Verlag: Karlsbad  , HausGraphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite llnmhe in tieiiKdien Betrieb Wiedererwachendes Selbstbewußtsein der Arbeiter Np.175 SONNTAG, 18. Oktober i936 Aus dem Inhalt: Hitler   und die Wirtschaffeführer Gördeler gegen Schacht Der kalte Putsch in Danzig  Arbeitsbuch und Kriegswirtschaft Dte Dentschlandberichte des Vorstands der Sozialdemokratischen Partei Deutsch­ lands   veröffentlichen eine Zusammenstel­lung über Widerstandsregungen in deut­ schen   Betrieben. Diese in den letzten drei Monaten eingelaufenen Berichte sind nach verschiedenen Richtungen bemerkenswert: 1. Die Zahl der Fälle, in denen über Widerstandsregungen der Arbeiterschaft berichtet wird, hat sich wesentlich ver­mehrt. 2. Die Facharbeiter gewinnen in den Industrien, in denen Mangel an Fach­arbeitern herrscht, immer mehr an Selbstbewußtsein. 3. Es werden Fälle berichtet, in denen die Arbeiter eine starke Solidarität un­ter Beweis gestellt haben, gelegentlich sogar unter Einschluß der»alten Kämp­fer«. 4. Das Ansehen der früheren Ge­werkschaftsfunktionäre und Betriebs­ratsmitglieder hat sich sowohl bei den Arbeitern als auch bei den Betriebslei­tungen weiter gehoben. Es ist bemerkenswert, daß die Vertre­ter des Systems es für nötig halten, den Arbeitern bei jeder Gelegenheit ausein­anderzusetzen, warum vorläufig nicht an Lohnerhöhungen zu denken ist. Wir veröffentlichen ans diesen Berich­ten den folgenden Auszug:. Nordwestdcutschland Die... Werke sind ein Reichswehr­betrieb. Als Be triebst Uhrer fungiert ein Offizier. Er erscheint Jeden Morgen im Be­triebe und inspiziert alle Abteilungen. Dabei wird er von den Ingenieuren und Meistern in militärischer Haltung, begrüßt, während sich die Arbeiter um seine Anwesenheit nicht kümmern. Ingenieure und Meister sind ange­wiesen, alles aus dem Betriebe herauszuholen, was herauszuholen ist. Es herrscht daher ein Antreibersystem schlimmster Art. Höhere Leistungen werden durch Akkordverschlech­terungen erpreßt, die von den Abteilungs­leitern(Ingenieuren) auf Anordnung durch Anschlag bekanntgemacht werden. Manchmal gelingt es, durch Obstruktion einer ganzen Abteilung eine solche Ver­schlechterung für einige Zeit abzuwehren. Eine scharfe Zuspitzimg erfuhr ein solcher Konflikt vor einigen Wochen In einer Hand­granatenabteilung, In der etwa 100 Mann eine solche Verschlechterung einmütig ablehnten. In den letzten Monaten war der Akkord dreimal verschlechtert worden. Als man Jetzt abermals durch Anschlag bekannt gab, daß in Zukunft pro Stunde soundsovlele Werkstücke abgeliefert werden müßten fast die doppelte Zahl wie vor einem halben Jahr arbeitete die Abteilung unbekümmert um diese Anordnung In dem bisherigen Tem­po weiter. Am nächsten Tage erschien aber­mals ein Anschlag, in dem Jedem, der die ge­wünschte Zahl nicht abliefere, mit E n t- lassung gedroht. Wieder kümmert man sich nicht darum. Nach ein paar Tagen wur­de bekanntgemacht, daß Jeder, der sich nicht nach dieser Anordnung richte, verhaftet würde wegen Sabotage. Als auch diese An­ordnung nichts nützte, verhaftete man einen »alten Kämpfer« als Rädelsführer, man tat den anderen nichts, sondern vorläufig wurde die Anordnung zurückgenommen, bis sie in einiger Zeit wieder erlassen wird. Der Ver­haftete hatte sich sehr mannhaft benommen. Er meinte, daß er als alter Pg. und SA-Mann sich das erlauben könne. Dem Ingenieur hatte er gesagt, er hätte zu dem ganzen»Mist« keine Lust mehr usw. Selbst die Gauleitung, an die er sich dann wandte, konnte nichts für ihn tun. Derselbe SA  -Mann hatte im letzten Winter auf alle ihm erreichbaren Handgranaten eines Tages mit Kreide»WHW  « (Winterhilfswerk) geschrieben. Es war große Aufregung im Betriebe, Gestapo   erschien, aber bei der Solidarität der Kollegen erreichte sie nichts, obwohl allgemein bekannt war, daß der SA-Mann der Täter war. Daß»aite Kämpfer« bei solchen Konflikten in den Vor­dergrund treten, ergibt sich aus der Taktik unserer Genossen, die es verstehen, diese Leute vorzuschicken. * Die Facharbeiter in der Rüstungsabtei­lung der Hanomag  (Hannov.) verdienten bis in die letzte Zeit 60 bis 70 Mark die Wo­che im Akkord. Jetzt hat man die Akkord­sätze wesentlich abgebaut, so daß man bei der gleichen Arbeitsleistung kaum Uber den Stundenlohnsatz (6 2 Pf.) hinauskommen kann. Ver­treter der Betriebsleitung haben auch er­klärt, daß praktisch zum Stundenlohnsatz die Akkordleistungen geschafft werden müßten, Der Völkerbund   hat Polen   beauftragt, über die Innehaltung der Völkerbunds­garantie für die Danziger Verfassung zu sorgen. Der Danziger Senat setzt unbe­kümmert um die Völkerbundsgarantie die völlige Gleichschaltung Danzigs   fort. Eines seiner nächsten Ziele ist das Verbot der sozialdemokratischen Par­tei. Um diesem Verbot einen äußerlich legalen Anlaß geben zu können, ist eine plumpe Polizeiaktion veranstaltet worden, die sich der schmutzigsten und abgedro­schensten Lockspitzelmethoden bedient hat. Wir erfahren darüber das folgende: »Die Aktionen der Polizei, die am Sonn­abend, dem 3. Oktober, einsetzten, dürften das Verbot der sozialdemokrati­schen Partei der Freien Stadt Danzig   zum Ziel haben. Es befinden sich bis auf wenige Ausnahmen noch die 7A Teil­nehmer an der Landkonferenz der SPD   seit Sonntag, den 4. Oktober, in Haft. Ferner waren wegen angeblich unbefugten Waffen­besitzes verhaftet worden der Parteisekretär Johannes Mau, der Vorsitzende der So­zialistischen Arbeiterjugend Danzig-Stadt, Paul Rathmann, der Geschäftsführer der Danziger Volksstimme, Anton Fok- k e n, der Prokurist der Danziger Volksstim­me, Willi Kunze, der verantwortliche Redakteur d e r D. V., Franz Adomat, der Expedient der D. V., Erich L e s c h n e r, der Buchdruckermeister der D. V., Emil Marquardt, femer der Volkstagsabgeord­nete Wilhelm Godau und die beiden Landfunktionäre und Arbeiter Johannes Kindler und Willi Hoppe. Die Waffen, es handelt sich im wesentlichen um Revolver, Säbel, eine Maschinenpistole usw. sollten von der Polizei in den Geschäftsräumen der Par­tei, bezw. der Danziger Volksstimme, bei den vier letztgenannten in den Privatwohnungen gefunden worden sein. Selbstverständlich sind diese Angaben völlig unglaubhaft. Durch wiederholte Parteibeschlüsse war festgelegt worden, daß niemand, weder ein Mitglied noch gar ein führender Sozialdemokrat sich im Besitz von Waffen befinden dürfte. Diese Anweisungen der Partei sind stets streng­stens befolgt worden. Das war schon deshalb weil der Staat nicht mehr bezahlen könne. Die Arbeiter jedoch gaben sich damit nicht zufrieden, sondern ließen die Leistun­gen ebenfalls zurückgehen. Die Betriebsführung bezeichnete das als Sabo­tage und setzte schließlich andere Arbeiter, und zwar vorwiegend SA-Leute, an die Plätze dieser Abteilung. Aber das Unerwartete ge­schah: Auch die SA-Leute legten kein schnel­leres Tempo an den Tag, so daß das Ergeb­nis dasselbe blieb. Daraufhin hat ein Ober­meister einen SA-Mann als Rädelsführer ent­lassen. Der Mann, ein»alter Kämpfer«, be­schwerte sich und erreichte auch seine Wie­dereinstellung. Alte Gewerkschafter versicher­ten, im Laufe der Zeit würde man also auch noch den SA-Leuten ein Solidaritätsgefühl mit ihren Arbeitskollegen beibringen können. * In einer Ziegelei wird den Arbeitern bei der schweren Arbeit ein Stundenlohn von 46 Pf. gezahlt. Der Betrieb kann die Masse der Aufträge kaum bewältigen. Es kommt vor, daß die Steine noch warm an die Bau­stellen geliefert werden. Schließlich haben die Arbeiter erklärt, streiken zu wol- 1 e n, wenn ihnen nicht wenigstens der Lohn­satz für Notstandsarbeiten, also 52 Pf. pro Stunde, bezahlt würde. Diese Streikankündi­gung war der letzte Ausweg, nachdem alle Bemühungen beim Arbeltgeber, bei der Ar­beitsfront und bei der Partei, ergebnislos verlaufen waren. Darauf wurde vom Arbeit­geber wie auch von der Arbeitsfront ange­droht, im Falle eines Streiks würde man sie'alle ins Konzentrations­lager sperren. Dennoch legten schließ­lich 30 Arbeiter die Arbeit nieder und streikten eine Woche hindurch. Ein Teil der Arbeiter erhielt in der Zwischen­zeit eine andere, etwas besser bezahlte Ar­beit. Der Rest der Streikenden nahm nach einer Woche die Arbelt zum alten Lohn wie­der auf. Der Arbeitgeber erklärt, bei den Aufträgen, die Teile von staatlichen Aufträ­gen ausmachen, keine höheren Löhne bezah­len zu können. Die streikenden Arbeiter, die weder Unterstützung noch Hilfe von der Ar- Her kalte Putsdi in Danzig  Stückweise Zerreßiung der Verfassung Und der Völkerbund? notwendig, weil nach einer in Danzig   be­stehenden Verordnung ein Verein aufgelöst werden kann, wenn drei seiner Vorstandsmit­glieder oder drei Mitglieder mit Wissen des Vorstandes Waffen besitzen. Die Haussuchungen sind zum Te|I nicht in Gegenwart der Betrof­fenen oder seiner Familienmitglieder ohne Zeugen durchgeführt worden. Ein charakteristischer Fall ist der Fall des Ab­geordneten Brill, des Vorsitzenden der Partei, in dessen Wohnung während seiner Abwesenheit und nachdem man die Wirts­leute aus dem Zimmer gewlesen hatte, Waffen gefunden wurden. Ebenfalls in A b- Wesenheit des Betreffenden wurden bei einer Haussuchung, die ohne Zeugen vor sich ging, in der Wohnung des Buchdruckers Paul Neumann, der Mitglied des Landesvorstandes der Partei ist, Waffen gefunden. Bei dem Redakteur Erich Brost  , eben­falls Mitglied des Landesvorstandes, hat man ebenfalls Haussuchung gemacht, ohne etwas zu finden, femer in seinem Redaktionszim­mer in seiner Abwesenheit. Ueber das Ergeb­nis ist in der Presse nichts mitgeteilt wor­den. Jedoch wird in der nationall izialisti- schen Presse erklärt, daß man nach Brill, N e u m a n n und Brost fahnde, und daß alle drei geflüchtet seien. Mit Ausnahme dieser drei wurde gegen die anderen, namentlich Genannten am Donners- dem 8. Oktober, ein Schnellgerichtsverfahren durchgeführt, wobei, trotzdem man von mas­senhaften Waffenfunden sprach, und auch Photographien eine« angeblich bei der SPD.  gefundenen Waffenlagers veröffentlicht hatte, folgende Urteile gesprochen hat: Mau 500 Gulden, Focken 1000 Gulden, Kindler 50 Gul­den, Hoppe 50 Gulden Geldstrafe, Godau einen Monat Gefängnis. Alle übrigen wurden frei­gesprochen. Aus der Haft entlassen wurden nur Mau und Kunze, die übrigen befinden sich in Schutzhaft. Es wird ferner be­hauptet, daß gegen einige nicht genannte So­zialdemokraten noch Verfahren wegen Spreng- stoffbesitzea durchgeführt werden sollen. Man will auch bei bisher nicht Genannten angeb­lich in den Geschäftsräumen der Volksstim­me Eierhandgranaten, Tränengas und Spreng­stoff gefunden haben. Noch während der letzten Tage vor den angeblichen Waffenfunden sind wiederholt im Parteibüro und häufiger in den Räumen der Volksstimme eingehende Haussuchun­gen von der Polizei durchgeführt worden, ohne daß auch nur das geringste gefunden wurde. Es wäre Ja auch Wahnsinn gewesen, in diesen Ränmen, die ständig von Haus­suchungen bedroht waren, irgendwelche Waffen aufzubewahren. Ebenso sind auch die leitenden Funktionäre ständig von Haussuchungen bedroht worden und muß­ten damit rechnen. Die Aktionen gegen die Partei dürften weitergehen. Die Begleitmusik bilden zahl­reiche Terrorakte auf dem fla­chen Lande, so hat man in dem Dorf Gottswalde, Danziger Niederung, mehrere Arbeiterwohnungen demoliert.' Die Danziger Bevölkerung ist sehr aufgeregt, man erwartet allgemein eine völlige Gleich­schaltung. Gegen das Zentrum hat man bis­her nichts unternommen. Den Vorsitzenden der deutschnationalen Volkspartei, Rechts­anwalt Weise, wurden sämtliche Anwalts­akten beschlagnahmt. Die Abberufung des Hohen Kommissars Lester, der das Vertrauen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung besaß, hat stark deprimiert. Haussuchungen wurden noch vor­genommen bei den Abgeordneten Weber, Mo­ritz, Schmidt, Gertrud Müller, die nach kur­zer Verhaftung wieder freigelassen wurde, Töpfer, dem ehemaligen Vorsitzenden des ver­botenen Allgemeinen Arbeiterverbandes und dem Redakteur Thomat, Vorsitzenden der Arbeitersportler. Das Parteibüro ist noch immer polizeilich versiegelt. Die drei verfas­sungstreuen Parteien, Sozialdemokratie, Zen­trum und Deutschnationale, arbeiten weiter in EUnmütigkeit zusammen.« . t'''' Der Bericht läßt erkennen, daß in der Praxis in Danzig   die Verfassung bereits durch die Methoden des Dritten Reiches  ersetzt worden ist, und daß es sich für den Völkerbund darum handelt, die Verfassung wieder herzustellen.