Cor. 238.
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Vorwärts
9. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Moderne Bayarde.
Von einem Menschenfreund", der sich den, Distanzritt" in und aus Desterreich angesehen hat, erhalten wir nachstehenden Brief:
Dienstag, den 11. Oktober 1892.
alterlicher Ritterlichkeit in ihnen, und bei den Zirkusspielen und dem sonstigen Sport, den sie trieben, trugen sie wenigstens die eigene Haut zu Markte nicht blos die der unglücklichen Pferde.
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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
So Herr von Reißenstein über und gegen Herrn von Reißenstein. Wo ist der Staatsanwalt? die Doch nicht blos für Herrn von Reihenstein anderen haben es nicht beffer gemacht; nicht weniger als Es liegt in dem Wesen der geschichtlichen Entwickelung, 29 Pferde sind bereits dieser neuesten Sport- Orgie zum Opfer G3 wäre wirklich angezeigt, wenn bei paffender Ge- daß jede auf Ausbeutung und Herrschaft beruhende Kultur- gefallen, und den meisten übrigen Pferden blüht noch das legenheit die bei dem Distanzritt Berlin - Wien verübten periode, wie die Lebensbedingungen, so auch die Fäulniß- nämliche Schicksal. Ein Stiergefecht, bei dem 10 Pferde zu schauberhaften, kaum je dagewefenen Pferdeschinde- bazillen der früheren Perioden in sich aufnimmt, und zu Grunde gehen, ist schon ein ungewöhnlich blutiges, so daß reien ernstlich zur Sprache gebracht würden, denn wenn beidem ihr eigenes Theil hinzufügt, und daß demzufolge die es sogar spanischen Nerven zu viel wird. Und in allen diese Art Sport in die Mode käme, würden die Mann Fäulniß am Schluß der einander folgenden Kulturperioden eine zivilifirten Ländern sind die Stiergefechte ob ihrer Grauschaften die Gefühlsverhärtung der Offi- immer intensivere, der Hochgeschmack immer penetranter wird. samkeit verboten. Biere zu fühlen bekommen. Das bei dem Das oströmische Reich von Byzanz war noch weit durch- Trotzdem giebt es Menschen, die von einem sittlichen Distanzritt Geleistete reiht sich würdig an das Spieß- feuchter und raffinirter korrupt als das weströmische Reich und geistigen Inhalt" des Distanzrittes faseln. Dieser tuthenlaufen traurigen Andenkens. Wenn es die der alten Roma; und unsere fin de siècle , das heißt die Blüthe des noblen Sports, der die Blüthe der Nation hohen Kreise so treiben, ist nicht viel Verständniß für die moschusduftende, krebskranke Zivilisation des wissenschaftlich bewundernd zugeschaut, wurde der richtige Stempel aufgedrückt nothwendige Sozialveform zu erwarten." humanen Massenmordes und des fromm- fittlichen Massen- durch den Bruder kuß, welchen der Sieger im ,, edlen Der Vorwärts" hat schon wiederholt auf das raubes am Ende des 19. Jahrhunderts, schlägt die byzan- Wettkampf" seinem schweiß- und blutüberströmten Pferde Barbarische des Distanzritt• Sports und wir hatten auch, hingewiesen, tinische fin de siècle um 1000 Pferdelängen, wie bei dem gab, ehe es vom vornehmen zum gemeinen Schinder eintraf, als obiger Brief bei uns soeben verübten Distanzritt die österreichischen Bayarde" geführt wurde. Die Frage ist blos, wer von den beiden die Peitsche schon nochmals aufgenommen, bie preußischen. Brüdern auf der höheren geistigen Stufe steht. Sicher nicht um fie auf dem Rücken der Distanzritt- Sportsmänner und Bayarde! Wir danken dem Bindter für das Wort. der zweibeinige. ihrer würdigen Bewunderer herumtanzen zu lassen. Ohne zu wollen wie immer, wenn ihm das passirt- Und wenn Swift heute wieder auferstände und sähe, Recht hat der österreichische Menschenfreund" mit seiner hat er eine blutige Satire geschrieben. Bayard- der Ritter wie dieser Distanzritt" die Edelsten und Gebildetsten des Entrüftung über die„ kaum je dagewesene Pferdeschinderei", ohne Furcht und Tadel, der nie die Feinde gezählt, nie den Volkes der Denker mit Enthusiasmus erfüllt, ihnen wochenund Recht hat er mit seinem Hinweis auf die Folgen, die Armen eine Wohlthat, nie den Schwachen seine Hilfe ver- lang für ein Ereigniß ersten Ranges gegolten hat, dann solche Leistungen an Pferden für die Manufagter das Ideal eines, christlichen Ritters" mit den würde er finden, daß sein Pferdereich in Gulliver's Reisen schaften der distanzritterlichen Herren Offiziere haben Birfusreitern verglichen, deren ganzer Ruhm es iſt, teine Satire gewesen, sondern eine Prophetie: die Vormissen. Aus der Thierquälerei entwickelt sich erfahrungs: ein paar Dugend Pferde zu Schanden geritten zu ahnung der kapitalistischen Rivilisation, welche die herrschende gemas pers die wenschenqueret, und ein Offizier, der schwaben . Scapjcher toute nicht ausgedrückt werden, Klaffe so tief demoralisirt und herunterdrückt, daß sie daran gewöhnt hat, sein Pferd zu schinden, wird auch nicht wie das Ritterthum auf den Hund gekommen ist. Alexander unter dem Pferde steht. Davor zurückschrecken, seine Mannschaften zu schinden, zumal der Große, dessen Staub ein Spundloch verstopfen muß, ihm das keine Unkosten verursacht, wie die Pferdeschinderei hat noch eine angenehmere und ehrenvollere Rolle, als der thut, wenn das Thier davon lahm wird oder gar arme Bayard, der zwar nicht mit seinem Staub, aber mit eingeht". Und worin bestanden denn die Leistungen des„ groß- sucht und haarsträubendſter Thierquälerei decken soll- wohl Politische Meberlicht. artigen Distanzritts"? Handelte es sich um irgend ein höheres um den Staatsanwalt fern zu halten? Denn Sache Ziel? Um etwas Schönes und Gutes? Um eine Muth- des Staatsanwalts ist es, einzuschreiten.
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seinem guten Namen diese Orgie rohester Sportsmanns
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Berlin , den 10. Oktober. probe? Nichts von alle dem. Das Problem war, einige Man lese nur, wie Herr von Reigenstein, einer der Parlamentarisches. Die Post" meldet anscheinend Tage hintereinander auf dem nämlichen Pferde in möglichst Helden" des„ Distanzritts", sich selber belastet: offiziös, daß der Reichstag gegen Ende November, aber furzer Zeit mit äußerster Unbequemlichkeit und PferdeEr Herr von Reizenſtein spricht, gleich Cäsar, von vor dem 1. Dezember zusammentreten wird, damit die schinderei eine Strecke zurückzulegen, die man auf der sich in der dritten Person ritt gegen Ende der Frage bezüglich der Handelsverträge erledigt werden kann. Eisenbahn bequem und für eine geringe Summe zurücklegt. Tour drei Kilometer galoppirend, Der Etat soll sofort dem Reichstag zugehen. Die Militärfür diese Sportleistung läßt sich nicht der bescheidenste gegen Stockerau . Hier aber stellte sich plöglich bei Lipp- vorlage wird im Bundesrath bis Ende d. J. verbleiben. praktische Zweck anführen; Roß und Reiter werden dabei springe( Name des Pferdes) große Müdigkeit ein. Der Von einer authentischen Veröffentlichung derselben soll so zu Schanden, und ein Kavalleriekorps, das im Krieg einen Heiter war gezwungen, sich Sporen anzuschnallen, und lange abgesehen werden." Der preußische Landtag derartigen Distanzritt vollbrächte, täme am Ziel in so führte dann zu Fuß das Pferd bis Korneuburg ; doch hier wird nach derselben Quelle laut Beschluß des letzten miserabler Beschaffenheit an, daß es spielend, ohne erheblichen begann das Thier plöglich im Rücken zu Ministerraths Mitte November einberufen werden und Widerstand vom Feinde eingefangen würde. Nichts schwanken und drohte umzufallen. Nur durch hef sofort die Steuerreform- Vorlagen erhalten, die vorher nicht Simpleres, nichts Geistloseres, nichts Frivoleres läßt sichtige Beitschenhiebe erhielt es der Reiter noch veröffentlicht werden.„ Man beabsichtigt nur eine Ueberdenten, als ein solcher Distanzritt. Die Herren Offiziere, aufrecht; doch als es nach Baffiren von Lang- Enzers- sicht über die Entlastung des mittleren und niederen Eindie ihn verübt haben, sind freiwillig auf das Niveau der bors neuerlich Miene machte, umzufallen, fommens vor der Landtags- Einberufung der Deffentlichkeit Stallfnechte gewöhnlichster Art herabgestiegen. bestieg er das Pferd, spannte durch Sporensti che zu übergeben. Die erste Berathung der drei Steuerreformund Peitschenhiebe die legten Kräfte des Borlagen dürfte acht bis vierzehn Tage in Anspruch nehmen, Thieres an und brachte es so noch aus Ziel, woselbst und alsdann werden voraussichtlich die kommissarischen Bees, wie bekannt, nieder brach." rathungen der Steuerreform- Vorlagen beginnen."-
Da waren die byzantinischen Besten der Nation am Ende des 15. Jahrhunderts aud) fin de siècle doch noch andere Kerle. Es steckte noch etwas von mittel
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Feuilleton.
lambrud verboten.)
Die Waffen nieder!
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folgt
statt?"
diese Szenen haben sich bei Sternenschein ab
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oder aber unter wüthenden Schnierzen sich främmend, flehen sie jeden an, der in die Nähe kommt, daß er sie tödte. Schwärme von Aaskrähen lassen sich auf die Wipfel der Bäume nieder und verkünden mit lautem Gefräch das lockende Festmahl..... Hungrige Hunde aus den Dörfern kommen herbeigerannt und lecken das Blut der Wunden. Noch sieht man einige Hyänen, welche noch immer haftig weiter arbeiten... Und jetzt kommt das große Begraben-" Wer thut das? Die Sanität?"
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sich regt darum fümmern fie fich auch nicht. Der Fall Starrtrampf tritt bei Verwundungen häufig auf. Manch zufällig Errettete haben von der Gefahr des Lebendigbegraben- werdens, der sie entronnen, erzählt. Aber wie viele giebt es derer, die nichts erzählen konnten? Wenn man einmal ein paar Fuß Erde über dem Mund liegen hat, so muß man den Mund wohl halten."
O mein Friedrich, mein Friedrich! stöhnte es in meiner Seele.
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des
Das ist das Bild des nächsten Morgens," schloß der „ Ja, ja- ich will alles hören. Was Sie da Wie könnte die zu solcher Massenarbeit ausreichen? Regimentsarzt. Soll ich noch weiter erzählen, was den beschrieben haben, war die Nacht, welche auf die Schlacht Die hat bei den Verwundeten vollauf zu thun." nächsten Abend geschieht? Da wird-" Also kommandirte Truppen?" Das will ich Ihnen sagen, Herr Doktor," unterbrach gespielt-" Nein: herbeigeschafftes oder auch freiwillig heran- ich. In einer von den beiden Hauptstädten der betheiligten Und bei Fackelschein. Die von Sieger zum Durchlaufendes Gesindel: Landstreicher, Leute vom Troß, welche Reiche ist die telegraphische Nachricht des glorreichen Sieges juchen des Schlachtfeldes ausgeschickten Patronillen tragen sich bei den Marketenderbuden, bei den Bagagewagen auf- angelangt. Da wurde vormittags während Fadeln und Laternen. Und rothe Laternen ragen an hielten, und welche jetzt neben den Bewohnern der Armenhäuser Hyänentanzes um die Gruben in den Kirchen„ Nun Signalstangen empor, um die Orte zu bezeichnen, an welchen und der Hütten von den Militärgewalten herbeigetrieben banket Alle Gott " gesungen und abends da stellt die fliegende Hospitäler errichtet worden sind." werden, um Gräber zu graben recht große, das heißt Mutter, oder das Weib eines lebendig Begrabenen ein paar Und der nächste Morgen wie zeigt der die Wahl- weite Gräber, denn tief werden sie nicht gemacht. Dazu brennende Kerzen auf den Fenstersims, denn die Stadt wird wäre keine Zeit. Dahinein wirft man die todten Körper beleuchtet." Beinah noch fürchterlicher. Der Gegensatz von dem topfüber, topfunter, wie es gerade kommt. Dder man Ja, gnädige Fraut, diese Komödie wird zu Hause aufarbeit, die es beleuchtet, wirkt doppelt schmerzlich. hellächelnden Tagesgestirn zu der grausigen Menschen macht es so: tüiber einen aus Leichen gebildeten Haufen geführt. Judessen, auf dem Schlachtfeld selber ist mit dem Des wirft man ein zwei hinauf; das sieht Sonnenuntergang die Tragödie noch lange Nachts hatte das ganze Schredbild etwas gespensterhaft dann auch aus wie ein Tumulus. Ein paar Tage darauf abgespielt. Außer denjenigen, welche in die Lazarethe und phantastisches, bei Tag ist es einfach Leichen: Leichnamen weg aber was liegt daran? Die flinken gefundenen. Hinter dichtem Gebüsch, in hohen Aehrenauf den Straßen, zwischen den Feldern, in den Gräben, und lustigen Todtengräber denken nicht so weit. Lustige feldern, oder zwischen Bautrümmern verborgen, sind sie den hinter Mauertrümmern; überall, überall Todte. Geplündert, und flotte Arbeiter sind sie, das muß man ihnen lassen. Blicken der Krankenträger und Todtengräber entgangen. mitunter nadt. Ebenso die Verwundeten. Diese, welche Es werden da Lieder gepfiffen und allerlei zweideutige Für jene Unglücklichen beginnt nun das Martyrium einer frog der nächtlichen Arbeit der Sanitätsmannschaften noch Wige gemacht--ja mitunter tanzt eine Hyänen runde. um mehrere Tage und mehrere Nächte langen Agonie: in der immer in großer Zahl umherliegen, jehen fahl und verstört das offene Grab. Ob in manchen Körpern, die da hinab- sengenden Hize des Mittags, in den schwarzen Schauern aus, grün und gelb, mit stierem, stumpfsinnigem Blick; geschleudert oder mit Erde verschüttet werden noch Leben der Mitternacht, gebettet auf Steinen und Disteln, im
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