Nr. 200 BEILAGElleutflocnM11. April 193?Der Kampf um(De»(iHHielnMEinflußlose Speziallsten— Geht Außenminister Neurath?Zwischen dem nun verwaisten PalaisHindenburgs und dem neuen, endlichauch mit einem Balkon versehenen Prunkbau der hitlerschen Reichskanzlei liegt inder Berliner Wilhelmstraße ein graues,einer Kaserne ähnliches Gebäude; dasAuswärtige Amt. Einst, in den TagenBismarcks, die exklusivste und ungestörteste Reichsbehörde, ist diese Zentrale derdeutschen Außenpolitik seit dem Beginndes Dritten Reiches ein heißer, heftig umstrittener Boden geworden.Immer wieder— zuletzt beim großenDiplomatenschub vor Ostern— kommenNachrichten, die wissen wollen, daß derNationalsozialismus dieses alte»Widerstandsnest« der feudalen Konservativenendlich ausgeräuchert habe. Dann wiederheißt es, daß ganz im Gegenteil der Angriff des nationalsozialistischen Parteipapstes Rosenberg abgeschlagen sei undalles beim alten bleibe. Was ist da richtig?Der Chef v. IVeuralhNeben der Reichswehr war das Auswärtige Amt nach dem Machtantritt Hitlers die einzige Behörde, in der zunächstkeine wesentlichen personellen Aenderun-gen vorgenommen wurden. Der alteDiplomatenbestand, der schon unterStresemann vorhanden war und damalsden»Locarnokürs« mitmachte, blieb erhalten, ja, er avancierte fleißig, als ob sichseit den Tagen von Curtius nichts geändert hätte.Ein beachtlicher Wechsel war allerdings kurz vorher vonstatten gegangen:die Regierung v. Papen hatte 1932 zumChef des Auswärtigen Amtes jenen Diplomaten ernannt, der der schärfste Eron-deur gegen die Verständigungspolitik derDemokratie gewesen war, nämlich denFreiherrn Konstantin v. Neurath.Dieser Mann aus der Schule des Kaiserreiches war ein Sproß der Familie desGroßadmirals Tirpitz, des unheilvollstenBeraters Wilhelms II. Als solcher hätteder junge Diplomat glänzend Karriere machen können, wenn er nicht versuchthätte, Anno 1916, als Botschaftsrat inKonstantinopel gegen seinen Chef, denklugen Grafen Wolff-Mettemich, zu intrigieren. Ein braver Spitzelbericht an dasBerliner Amt wußte die ersch ecklicheTatsache zu berichten, der Botschaftergehe, unscheinbar angezogen und sogarzu Fuß durch die Straßen Stambuls, wasihm die Mißachtung der türkischen Gesellschaft eingetragen habe. Die überraschende Antwort war eine Depesche ausder Wilhelmstraße:»Will der Herr Botschaftsrat auf Urlaub gehen?« und trotzverdutzten Schweigens vier Stunden später ein zweites;»Urlaub bewilligt.«Den so brüsk Hinausgeworfenen holtedie Republik großmütig wieder. Sie stellteihn an wichtige Posten, was er ihr dadurchvergalt, daß er offen gegen die Demokratie auftrat und Berlin dauernd Schwierigkeiten machte, indem er z. B. als Botschafter in Rom den Schriftsteller EmilLudwig demonstrativ nicht empfing.Das Dritte Reich übernahm den Außenminister v. Neurath als eine Art»Vermächtnis Hindenburgs«. Er war eine jenerkonservativen Sicherungen, durch die dasdeutsche Rechtsbürgertum in seiner Verblendung glaubte, sich gegen allzu großenAppetit der Nationalsozialisten schützenzu können. Dieser Wahn sollte nur zubald zerreißen.Die»Weinpeisenden«Die gleich nach dem März 1933 mitVehemenz einsetzenden Versuche des»Außenpolitischen Amts« der NSDAP,einige ihrer Vertrauensleute, meist stellungslose Deutschbalten, in die fette diplomatische Karriere zu bringen, scheitertenallerdings zunächst genau wie bei derReichswehr. Zwar tauchten bald ein paarneue Namen im Diplomatenregister auf,aber es waren bezeichnenderweise sämtlich Männer mit— besten Verbindungen zur deutschen Großindustrie.Doktor Hans Luther etwa, der frühere Reichskanzler, der seinen Posten alsReichsbankpräsident 1933 wieder anSchacht zurückgeben mußte und dafürBotschafter in Washington wurde, war einMann aus dem Einflußbereich der Kanonenfirma Krupp. Die hatte ihn zu einerZeit, da sie durch das Dreiklassenwahlrecht die Stadt Essen beherrschte, alsOberbürgermeister an deren Spitze gestellt Wofür Luther sich später alsReichskanzler erkenntlich zeigte, indem erbei Gelegenheit der verfassungs- und etatwidrigen 700-Millionen-Subvention demKruppwerk 70 Millionen zuschanzte. Seit1926 saß er im Aufsichtsrat der Firmaund nahm dann in Washington einen Posten ein, der seit Otto Wiedfeldt für ehemalige Kruppdirektoren schon traditionellgenannt werden kann.Daß Herr v. Papen, der nach derErmordung von Dollfuß als deutscherBotschafter und Sonderbeauftragter nachWien ging, in allerengsten familiären Beziehungen zur rheinischen Industrie steht,dürfte bekannt sein. Ebensowenig zufällig ist es auch, daß erst kürzlich ein neuerrichtetes Sonderkommissariat im Auswärtigen Amt— und zwar das wichtigefür»europäische Fragen«— einem HerrnW oermann unterstellt wurde, dem Angehörigen der bekannten deutschen Reederfamilie.In diesen Zusammenhang gehört auchHerr v. R i b b e n t r o p, in dem man bisher fälschlicherweise einen bloßen Exponenten nationalsozialistischer Parteieinflüsse gesehen hat, obwohl seine Berufungebenso sehr eine Absage an Rosenberg wiean Neurath bedeutete. Auch Ribbentropsübliche Titulierung als»Weinreisender«führt durchaus irre. In Wirklichkeit ist jdieser ehemalige Reiteroffizier als Schwiegersohn des millionenschweren Sektfabn-kanten Söhnlein ein waschechter Vertreterbestimmter großindustrieller Interessen inder deutschen Außenpolitik.Um welche konkreten Interessen essich dabei handelt und wie sie sich durchsetzen, das bedürfte einer besonderen Untersuchung. Für unseren Zusammenhanggenügt die Feststellung, daß mit Beendigung der Wirtschaftskrise in der deutschenAußenpolitik jene alten»imperialistischenTendenzen« der Vorkriegszeit wiederlebendig geworden sind, die das DritteReich aus seiner bloßen» Ostorientierung«abzudrängen versuchen und es bereits indie alte Gegnerschaft zu Westeuropa, speziell zu England, zurückgeführt haben.Hitlers EingriffeWährend so der äußere diplomatischeApparat zunächst den Attacken nationalsozialistischer Stellungsjäger trotzte, gingen in der Wilhelmstraße bedeutsame Veränderungen vor. Die Verhandlungs- undRepräsentationsaufgaben draußen scheintHitler allerdings nach wie vor den geschulten Fachleuten überlassen zu wollen.Darin hat er, ganz dem Wesen des Faschismus gemäß, sich für die alten Beamtenkader und gegen die einst mit ihmkämpfenden kleinbürgerlichen Abenteurerentschieden. In der Zentrale selber aberwurde schon bald fleißig»umgeschaltet«.Die erste viel zu wenig beachtete Maßnahme war die Herauslösung der früherrecht umfangreichen eigenen Presse-abteilung aus dem Verbände des Auswärtigen Amtes und ihre Eingliederungins Propagandaministerium. Das bedeutet, daß nunmehr die propagandistischeVorbereitung außenpolitischer Aktionensowie ihre Interpretierung und Auswertung nicht mehr in den Händen des Amtesliegt. Sie wird jetzt von Göbbels vorgenommen, der dadurch eine Art Mitregenteines wichtigen Sektors außenpolitischerAufgaben geworden ist.Auch der zweite Schutt war ein organisatorischer Akt mit hochpolitischer Nebenbedeutung. Er betraf die Auflösungder bisherigen traditionellen Einteilungdes Auswärtigen Amtes in Sonderreferatefür Länder und Erdteile. Früher behandelte jeder Leiter einer solchen Abteilung»sein« Gebiet ziemlich selbstherrlich. AufGrund seiner intimeren Kenntnis diesesGebiets geschah kein Schritt, der es betraf, ohne ihn vorher zu fragen, wobei inden meisten Fällen sein Rat entschied.Heute sind diese Abteilungsleiter entthront. Sie sind reine»Fachreferenten«geworden, die der»politischen Abteilung« unterstellt sind, die Hitler durch zwei Sonderkommissare überwachen läßt.Schließlich darf auch nicht übersehenwerden, daß das Auswärtige Amt immerstärker von der»Kanzlei Hitler«verdrängt wird. Bei der großen Rolle, diedie samstägigen Ueberraschungsaktionendes Führers in der deutschen Außenpolitik spielen, wird diese Kanzlei— derengrößter Teil sich monatelang auf demObersalzberg in Bayern befindet— immerhäufiger zum eigentlichen Außenministerium des Dritten Reiches.»Abteilung Bohle«Ihren bedeutendsten Triumph aber errangen die nationalsozialistischen Rivalender Berufsdiplomatie vor wenigen Wochenbei der Vierjahresfeier des Dritten Reiches. Unter den Maßnahmen, die Hitlerbei dieser Gelegenheit verkündete, warauch die Errichtung einer neuen Abteilung im Auswärtigen Amt— der»Abteilung für Auslandsdeutsch-t u m«.Ihr gleichzeitig ernannter Direktor,Gauleiter Ernst Wilhelm Bohle,kommt aus dem unmittelbaren Machtbereich Alfred Rosenbergs. Er war bisherim»Außenpolitischen Amt« der NSDAPtätig, wo er die bekannten Verbindungender Parteizentrale zu den teilweise illegalen Positionen in den deutschen Min-derheiteu des Auslands bearbeitete. Jetztist Bohle, mitsamt seiner Aufgabe, ausdem Parteiapparat in den amtlichen Rahmen des Ministeriums hinübergewechselt.Mit dieser offenen Kapitulation der deutschen Außenpolitik vor der nationalsozialistischen Mystik ist eine Forderung erfüllt, die die aggressiven Elemente umRosenberg seit langem erhoben haben,während die Wilhelmstraße sie bisher entschieden ablehnte.Charakteristisch für die beginnendeEntmachtung Neuraths sind die Bestimmungen über die Stellung Bohles: er giltzwar ausdrücklich dem Minister»persönlich und unmittelbar unterstellt«, nimmtaber(was bisher bei keinem Abteüungs-leiter der Fall war)»an den Sitzungen desReichskabinetts teil, soweit sein Geschäftsbereich berührt wird...«Eine irreführende FirmaDas Auswärtige Amt hat sich gegen1933 also grundlegend verändert. Auseiner politischen Behörde mit streng gehüteter Tradition, einem Amt mit Eigenleben, mit Aufgaben und auch mit Verantwortimg, ist ein Büro zur Praktizierung der wo anders bestimmten Außenpolitik, ein bloßer technischerSpezialistenbetrieb, geworden.Denn die Politik macht Hitler selber, ihrepropagandistische Behandlung erledigtGöbbels, wenn besondere Aufgaben zubewältigen sind, wird Göring oder auchRibbentrop entsandt. Und den innerenBetrieb überwachen zu allem Ueberflußzwei Sonderkommissare und der neue,allein noch mächtige AbteilungsleiterBohle.Was diese Eingriffe bedeuten, dürftenicht schwer zu erkennen sein: wenn manheute»Wilhelmstraße« sagt, ist das etwasgrundlegend anderes geworden, als wasman etwa mit»Quai d'Orsay« oder»Foreign Office« bezeichnet. Das ist ein Unterschied, den gerade jene beiden letztenStellen immer beachten sollten, wenn siemit ersterem in Verhandlung treten.Neuraths GegenzugErst bei Kenntnis aller oben erwähntenTatsachen wird die Bedeutung des letztendeutschen Diplomatenschubs klar. Seinwichtigster Akt war die Neubesetzung desPostens des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt durch Dr. v. Mackensen.Als vor einiger Zeit der Staatssekretärv. Bülow(ein Angehöriger der alten preußischen Diplomatenfamilie) starb, wurdemit seiner kommissarischen Nachfolge derMinisterialdirektor Dr. Dieckhoff beauftragt. Dieckhoff, der nach dem Kriegeauch einmal Gesandtschaftsrat in Pragwar, und der sich übrigens lange Zeit alsbetonter Republikaner gab, galt deshalbauch als aussichtsreichster Bewerber fürdie endgültige Besetzung. Wenn trotzdemnun v. Mackensen, bisher Gesandter inBudapest, ernannt wurde, so hatte das besondere Gründe. Denn Mackensen ist nichtnur der Sohn des bekannten Weltkriegsgenerals, sondern auch— der Schwiegersohn v. Neuraths, mit dessen Tochter Winnefred er seit 1926 verheiratet ist.Was verspricht sich v. Neurath vondieser Besetzung des zweitwichtigsten Postens im Amt durch einen Mann seinesabsoluten Vertrauens? Will er wenigstensden Rest des ihm langsam entgleitendenMinisteriums fester in die Hand bekommen?Oder haben die Stimmen recht, die daraufverweisen, daß er in v. Mackensen einenwirkungsvollen Rivalen Bohles für denFall sieht, daß einmal die Frage seiner Nachfolge akut wird?(Auf der anderen Seite bedeutet auchdie Ersetzung Luthers in Washingtondurch Dieckhoff einen Erfolg der engenClique um Neurath, die den aus der kommunalen Laufbahn stammenden ehemaligen Reichskanzler stets doch ein wenigals Outsider betrachteten. Nicht unerwähnt bleibe bei dieser Gelegenheit, daßLuthers Haltung in Washington von denKennern des Mannes seit langem mit Erstaunen beobachtet wurde. Man fragte sichmit Recht, wie er seine antisemitischenProteste im Weißen Hause mit seinerlebenslangen Freundschaft zu dem bekannten jüdischen Architekten Körner und seiner Frau, der Erzieherin von Luthers einziger Tochter, in Einklang bringen konnte.Anscheinend hat er daraus nun die längstfälligen Konsequenzen gezogen.)Keine Täusdiun<r!Was die Papen in Wien, Welczek inParis, Ribbentrop in London und Dieckhoffin Washington bedeuten, dürfte nach denVeränderungen in der Zentrale der deutschen Außenpolitik klar sein. Sie sindnichts anderes und sollen nichts anderessein als die Puffer zwischen den brutalenUeberraschungsaktionen Wilhelms H. undder Empörung des Auslandes. Ihre alten,traditionellen Formen des Verkehrs dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß sievöllig unverbindlich für die Stelle sind, dieden deutschen Außenkurs einzig bestimmt,nämlich Hitler selber, um den heute dasRingen der NSDAP mit gewissen Kreisender Reichswehr und der Industrie geht.Auch das entmachtete Auswärtige Amthat noch seine Aufgabe; es ist die Kulissein dem großen Täuschungsmanöver, durchdas ein zum Kampf um die europäischeHegemonie, vielleicht sogar um die Weltherrschaft entschlossenes System sich als»zur Verständigung bereit« deklariert.Bernhard Menne.Her NadiwudisIn der Gauleitung Köln erfolgte soeben—•wie im ganzen Reich— die»letzte Ausmusterung« für die Adolf-Hitler-Schulen.Die Kölner Zeitungen berichten darüber:»Die Väter der Jungen, die aus Monschau, Düren, Aachen, Jülich und Kall, ausBonn, Engelskirchen, Köln, kurz aus allenGebieten des Gaues nach Köln gekommenwaren, sind Gewerbetreibende,Kaufleute, Handwerker, Angestellte, Beamte oder hauptamtlich tätige polltische Leiter.«Nur Arbeiter sind nicht dabei, denn dienationalsozialistische Arbeiterpartei, die ihrePoetenanwärter künftig aus den Adolf-Hitler-Schulen beziehen wird, kann zur Nleder-knüppelung und Niederhaltung der deutschenArbeiterschaft gerade Arbeitersöhne amschlechtesten gebrauchen.