Ix. 15a W. Jahrgang.2. HkilUe il» Joraärts" Kerlim WsMFreitag, 30. Juni 19YZ.mEue der Partei.Ein LandeS-Ardeitersekretariat für Anhalt soll auf der Grundlageeingerichtet werden, dah ein.Verein Arbeitersekretariat" gebildetwird, dem die Gewerkschaften korporativ als Mitglieder beitreten,dem aber auch Einzelmitglieder beitreten können. Der Jahres-beitrag ist auf 60 Pf. bemessen. Der sozialdemokratische Vereinverpflichtet sich zur Deckung eines etwaigen Fehlbetrages.Ein sozialdemokratischer Wahlvercin wurde in Jänickendorfbei Luckenwalde gebildet. Es traten sofort 60 Mitglieder ein.Die Parteigenossen Elsaß-Lothringcns sind im Begriffe, sich zu einerLandesorganisation zusainmenzuschlietzen, die in drei Bezirksvereine— Strasburg, Mülhausen, Metz— gegliedert ist. Der Entwurf zumOrganisationsstawt, das demnächst nach Berücksichtigung etwaigerEinwendungen der Parteigenossen von der dazu eingesetzten Kam-Mission endgültig beschlossen werden soll, wird in den dortigenParteiblättern veröffentlicht. Wir gebe» einige der wesentlichstenBestimmungen des Entwurfes wieder:§ 3. Der Sozialdemokratische Bezirksverein.... bildet in deneinzelnen Reichstags-Wahlkreisen Filialen, an deren Spitze jeweils einKreiskomitee steht. Die Filialen sind berechtigt, Mitgliedschaften zubilden, an deren Spitze jeweils ein Agitationskomitee steht.Z ö. Der Beitrag beläuft sich auf 20 Pfennig pro Monat. Erwird von dem Agitationskomitee, wo eine Mitgliedschaft vor-Händen ist, erhoben. Bei dem Agitationskomitee verbleiben 3 Pfennigpro Mitglied, während 17 Pfennig pro Mitglied bei den Ab-rechnungen an das Kreiskomitee abgeliefert werden, bei dem von je17 Pfennig 5 verbleiben, während 3 an den Vorstand, 2 an denKassierer der sozialdemokratischen Partei Elsaß- Lothringens und5 an den Kassierer der sozialdemokratischen Partei Deutschlands abgeliefert Iverden.Ist eine Filiale nicht in Mitgliedschaften eingeteilt, so verbleiben8 Pfennig pro Mitglied bei dem Kceiskonntee.§ 6. Außer dem in§ 4 vorgesehenen Eintrittsgeld(20 Pf.) unddem in§ 5 Absatz 1 angegebenen Beitrage sind die Mitgliedschaftenund die Filialen berechtigt, Zuschläge für die Bedürfnisse der Mit-gliedschast bezw. der Filiale zu erheben.§ 14. Zur Teilnahme an der Generalversammlung sind be-rechtigt:a) die Delegierten der Mitgliedschaften. Die Zahl der Dele-gierten, auf die jeder Ort Anspruch hat, bestimmt sich in der Weise,daß auf je 2b Mitglieder ein Delegierter kommt, wobei jede be-gonnene 25 der vollen gleichzusetzen ist:b) je ein Delegierter der Kreiskomitees:v> die Mitglieder des Vorstandes und die Revisoren;d) die in den zum Verein gehörigen Wahlkreisen gewähltensozialdemokratischen Reichstags- und Landesausschuß-Abgeordneten;s) mit Zustimmung deS jeweils zuständigen Kreiskomitees diein den zum Verein gehörigen Wahlkreisen aufgestellten sozialdemokratischen Reichstagskandidaten;k) mit beratender Stimme und mit Zustimmung der jeweils zu-ständigen Mitgliedschaft bezw. der Filiale die in die Bezirks- undGememdeparlamente gewählten Mitglieder des Vereins.Die Kosten für die Teilnahme an der Generalversammlungtragen die Mitgliedschaften für die unter a) und f), die Filialen fürdie unter b) und o) und der Verein für die unter o) und 6) auf-geführten Teilnehmer.Der Zusammenschluß dieser drei Bezirksvereine wird dann ge-regelt durch daS Statut.der sozialdemokratischen Partei Elsaß-Lothringens', worin unter anderen bestimmt ist:Z 1. Die Sozialdemokratischen Bezirksvereine Straßburg,Mülhausen und Metz treten zwecks gemeinsamer Tätigkeit in Gestaltder sozialdemokratischen Partei Elsaß-Lothringens in Verbindung.§ 2. An der Spitze der Partei steht der Landesvorstand, deraus einem Vorsitzenden, einem Schriftführer, einem Kassiererund vier Beisitzern besteht. Der Landesvorstand hat seinen Sitz amVorort.Der Vorfitzende, der Schriftführer und der Kassierer bilden dengeschästs führenden Ausschuß. Sie sind Mitglieder desjenigen BezirksVereins, dem jeweils der Vorort zugehött. Die Beisitzer werden jezur Hälfte aus den beiden anderen Bezirksvereinen entnommen.§ 8. Zur Teilnahme am LandeLparteitag sind berechtigt:») die Delegierten der Mitgliedschaften. Die Zahl der Dele-gierten, auf die jede Mitgliedschaft Anspruch hat. bestimmt sich inder Weise, daß auf je fünfzig Mitglieder ein Delegierter kommt,wobei jede begonnene Fünfzig der vollen gleichzusetzen ist;K) je drei Delegierte der Vorstände;o) je ein Delegierter der Kreiskomitees;d) die Mitglieder des Landesvorstandes und die Revisoren;v) die in Elsaß-Lothringen gewählten sozialdemokratischen Reichs-tags- und LandeSauSschuß-Abgeordneten;k) mit beratender Stimme und mit Zustimmung der jeweilszuständigen Mtgliedschast bezw. der Filiale die in die Bezirks- undGemeindeparlamente gewählten Mitglieder der Partei.Die Kosten für die Teilnahme am Landesparteitage tragen dieMitgliedschaften für die unter a) und f), die Filialen für die unter o),die Bezirksvereine für die unter d) und die Partei für die unter d)und e) aufgeführten Teilnehmer.§ 10. Parteiorgane der Sozialdemokratischen Partei Elsaß-Lothringens sind die.Freie Presse" in Stratzburg, die„MülhauserVolkszeitung" in Mülhausen und die.Saarwacht" in St. Johann.Die sozialdemokratische Arbeiterpartei Schweden« hat. wie derkürzlich erschienene Jahresbericht von 1904 zeigt, im vorige» Jahreeinen starken Zuwachs erhalten. Die Zahl der Arbciterkommunen,der lokalen Kartelle, die den Grundstock der Partei bilden, ist von93 mit 761 Vereinen und 34 332 Mitglieder, auf 112 mit 804 Ver-einen und 64 833 Mitgliedern gestiegen, also in dem einen Jahrein Gewinn von 10 283 Mitgliedern. Die Arbeilerkommune vonStockholm zählte am Jahresschluß. 20 233 Mtglieder, die vonMalmö 9131, Göteborg 4786, Estilstuna 2898, Heising-borg 2049, Lund 1861, LandSkrona 1401.— Die Einnahmen der Partei beliefen sich auf 87 779.52 Kr., die Ausgabenauf 87 178,46 Kr. Der Kaffenvestand betrug am Jahresschluß31 622,64.Kr. Der Broschüre»Verlag der Partei ist durch dieHerausgabe folgender neuer Werke vergrößert worden:.Dersozialistische Zukunftsstaat",.Die Landarbeiter und der Sozialismus",.Rieder mit dem AkarpSgesetz!"(Zwaugsgcsetz gegen die Ge-werkschaftsbeweaung),.Sozialdemokratische Silhouetten" und.Ferdinand Lassalle". Im Jahre 1904 wurden im ganzen 69 374Broschüren und Bücher abgesetzt, im Jahre 1903 nur 37 704. Auchhieran zeigt sich der mächtige Fortschritt der Partei und der sozialdemokratischen Idee.Die Differenz«! im„Avanti" waren in einer Sitzung des Partei«Vorstandes beraten und zur Entscheidung gebracht. DaS Ergebnisder Verhandlungen war die Annahme folgender Resolution:.Der Parteivorstand stellt fest, daß, währenddem die Ueber-wachuug der politischen Richtung deS Zentralorgans der Parteileitungzusteht, die Anstellung des Personals in der Redaktion Sache derDirektion(des Chefredakteurs) ist.Deshalb war die Einmischung der Parteileitung in die gegenwärtige Krisis innerhalb der Redaktion nur deswegen und insoweitberechtigt, als die politische Seite der Frage in Betracht kommt.Die Parteileitung konstatiert, daß die Redakteure ihre Demissiongegeben haben, weil sie mit der politischen Richtung deS Chef-redakteurs nicht einverstanden waren; sie konitatiert ferner, daß dieRedakteure von seiten des Ehcfs zur Demission nicht veranlaßtworden sind; nimmt Kenntnis von der Erklärung deS Direktors.daß er oie Redaktion des Zentralorgans auch ferner nach den inBologna vorgezeichneten Richtlinien weiter führen werde und sprichtdie Hoffnung auS, daß die ausgetretenen Redakteure sich der DirektiondeS.Avanti' wieder zur Verfügung stellen, bis es ihr möglich seinwird, ihre definitive Wiedereinstellung zu bewirken."Der Wiedereintritt einiger der frühere» Redaktionsmitglieder inden.Avanti" ist wahrscheinlich.parteL-5Zngelegenkeiten.Spandau. Dienstag, den 4. Juli. Zahlabend in sämtlichen Stadt-bezirken. Die Mitglieder wollen sich uberall vollzählig einfinden.Der Borstand des Wahlvereins.Halensee-WilmerSdorf. Sonnabendabend 8>/z Uhr wird GenossinI e e tz e in einer nach Koletzky, Westfälischestraße 60, einberufenenVersammlung über das Parteiprogramm einen Vortraghalten. Die Genossen aller Bezirke sind hierzu eingeladen.berliner I�ackrickten.Aus der Stadtverordneten-Versammlung.In der gestrigen Sitzung der Stadtverordneten, die dieletzte vor den Sommerferien war, standen Schulfragenim Vordergrund der Verhandlungen.An die vom Magistrat zur Kenntuisnahme vorgelegteUebcrsicht über die gegenwärtige Gemeindeschulfrequenzknüpfte Genosse Borgmann eine Reihe kritischer Bemerkungen,die� den Stadtschulrat Gerstenberg und den StadtverordnetenCassel auf den Plan riefen. Der Herr Stadtschulrat feiertediesmal denselben Triumph, der ihm schon bei früherenGelegenheiten dieser Art zuteil geworden war. Borgmannhatte die noch immer viel zu hohe Frequenz einzelner Klassenund ganzer Klassenstufen bemängelt, aber für einen der an-geführten Fälle konnte Herr Gerstenberg ihm erwidern,das sei ein Druckfehler. Unsere Parteigenossen quittiertenmit schallendem Gelächter. Selbst Herr Cassel mußte zu-geben, daß es schlimm genug ist, wenn eine so wichtige Vor-läge Druckfehler enthält und ein Magistratsvertreter sich danndamit entschuldigt. Cassel war durch eine Bemerkung Borg-manns über das Achtklasscnsystem, für das dieser Wortführerder Stadtverordneten- Mehrheit bekanntermaßen gar nichtschwärmt, animiert worden, sich an der Debatte zu beteiligen.Vorläufig will er sich noch nicht bekehren lassen, doch will erwarten, ob die Zukunft bessere Erfolge bringt. Mit Recht er-widerte ihm Borgmann, je mehr man die Frequenz derunteren Klassen ermäßige, desto zahlreicher würden die Kindernach regelrechter Versetzung in die oberen und oberstenKlassen gelangen. Eine eingehende Erörternng all' der Fragen,die in der Debatte angeschnitten wurden, wäre möglichgewesen in einem Ausschuß, wie die sozialdemokraftscheFraktion ihn beantragte. Aber Herrn Cassels Gefolgschaft vonder äußersten Rechten, die sich„Freie Fraktion" nennt, bis zur„Reuen Linken" stimmte dagegen, und der Antrag siel.Einen ähnlichen Ausgang, aber allerdings zunächst nuraus äußeren Gründen, hatte die Debatte über eine Magistrats-Vorlage, die für die K i n d e r e r h o l u n g s st ä t t e n vom„Roten Kreuz" eine Geldunterstützung beantragt, damitan Ort und Stelle die Kinder auch unterrichtetwerden können. Genosse H e i m a n n lenkte hier indankenswerter Weise die Aufmerksamkeit auf die Charlotten-burger Waldschule, die den dort untergebrachten schwächlichenKindern zu großem Segen gereicht, und empfahl die Annahmeeiner von der sozialdemokratischen Fraktion beantragten Re-solufton, die den Magistrat ersucht, die Errichtung solcherWaldschulen von Gemeinde wegen auch für Berlin in Erwägungzu ziehen. Der Vorsteher Langerhans fand, daß das keinAmendement sei, also auf die Tagesordnung erst der nächstenSitzung gesetzt werden dürfe. Das wird denn auchgeschehen, aber natürlich erst nach den Ferien. Zu einerrechten Debatte über die Waldschulfrage kam es noch nicht.Nur Herr Sachs erklärte kurz und grob, die Stadt Berlintue schon gerade genug für schwächliche Kinder. Sollte dasdie Ansicht der Mehrheit sein? Die Geldunterstützung wurdebewilligt; was aus der Resolution wird, muß abgewartetwerden._Sozialdemokratische Verbrecher.„Der Prozeß gegen Redakteur Kunert in Halle hat be-kanntlich mit der Verurteilung des sozialdemokratischen Ab-geordneten, der schon mehrfach, auch wegen Eigentums-Vergehens vorbestraft ist, zu drei Monaten Gefängnisgeendet."So schreibt das Stöckersche„Reich" und andere staats-erhaltende Blätter werden gleichfalls nicht müde, die Schande.die auf Soldaten der deutschen Chinatruppe lastet, da-durch zu bemänteln, daß sie ostentativ darauf hintveisen, daßmau es in Kunert mit einem Subjekt zu tun habe, das derZunft der Langfinger angehört. Selbswerständlich solldie Hervorkehrung dieser Tatsache auch ein Schlaglicht auf die" mmoralität der Sozialdemokrafte und der von ihr verhetzten'olksschichten werfen, die sich nicht entblöden, einen wegenEigentum svergehens bestraften Menschen mit demhöchsten Ehrenamte zu betrauen, ihn als Gesetzgeberin den Reichstag zu senden.Unsere Aufgabe soll es hier sein, beileibe nicht die Be-strafung unseres Kollegen Kunert abzuleugnen, sondernunseren verehrten Gegnern neues Tatsachenmaterialzu seiner Charakteristik zu liefern. Wir wollen gleich mit derTür ins Haus fallen und rühmend hervorheben, daß Kunertnicht allein wegen Eigentumsvergehens, sondern auch bereitswegen Unzuchtsvergehens verurteilt worden ist. Weralso bisher noch Gnade vor Recht ergehen ließ und zugab,daß die Sozialdemokrafte gemäß dem Grundsatz, daß Eigen-tum Diebstahl ist, über das Mein und Dein sich frivol hinweg-'etze, aber in bezug auf Geschlechtsmoral am Ende nicht schlechterei als das Bürgertum, der kann jetzt seine Siebensachen zu-amnlenpackcn und tut zu seiner eigenen Sicherheit gut. dieRotte völlig preiszugeben.Wie kam Kunert zu diesen Verurteilungen? Du lieberHimmel, es ist seit langem Brauch in der deutschen Recht-sprechung, Sozialdemokraten nicht nur auf Grund derjenigenGesetzesparagraphen ins Gefängnis zu bringen, die sich gegenpolitische Vergehen kehren, sondern das Gesetz in einerWesse, wie es der Gesetzgeber nie für möglich gehalten hätte,o zu benutzen, daß sie auch wegen gemeiner Vergehenverdonneri werden können. Fast tagtäglich kommt es vor,daß Arbeiter, die an Ehrenhaftigkeit denen, die sie verurteilen,nicht im mindesten nachstehen, in Streik-Prozessen unter Benutzung des Expressungs-Paragraphen ins Gefängnis gebracht werden. Wirwissen, was bürgerliche Richter unter Benutzung des grobenUnfugparagraphen alles gegen Sozialdemokraten an-gerichtet haben; wir wissen, daß brave Männer m Sozialisten-Prozessen sogar wegen Meineides ins Zuchthaus geschicktworden sind; wir erinnern auch an die Opfer des LöbtauerProzesses.Auf ganz derselben Höhe der Rechtsprechung, diesolche Taten vollbracht hat, stehen auch die gegen Kunertgefällten Urteilssprüche.Um schon 1892 trotz der N i ch t ö f f e n t l i ch k e i t deskriegsgerichtlichen Verfahrens authentische Auszügeund Abschriften von kriegsgerichtlichen Ur-teilen publizieren zu können, teils durch die Presse, teilsim Reichstage, nahm Kunert derarttges aktenkundigesMaterial von einem Kanzleischreiber in Empfang. Es geschahdas a u f W u n s ch einer Anzahl von Militärstrafgefangenen,die dabei auf eine Ermäßigung ihrer Strafzeit und eineMilderung ihrer äußerst schwierigen Lage im Gefängnis hofften.In dem Irrtum, daß die P a p i e r b o g e n, worauf die inBestacht kommenden Tatsachen mitgeteilt waren, keinenWert hätten, hat Kunert diese Bogen im Werte von einigenPfennigen nach der Veröffentlichung vernichten lassen. Hätteer sie nach erfolgter Benutzung der Kanzlei wiederzugesandt, so hätte selbst ein bürgerliches Gericht nichtzu einer Verurtettung kommen können; so aber brachtedie Strafkammer in Breslau es fertig, nachdem der Staats-anwalt die ursprüngliche Anklage wegen Anstiftung zum Dieb-stahl fallen gelassen hatte, Kunert wegen Unterschlagung zu6 Monaten Gefängnis zu verurteilen. Indem Kunert sich dieKanzleimakulatur aneignete, ja sie zu vernichten anordnete,beging er— immer nach Ansicht des verurteilenden Gerichts—eine Unterschlagung IDiese am 19. September 1893 erfolgte Verurteilung, anderen Möglichkeit vorher niemand geglaubt hatte, erregte un-geheueres Aufsehen und begegnete selbst in bürgerlichen Kreisenallseitigem Kopsschütteln.Auf ähnlicher Höhe steht jkunerts Besstafung wegenUnzuchtsvergehens. Ein Gerichtsassessor hatte in einemhiesigen Blatt eine Wohnungsanzeige folgenden Inhalts ein-lassen:Möblierte? Zimmer, am liebsten bei einer jungenWitwe, zum jeweiligen, vorübergehenden kurzen Aufenthaltvon einem Gerichtsassessor auf sofort gesucht.Der„Vorwärts" hatte am 14. November 1895 dieseAnnonce abgedruckt und hinzugefügt:„Den Gerichtsassessormöchten wir einmal in einem Kuppeleiprozeß agierensehen!"Nun erhob die Staatsanwaltschaft Anklage.beileibe nicht gegen den etwa aufgespürten Gerichtsassessor,der doch ziemlich deutlich sich der Verleitung zur Kuppeleischuldig gemacht hatte. Nein, es wurde Anklage erhobengegen Kunert, der damals verantwortlicher Redakteur deS„Vorwärts" war, Anklage erhoben wegen— Unzuchtsvergehens,das im Abdruck der Annonce des Gerichtsassessors enthaltensei. Und das Schöffengericht verurteilte auch ruhigden Redakteur wegen Vergehens gegen den Unzuchts-Paragraphen zu 30 M. Geldstrafe. Selbst ein naftonalliberalesBlatt, die„Sstaßb. Post", schrieb damals, daß nichts zer-störender wirken Zkönne, als solche gerichtlichen Urteile.Daß die Berufungsinstanz später auf Freisprechung erkannte,ändert nichts an der Charatteristtk der politischen Recht-sprechung in deutschen Landen.Wir haben diese Erinnerungen ausgekramt nicht um diestaatserhaltende Presse zu bekehren. Wer verleumden will,und das ist vornehmster Grundsatz im anftsozialdemostatischenOrdnnngskampf, der läßt sich in seinem Vorhaben nicht irremachen, wenn man ihm die Wahrheit vorhält. Wohlaber ist es unsere Pflicht, bei dieser Gelegenheit der breitestenOeffentlichkeit zu zeigen, daß es nicht die Sozialdemostatensind, die sich der erwähnten Verurteilungen zu schämenhaben._Ein Gedenktag für Magistrat und Stadtverordneten-Versamm-lung ist der heutige 30. Juni. Vor 40 Jahren, am 30. Juni 1865,wurde in dem jetzigen Berlinischen Rathause, das damals nochim Bau war, die erste Magiftratssitzung abgehalten und heutefindet die 2000. Sitzung de« Magistrats an derselben Stelle statt.Dieser Tag ist durch eine große Gedenktafel am Rathause verewigtworden. Die Tafel hat folgenden Wortlaut:«Die erste Sitzung deöMagistrats ward in diesem Rathause abgehalten am 30. Juni 1865."Bis dahin hatte der Magistrat seine Sitzungen im Köllnischen Rat-Hause am Fischmartt abgehalten.Der Antomatenskandal auf den Bahnhöfe». Eine förmliche„Groschenfalle" bildeten, wie ein Berichterstatter schreibt, gestern dieauf denr Stadtbahnhof Tiergarten aufgestellten Automaten. DerFahrkartenautomat für Fahrkarten II. Klasse gab nach Einivurf von20 Pfennigen weder die Karte, noch die restlichen 3 Pfennig, ineinigen Fallen nur die Karte ohne den Rest wieder. Der Grojchen-Fahrkartenautomat mußte erst gehörig geschüttelt werden, ehe er denGegenwert für die hineingetvorfenen 10 Pfennig herausgab,und der Warenautomat hatte als dritter im Bunde auch seineMucken und schluckte in vielen Fälle» die erhaltenen Zehnpfennig-stücke ohne Gegenleistung. Da die Hereingefallenen meist Eile hatten,verzichteten sie. nachdem sie nutzlos ihr Geld geopfert, auf eine Be-schwerde. Wandten sie sich aber an einen Bahnbeamten, wurde ihnenachselzuckend erwidert, das sei Sache eines besonderen Beamten, bezw.des Vertreters der Automatengesellschast. Das schönste dabei ist,daß sich niemand veranlaßt sah, die Fahrgäste vor der Benutzungder nicht finikttonierenden Automaten zu warnen und deshalb einernach dem andern hereinfiel, da es geraume Zeit dauerte, bis Abhülfegeschaffen wurde.ES ist eine leere Redensart, eine Ungehörigkeit, wenn die Bahnbeamten in solchen Fällen dem Publikum antworten müssen, daß dieWiedererlangung des Geldes nicht Sache der Bahnverwaltung fei.Indem die Verwaltung duldet, daß die Fahrkarten-Automaten imBahvhofsrauin aufgestellt werden, indem sie auf diese Weise anArbeitskräften spart, macht sie sich verantwortlich dafür, daßdie Apparate ordentlich funktionieren, und hat sie dafür zu sorgen,daß die Fahrgäste in Fällen, wo dies nicht geschieht, wieder zuihrem Eigentum kommen. Wenn das Publikum in der-arttgen Fällen sich mit Nachdruck beschwerte, würde der Verwaltungder gegenwärttge Zustand bald so verleidet werden, daß sie entwederdie Automaten abschaffte oder für die gebührende Befriedigung dergerechten Ansprüche de» Publikums sorgte.Erlaß der Gewerbesteuer. Die Gewerbesteuer der Klasse IV. zuderen Erleichterung nach den auf Grund des Wareuhaussteuer-GesetzeSvom 18. Juli 1900 gefaßten Gemeindebeschlüssen das Aufkommender Warenhaussteuer in Berlin zurzeit verwendet wird, soll nacheiner Bekanntmachung de« MagsstratS für daS Bierteljahr JuliSeptember d. I. nicht erhoben werden.