Husland. Schweiz . Sozialdemokratische Wahlersolge. Bern . 7. Mai. (©ig. 58er.) Die gestrigen Wahlen brachten unserer Partei Erfolge und Niederlagen. Genosse Müller als Regierungsratskandidat erhielt im ganzen Kanton nur 10 487 Stimmen, während im letzten Herbst bei den Nationalratswahlen die sozialdemokratischen Kandidaten insgesamt zirka 17 000 Stimmen auf sich vereinigten. Die Arbeiterschaft hat demnach am Sonntag miserabel gestimmt. Die neun bürgerlichen Regierungsrats- kandidaten wurden mit 41779 bis 43 581 Stimmen gewählt. Das Gesetz über die Organisation der kantonalen(staatlichen) Polizei fand mit 39 493 gegen 14 554 Stimmen Annahme. Die Kantons- ratswahlen brachten unseren Genossen in der Stadt 58ern, die in drei Wahlkreise eingeteilt ist, den erhofften Sieg nicht. Sie unterlagen in zwei Wahlkreisen, siegten aber im dritten mit ihren sieben Kandidaten, wodurch allerdings ihr bisheriger Besitzstand erhalten bleibt. Einen schönen Sieg errangen unsere Genossen mit ihrer Liste in Biel , auf die 1095 bis 1835 Stimmen fielen und wo- nnt acht Sozialdemokraten gewählt sind. Von den Bürgerlichen sind nur zwei Freisinnige mit 1588 und 1000 Stimmen gewählt, die ebenfalls auf der sozialdemokratischen Liste standen. Tie bürgerlich-freisinnige Liste erhielt 1477 bis 1584 Stimmen. Tie Uhrenarbeiterstadt Biel ist nun die sichere Domäne der sozial- demokratischen Partei.— Frankreich . Die Wahlen. Die nun bekannt gewordenen Wahlresultate lassen den Erfolg unserer französischen Genossen noch größer erscheinen, als zuerst an- genommen werden konnte. Zumal aus den Zahlen der Wahl- beteiligung in den einzelnen Parteien geht hervor, daß die französische geeinigte Sozialdemokratie in der letzten Zeit nicht vergebens ge- arbeitet und gekämpft hat. An den Kainmerwahlen am Sonntag beteiligten sich in ganz Frankreich 8 900 000 Wähler, das sind 800 000 mehr als bei den letzten Wahlen im Jahre 1902. Es entfallen auf die Radikalen und Sozialistisch-Radikalen 3 100 000, auf die republi- kanische Linke 850 000, auf die unabhängigen Sozialisten 160 000, auf die geeinigten Soziali st en 960 000, auf die ge- mäßigten Republikaner(Progressisten) 1 170 000, auf die Kandidaten der Aetion Liberale 1 240 000, auf die Konservatiaen 900 000 und auf die Nationalisten 380 000 Stimmen. Gegenüber den Ziffern 1902 gewannen die Radikalen und sozialistischen Radikalen über 250 000. Die Progressisten verloren 270 000 Stimmen, dagegen gewann die Partei der Rechten ungefähr 400 000 Stimmen. Nun werden allerdings noch 154 Stichwahlen stattzufinden haben. Die geeinigten Sozialisten hatten in der letzten Kämmen 40 Ab- geordnete. Sie würden also in den Stichwahlen nur sieben(oder acht) Mandate zu gewinnen brauchen, um auf ihre bisherige Zahl zu kommen. Soweit sich indessen die Aussichten schon im Augenblick beurteilen lassen, nimmt man an, daß sie es in der neuen Kammer zum mindesten auf etwa 60 Abgeordnete bringen werden — was einem Gewinn von ungefähr 20 Mandaten gleichkäme I An der für unsere Genossen jedenfalls recht günstigen Situation kann natürlich die Tatsache nichts ändern, daß ihre Gegner zwischen Wahlen und Stichwahlen die Sozialisten bekritteln und begeifern. So schreibt z. B. der„TempS": „Die Wahlen haben glänzender denn je den Beweis geliefert, daß das republikanische Regime in Frankreich allgemeine Zustimmung hat. Nicht ein einziger ernsthafter Kandidat ist dieses Mal für eine andere Regierungsform eingetreten. Die Opposition hatte unrecht, den Wahlkampf unter dem Schlagwort der„Kirchenfrage" zu führen; Frankreich will vom Klerikalismus nichts wissen, ebensowenig wie vom Kollektivismus, denn trotz einzelner Erfolge der„geeinigten Sozialisten" kann man annehmen, daß diese Partei der Kammer nicht gefährlich sein wird. Die Radikalen, welche zahlreicher denn früher in die Kammer zurückkehren, sind endlich von der sozia- listischen Diktatur befreit." Die Franzosen haben ein Sprichwort:„Äui vivra verra". (ffier leben wird, wird sehen!) Nun, wir werden hoffentlich bald an unserer französischen Bruderpartei recht viel Freude erleben.— Italien . Maifeier und Streiks in Italien . Rom , 5. Mai. (Eig. Ber.) Wie alljährlich bezeichnet auch diesmal das Maifest den Aus- ganaSpunkt für eine Reihe ernster Konflikte zwischen Arbeit und Kapital. Die Kapitalisten haben sich notgedrungen mit der allgemeinen Arbeitsruhe am Maitage abgefunden. Die Geschlossenheit der prole- tarischen Aktion, die mit jedem Jahre zunimmt, läßt die Unter- nehmer von Aussperrungen und Maßregelungen absehen. An Ver- suchen, die Arbeiter zu schikanieren, fehlt es zwar auch hier nicht, aber die Unternehmer glauben wohl selbst nicht, daß sie den Arbeitern den ersten Mai verleiden, wenn sie, wie dies in L i g u r i e n geschieht, die Reinigung der Hochöfen auf die Tage nach dem 1. Mai verlegen und die dadurch bedingte Einstellung der Arbeit als„Aus- sperrung" bezeichnen, oder wenn sie— wie einige Turiner Textil- barone— am 2. Mai die Arbeiter zurückschicken mit dem Bemerken. die Unternehmer wollten den 2. Mai feiern!— Von Maßnahmen. die über diese billigen Schikanen hinausgehen, sehen die italienischen Unternehmer ganz ab. Die Bourgeoisie, die ja überhaupt nicht sehr kampffroh ist, ergibt sich in ihr Schicksal, den 1. Mai ohne Tram- verkehr und ohne Abendzeitungen zu verleben— im Zeichen einer Arbeitsruhe, wie sie kein anderer Tag des Jahres bringt. In den kleineren Städten ist jetzt auch der Ladenschluß am Arbeiter-Maitag Regel, die sozialistischen Gemeinden schließen die städtischen Bureaus und die Schulen. Während aber die Untemehmer sich von Jahr zu Jahr voll- ständiger mit dem Feste der Arbeit abfinden, gemahnt gerade der Maitag die Arbeiter an ihr Recht und ihre Pflicht, sich mit dem Be- stehenden nicht abzufinden. Alljährlich ist das Maifest das Signal für den Ausbruch großer wirtschaftlicher Kämpfe. Da der 1. Mai in die Hochsaison der Bauarbeiten fallt, so stehen bei den wirtschaftlichen Kämpfen die Bauarbeiter in den ersten Reihen. In Genua und in S a mp i e r d a r e n a haben gegen 8000 Arbeiter im Baugewerbe den Streik erklärt, mit der Forderung des Achtstundentages. Desgleichen sind in Florenz die Bau- arbeiter in den Ausstand getreten mit der Forderung einer Erhöhung des Stundenlohnes. In Rom haben die Arbeiter der Firma B o r e l l i, die die Häuser der Eisenbahner-Genossenschast baut, die Arbeit niedergelegt und Lohnerhöhung sowie Verkürzung des Arbeits- tags gefordert. Der Streik dürfte sich von den zirka 1000 Arbeltern der Firma Borelli auf das ganze Baugewerbe der Hauptstadt ausdehnen, da die Maurer Roms— entgegen dem State der Arbeitskammer— die günstige Konjunktur zur Erringung des Acht- stundentages benutzen möchten. Von großer Bedeutung war auch der heute beigelegte Streu der Schiffsmannschaften der größten italienischen Schifiahrts- gesellschaft, der„Navigazione Jtaliana". Dieser Streik wurde tn der Nacht zum 1. Mai in allen italienischen Häfen erklärt, um die Gesellschaft zu zwingen, gewisse strittige Paragraphen des zwilchen ihr und den Gewerkschaften vereinbarten Dienstreglements anders als bisher auszulegen. Das gut organisierte Personal ließ überall die Dampfer im Stich, so daß der Schiffsverkehr der Gesellschaft fast ganz unterbunden war. In Genua . Trapani . Neapel . Palermo , C a t a n i a, M e s s i n a, Brindisi . Venedig und L i v o r n o lief kein Dampfer der„Navigazione" aus. Die Gesellschaft, die für den Ausfall einer jeden fahrplanmäßigen Fahrt eine hohe Konventionalstrafe zahlen mutz, suchte um Matrosen der Kriegsmarine nach, die aber nur für die Aufrechterhaltung des Post- dirnftes bewilligt wurden! Das höhere Schiffspersonal dokumentierte seine Solidarität in anerkennenswerter Weise, indem es sich weigerte, mit anderer als seiner Mannschaft aus dem Hafen auszulaufen! Die Gesellschaft sah ein, daß es besser sei. den Bogen nicht zu straff zu spannen, und sie verzichtete auf ihr Recht, das ihr die Seemanns- ordmmg zuerkennt, die streikenden Mannschaften als„Deserteure" zu erklären; sie gab allen Streikenden, die sich ausschifften,„Urlaub". Am Abend des 4. Mai kam dann die Uebereinkunft zustande, in der sich die Gesellschaft verpflichtete, mit der Gewerkschaftskommission die strittigen Paragraphen zu interpretieren. Der Streik ist mit großer Disziplin und Solidarität geführt worden. Außerdem streiken seit dem 1. Mai die Zimmerleute in B a r l e t t a, die Arbeiter der Werst Orlando inLivorno— 1900 Mann— sowie die Kohlenträger desselben Hafens. Die Forderungen der letzteren— Erhöhung des Tagelohnes von sechs auf sieben Lire— sind bereits von zwei Firmen bewilligt worden. So folgt der großartigen Demonstration des 1. Mai eine Periode fruchtbarer Kämpfe, der Massenheerschau folgt eine Reihe von Einzelgefechten, aus denen die Arbeiterschaft immer neue Kraft und Einigkeit schöpfen wird. Schweden . Wahlrecht. Stockholm , 8. Mai. (W. T. B.) Der Verfassungsausschuß hat heute seinen Bericht in der Wahlrechtsfrage abgegeben. Die Mehr- heit dieses aus zehn Mitgliedern der Ersten und zehn Mitgliedern der Zweiten Kammer bestehenden Ausschusses spricht sich darin für das allgemeine Wahlrecht zur Zweiten Kammer aus, jedoch nur in Verbindung mit der Einführung der Proportionalwahl zu beiden Kammern. Die Minderheit des Ausschusses tritt für den Regierungsentwurf ein. Der Ausschuß schlägt ferner vor, die Regierung aufzufordern, eine Untersuchung betreffend das politische Wahlrecht für verheiratete und ledige Frauen anzustellen.— Türkei . Zum Konflikt mit England. Die Nachrichten aus Konstantinopel sowohl wie aus London lassen darauf schließen, daß der Konflikt zwischen England und der Türkei — wenn nichts Außergewöhnliches dazwischentritt— in Güte beigelegt werden wird. Die Pforte gibt sich den Anschein, als habe sie Englands Note gar nicht als Ultimatum angesehen, sondern als ein bloßes Ersuchen, ihre Truppen binnen 10 Tagen von Tabah zurückzuziehen I Das ist natürlich eine gekünstelte Auslegung, um die Angelegenheit für die Pforte minder kläglich erscheinen zu lassen. Indessen Englands reife Politik wird sicherlich dem Sultan diese goldene Brücke zu einem nicht allzu kläglichen Rückzüge nicht mißgönnen. Sollte in- dessen die eigenartige Auslegung des englischen Ultimatums einer Ausflucht zum Zwecke der Verschleppung gleichkommen— wie es von einigen Skeptikern aufgefaßt wird—'so dürfte Abdul Hamid sehr bald erkennen, daß England nicht mit sich spaßen läßt. Hoffentlich ist der kranke Mann noch vernünftig genug, um sich und der Kulturwelt das Heraufziehen neuer blutiger Ereignisse zu ersparen.—_ Hus der Partei. Gcmeindewahlen. In A ch e r u(Baden) brachten unsere Genossen durch ein Zusammengehen mit den Liberalen zum erstenmal eine sozialdemokratische Vertretung aufs Rathaus. Es sind in der dritten Klasse vier Genossen gewählt.— In Feudenheim unterlag in der Klasse der Mittelbesteuerten unsere Liste mit 50 Stimmen Minderheit. Ein Maifeiergruß aus Kamerun ist dem„Hamb. Echo" zu- gegangen. Es wurde ihm aus Duala geschrieben:„Ein Hoch zum 1. Mai senden die Genossen von Duala. Auch wir werden den 1. Mai würdig begehen." Noch einmal zur Maifeier in Baden. Eine Zusammenstellung der Bekanntmachungen und Einladungen zu den Maifeiern der badischen Parteigenossenschaften und freien Gewerkschaften, wie sie in. den beiden Parteiorganen schwarz auf weiß enthalten sind, ergab für jedermann den vom„Vorwärts" gezogenen Schluß, daß die auf den deutschen und internationalen Kongressen uns Sozialdemokraten auferlegten Verpflichtungen zur Begehung der Maifeier im badischen Lande nicht allgemein gewissenhaft beobachtet werden. Die beiden dortigen Parteiorgane teilen gewiß mit uns den Wunsch, daß hier Ordnung geschaffen werden muß. Der Karlsruher „Volksfreund" (Nr. 103 vom 4. d. Mts.) erkannte sofort in unserer sachlichen Fest- stellung einen„Um st and, der gewiß Beachtung er- heischt" und es bedingt, daß der Landesvorstand im nächsten Jahre reformierend eingreift". Nur ist der„V." so undankbar, den„Vorwärts" ob des Hinweises auf den beachtenswerten Umstand zu tadeln. Die Mannheimer „V o l k s st i m m e", deren aggressive Halluzination gegen„Vorwärts" und„Leipz. Volksztg." bereits örwähnt worden ist, bemüht sich, die in ihrem und ihres Bruderorgans Inseratenteil ausgeschriebenen offiziellen Maifeiern vom 29. April bis 16. Mai als gesellige Harm- losigkeiten hinzustellen, sie zu entschuldigen oder für ganz heilsam anzupreisen. Damit fand sie nachträglich auch die Zustimmung des „Volksfreund", dem sie die Aufgabe stellte, auch die exzentrischen Maifeiern des Oberlandes als kindliche Vergnügungen harmloser Art hinzustellen. Da der„Volksfreund" dies für den einzelnen Fall nicht vermochte, bemühte sich der Genosse E.-Freiburg in der„Volksst.", diebadischeMaifestbummelei mit derTreue eines Fridolin zu verteidigen. Es ist richtig, daß in manchen badischen Orten einigeGenossen, welche sich am 1. Mai arbeitsfrei machen können, feiern und dabei benachbarte Orte aufsuchen, während die Organisationen ihre Maifeier bequemerweise auf einen Sonntag vor oder nach dem 1. Mai verlegen, um dann eine ansehnliche Teilnehmerzahl zu er- möglichen. Daß dies eine, die alte parteigenössische Disziplin lockernde Umgehung der sozialdemokratischen, der internationalen Feier ist, wissen die beiden Parteiorgane. Sie sind infolge der„Vorwärts"-Notiz nun darauf verfallen, die Bezeichnungen„Maifeier" und„Mai-Nachfeier"(„Volksfreund" Nr. 103) im redaktionellen Teil oder„Maifeste"(„Volksstimme") einzuführen, während im Inseratenteil derselben Nummer beispielsweise die organisierte Arbeiterschaft der Stadt Schopfheim auf Sonntag, den 6. Mai,„zur diesjährigen Maifeier" die Genossen beruft. Aus Rastatt berichtet eine Korrespondenz, daß die Maifeier am 6. Mai stattfindet, und man hofft, es werde in absehbarer Zeit die Maifeier„auch am 1. Mai abgehalten werden". Die Redaktion der Mannheimer „Volksstimme" macht bekanntlich nicht immer Anspruch darauf, daß ihr Inhalt ernst zu nehmen ist. Sie bestreitet, daß das Wallstadter- Fest vom 29. April eine offizielle Maifeier sein sollte. Die Wallstadter Genossen aber schreiben in Nr. 122 der„Volksstimme":„Alles in allem können wir mit unserer ersten Maifeier zufrieden sein". Die H o ck e n h e i m e r Genossen(industrieller Ort bei Mannheim ) strafen in der„Volksstimme" deren Redaktion Lügen mit dem Bericht(in Nr. 122): daß der Sozialdem. Verein und die freien Gewerkschaften zum ersten Male eine Mai- seier am 29. April abhielten und Genosse S.-Mannheim darin über die Bedeutung des 1. Mai sprach. Ebenso berichte» in der„Volksst." die Genossen aus S t. I l g e n(bei Heidelberg ) über den 29. April, die Vorfeier des Tages der Welt- Verbrüderung, wobei Genosse R. aus H. es verstand, d i e Bedeutung des 1. Mai allen An lv es enden klar- zumachen. Das genügt, um die faulen Ausreden des Mannheimer Partei- organs und seiner VertuschungSgehülfen durch die von ihnen selbst gebrachten Tatsachen zu charakterisieren. Daher der Zorn über den „Vorwärts". polizeiliches, ßcrichtlichcs ukw« Ein Bündel von Anklage» hatte die Staatsanwaltschaft gegen unseren Genossen Robert Müller vom Zwickauer „Sächsischen Volksblatt" zusammengetragen und zwar sollte er sich der Be- leidigung, eines Vergehens gegen§ 153 der Gewerbeordnung, so- wie noch der versuchten Erpressung schuldig gemacht haben. Alle diese Strafdelikte sind in einem Artikel der„Brauerzeitung" entdeckt worden, den Genosse Müller verfaßt und eingesendet hat und in dem er den früher in der Vereinsbrauerei Zwickau beschäftigt ge« wesenen Brauereiarbeitern Stockei, Bretschneider, Heß und Heidel Vorhalt macht, Weil sie sich weigerten, weiterhin Extrasteuern für ihre ausgesperrten Kollegen im Rheinland zu zahlen. Nach längerer Verhandlung, die am Freitag vor der 3. Strafkammer Zwickau statt- fand, verurteilte das Gericht Genossen Müller wegen Beleidigung zu 3 0 0 M. G e I d st r a f e. Die anderen Delikte ließ das Gericht, trotzdem der Staatsanwaltschaftsvertreter sich alle erdenkliche Mühe gab, dem Gericht die Strafbarkeit der Müllerschen Handlungsweife nachzuweisen, außer Betracht. Die Ehre der vier Brauereiarbeiter, auf deren Antrag hin die Anklage erhoben wurde, ist somit wieder repariert worden. Ob auch bei ihren Kollegen, ist eine andere Frage. Im Kampf mit den Roten und der deutschen Sprache stellt der Gemeindevorstand von Böhlen (Thüringen ) seinen Mann. Er verbot djp Maifeier mit dem kategorischen Bemerken, der 1. Mai solle doch nicht gefeiert werden. Man erbat sich eine schriftliche Verbotsbestätigung und erhielt darauf folgendes Schreiben:„Die Versammlung von Tischler P. Sauerbrey aus Großbretten als den 1. Mai d. I. wird nach K 3 von 5. Januari 1894 für die offendliche Ruhe und Ortnung vorhandene Gefahr hiermit nicht genehmigt. Böhlen , den 29. April 1906. Der Gemeindevorstand. Ed. Eichhorn". Genosse S. legte natürlich sofort Beschwerde beim Landrat ein und das Verbot wurde aufgehoben. GewerkfchaftUcbcs. Berlin und Umgegend. Die Maiausgesperrten der Berliner�Metallindustrie sind, mit Ausnahme der A. E.-G.-Werke, jetzt fast sämtlich wieder eingestellt worden. Nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Arbeitern muß in einigen Betrieben aus technischen Gründen noch ein oder zwei Tage warten, bis die Arbeit dort an den alten Plätzen wieder auf- genommen werden kann. Dagegen übt sich die A. E.-G. w Maßregelungen. Im Werk Brunnenstraße sind bisher erst ca. 500 der alten Arbeiter eingestellt. Rund 1000 sind noch draußen. Die Aus- gesperrten dieses Werks haben beschlossen, in den Betrieb wieder hineinzugeben, je nachdem Plätze frei werden. Die Abteilungen jedoch, die gemeinsam am 1. Mai hinausgegangen sind. wollen aber daraus dringen, ihre alten Plätze zu er- halten. Im Kabelwerk„Oberspree" zu Ober-Schöneweide sind die Ausgesperrten noch sämtlich draußen. Sie haben es in ihrer gestrigen Versammlung abermals mit 2168 gegen 362 Stimmen abgelehnt, die Arbeit einzeln aufzunehmen. sondern halten nach wie vor an dem Beschluß fest, ent- weder geschlossen oder gar nicht in den Betrieb wieder hinein- zugehen._ Zum Schlosserstreik. Die Herren Oberzünftler der Schloffer- innung suchen nach außen hin den„starken Mann" zu markieren, um die Tatsache zu verdecken, daß es mit ihrer sogenannten Aus. sperrung in Wirklichkeit nur recht schlecht steht. In Blätter vom Schlage der„Morgenpost" lanzieren sie Nachrichten, in denen be» hauptet wird, die Maiaussperrungen hätten für den Streik eine für die Gesellen ungünstige Wirkung ausgeübt und bestände jetzt Aus- ficht, den Kampf zu einem für die Meister siegreichen Ende zu führen. Auch fabulieren sie von einer großen Zahl von Arbeits- Willigen, die ihnen angeblich zur Verfügung stellen sollen. Dem- gegenüber ist festzustellen, daß der Streik von den Maiaussperrungeu auch nicht im mindesten berührt wird. Ebenso wenig haben sich Ar- beitswillige in nennenswerter Zahl gefunden. Die bestreikten Be< triebe sind nach wie vor ohne Gesellen. Welche Mühe sich die einzelnen Firmen geben, um von auswärts Arbeitskräste heranzuziehen, geht zur Genüge daraus hervor, daß sie Annoncenexpeditionen der verschiedensten Städte� Deutschlands beauftragt haben, in möglichst unauffälliger Weise Schlossergesellen für Berlin aufzugabeln. So annoncierte das�Bureau Daube u. Co., Filiale Kassel , jüngst in Hannover nach Schlossern. Als sich darauf ein Geselle meldete, be» kam er zu seinem großen Erstaunen von der Firma OttoSchulz, Tezett-Gitterwerk, Berlin , Halleschcs Ufer 36, folgendes amüsante Schreiben: Infolge Ihrer Offerte unter A. A. 6617 Daube u. Co., Cassel, teile ich Ihnen mit, daß ich noch einige Kunstschlosser und Kunst- schmiede einstelle. Lohn zahle ich je nach Leistung von 45 bis 65 Pf. die Stunde(im Akkord natürlich erheblich mehr). Vor- bedingung ist, daß Sie keiner Arbeiter- Organisatioir angehören, die bei Streiks Unterstützungsgelder zahlt. Reise. geld dritter Klasse vergüte ich nach 14tägiger Arbett zur ersten Hälfte, und nach weiteren 14 Tagen zur anderen Hälfte. Arbeits- ordnung füge ich zur Durchsicht bei. Ihre Entschließung müßte, da ich noch andere Angebote habe, sofort geschehen. Eintritt spätestens Dienstag, den 8. Mai er. Wenn Ihnen diese Be- dingungen zusagen, bitte ich um telegraphischcn Bescheid, zu welchem Zweck ich 50 Pf. in Briefmarken beilege Telegrainm-Adresse„Tezettgitter Berlin". Da Sie wohl in Berlin unbekannt find, würde ich bei Ihrer Ankunft, die Sie mir vorher genau angeben wollen, einen Ver- treter zur Bahn senden. Sie müßten sich demselben gegenüber in irgend einer Form.kenntlich machen, und mir dies noch vorher schriftlich aufgeben. Einliegend: Hochachtungsvoll eine Arbeitsordnung und 50 Pf. in Marken.(Unterschrift.)! Der hannoversche Schlosser aber hat es vorgezogen. Herrn Schultz seine Tezettgitter alleine fertigmachen zu lassen. Dem Vertreter der Firma, der den Schlosser auf dem Bahnhof empfangen soll, steht es jetzt frei, sich die„50 Pf. in Marken" von Hannover wiederzuholen. Dort erwartet ihn der Schlosser mit einer roten Nelke im Knopfloch.— Zum Stand des Streiks ist noch mitzuteilen, daß in mehreren Betrieben, wo Streikarbeit für andere Meister angefertigt werden sollte, die dortigen Schlosser ebenfalls herausgezogen worden sind -Auch diese Betriebe stehen jetzt leer. Die Meister wollen heute �Dienstagabend) eine außerordentliche Generalversammlung ab- Die Platz- und Lagerarbeiter sowie die HolzbearbeitungS- maschinenarbeiter und Krahnführer der Firma David Franke Söhne. Mühlenstraße 58, sind gestern in einen Streik getreten.— Zuzug ist fernzuhalten. Achtung! Ziseleure der Treibbranche! Wegen Nichtanerkennung der vor zwei Jahren festgesetzten tariflichen Vereinbarungen, derent- wegen es in der letzten Zeit des öfteren zu Differenzen kam, fordern die Treib-Ziseleure im Anschluß an die Maiaussperrung unbedingte Anerkennung des Tarifes, sowie bei nachfolgenden Firmen: Beck u. Friede, Lind, Müller und Schulte eine 15 prozentige Lohnerhöhung. 5Da eine Antwort noch nicht erfolgt ist. stehen sämt- liche Kollegen dieser vier Firmen im Streik und ist Zuzug strengstens zu meiden. Bei der Firma Beck u. Friede haben die Kupferschmiede. nachdem sie Streikarbeit anfertigen sollten, ebenfqlls die Arbeit niedergelegt. Die Ortsverwaltung des Verbandes der Graveure, Ziseleure und verwandten Berufsgenossen. Die Entscheidung über die Ergebnisse der Einigungsvcrhand- lungen der Bäcker unterlag einer am Dienstagnachmittag abgc-