Dr. IB. 22. Jahrgang.4. WM te Jon W fiftliitrr lolMottZauntag, 15. Jansar 1905.Das Dessauer Zuchthausurteil vor demOber-Kriegsgericht in Magdeburg.Zweiter Verhandlungstag.lTelegraphischer Bericht.)Die Verhandlung in dem Prozesse wegen des Dessauer Zucht-Haus-Urtcils, die am Mittwoch infolge der notwendig gewordenenLadung der Mitglieder des Dessauer Kriegsgerichts zum Zweckeihrer zeugeneidlichen Vernehmung über die Aussagen der drei An-geklagten sowie mehrerer sich widersprechender Zeugen vertagtwerden mußte, wurde heute früh kurz nach S Uhr vor dem Ober-kriegsgericht des IV. Armeekorps wieder aufgenommen. Es sind nurnoch die Dessauer Kriegsgerichts-Mitglieder zuvernehmen, wobei es sich darum handelt, Aufklärung über die Be-hauptung der Angeklagten Voigt und Günther zu schaffen,daß sie in Dessau befangen gewesen und damals in ihren Selbst-bezichtigungen zu weit gegangen seien. Das Dessauer Urteil hattein verschiedenen Punkten auf das Eingeständnis der beiden An-geklagten Bezug genommen, das durch die Aussagen des Haupt-bclastungszeugen Tropp noch eine wesentliche Unterstützung erfuhr.Nachdem nun der Holzarbeiter Tropp, ein achtzehnjähriger,geistig etwas schwerfälliger Mann, infolge seiner hin- und her-schwankenden Angaben am Mittwoch nicht vereidigt worden war,steht immer noch die Frage offen, ob der Unteroffizier Heine ohnejede Veranlassung in der Trunkenheit oder erst nach erfolgtemgemeinschaftlichen Angriff seitens der beiden Untergebenen mit demSeitengewehr um sich geschlagen und dabei das„Verhältnis"Günthers, die 16jährige Dienstmagd Frieda Regel, getroffenhat. Heute wollen die Angeklagten dem Heine die Waffenur entrissen haben, um zu verhindern, daß der nach ihrenSchilderungen total betrunkene und mit dem blankgezogenenSeitengewehr um sich schlagende Unteroffizier Unheil anrichte.Mit der Klärung dieser Frage steht und fällt der auf m i l i t ä-rischen Aufruhr lautende Punkt der Anklage gegen Voigtund Günther. Dazu kommt noch, daß auch der Unteroffizier Heineseine Aussagen gegenüber denen in der Voruntersuchung und vordem Dessauer Gericht geändert hat. Insbesondere will er jetzt nichtmehr wissen, ob er schon vor dem Zusammenstoß mit Voigt undGünther in dem Knetschschen Tanzsaal einen Streit mit Unter-gebenen hatte und ob er die Regel in dem Lokale anrempelte,der Vorgang, der nach der Anklage Voigt und Günther zu demUeberfall auf ihn veranlaßte. Er will überhaupt so betrunkengewesen sein, daß er sich auf nichts mehr besinnen könne, währender in Dessau seine beiden Mitangeklagten durch sein« detailliertenAngaben sehr belastete. Zur Aufklärung dieser Widersprüche sind,wie der Verhandlungsführer, LberkriegsgerichtSrat Fischer zu Beginnder Sitzung mitteilte, als Zeugen erschienen: KriegsgerichtsratWagner als Verhandkungsfuhrer des Dessauer Gericht«, Kriegs-gerichtSrat Wolf als Anklagevertreter und Major Freiherrvon Drockstedt, Hauptmann von Kneifs, Oberleutnantvon Loebell. Ferner ist der Gcrichtssekretär S e m m e ck alsProtokollführer der Dessauer Verhandlungen, sowie der DessauerVerteidiger des Angeklagten Voigt, Rechtsanwalt Dr. S u ch S l a n d-Halle, anwesend. Zunächst wird derBerhandlungsführer KriegsgerichtSrat Wagnervernommen.Verhandlungsführer OberkriegSgerichtSrat Fischer: Welche An.gaben haben Ihnen die Angeklagten Voigt und Günther über dieVorgänge gemacht, die sich in der kurzen Zeit seit dem Weglaufen deLUnteroffiziers Heine mit den beiden Seitengclvehren bis zu demPunkte ereignet haben, wo sie ihm abgenommen wurden?— Zeuge:Der Angeklagte Günther erklärte, daß er gehört habe, wie derdavonlaufende Unteroffizier rief:.Ich habe zwei Seitengewehre I"oder„jetzt habe ich auch ein Seitengewehr der S. Kompagnie I" Ter.10. Kompagnie", der Voigt angehörte, habe er(Heine) nicht gesagt. Ebenso gestand der Angeklagte Voigt zu, daßer von Heine«inen Ruf gehört habe in dem Sinne, daß er jetztL Seitengewehre habe. Ferner gestand Voigt zu, dem Heine sofortnachgelaufen zu sein. Hinter ihm her sei Günther gekommen.Günther gestand dies auf Befragen auch zu. Er sagte, er sei Heineauf wenige Schritte Entfernung gefolgt und habe, als er den Unter-offizier erreichte, denselben festgehalten und am Arme gepackt.Ter Unteroffizier habe aber nach ihm geschlagen. Jetzt sei Voigthinzugekommen und habe den Heine ebenfalls gepackt. In welcherWeise beide Angeklagte den Heine angepackt haben, war nicht genaufestzustellen. Heine sagte, daß Günther den Heine von hinten herumgefaßt habe; so habe er ihm dann die beiden Seitengewehre entrissen.Der Zeuge bemerkt, hier müsse er etwa» einschalten: Er habe dieAkten vorher sehr genau studiert und daran« ersehen, daß Günthersich einige Zeit vor dem Dcffauer Prozeß zu einer besonderen Ver-nehmung vorführen ließ mit dem Bemerken, er wolle einGeständnis ablegen. Er habe dann auch angegeben, daßer dem Heine nachgelaufen fei und ihn von hinten herum gepackt habe.Während dieser Zeit habe Voigt ihm das Seitengewehr fort-genommen. Der Zeuge sagt weiter aus: Ich pflegte das Haupt.gewicht darauf zu legen, daß der Unteroffizier durchzwei Untergebene entwaffnet worden ist. Es lagdie Tatsache vor, daß über diesen Vorgang in der VoruntersuchungErnst Abbe.In der Nacht vom Freitag zum Sonnabend ist in Jena im6S. Jahre seines Lebens Ernst Abbe gestorben.Sein Leben und Wirken im ganzen Umfange und Wert« zuschildern, wo der erste Schmerz um den Verlust dieses wahrhastgroßen Menschen alle« Einzelne zurückdrängt, ist unmöglich; dieArbeiter und ihre Presse werden seiner noch oft gedenken müsse», undimmer werden sie reichlich Stoff haben und sich liebevoll eines Lebens-Werkes ermnern können, das auf den Gipfeln der bürgerlichen Ge-sellschastSordnung mit wenigen seinesgleichen einsam seinen Ruhmund eine verdiente dankbare Anerkennung über alle Gegensätze hinwegin eine bessere Ordnung der Dinge hinüberstrahlen läßt.WaS Ernst Abbe zu den Größten seiner Zeit bestimmt, fft auchnicht das Einzelne seiner Leistungen in Wissenschaft und Arbeit,nicht das Einzelne seines persönlichen Lebens, eS ist die T o t a l i t ä tseines W e s e n s, die ihn für alle Zeiten zu einem edlen Mustergemacht hat, das nach des Dichters Wort Nacheiferung wecken sollund dem Urteil höhere Gesetze gibt.WaS seinen Namen am meisten in die Oeffentlichkeit trug,die Ueberführung seines Privatbesitzes von Millioncnwert in eineunpersönliche Stiftung, gibt von der Fülle des WirkenS diesesMannes doch nur eine blasse Vorstellung; und er selbst hat seineStiftung zum Andenken an Carl Zeiß weder für seine Personnoch sachlich jemals so eingeschätzt, wie ein Teil der sozial-reformerischen Presse und Parteien, als eine Ausgleichung derGegensätze von Kapital und Arbeit, als den Anfang einerneuen Produktionsordnung. TaS war vielleicht aus dieserLinie seines Wirkens das Größte an ihm, daß er sich der Grenzenprivaten Unternehmerwirkcns zugunsten der Arbeiter in jeder Hin-ficht voll bewußt war. Er hat, wo immer man es hören wollte, denWert der Organisation der Arbeiter weit über allcögestellt, was die Unternehmer bei dem heutige» Stande der Dingefreiwillig den Arbeitern konzedieren können, und auch für die Er-baltung seiner eigenen sozialen Schöpfungen sah er die sichersteStütze und Gewähr in einer geschlossenen, sich ihrer Aufgaben undRechte bewußten Organisatkon der Arbeiter. Er schuf deshalb auchniemals in feinen Betrieben etwas ohne Rücksprache mit den Arbester-stwstpeter.v ohne ihre ausdrückliche Zustimmung; er fühlte sichbeide Angeklagte nur unklare, widersprechende An-gaben gemacht hatten und daß sie späterein Geständnisablegten, das Günther in der Hauptverhandlung wiederholte.Ich muß sagen, daß dieses neue Geständnis zu meiner Uebcr-raschung und zu meinem größten Erstaunen erfolgte und daß diesesGeständnis, daß sie dem Heine gemeinschaftlich nachgelaufen seienund ihn gemeinschaftlich festgehalten hätten, mir als das Wesent-lichste erschien. Ich wollte, so fährt der Zeuge fort, den AngeklagtenGünther erst später vernehmen, aber der Anklagevertreter stellte denAntrag, die Angeklagten einzeln und in Abwesenheit der anderenzu vernehmen und so kam Günther angesichts seines aus der Vor-Untersuchung vorliegenden Geständnisses zuerst an die Reihe. InAbwesenheit Heines und Voigts wiederholte er dann, wiegesagt, das Geständnis im vollen Umfange. Ich lasse jeden An-geklagten und jeden Zeugen erst im Zusammenhange erzählen undhabe auch den Günther nicht durch Fragen unterbrochen oderweitergehenden Zugeständnissen veranlaßt. Er legte alsein Geständnis unbeeinflußt ab.Ein zweiter Hauptpunkt bei der Urteilsfällung war für michder, daß Voigt ebenfalls im Ermiltelungsverfahren ein Geständnisablegen wollte, und daß dieses Geständnis darin bestand, daß er denGünther schwer belastete, indem er sagte, daß dieser den Heinezu Boden geworfen habe. Günther hatte dies nicht zugegeben,sondern nur gesagt, daß er Heine von hinten umfaßt habe.— Verhandlungsführer: Da Ihnen das Geständnis so klar und über-raschend kam, so ist doch ohne weiteres anzunehmen, daß Sie denGünther sofort auf denkolossalen Widerspruchaufmerksam gemacht haben, der zwischen seinen und den Angabender übrigen Angeklagten bestand.— Zeuge: Jawohl.— Berhandlungsführer: Und ist dem Angeklagten nicht auch gesagt worden,wie er zu diesem Geständnis komme und ob er wisse, daß esihn schwer belaste?— Zeuge: Ja, das habe ich ihm vor-gehalten. Die Form aber, in der ich eS tat. ist mir nicht genaumehr erinnerlich.— Verhandlungsführer: Angeklagter Günther,das macht denn doch aber alles den Eindruck, daß dieser Vorgangsich buchstäblich so zugetragen hat, wie Sie ihn in Ihrem Geständnisdargestellt haben und der Zeuge ihn nach Ihren eigenen Angabenjetzt wiederholt hat; daß also Ihre jetzigen Angaben unrichtigsind.— Angeklagter Günther: Was ich heute sage, ist richtig.—Verhandlungsführer: Sie bestreiten also, daß Ihre wiederholtenGeständnisse richtig sind?— Angeklagter Günther: Nein, aber eshandelte sich da um ein Mißverständnis des Voigt. Ich wollte esberichtigen.— Verhandlungsführer: Wir haben doch soeben gehört,daß Sie zuerst und allein vernommen worden sind und daß alle überIhre wiederholten Geständnisse erstaunt waren. Also können Sicdoch nicht durch die Aussagen des Voigt dazu veranlaßt worden sein.Erklären Sie uns, wie Sie aus freien Stücken dazu gekommen sind.so etwas anzugeben.— Angeklagter Günther: So wie ich es amMitstooch angegeben habe, ist es richtig. Voigt hatte anders gesagtund ich wollte es richtig sagen.— VcrhandlnngSführer: Ich frageSie nochmal, woher kannten Sie die angeblich falschen AngabenVoigts, der doch erst nach Ihnen vernommen worden ist.— Angeklagter Günther schweigt.— Berhandlungsführer: AngeklagterVoigt, können Sic sich entsinnen, daß Sie in Dessau gesagt haben,Günther habe den Heine von hinten umfaßt?— Angeklagter Voigt:Ich meinte, daß er es nur täte, um die Angriffe Heines auf unsabzuwehren.— Zeuge KriegSgerichtsrat Wagner führt noch an, daßbei der Lokalbesichtigung in Ziebigk der Angeklagte Günther genaubeschrieben habe, wo man Heine das Seitengewehr fortgenommenund wann man es ihm wiedergegeben habe. Also sei seines Er-achtens eine Verwechselung oder ein Mißverständnis ausgeschlossen.— Rechtsanwalt Czarnikow richtet hierauf an den Zeugen dieFrage, ob er nicht zu seiner heutigen Aussage erst durch ein noch-maligeS Studium der Dessauer Akten sich vorbereitet habe.— Zeuge:Selbstverständlich habe er sich nach so langer Zeit nochmalsinformieren müssen.— Rechtsanwalt Guttmann: Kann der Zeugeuns bestimmt sagen, daß er die Angeklagten im Laufe der Ver-Handlung in irgend einer Weise auf die Bedeutung ihres Ein-geständnisseS aufmerksam gemacht hat oder ihnen gesagt hat, daßein g e m e i n s a m e s Handeln in dieser Sache als«Aufruhr"angesehen und mit Zuchthaus bestraft werde.— Berhandlungsführer: Ich habe diese Frag« schon gestellt, aber der Zeuge konntesie nicht bestimmt beantworten.— Rechtsanwalt Guttmann: Eshandelt sich um Leute von ganz geringem Bildungsgrade. Deshalbist die Frage notwendig. Hat der Verhandlungsführer mitirgend einem Worte die Angeklagten auf die Tragweite und dieschwerwiegenden Folgen aufmerksam gemacht?— Zeuge: Ich habeschon früher gesagt, daß ich mich im einzelnen nicht mehr daraufbesinne. Aber ich machte sicher den Angeklagten Günther daraufaufmerksam, daß er sich durch seine Angaben selbst belaste. Voigtes zu sagen, habe ich nicht für nötig gehalten.— Verteidiger Rechtsanwalt Guttmann: Ich bin der Ansicht, daß dadurch meine Fragenicht erschSpfend beantwortet ist. TaS ist keine Antwort aufeine bestiimnte Frage, das ist eine Verneinung.— Verhandlungsführer: Ich frage den Zeugen nicht mehr. Ich meine, er hat meineFrage genügend beantwortet. M i r genügen jedenfalls seine An-gaben.— Verteidiger Rechtsanwalt Guttmann: Mir leider nicht.—niemals als Wohltäter, immer nur als Glied und Teil des Ganzen,das auch nicht existieren könnte ohne die Mitarbeit aller anderenGlieder.Diese seine Hochschätzung der Organisation, des solidarischenZusammenwirkens entsprang nur seiner ganzen Erkenntnis vomWesen der Arbeit überhaupt. Die Arbeit, die er nur in derSynthese von körperlicher und geistiger anerkannte, war der Lcit-stein seines ganzen Lebens; er war von einem Fleiß, von einerAusdauer, die keine Grenzen kannte, aber er hat immer anerkannt,daß große Leistungen nur dort der Arbeit entsprießen können, wodie Liebe, das Interesse an der Arbeit mit der Pflicht zu ihr zu-sammenfallen. Und eS ist alles andere als eine Minderung seinerVerdienste um das Wohl seiner Arbeiter, wenn sie sagen, daß dieseErkenntnis auch der Hauptgrund für die Schöpfung der Carl Zeiß-Stiftung war, daß er ebenso das wohlverstandene Interesse derUnternehmer wahren wollte, als er die Arbeiter zu möglichst günstigenLohn- und Arbeitsverhältnisse» brachte.Wird seine soziale Schöpfung, die Carl Zciß-Stiftung, mit allihren Angliederungcn. wie Lesehalle, Universitätsunterstützung,VolkShauS, VolksunterhaltungSabcnde usw. usw. vielfach und sehrgegen Willen und Absicht ihrcS Schöpfers überschätzt, so bewertet diebreite Oefscntli-Hfcit viel zu gering seine Verdienste um dieWissenschaft. Hier, und besonders auf seinem Spezialgebieteder Optik, war er bahnbrechend; ihm verdanken wir die Theoriedes Mikroskops, die Grundlage der modernen mikroskopischenTechnik, ohne welch? die revolutionierenden Entdeckungen der meistenKrankheitserreger einfach undenkbar sind. Hier ist er direkt zueinem Wohltäter der Menschheit geworden. Als er dies Gebietbetrat, wurden die Mikroskope geschaffen, indem man„ausprobierte",welche Linsen und Glasartcn das beste Ergebnis erzielten. Abbehat es durch seine Theorie deS Mikroskops dahin gebracht, daß sich derbestmöglichste Erfolg vorher berechnen läßt, und daß nun nach dieserBerechnung erst die Zusammensetzung des Mikroskops erfolgt._ Erhat die Dinge hier völlig auf den Kops gestellt. Und das mit Hülfs-mitteln und unter Bedingungen, die nur das Genie überwindenkonnte. Als er nach Abschluß seiner Studien in Jena und Göttingenbald in die 1846 von Carl Friedrich Zeitz gegründete kleine optischeWerkstätte in Jena trat, fand er hier alles in engstem, Handwerk-mäßigem Betriebe, was heute auf seinem Felde die Welt beherrscht.Dies so von Arbeit beherrschte und von Erfolg gekrönte LebenBerhandlungsführer: Dann muß ich Sie bitten, die Frage schriftlichzu formulieren.— Inzwischen tritt eine längere Pause ein.Nach Wiedereröffnung der Sitzung verliest Rechts-anwalt Guttmann seine schon vorher mündlich an den Zeugen ge-richtete Frage, worauf dieser jedoch erklärt, er habe seinerAussage nichts mehr hinzuzufügen.— Verhandlungsführer: Ich meine auch, daß aus der wunderbar klaren Aussagedes Zeugen zu ersehen ist, daß das Geständnis spontan kam.Welche Schlußfolgerung daraus zu ziehen ist, ist allerdings eineandere Sache.— Verteidiger Rechtsanwalt Guttmann möchte fernerfestgestellt wissen, ob in Dessau versucht worden ist, die Dauerdes ganzen Vorganges festzustellen.— Verhandlungsführer: Auchhierüber werde ich den Zeugen nicht befragen, da das Gericht amMittwoch ausdrücklich bechlosscn hat. von einer»vetteren BciveiS-aufnähme abzusehen.— Verteidiger Rechtsanwalt Guttmann: Dannbitte ich um einen GerichtÄbeschlutz. Hier handelt es sich um einenVorgang, der sicher nur wenige Minuten gedauert hat. Die Frageist von ausschlaggebender Bedeutung für den ganzen Prozeß. Eshandelt sich ferner bei den Angeklagten und Zeugen um außerordentlich beschränkte Menschen. Die Hauptfrage bleibt nach tme vor:sind dir Angeklagten sich bewußt gewesen» worauf es ankam. Hier-für ist die Frage nach der Zeitdauer deS ganzen Vorganges vonwesentlicher Bedeutung.— Anklagevertreter KriegsgerichtsratRicharz: Ich halte diese Frage des Verteidigers für berechtigtim Interesse der Feststellung des effektiven Tatbestandes.— DerVerteidiger Rechtsanwalt Guttmann will»visscn, ob die Angeklagtensich der Tragweite ihrer Handlungen beimißt tvaren und zugunstender Angeklagten muß man nach den Angaben des Zeugen Wagnerannehmen, daß sie sich über den Unterschied zwischen der gewöhnlichenAchtungsverletzung und dem schwertviegendcn Aufruhr nicht klar ge-worden sind. Von den Angeklagten ist in Dessau etwas verlangtworden, Ivas man von Zeugen, die den Eid zu leisten haben, erstnach sehr eingehender Belehrung aller Möglichkeiten und Folgenverlangt, und denen dann ein wesentlicher Schutz zur Seite stehe.Tiefer Schuh fehlte den Angeklagten. Somit sind meines Erachtensdie Angaben Günthersnicht ein Geständnis, sondern nur eine Aussage.die als eine Berichtigung der vorausgegangenen unklaren AngabenVoigts anzusehen ist.Nach kurzer Beratung verkündet das Gericht, daß es sämt-liche Anträge ablehne. Was den ersten Antrag anlange, so nehmedas Gericht zugunsten der Angeklagten an, daß sich der fraglicheVorfall in aller kürzester Zeit abgespielt hat. Die zweite Frage anden früheren Berhandlungsführer zu richten erübrige sich. Selbst-verständlich sei es Pflicht des einen so wichtigen Prozeß führendenRichters, den Angeklagten auf Widersprüche und veränderte recht--liche Gesichtspunkte aufmerksam zu machen. Das jetzige Gericht habeaber nicht die Pflicht, nachzuprüfen, ob der Zeuge in der vorigenVerhandlung in dieser Beziehung richtig vorgegangen ist.Verteidlger Rechtsanwalt Czarnikow: Der Vorsitzende hat ge-sagt, der Angeklagte Günther hätte nicht wissen können, was Voigtsagen würde. Daraus hat er dann auf die Unwahrheit der AngabenGünthers geschloffen. Demgegenüber bemerke er, daß die AussageVoigts dem Angeklagten Günther vorher gesagt worden sei.— Verhandlungsführer: Ich hatte erwartet, daß der Angeklagte das selberangeben würde.— Rechtsanwalt Czarnikow(mit einer entsprechen-den Handbcwegung): Ach, der!— Verhandlungsführer; So dummist er aber doch nicht! Er, als Gefreiter, der zwei Jahre gedienthat, müßte doch so gescheit sein, daß er sich dessen erinnerte.Der folgende Zeuge, KriegsgerichtSrat Wolf, bekundet, daßGünther in der Dessauer Verhandlung angegeben habe: nachdemHeine mit zwei Seitengewehren herausgelaufen fei und die Rummerdes einen Seitengewehres gerufen habe, habe er den Voigt gerufenund beide seien hinter Heine hergelaufen. Voigt Hab? ihn zuerst ein-geholt: dann sei er auch noch hinzugekommen und habe dem Heinedie Arme festgehalten.— Verhandlungsführer: Ist denn demGünther angesichts seines Geständnisses gesagt worden: aberMenschcnskind, in der Voruntersuchung haben Sie ganz anders aus-gesagt, wie kommen Sie jetzt zu dieser Selbstbelastung!— Zeuge:Wenn ich mich recht erinnere, so wurde ihm gesagt, er habe heutemehr zugegeben als früher.— Verteidiger RechtsanwaltGuttmann: Mehr nicht?— Zeuge kann sich nicht erinnern.— Anklagevertreter: Ob Voigt dem Heine das Gewehr abnahm,während Günther ihm die Hände festhielt, konnte wohl schon damalsnicht mit Bestimmtheit festgestellt»verde»?—■ Zeuge: Rein.— Verhandlungsführer: Sie haben aber wohl im Gedächtnis, daß dieGüntherfche Aussage für Voigt sehr belastend war?— Zeuge: Ichhabe die einzelnen Aussagen nur so weit noch im Gedächtnis, daß siesich im»vesentlichen nicht widersprachen.Der nächste Zeuge ist der frühere Verteidiger Voigts, Rechts-anwalt Dr. Suchsland aus Halle. Er bekundet, seiner Er«innerung nach gab Voigt an: Als Heine blank gezogen hatte, bekamich einen Schreck und, um ein Unglück zu verhüten, bin ich zu ihmgegangen und habe ihm die Waffe fortgenommcn. Ich habe sie ihmaber gleich wieder zurückgegeben. Inzwischen wurde ich von Güntherdarauf aufmerksam gemacht, daß Heine mir soeben mein Seiten»«wehr herausgezogen habe. Ich lief darauf Heine nach und Güntherschloß sich mir an, und nun war ich bemüht, die Waffe wiedcrzubc-kommen.— Verteidiger Rechtsanwalt Guttmann: Erinnern Siesich, daß man Günther auch auf die Folgen seiner Aussage für ihnselbst aufmerksam machte?— Zeuge: Ich hatte selbst vor der Ver-floß in einer äußerlich gleichmäßigen, klassischen Ruhe dahin; inThüringen, in Eisenach, stand Abbes Wiege, in Jena und Göttingcnstudierte er, in Jena schuf er dann sein Größtes, und von denseiner Erholung notgedrungen gewidmeten Reisen abgesehen, war erhier stets zu finden. Aber es wäre weit gefehlt, in diesem ruhigenGleichmatz deS äußeren Lebens eine stille, passive Natur zu suchen.Im Gegenteil: wo immer es galt, als Staatsbürger, alsP o l i t i k e r bei ernstem Anlaß Stellung zu nehmen, tat er es ohi»ejede Rücksicht. Er hat seinerzeit eben so»nannhaft gegen dasSchandgesetz im Reiche protestiert wie gegen die neueren gleich-»vertigen Unterdrückungen des Vereins- und Versammlungsrechtes wseinem eigenen Baterlande. Seine Parteistellung war nicht völligklar, er paßte wohl am besten zur süddeutschen VolkSparteß gegenden NichtS-als-Freisinn aber hatte er ungeheure Abneigung. SeineStellung zur Sozialdemokratie charakterisierte er gelegentlich imprivaten Kreise halb im Scherz, aber doch ganz richtig dahiii, daßer theoretisch nicht bei uns sei, praktisch aber auf allen Wegen mituns gilige. Dies letzte hat er getan, wo immer die politische Situationganze Männer forderte; unvergessen im besonderen wirF ihm seineIverktätige Hülfe bleiben, die er in den schwersten Zeiten des Schand-gesetzcs vielfältig der deutschen Partei erwiesen hat.So steht am frischen Grabe Abbes mit seiner Gattin, die ihnin liebevoller Treue und Hingabe umsorgte, ihm für alles eininniges Verständnis entgegenbrachte, mit seinen beiden Töchtern,mit der unendlichen Zahl seiner Verehrer und Freunde, auch nichtzuletzt trauernd die deutsche Sozialden, okratie. Siewird sein Andenken als daS eines Mannes in Ehren halten, der inder bürgerlichen Welt»venige seinesgleichen hatte. M. Gr.&*AuS Jena wird uns telegraphiert:Die GcschäftÄeitungcn der Betriebe der Carl Zcr'ß-Stiftungsagen in ihrem Nachruf:„Was Abbe im beruflichen Leben geschaffen,was er als Mensch uns allen gewesen ist, bleibt unauslöschlich munseren Herzen und in der Geschichte unserer Unternehmen ei»-gegraben."Die sämtlichen GcschäftSangchörigen der optischen WerkstätteCarl Zeitz bringen in einem Nachruf das„Gefühl der aufrichtige»Dankbarleit für Abbes unermüdliche und erfolgreiche Tätigkeit in»Dienste der Firma und des Allgemeinwohls öffentlich zunr Ausdruck."