Nr. 228 SONNTAG, 24. Okt. 1937Verlag: Karlsbad, Haus„Graphia"— Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte SeiteAus dem Inhalt:Braune GeheimredenZwischen Krieg und FriedenHitlers Hand in SchwedenWo kommt das Geld her?Die Schlacht von TeplitzOffener Brief an Konrad HenleinAGt Hilfe eines ausgezeichnetenPropagandaapparates, des besten derWelt, haben Sie, Herr KonradHenlein, einen Sturm der Welt-öffentlichkeit wegen der Vorgänge vonTeplitz-Schönau zu inszenieren versucht. Die Regie klappte ausgezeichnet.In balkeudicken Buchstaben meldeteder»Völkische Beobachter« einen»brutalen Ueberfall der tschechischen Polizei auf sudetendeutsche Abgeordnete«.Die Stimme der reichsdeutschen Rundfunkansager bebte in vorgeschriebenenEntrüstungstönen. Ein Juristentag inLeitmeritz geriet sogar in solche Auf-regung, daß er sich außerstande sah,seine segensreiche Arbeit weiter fortzusetzen. Ihre Parlamentsfraktionwandte sich beschwerdeführend an dieRegierung und kündigte eine Interpellation im Parlament an. Das alles ineiner Zeit, in der wahrlich noch schlimmere Dinge passieren, wegen einerAffäre, die erfreulicherweise keinenToten, keinen Verwundeten gekostetund nur eine einzige Verhaftung zurFolge gehabt hat.Wir reichsdeutschen Sozialdemokraten haben nicht dieAbsicht, uns in die inneren Angelegenheiten Ihres Landes einzumischen.Wir hätten auch in diesem Fall geschwiegen, würden uns nicht drei Umstände zum Reden geradezu zwingen.Erstens macht die ParteinahmeBerlins diese Angelegenheit auch zuder unseren.Zweitens haben Sie sich selber inIhrer Teplitzer Rede über das D e u t-scheReichin einer Weise geäußert,die uns zu einer Entgegnung herausfordert.Drittens haben Sie erklärt, daßdurch Vorfälle, wie den von Teplitz,der Frieden Europas gefährdetwerde; das ist edne Angelegenheit, dieuns alle angeht.Um das Zweite vorwegzunehmen;Sie haben in Teplitz geäußert, es gehenichtmehr an, wie 1918 im Haß gegendas Deutsche Reich zu stehen, sondernman müsse erkennen, daß dieses Reichin der Gegenwart von vielen geehrt undgeliebt werde. Nun, Herr Henlein, lassen Sie uns redchsdeutsche Sozialdemokraten bekennen, daß wir nie stärkerfür Deutschland empfunden haben alsdamals 1918, als es besiegt amBoden lag. Wir haben unser Volk niegrößerer Ehre würdig gefunden als damals, da es sich dazu aufraffte, seinnationales Leben auf einer neuen, seiner Kultur und seiner großen Denkerwürdigen Grundlage wieder aufzubauen.Wir reichsdeutschen Sozialdemokraten haben schon ineiner Zeit, da Sie, Herr Henlein, noch inden Windeln lagen, für Deutschland gekämpft und in Deutschland gearbeitet.In Gemeinschaft mit einsichtigen bürgerlichen Politikern haben wir Deutschlands Freiheit auch nachaußen wieder hergestellt— Hitlerhat sie nur mißbraucht Die Reparationen und die Militärklauseln von Versailles fielen schon vor seinem Machtantritt. Es kennzeichnet Sie, Herr Henlein, daß Sie Haßgefühle gegenüberdem besiegten Deutschland von 1918verständlich finden, und daß Sie fürdas Reich erst wieder Liebe und Verehrung finden, seit es von Heügeschreiund klirrender Marschmusik erfüllt ist.Nicht zum ersten Male, nicht zumletzten Male zeigt sich hier, daß einebesiegte Sache, mag sie auch die besteder Welt sein, nur auf wenige Freunderechnen kann, während erfolgreichePossenreißer Millionen von Nachahmern und Bewunderem hinter sichherziehen.Wir reichsdeutschen Sozialdemokraten haben nun mitgroßem Interesse beobachtet, welchenLärm es in der TschechoslowakischenRepublik verursacht, wenn einmal unglücklicherweise ein Polizeiknüppel miteinem Staatsbürgerin Berührung kommt.Aber während Sie, Herr Henlein, diesenLärm vorführen— denken Sie denngar nicht daran, wie sich ein ähnlicherFall in Deutschland, das Sieehren und lieben, wohl abspielenwürde? Welcher Parteiführer würdedort drohend an das Staatsoberhauptappellieren? Welche Parlamentsfraktion würde dort eine Interpellation einbringen? Bemerken Sie nicht, wie IhreEntrüstung gegen das Objekt IhrerLiebe und Verehrung ausschlägt?Wissen Sie nicht, Herr Konrad Henlein, daß in dem Deutschland, das Sielieben und ehren, Tausende ihrer Gesinnung wegen grausam abgeschlachtetworden sind? Welchem deutschenVolksgenossen ist in der gleichen Zeitin der Tschechoslowakei Aehnlicheswiderfahren? Wissen Sie nicht, daß inden deutschen Konzentrationslagerntausende deutscher Volksgenossenschmachten, nicht nur»Marxisten«,auch Konservative, auch katholischeund evangelische Geistliche? Wo findenSie dergleichen in Ihrem Lande? Wissen Sie nicht, daß drüben Menschen anPrügelböcke geschnallt und gepeitschtwerden? Wissen Sie nicht, daß zahlreiche Abgeordnete des DeutschenReichstages, Kriegsfreiwillige mit demE. K. I., seit Jahren Insassen diesergrauenhaften Lager sind und dort dieviehischsten Mißhandlungen zu erdulden haben? Wo gibt es ähnliche Dingein der Tschechoslowakei?Wenn Sie sich über ein paar Schlägeentrüsten, die einige Ihrer Abgeordneten bei einem Auflauf erlitten haben,auf der anderen Seite aber einem Regierungssystem, das solche Zuständezeitigt, Ihre Liebe und Verehrung bekunden, gilt da nicht auch für Sie dasBibelwort von den Leuten, die Mückenseihen und Kamele schlucken?Wenn in der Tschechoslowakei wegen eines verhältnismäßig so geringenZwischenfalles der ganze Apparat einesRechtsstaates aufgeboten werdenkann, während sich in Deutschlandüber tausendmal schlimmere Dingeeine undurchdringliche Nacht desSchweigens ausbreitet, beweist dasnicht, daß bei dem gegenwärtigenStand der Dinge Ihr Land weit mehrLiebe und Verehrung verdient als—leider!— das unsere?Gerade Teplitz-Schönau im Vergleich mit den Dingen, die sich inDeutschland abspielen, zeigt uns dieseine klar und deutlich: Jeder Sudetendeutsche, der das Herz auf dem rechtenFleck und für zehn Pfennige Verstandim Kopfe hat, muß unter den heutigenUmständen seinem Gott auf den Kniendanken, daß er ein Bürger der Tschechoslowakischen Republik und nicht einrechtloser Untertan des Dritten Reiches ist!Sie, Herr Konrad Henlein, billigender Welt nicht das Recht zu, sich zu beunruhigen, wenn in Deutschland eineHetzjagd auf alle Friedensfreunde veranstaltet wird. Aber durch ein Ereigniswie das von Teplitz sehen Sie denFrieden Europas bedroht undlassen diese Bedrohung durch denreichsdeutschen Rundfunk der ganzenWelt verkünden. Möge die Welt sie auchnur hören und recht verstehen! Dennda es bei Ihnen liegt, heute oder morgen einen ähnlichen Zwischenfall zuprovozieren, liegt es wohl auch beiIhnen und Ihren Auftraggebern, wielange noch der Frieden Europas erhalten bleiben und wann der totale Kriegohne Kriegserklärung beginnen soll.Sie wollten Anklage erheben, undSie haben ein Geständnis abgelegt. DieWelt braucht sich nicht noch einmalüberraschen zu lassen wie damals beimReichstagsbrand. Diesmalgibt es e i n e n, d e r sc h o n amhellen Tage mit der brennenden Fackel in der Hand herumläuft, und der, Herr Konrad Henlein, sind Sie!Zwischen Krieg und FriedenDie Sudie nadi dem AuswegDer offizielle Optimismus, der solange die wahren Gefahren verhüllthat, ist vorüber. In der Rede, die derenglische Außenminister am Vortageder neuen Verhandlungen im Nicht-interventionsausschuß über die Zurückziehung der»FYeiwühgen« gehalten hat,zeichnete er die Situation folgendermaßen:»Wir leben in einer Zelt der Stürmeund der Herausforderungen, wooffen der Hoffnung Ausdruck gegeben wird,daß die Verschiedenheit der Internationalen Unruheherde den wirksamen Widerstand gegen die gesetzlosenHandlungen in einer bestimmten Gegendhindern werde. Diese Auffassung ist gefährlich und wird letzten Endee keiner Nationnützen.«Der Unruheherde sind drei: derakuteste und bedrohlichste Konfliktgeht um Spanien; die Rückwirkungdes ostasiatischen Kriegesauf die europäischen Großmächte istnoch in voller Entwicklung; sie wirdabhängen von der Widerstandskraft,die China dem japanischen Angriff entgegensetzen kann, und von der Größeder Energie, die die Vereinigten Staaten auf der kommenden Neunmächtekonferenz entfalten werden. Aber dieamerikanische Hilfe ist selbst wiederbedingt durch den Anteil, den das imMittelmeer immittelbar bedrohte England für ein Eingreifen im FernenOsten übrig haben wird. Es ist dieSpekulation Japans, die die Militärpartei zum Krieg ermuntert hat,daß die italienisch-deutsche Drohung inEuropa England(und Rußland) genügend lähmen werde, um ihm das»Durchschreiten der Gefahrenzone« zugestatten. Auf der anderen Seite freilich muß die fernöstliche KomplikationEngland um so mehr veranlassen, inEuropa zu einer Entspannung zu kommen.Ein dritter Unruheherd ist schließlich in der arabischen Welt inrascher Entfaltung. In Palästina mehren sich die Terror- und Sabotageaktegegen die britische Mandatsmacht undihren Vorschlag zur Teilung des Landes. Die Bewegung findet ihren Rückhalt in der arabischen Welt Vorderasiens und Nordafrikas, die alle in Gärung geraten sind, die von Italienund Deutschland nach Kräftengeschürt wird. Die faschistischen Staaten ernten in der Ausbreitung des gegen Frankreich und England gerichteten Nationalismus die Früchte, die diebolschewistische Agitation seinerseitsin den englisch-französischen Kolonial-und Mandatsgebieten gesät hat. Mussolini insbesondere sucht sich als Schirmherr des Islams, als Förderer der arabischen Einheit und Unabhängigkeiteine neue A n gr i f f s p os i t i o ngegen die Westmächte inVorderasien und Nordafrikazu verschaffen. Er hat AnfangSeptember den Freundschaftsvertragmit den Yemen erneuert und in einemSchreiben an den Duce rühmt der Herrscher der Yemen dessen dem Islamfreundliche Politik, die ihm die Herzender Araber erobere, und hofft, daß diese sich noch weiter entfalten werde.Yemen ist aber der Uferstaat des RotenMeeres, dort, wo dieses sich, flaschenartig verengt, zum Golf von Aden undzum Indischen Ozean öffnet. Und diegegenüberliegende Küste beherrschtnach der Eroberung Abessiniens Italien.Um den Punkt auf das i zu setzen, hatMussolini gerade unmittelbar vor derEröffnung die italienischen Truppen inLibyen, an der Grenze Aegyptens erheblich verstärkt, die gleiche Maßnahme, die er auf dem Höhepunkt der abes-sinischen Krise ergriffen hatte.Man versteht jetzt Taktik und Erwartung der drei Diktaturen: Die Spannung im Fernen und im Nahen Ostenist so groß, daß sie England an einemenergischen Eingreifen in Europa, inSpanien, verhindern soll; die Spannungin Europa ist dank der deutsch-italienischen Intervention in Spanien sogroß, daß sie jede wirksame Aktion inAsien verhindert— so greift ein Radins andere, und während das Räderwerkder Diktaturen immer rascher rollt, sollzugleich das Räderwerk ihrer Gegnerzum Stillstand kommen.Das ist die Situation, die in letzterZeit von D e 1 b o s, von Eden, C h a m-b e r 1 a i n und Roosevelt als unerträglich bezeichnet wird, und aus dersie jetzt den Ausweg suchen. Und dieser Ausweg ist fürwahr nicht leicht,nachdem man die MachtsteigerungItaliens und Deutschlands nicht ver-