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Die Revolution iu Rltszlattd. Die Duma. Es ist schwer zu sagen, ob man das Verhalten der russischen   Regierung nach der denkwürdigen Duma- Sitzung vom Sonnabend als dumm-dreist und verblendet oder als un- verschämt bezeichnen soll. Während alle Welt erwarten mußte, daß Goremykin und seine Ministerkollegen irgend etwas der gegenwärtigen Situation Angemessenes tun würden, geben sich die Herren den Anschein, als wäre überhaupt nichts vor­gefallen. So meldet der Telegraph aus Petersburg   vom Verlaufe der Montags-Sitzung der Duma folgendes: Die Sitzung wurde um 2 Uhr 4S Minuten nachmittags eröffnet. Der Präsident kündigte zwei Anträge des Ministers für den öffent- lichen Unterricht an, von denen der eine das Recht des Ministers betraf, Privatkurse für höheren und mittleren Unterricht zu eröffnen, ohne ihnen die Privilegien der Regierungs- Einrichtungen zu bewilligen, während der andere sich auf die Berechtigung zur Ausgabe von 400 000 Rubel für die Universität Dorpat erstreckte. Die beiden Anträge würden gedruckt und im Saale an die Mitglieder der Duma verteilt werden. Die Haltung des HauscS in diesem Augenblick war merkwürdig. Der Präsident klingelte, um die Heiterkeit zu unterdrücke», die augenscheinlich durch diese beiden unbedeutenden Anträge hervorgerufen wurde. Der Präsident berichtete alsdann über ein Telegramm aus Choral sGouv. Poltawa  ), welches verlangt, daß der dortige Schul- lehrer. der ohne bestimmte Anschuldigung verhaftet sei, in Freiheit gesetzt werde. Die Duma beschloß, den Minister des Innern hier- über zu interpellieren. Der Präsident berichtete hierauf über einen Antrag von 78 Mitgliedern betreffend Einsetzung einer Sonder« kommission zur Erwägung ungesetzmäßiger Vorgänge in der Ver- waltung, damit Maßnahmen gegen solche Vorgänge getroffen werden. Das Haus beschloß, die Kommission, die mit der Ausarbeitung des Reglements für� die Duma beschäftigt ist, mit dieser Frage zu betrauen und ging alsdann zu Wahlprüfungen über. Die Wahlen von mehreren Gouvernements wurden ohne Debatte für gültig erllärt. Auf der weiteren Tagesordnung der Sitzung stand der Gesetz- entwurf über die llnverletzlichkcit der Person. Zahlreiche Redner sprachen sich gegen daS willkürliche System aus, unter dem das ge- samte Rußland   leide. Der Abg. Okuneff erinnert an die Bauern- unruhen im Kreise Tamboff und schildert, wie mit Hülfe der Nagaika unter dem früheren Gouverneur, dem heutigen Präfekicn von Peters- bürg, die Ruhe hergestellt worden sei. Der Präsident ruft den Redner zur Ordnung. Graf Heyden schlägt einen Zusatzantrag vor, der die Ver- antwortlichkeit der Richter festsetzt, die unter den gegenwärtigen Um- ständen sich von der Unparteilichkeit entfernen. Nach den Reden von Kowalewsky und Bramson besteigt der Justizminister die Tribüne und sagt: Die Unverlctzlichkeit der Person berühre noch andere Fragen. Die gesetzliche Freiheit solle durch die Rechtspflege gesichert werden, und hierzu bedürfe es der Umgestaltung der lokalen Justiz. Entwürfe in diesem Sinne seien von dem Justizminister schon vorbereitet worden und würden der Duma vorgelegt werden. Die baltischen Abgeordneten machten darauf nähere Angaben über den Ausnahmezustand, unter dem die baltischen Kreise zu leiden hätten. Die Duma nimmt einen Antrag an: eine Kommisston von 15 Mitgliedern zu wählen, um den Gesetzentwurf über die Unverletz- lichkeit der Person zu prüfen. Die Sitzung wurde um 4 Uhr 4V Min. auf eine halbe Stunde vertagt. Gerüchte. Es ist nach den letzten Vorgängen kein Wunder, daß eine Un- menge von Gerüchten herumschwirrt, die sich mit der Duma bc- schäftigen. Da wird ausguter" Quelle gemeldet, die Duma solle aufgelöst werden. Darauf meldet man ausbester" Quelle, an dieser Mitteilung sei kein wahres Wort, sondern die Duma werde bis Mitte Juni tagen und dann ruhig in die Ferien gehen. Weiter: Nach einer Version haben die Vorgänge in der Sonnabcnd-Sitzung der Duma in Regierungskreisen Erstaunen, Be- stürzung, Zorn hervorgerufen, nach einer anderen Lesart hat der Beschluß der Duma, den Zaren zur Auflösung des Ministeriums aufzufordern, nicht einmal Ueberraschung erregt, weil man ihn er­wartet habe! DerRuss. Kur." teilt mit: Unter den Reichsdumamitgliedern, zumal denen der Bauern- Partei, herrscht eine Beunruhigung, hervorgerufen, durch Drohbriefe, worin angekündigt wird, daß man das Hab und Gut der Reichs- dumamitglieder vernichten wird, falls sie ihre bisherige Haltung in der Reichsduma beibehalten werden. Infolgedessen verlassen ver- fchiedene Reichsdumamitglieder Petersburg.  (??) Daß der Präsident der Duma zu den Feierlichkeiten, die am Sonntag in Peterhof   stattfanden und dem Jahrestage der Krönung des Zaren galten, keine Einladung erhalten hat, versteht sich unter den gegenwärtigen Umständen von selbst. Aber es ist bei den sonst üblichen Gebräuchen kein Wunder, daß sich an diese Tat- fache wiederum allerlei Gerüchte knüpfen, denen gegenüber sich die Petersburger Telegraphen-Agentur veranlaßt sieht:die hier und in der Presse des Auslandes aufgetauchten Gerüchte, daß sich eine Verschwörung gegen die Duma gebildet habe, daß Truppen in die- selbe eindringen und die Abgeordneten verhasten sollten und Trepow zum Diktator ernannt Werden solle, für im vollen Umfange er- funden" zu erklären. Beunruhigende Nachrichten. Die deutschen Adligen der Ostseeprovinzen halten den Augen- blick für besonders geeignet, ihre Hctzarbeit wieder aufzunehmen. Ein Telegramm meldet: Petersburg  , 23. Mai. Ans den Ostseeprovinzen kommensehr beunruhigende Nachrichten". Die dortige deutsche Presse veröffentlicht fortgesetzt Meldungen über Untaten lettischer Aufständischer, welche die Pastoren und Gutsbesitzer mit dem Tode bedrohen. Die deutschen Blätter erklären: die friedliche Bevölkerung wolle sich um den Preis der Unterdrückung jeder Beschränkung deS Schrrckcnregimcnts unter­werfen. Verschließe man sich in Petersburg   ihren Vorstellnngen, so würden die Balten so laut schreien, daß sie schließlich doch gehört würden. Ueberhaupt steht die Scharfmacherei zurzeit in Blüte. So lautet eine andere Meldung: Infolgeäußerst beunruhigender Nachrichten", die insbesondere am letzten Sonntag beim russischen Ministerium des Innern ein« liefen, sandte das russische   Polizeidepartement soeben an sämtliche Gouverneure dringende Depeschen, worin es u. a. heißt, daß, falls neue Unruhen entstehen, die der Untätigkeit bezichtigte» verantwort- lichen Personen sofort ihres Amtes enthoben und dem Gericht über- geben werden sollen. Bomben? Sewastopol  , 27. Mai. Bei einer Truppenschau, die heute anS Anlaß des Jahrestages der Krönung des Kaisers und der Kaiserin abgehalten wurde, wurden mehrere Bomben geschleudert. Drei Per- sonen wurden getötet und viele verwundet. Zwei von den Bomben- Werfern wurden verhaftet. Streik. Nach Meldungen aus Odessa   zieht der MatrosenauSstand alle Hafenstädte des Kaukasus   und der Krim   in Mitleidenschast. Der gesamte Schiffsverkehr auf dem Schwarzen Meere ist lahmgelegt. DeutscheKultur" iu Rußland  . Die littauische ZeitungVilniauS Linoß" bringt Mtteilungen über grobe Mißhandlimgen und Ausschreitungen, die sich Baron Osten-Sacken an der Spitze einer Dragonerabte, lung den Juden von Szagarren und Jonifchok sin der Nähe von Kurland) gegenüber zu Schulden kommen ließ. Schon im Januar dieses Jahres hielt der Herr Baron die Juden drei Tage in der Synagoge eingeschlossen und verlangte von ihnen, daß sie ihm die jüdischen Revolutionäre und 150 Revolver in einer Nacht ausliefern oder 1100 Rubel Strafe zahlen sollten i Na es unmöglich war, in einer Nacht so viele Revolver in einer so kleinen Stadt wie Szagarren zu bekommen, mußte man Wohl oder Übel das Geld zahlen und dann erst wurden die Juden befreit. In der letzten Zeit während der Messe wurde in der katholischen Kirche zu Szagarren plötzlich ein Schuß abgegeben. Solche Fälle kamen früher schon öfter vor. aber niemand legte dem weitere Aufmerksamkeit bei. Diesmal befahl Baron Osten-Sacken. man solle alle Juden vor dem Gemeindehause versammeln. Als die Juden erschienen waren, befahl er ihnen, die Hüte abzunehmen und nachdem er erklärt hatte, er sei für sieein Zar und ein Gott  ", forderte er sie auf, sie sollten ihm 50 Revolver und 10 Flinten aus- liefern. Gleichzeitig nahm er fünf Mann als Geiseln fest, die er nachher wieder freiließ gegen einen Schein, daß sie ihm nach Ablauf einer Woche zehn Revolver snur Brownings) und fünf Flinten bringen würden. Eine telegraphische Klage an den Gouverneur wurde aus der Post nicht angenommen I Die Juden sahen sich also gezwungen, noch in derselben Nacht Delegierte an den Gouverneur von Kowno  zu senden. Die Delegation war erfolglos und die Juden mußten alles vom Herrn Baron   Geforderte aufbringen. Von Szagarren kam Osten-Sacken nach Jonifchok, verhaftete mehrere Personen und ließ viele von ihnen verprügeln. Unter der Bevölkerung herrsche große Panik. Das ist dieKultur" der deutschen Barone in den Ostsee- Provinzen I Nicht etwa die Kultur eines Goethe oder Schiller  brachten die nach Rußland  , sondern die Kanonenkultur eineS Krupp und Stumm._ poUtiFcbc Ucbcrlicbt Berlin, den 28. Mai. Die Katz, die Katz ist gerettet! Die am Sonnabend gestörte AuSkehr im Reichstage wurde nun endlich am heutigen Tage vollzogen. Das Zen- trum hatte sich über die Stimmung am Hofe informiert und hat, wie unschwer aus der heutigen Rede Spahns zu ent- nehmen war, seine nachträgliche Bewilligung des am Sonn- abend abgelehnten Reichskolonialamtes für die Herbstsession in Aussicht gestellt. Denn die Rede Spahns suchte nur die Ablehnung der Forderung unter der gegenwärtigen Situation zu rechtfertigen; und Herr Spahn suchte weiter die Schuld an der Nichtbewilligung dem unglückseligen Bramarbas Deimling Dieser Mortimer kam mir sehr gelegen" zuzuschieben, der mit seiner Sonnabendrede es dem Zentrum erleichtert hat, durch seine Nichtbewilligung sich einen oppositionellen Anstrich zu geben, den es demagogisch auszunützen suchen wird. Graf Posadowsky   unternahm es, den Oberst Deimling zu entschuldigen, der höchstens einen Mangel an parlamen- tarischer Taktik gezeigt habe, Soldaten resp. Offiziere seien keine Politiker. Indessen, die weitere und wichtigere Er- klärung Posadowskys liest zwischen den Worten durchleuchten, dast die Regierung mit Sicherheit auf den Umfall des Zen- trums in der Herbstsitzung rechnet. Er betonte die Festhaltung der Regierung an der Forderung eines Reichs- kolonialamtes mit großer Bestimmtheit, und erklärte, dast die Regierung die abgelehnte Forderung wieder einbringen werde. Herr Spahn schwieg wohlweislich auf diese provo- zierende Erklärung. Bedeutungslos war daS Redegcsäusel Bassermanns über die Stellung der Nationallibcralen, die zwei ihrer Fraktionskollegen den heiligen P a a s ch c und den Sozialistenfresser Hagemann schon sicher in Regierungs- sätteln des Kolonialamtes sitzen sahen, denen nun aber der Kolonialgaul durchgegangen ist. Indiskreten Hofklatsch trat der Nationalliberale S e m l c r breit, der in allerhand Rede- rcien, die er vom Kolonialprinzcn Hohenlohe gehört haben wollte, über die Meinung des Kaisers in der strittigen An- gelegenheit sich erging. Ter Kaiser habe die Kubub-Bahn als Acquivalent für die Zurückziehung der Truppenzahl verlangt. Diese Erklärung rief Sensation bei den bürgerlichen Parteien hervor. Genosse Singer kennzeichnete darauf die Situation in scharfen Zügen. Gegen die Bemerkungen Posadowskys er- klärte er, NichtPolitiker dürften nicht zu politischen Geschäften verwandt werden. Die Sozialdemokratie stimme auch gegen die neuen Anträge des Zentrums, die den alten Zustand, wie er vor der Sonnabendabstimmung bestand, wiederherstellen sollen. Die sozialdemokratische Fraktion lehne alles ab, was für die prinzipiell von ihr bekämpfte Kolonialpolitik verlangt wird. Die naive Redseligkeit des Abgeordntsten Semler verspottete Singer unter kritischen Bemerkungen gegen die absolutistischen Neigungen, die Semler in seiner Plauderei verraten hatte. Ob S e m l e r, der dann behauptete, er treibe keine separatistische Politik, dem Kolonialprinzen bewußt oder unbewußtin die Suppe gespukt" hat, ist dabei völlig gleich- gültig. Bemerkenswert ist, dast Posadowsky der zu retten suchte, was nicht zu retten war behauptete, eine Erklärung. wie Semler sie vom Prinzen Hohenlohe gehört haben will, habe nie abgegeben werden können, weil die Zurückziehung der Truppen nicht möglich gewesen sei. Der Abgeordnete Gröber(Z.) trat dann noch sehr be- sorgt für die Zentrumsanträge ein, gegen die die National- liberalen und Konservativen Stimmenthaltung proklamiert hatten. Die namentliche Abstimmung ergab für die Anträge 117, gegen 64 Stimmen und 91 Enthaltungen. Nach der Geschäftsordnung genügt diese relative Mehrheit der An- wesendcn, da sie die absolute Mehrheit der Stimmenden dar- stellt, vollkommen. Damit war das durch die Sonnabend- abstimmung im Etat entstandene Vakuum gedeckt, der Kolonialdirektor gerettet und die Bahn für den Schacher um das Reichskolonialamt bis zum nächsten Etat frei gemacht. Eine von unserer Fraktion eingebrachte Resolution zum Etat für das südwestafrikanische Schutzgebiet, nach der den Eingeborenen ein zu ihrem Lebensunterhalt tn) elb­ständigen Wirtschaftsbetrieben ausreichender Landbesitz zuge- sichert werden soll, um dadurch die Rückkehr friedlicher Zu- stände in der Kolonie zu ermöglichen, wurde nach kurzer Be- dründung durch Genossen Ledebour angenommen. Ohne wesentliche Debatte passierte dann der Postetat die dritte Lesung; ebenso alle anderen Etatsreste, sowie das Etatsgesetz. Dann spricht v. Kardorff dem Präsidenten den Dank des Hauses aus für die Geschäftsführung in dieser Session, den Ballestrem erwidert. Graf Posadowsky   verliest eine kaiser  - licho Order, dast der Reichstag   bis zum 13. November vertagt wird. Damit schließt die Session. Neue Ausgleichswirren. Aus Wien   wird uns vom 27. Mai geschrieben: Kanm sind die Wirren zwischen Ungarn   und der Krone durch den famosen Friedensschluß beseitigt, da fangen die Wirren zwischen Oesterreich   und Ungarn   an; kaum hat der Streit über den staatsrechtlichen Dualismus aufgehört, da beginnt der Zank um den wirtschaftlichen Dualismus. Was man mit dem abgekürzten AusdruckAusgleich" bezeichnet Ausgleich» weil mit den Gesetzen vom Jahre 1867 dieDifferenzen" der Konterrevolutionausgeglichen" wurden das ist ein ewiges Zanken und Streiten, ein unausgesetztes Feilschen und Markten, ist die Krise in Permanenz. Nachdem die internationalen Handelsverträge längst abgeschlossen sind, streiten sich die beiden Regierungen um den Z o l l t a r i f I Anscheinend ein leerer Wortstreit(es handelt sich darum, wie der Zolltarif im ungarischen Gesetztext benannt werden soll) birgt er doch als Kern die alten Bestrebungen Ungarns  , sich auch Wirt- schaftlich auf eigene Füße zu stellen, der Zoll- und Handels- gemeinschaft mit Oesterreich in absehbarer Zeit ein Ende zu bereiten. Und deshalb sind seine Wirkungen auch für die aus- wärtigen Staaten von Belang, die soeben mit deröfter- reichisch-ungarischen Monarchie" für zwölf Jahre Handels- Verträge geschlossen haben, obwohl diese Monarchie in wirt­schaftlicher Hinsicht rechtlich gar nicht existtert. Um den Konflikt, den zu schlichten der ungarische Minister- Präsident heute zum zweiten Male in Wien   ist, zu verstehen. muß man sich das wunderliche Verhältnis ins Gedächtnis rufen, das infolge der inneren Wirren beider Staaten auf dem Gebiete ihrer wirtschaftlichen Beziehungen entstanden ist. Oesterreich und Ungarn   sind nicht durch einenewigen Bund" zu einem Staatswesen vereinigt; dauernd und unvcränder- bar ist ihnen nur ein Band: Die Identität der Dynastie. Nun kam, in der Silvesternacht des Jahres 1962, nach lang- jährigen Wirren und Wechselfällen eine Vereinbarung zwischen den damaligen Regierungen Koerber und Szell  zustande, und hätten die beiden Parlamente die Verein- barungen bis Ende 1903 notifiziert(dieses Datum wurde in der ungarischenselbständigen Regelung" als letzter Termin in Aussicht genommen), so wäre der sagenhafte Ausgleich für zehn Jahre geschlossen, die über- lange Krise beendigt gewesen. Aber dann brach die Obstruktion wieder im ungarischen Abgeordnetenhause aus(wegen der ge- forderten Erhöhung des Rekrutcnkontingentes) und so sind jene Vereinbarungen, obwohl seither dreieinhalb Jahre verflossen sind, noch immer unerledigt. Die Ausgleichswirren dauern fort. Mittlerweile ergab sich aber die Notwendigkeit, mit den auswärtigen Staaten in Verhandlungen über die Erneuerung der ablaufenden, zum teil schon gekündigten Verträge cinzu- treten, obwohl deren Grundlage, der neue autonome Zolltarif. (für daS österreichisch-ungarische Zollgebiet) in beiden Staaten noch nicht Gesetz geworden war. Da die Zeit drängte, griff man zu dem Ausweg, die Verhandlungen mit dem Auslande einfach auf Grundlage des Zolltarifentwurfes zu beginnen was sachlich natürlich von keiner Bedeutung war, nachdem sich der in beiden Parlamenten eingebrachteEnt- wurf" als das in hartnäckigen Verhandlungen zustande ge- kommcne Uebereinkommen der Regierung einer Abänderung natürlich entzog. In Oesterreich  , wo nach der Ablösung des Ministeriums Körbcr durch Gautsch vergleichsweise Ruhe eintrat, wurden dann der Zolltarif und die Handelsverträge im Reichsrat beschlossen und als Gesetzekundgemacht". In Ungarn  , dessen neuer Reichstag   den Krieg um die magyarische Kommandosprache begonnen hatte und von Vertagung zu Vertagung taumelte, war das natürlich nicht möglich; zum Schlüsse wurde dort, durch Fejervary, am letzten Tage der mit dem Deutschen Reiche vereinbarten Frist, der Zolltarif samt den Verträgen durch eine Verfügung an die Zollämter kundgemacht", ohne daß der Reichstag bereits zu einem Be- schlusse gekommen wäre. Nun soll die neue Koalitionsregierung die gesetzliche Be- schließung des Zolltarifes nachtragen; sie will es aber nur in der Form tun, daß der Tarif, der in Oesterreich   als Tarif für das österreichisch- ungarische Zollgebiet kundgemacht ist, in Ungarn   als ein Zolltarif für das ungarische Zollgebiet beschlossen werden soll, dessen Wirkungslosigkeit gcgenübcrOesterreich nur durch eine Nebenklausel statuiert werden würde. Die ungarische Regierung beruft sich darauf, dast Ungarn  doch keinen Zolltarif für das gemeinsame Zollgebiet annehmen könne, nachdein dieses gemeinsame Gebiet rechtlich nicht existiere(siehe dieselbständige" Regelung!); die österreichische Regierung beruft sich darauf, daß vereinbart wurde, das gemeinsame Zollgebiet wieder zu begründen, daß der gemein- same Zolltarif ein Bestandteil dieser Vereinbarungen sei, diese Vereinbarungen aber weder einseitig noch teilweise abgeändert werden dürfen. Die Wunderlichkeit der magyarischen Aspirationen tritt da tatsächlich sehr prägnant hervor. Völker- rechtlich, als Subjekt des internationalen Verkehrs, existiert Ungarn   überhaupt nicht(so wenig wie Oesterreich): alle internationalenHandelsverträge schließt Oesterrcich-Ungarn.und sie werden mit Oesterreich-Ungarn   geschlossen. Dem Auslande gegenüber gibt es also einmagyarisches  " Zollgebiet über- Haupt nicht, kann es keinen Zolltarif für dasungarische" Zollgebiet geben. Gegenüber Oesterreich   gilt aber der ungarische" Tarif nicht; er hebt die Zollgemeinschaft nicht auf, will sie nicht aufheben. Was bedeutet also diese Er- rungcnschaft, die selbst ein so kluger Mann wie Herr Dr. Wekerle als eine eines selbständigen Staates würdigere Form des Vertragsschlusses gepriesen? Sachlich nicht das ge- ringste; der ganze Erfolg bestünde darin, daß man dem Zoll- tarif magyarische Gala anzieht I Aus diesen wenig kurzweiligen Darlegungen entnimmt man, was der Dualismus für ein merkwürdig kompliziertes Ding ist. Wichtig ist dieser Buchstabenstreit nur, weil aus ihm der feste Entschluß Ungarns   hervorgeht, der wirtschaftlichen Gemeinsamkeit mit Oe st erreich bei dem nächsten Erneuerungstermin, im Jahre 1917, ein Ende zu bereiten. Vorläufig soll die Form ge- ändert werden, der Inhalt wird nachfolgen, wenn Ungarn  wirklich fähig geworden sein wird, aus eigenen Füßen zu stehen. Das spürt man in Oesterreich   und deshalb die un- gewöhnliche Hartnäckigkeit, ohne Zwang auch nur einen Buchstaben herauszugeben. Der Konflikt zeigt wieder einmal die schweren Gebrechen des Dualismus, der die zwei Staaten verbindet, indem er sie zu unversöhnlichen Feinden macht. ## Der österreichisch-ungarische Konflikt hat nun doch zu einer Krise geführt. Die Entscheidung in der Zolltariffrage fiel zugunsten Ungarns   und des ungarischen Ministerpräsi- deuten Wekerle aus. Darauf hat der österreichische Minister- Präsident, Prinz zu Hohenlohe, sein Amt niedergelegt. Wir erhalten hierzu folgendes Privattelegramm aus Wien  : Der Konflikt zwischen den beiden Regierungen hat einen überraschenden, von niemand erwarteten Ausgang genommen: Nachdem es am Sonntag den ganzen Tag nicht gelungen war, den Konflikt durch ein Kompromiß zu schlichten,� und nachdem ein Kronrat in der Hofburg   ergebnislos geblieben war, hat Kaiser hinter dem Bücken bei österreichischen Be-