Nr. 211 BEILAGEIkiccUatttwrfö27. Juni 193?Die»Deutschland-Bö richte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands«(4. Jg. Nr. 5, Mai 1937) veröffentlichen eine Reihe ausführlicherBerichte über deutsche Konzentrationslager. Diese Berichte stammen ausden Monaten April und Mal 1937. Siezeigen, Uaft Jas System noch ebensobarbarisch und blutig ist wie am erstenTage. Wir veröffentlichen den Bo-richt über das Lager Dachau.I. Heber den Aufbau desLagersJe 54 Mann sind eine»Stube«. Früherwurde die Stube Korporalschaft genannt.Der Leiter ist ein Gefangener, der die Bezeichnung»Stubenältester« führt. FünfStuben oder Korporalschaften sind zueinem»Block« zusammengefaßt. Früherbezeichnete man das als eine»Kompagnie«.Jeder Block ist in einer eigenen Barackeuntergebracht. Der volle Block hat demnach 270 Mann. Ueber den Block ist ein»Blockältester« gestellt, ebenfalls ein Gefangener. Der Blockälteste ist dem»Blockführer« unterstellt, einem SS-Mann, meistim Range eines Scharführers oder einesOberscharführers. Ueber dem Scharführersteht der»Rapportführer«, der ein SS-Sturmführer ist. Dann folgt der Gefangenenlagerführer im Range eines Standartenführers. Das Gefangenenlager einschließlich des Lagers für die SS büdetdas»Lager Dachau«. Das Lager Dachauin seiner Gesamtheit ist dem»Lagerkommandanten« unterstellt, der im Rangeeines SS-Oberführers steht.• Bei den Gefangenen haben sich dieneuen Bezeichnungen nicht eingebürgert.Sie sprechen immer noch von Korporalschaften und Kompagnien.In Dachau gibt es neun Blocks oderKompagnien, Sie sind in verschiedenenBaracken untergebracht. Wir bringen nachfolgend eine Schilderung dieser Blocks.I. Kompagnie; Hier sind die sogenannten»Zweitmaligen« zusammengefaßt, d. h.alle politischen Schutzhäftlinge, die schoneinmal in Dachau waren und die wegen irgendwelchem Vergehen, oft auch nur wegeneines Verdachts, ein zweites Mal eingeliefert worden sind. Diese Zweitmaligenkom-pagme gehört zu den traurigsten Kapitelnvon Dachau. Sie wurde erst im drittenJahr nach der Machtergreifimg Hitlersgebildet und ist heute zum Kern des Lagers geworden. Die Zweitmaligen befindensich nämlich innerhalb des Konzentrationslagers noch einmal in einem Konzentrationslager. Eis dürften nach genauerenSchätzungen 190 bis 200 Mann sein, Siesind gänzlich von den anderen Gefangenenabgeschlossen. Keiner der Lagerinsassendarf mit ihnen in Verbindung treten. IhreBaracke ist im Lager von einer starkenUmzäunung umgeben. Die Zweitmaligendürfen sich auch nicht wie die anderenGefangenen in ihrer Freizeit im Lager ergehen. Sie haben einen»Freiplatz« zurVerfügung, der zwischen zwei Barackeneingeschlossen ist und ein Ausmaß vonca. 70X5 m hat; das heißt, nicht mehrals ein schmaler Gang. Das ist alles für200 Menschen. Es ist weniger als in jedemGefängnis.Ihr Blockführer ist der SS-ScharführerDambach. Er behandelt die Gefangenensehr übel. Man hört oft sein brüllendesGeschimpfe. Vor der Tür der Baracke stehen Posten und keiner der Gefangenendarf in den Lagerhof treten. Es wird ihnenerklärt, daß keiner hoffen könne, unter 10Jahren das Lager wieder zu verlassen.Für alle besteht ein Rauchverbot. Alle dreiMonate dürfen sie einen einseitigen kleinen Brief schreiben und einen empfangen.Alle drei Monate dürfen sie 10 Mark geschickt bekommen, um sich Lebensmittelzu kaufen.Man sieht die Gefangenen nur, wennsie zu ihrer Arbeitsstätte geführt werden.Sie werden zu den schlechtesten undschwersten Arbeiten verwendet. Bis Herbst1936 waren viele von ihnen noch in derSchreinerei beschäftigt. Das ist jetzt eingestellt. Alle wurden dann zum Abbruchder alten Bunker verwendet, die in einemverfallenden Fabrikbau untergebracht waren. Anfang Februar erfolgte dort beimAbbruch einer Decke ein Unglück. Eis gabeinen Toten und mehrere Schwerverletzte.Die Zweitmaligenkompagnie gilt im Lager als Hölle. Die Gefangenen, die meistin der Baracke gehalten werden, sehensehr schlecht aus. Ihre Gesichter sindvon der strengen Haft gezeichnet. Essind fast ausschließlich ehemalige politische Funktionäre. Man wirft ihnen vor, dieTätigkeit gegen das Regime nicht aufgegeben zu haben, trotz der Versprechungen,die ihnen bei ihrem erstmaligen Aufenthalt in Dachau abgenommen wurden. DieStimmung unter den Gefangenen ist gedrückter als im übrigen Läger. Sie werdenvon den übrigen Dachauer Häftüngen sehrbedauert.II. Kompagnie; Hier befinden sich dieasozialen Elemente. Meistens Leute, diesich ihren sozialen Verpflichtungen entzogen haben: Bettler, Säufer usw. Sie sinddie einzigen, die wissen, wie lange sie inDachau bleiben, denn sie sind abgeurteilt.Die Zweitmaligen vom Arbeitszwang kommen auch immer in die gleiche Kompagnie.Durchschnittlich bleibt ein Asozialer 6 Monate in Dachau. Wird er ein zweites Maleingeliefert, so muß er ein Jahr bleiben,beim dritten Mal zwei Jahre. Unter denAsozialen befinden sich auch viele vorbestrafte Verbrecher.Die Asozialen fühlen sich meist gehobener als die politischen Gefangenen. Zwischen beiden Gruppen bestehen kaum Beziehungen.III. Kompagnie: Hier sind lauter politische Schutzhäftlinge zusammengefaßt.Die Kompagnie hat 270 Mann. Sie werdenzum Arbeitsdienst herangezogen und jenach ihrem Beruf verwendet.IV. Kompagnie; Auch sie besteht ausschließlich aus politischen Gefangenen,aber meist aus solchen, die schon sehrlange in Dachau sind. Auch fast alle prominenten Persönlichkeiten, wie z. B. derfrühere sozialdemokratische Ministerpräsident von Braunschweg, Jasper, sind indieser Kompagnie. Jasper wird noch immersehr schikaniert. Ihm wurde erklärt:»Solange noch ein anständiger Arbeiter inDachau ist, kommst Du nicht heraus.« Erwird zu Erdarbeiten herangezogen.V. Kompagnie: Ebenfalls politische Gefangene.VI. Kompagnie; Judenkompagnie. Hierbefinden sich ca. 100 Mann, alles Juden.Nun sollen alle Juden, die im Reich inSchutzhaft sind, nach Dachau kommen.Im Februar und März sind schon Transporte eingelaufen. Die Juden werden sehrschlecht behandelt. Sie sind großen Schikanen ausgesetzt. Ihnen wird ständig gezeigt, daß man sie verachtet und als niedere Kreaturen ansieht. Alle Juden, ganzgleich, welchen Beruf sie im Leben ausgeübt haben, werden zur Kiesarbeit verwendet. Sie müssen schwere Arbeit verrichtenund werden dabei rücksichtslos behandelt.Auch unter den Gefangenen gibt es viele,die die Juden verachten. Die Lagerleitunggeht in der gemeinsten Weise gegen diejüdischen Gefangenen vor. Bei ihnen istStrafexerzieren an der Tagesordnung. Oftkommt es vor, daß die Judenkompagnie,ähnlich wie die Zweitmaligen, von den anderen Gefangenen abgesperrt werden. Beiihnen geht man zeitweilig noch weiter undsperrt sie einfach in ihre Baracke ein. Sowurden sie z. B. einmal drei Monate völlig eingesperrt. Die Türen der Barackewurden vernagelt,, die Fensterscheibenwurden überstrichen. Nur wenn das Eissengebracht wurde, hat man etwas gelüftet.Die Luft in diesen Baracken war daher soschlecht, daß oft Gefangene bewußtloswurden. Da sie auch keinen Ausgang hatten traten Ausschläge auf und andere Erkrankungen. Die Einsperrung erfolgte inden Monaten Juni bis September 1936, einzweites Mal Februar bis April 1937.Die Juden sind in drei Kategorien eingeteilt: Politische Juden, Rasseschänder,jüdische Emigranten.VII. Kompagnie: Sie besteht aus dreiKorporalschaften oder Stuben mit politischen Gefangenen, die vierte Stube umfaßt die arischen Emigranten; in der fünften Stube befinden sich die wegen einesVergehens gegen den§ 175 Inhaftierten.Die sogenannten Hundertfünfundsiebzigerwerden nur zu Kiesarbeiten mit den Judenzusammen verwendet.VIII. Kompagnie; In den beiden erstenKorporalschaften sind Politische. Es istdie sogenannte Zugangskompagnie. Jeder,der nach Dachau kommt, kommt zuerst indiese Abteilung. Hier wird er so lange beiaasen, bis er für eine der anderen Kompagnien eingeteilt ist Daher sind diesebeiden Stuben meist nicht voll. Die dritteKorporalschaft setzt sich aus ehemaligenStrafgefangenen zusammen, meist vielfachvorbestraften Verbrechern, die zur Sicherheitsverwahrung verurteilt sind. Auch inder vierten und fünften Korporalschaftbefinden sich noch Leute zur Sicherheits-verwahrung. doch sind sie hier gemischtmit Asozialen, die eigentlich in die II.Kompagnie gehören, aber hier untergebracht sind, weü die II. meist überfüllt ist.In der letzten Kompagnie, die eigentlich nicht als volle Kompagnie betrachtetwird, befinden sich die Invaliden und dieKranken. Ihr gehört auch der frühere sozialdemokratische Reichstagsa/bgeordneteKurt Schumacher an. Sie sind in der Baracke X untergebracht. In dieser Barackebefindet sich auch die Kantine und dieBibliothek. Die Invaliden werden zu leichteren Arbeiten herangezogen, so z. B. zurBibliothekhilfe, zum Strümpfestopfen, zumKüchendienst usw., sofern sie nicht imKrankenrevier liegen und zu keiner Arbeitfähig sind.Kennzeichnung der Gefangenen: AlleGefangenen sind je nach ihrer Abteilung,zu der sie gehören, durch farbige Stoffstreifen auf den Kleidern gekennzeichnet.Die Streifen sind fünf bis acht cm breit.Zwei sind unterhalb der Knie um die Hosen genäht, zwei an den Armen unterhalbdes Ellenbogens und einer befindet sichauf dem Rücken. Die folgende Aufzählungaus dem Gedächtnis ist möglicherweisenicht in allen Punkten ganz genau:Politische: Rote Streifen und am Rük-ken senkrecht.Arbeitszwang: Blaue Streifen und quer.§ 175; Rote Streifen mit schwarzenPunkten.Zweitmalige: Rote Streifen und quer.Sicherheitsverwahrung: Grüne Streifenund quer.Politische Juden: Rote Streifen mitgelben Punkten.Jüdische Emigranten: Rote Streifenmit blauen Punkten.Rasseschänder: Gelbe Streifen mit roten Punkten.Bibelforscher: Rote Streifen mit...Punkten und quer.Arische Emigranten: Blaue Streifenund am Rücken senkrecht.11. Die Arbeitseinteilung:Alle Gefangenen im Lager müssen arbeiten, Das Lager hat eigene Wirtschaftsbetriebe, und zwar 1. Betriebe, die für denEigenbedarf des Lagers und 2. Betriebe,die für Bestellung von auswärts arbeiten.Für den Eigenbedarf arbeiten die»Kommandanturbetriebe«, für auswärts arbeitendie»Wirtschaftsbetriebe«. Die Kommandanturbetriebe sind viel kleiner als dieWirtschaftsbetriebe, umfassen aber fastdie gleichen Arbeitsgruppen.Die Arbeitsgruppen werden»Arbeitskommandos« genannt. Es gibt eine Schreinerei, Schlosserei, Schmiede, Schneiderei,Schusterei, Bäckerei, Metzgerei usw. Amgrößten ist die Schreinerei. Dort wird fürdas MUitär gearbeitet. Auch Möbel für dieSS-ITührer werden hergestellt.Die Arbedtsleiter dieser Betriebe sindGefangene. Der Leiter der Schreinerei istz. B. der Kommunist Ewald Thunig. Erwurde einmal aus der Schreinerei versetztund mußte dann wieder dorthin zurückgebracht werden, weil nach seinem Weggangalles durcheinander kam. Es wird gesagt,daß gute Spezialarbeiter nicht aus Dachauentlassen werden, weil man sie nicht entbehren will. Nicht zuletzt deshalb befindesich z. B. Thunig noch immer in Dachau.Jeder, der nach Dachau eingeliefertwird, muß zuerst in die Kiesgrube. Istalles geprüft und hat man festgestellt,wofür er zu gebrauchen ist, so wird ereinem Arbeitskommando zugeteilt. Die Gefangenen treten früh morgens um 7 Uhrin Kompagnien auf dem Appellplatz an.Dann werden sie zu den einzelnen Arbeits-kommandos zusammengestellt und rückenin die Betriebe ab. Dort gibt es keine Trennung der Gruppen. Nur die Juden und dieZweitmaligen fehlen.Die Gefangenen arbeiten lieber in denWirtschaftsbetrieben als in der Kommandantur, denn sie bekommen vormittags einStück Brot mit Wurst, nachmittags nurBrot. Im Kommandanturbetrieb gibt esnur einmal ein trockenes Stück Brot. DieArbeitszeit dauert im Sommer von 6 Uhrfrüh bis 10 Uhr und von 3 Uhr bis 6 Uhrabends. Im Winter von 7 Uhr bis%12Uhr und von 1 Uhr bis%5 Uhr. Da meistens dringende Bestellungen vorliegen,werden diese Arbeitszeiten in den Betrieben sehr unregelmäßig eingehalten. VieleUeberstunden, besonders in der Schreinerei, müssen geschoben werden. Oft wird bis10 Uhr nachts gearbeitet.Die Ausbeutung der Gefangenen istungeheuer. Die dürftige Nahrung, die siebekommen, läßt sie nicht zu Kräften kommen, und so sind alle immer todmüde,wenn sie am Abend heimkommen. Im Gegensatz zu den Gefängnissen bekommensie für ihre Arbeitsleistung kein Geld.Auch die Essensrationen sind bei schwererArbeit nicht besser und größer.III. Die H'adieDas Wachbataillon Dachau der SS ist900 Mann stark. Alle Tage wird ein anderer Sturm zur Wache kommandiert. Er hatdie Gefangenen auf ihrem ganzen Weg zubegleiten. Die Bewachung ist stark. Dieübrigen Angehörigen des Wachbataillonmachen miütärische Uebungen und haben,sofern sie nicht als Lagerposten eingeteütsind, dienstfrei. Das Wachbataillon istjetzt motorisiert.Die Behandlungsmethoden den Gefangenen gegenüber sind sehr unterschiedlich.Die ausgesprochenen Schikanierer habenabgenommen. Dafür gibt es viele, die ihreUnlust zum Wachdienst an den Gefangenen auslassen. Vielen ist auch das ewigeSchikanieren schon langweilig geworden.So wird z. B. festgestellt, daß der SS-Mann Steinbrenner, der ein Schrecken desLagers war, sich geändert hat. Er ist interesselos geworden und läßt die Gefangenen in Ruhe. Er wohnt in der Wehrmühle,gleich beim Lager. Dort wohnen Leute derWachmannschaft, die verheiratet sind.Der Lagerführer Weißenborn, der vom20. Aprü 1936 bis in den Herbst das Kommando inne hatte, hat viele Verschärfungen verfügt. Er hat auch die Tafeln inder neutralen Zone eingeführt. Sie sindschwarz und tragen einen Totenkopf mitder Warnung:»Bei Betreten wird sofortgeschossen!«Unter Weißenborns Lagerführung hatsich auch folgendes zugetragen: Im Oktober 1936 wurde ein Mann von etwa 55 bis60 Jahren eingeliefert. Er wurde gleichnach der Einlief erung von den Postenschikaniert. Am dritten Tage seiner Anwesenheit mußte er wegen irgendeiner geringfügigen Sache strafexerzieren. DerSS-Mann, der ihn bewachte, schrie ihmimmer gemeine Ausdrücke zu und forderteihn auf, bessere Kniebeugen zu machen.Als er wieder ein gemeines Wort sagte,antwortete ihm der alte Mann:»Du könntest mein Bub sein, Du frecher Lausbengel.« Der Posten wollte ihn daraufhin festnehmen und der Mann hob die Hand, alsob er den Versuch machen wollte, sich zuwehren. Er wurde sofort niedergeschlagenund abgeschleift. Am Abend ließ der Lagerführer antreten und gab ungefähr folgende Erklärung ab:»Ich mache Buchdarauf aufmerksam, daß im Lager dasStandrecht besteht, heute nachmittag hateine solche Kreatur die Hand gegen einenPosten erhoben. Ich teile Euch mit, daßder Mann bereits eine Leiche ist. MerktEuch das.«Bei den großen Umbauten im Lagerwurde auch eine Gasmaskenversuchskammer gebaut. In jeder Woche werden dorteinige Tage Gasmasken der SS ausprobiertund auch Uebungen abgehalten. Diese Einrichtung wird aber fast ausschüeßüch von