn nichtdas ganze Staatsgefüge erschüttert undaufgelöst werden soll. Allein die Wehrmacht im Kampf gegen den äußeren Feind,die Geheime Staatspolizei im Kampf gegenden inneren Feind müssen von solchen Bindungen freibleiben.«Die Gestapo kennt also keine Bindungenan das Recht, keine Schranke der Rechtsordnung. Die Rechtsgüter des Lebens, derGesundheit, des Eigentums und der Ehre,Verträge und Verpflichtungen, alles das existiert für die Gestapo nicht. Die Mitgliederdieser Behörde sind Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft. Sie haben die Pflicht, jedesRecht zu verletzen, das ihnen hinderlich erscheint. Wird endlich die Welt begreifen, daßdie von der Gestapo durchgeführten Strafverfahren auch nicht mehr das geringste miteinem ordentlichen Verfahren gemein haben?Die Gestapo hat als Polizeibehörde mannigfache Beziehungen, zu den Polizeibehördenanderer Staaten. Können diese Staaten ander Tatsache vorübergehen, daß diese deutsche Polizeibehörde keine Voraussetzung einerzivilisierten Staatseinrichtung besitzt?Die oben zitierten Sätze sagen dem Kenner deutscher Verhältnisse nichts neues. AusTausenden von Einzelfällen mußte er zu demSchluß gelangen, der ihm jetzt amtlich vorgesetzt wird. Denn diese Sätze stehen nichtnur in einer offiziellen Zeitschrift, sie stammen auch von zuständiger Seite, da einRegierungsdirektor im Geheimen Staatspolizeiamt— also ein Stellvertreter des Chefsdieser Behörde— ihr Verfasser ist. SeinName ist Dr. Werner Best, weiland Verfasser der Boxheimer Dokumente,deren Richtigkeit damals von dem Führer derNSDAP so heftig bestritten wurde, daß esder republikanische Oberreichsanwalt glaubte.Das Bestäche Agrarprogramm ist allerdingsvergessen. Desto konsequenter ist sein Tot-schlagsprogramm durchgeführt worden undman wird zugeben müssen, daß die Stelleeines Regierungsdirektors der Gestapo mitkeinem würdigeren Jüngling besetzt werdenkonnte, als mit diesem Herrn Best.Volksgerlffat auf LebenszeitFaschistische Machthaber verzichtenauf kein Mittel zur Sicherung ihrer Position. Sie bauen diese Sicherung im Gegenteil nach allen Richtungen aus. Daszeigt auch das neue Gesetz über denVolksgerichtshof, durch das dieses Gericht,dessen Geltungsdauer ursprünglich befristet war, eine dauernde Einrichtung wird. Die barbarischen Untersuchungsmethoden dieses Gerichts, die völlige Rechtswillkür seiner Verhandlungs-weise,' der politische Fanatismus, derdurch die nichtrichterlichen Beisitzer, dieaus SS und Militärkreisen stammen, nochverschärft wird, sollen den Charakter desVolksgerichtshofes als einer Abschrek-kungsinstanz noch verschärfen.Von besonderer Bedeutung ist, daß dieBeisitzer des Volksgerichtshofes jederzeitabberufen werden können. Sie haben alsokeinerlei richterliche Unabhängigkeit. Inihrer Besoldung werden sie den höchstenReichsrichtem gleichgestellt, also bessergestellt als sonstige Richter. Zuckerbrot und Hungerpeitsche, dassind die Mittel, mit denen der Nationalsozialismus die Richter dauernd zwingt,seine politischen Gegner nicht zu verurteilen, sondern zu verderben.