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um Belassung in seinem Professorenam! zu Odessa   abgelehnt worden. Goremhkins Name wird noch in einem anderen inter essanten Zusammenhange genannt. DiePetersburgskaja Gaseta" nämlich meldet aus angeblich glaubwürdiger Quelle. Goremhkin besitze bereits ein vom Zaren unterzeichnetes Auf- liisungSdekret, das er erforderlicheufalls in der Duma verlesen werde. Aus derselben Quelle verlautet, daß einer am 29. Mai in Petersburg   erschienenen Militärdeputation, welche um die Dumaauflösung bat, vom Zaren erklärt wurde, ein derartiger Gewaltakt sei unnötig!! Zum Schluß ist noch davon Notiz zu nehmen, daß russische Zeitungen bereits von einer neuen Minister- Kombination sprechen, die Aussicht auf Verwirklichung haben soll, wenn es dem gegenwärtigen Kabinett gelinge, die öffent­liche Meinung durchReform"°Projekte auf seine Seite zu bringen. Die Liste lautet: Fürst Urussow(ehemaliger Ge- hülfe deS Ministers des Innern undparteiloser Liberaler") Präsidium; Nikolai Lwow(Kadett") Inneres; Krotljarewski (Kadett") Finanzen; Keoni Justiz. Die übrigen Porte- feuilles sollen gewählten Reichsratsmitgliedern übergeben werden. Juni. poUtilcbe Geberficht. Berlin  , den 5. Meidet Südwestafrika! Eine sehr energische Warnung vor Zuzug nach unserem, den deutschen   Steuerzahlern soteuren" Südwestaftika erläßt die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes im folgenden Schreiben vom 25. Mai: Wenn die Auskunftsstelle für Auswanderungswesen in ihren Bescheiden vor Niederlassung in Dcutsch-Südwestafrika als noch verfrüht bisher warnen zu müssen glaubte, so scheint dieses Berfahren in den W i r t s ch a f t S v e r h ä l n i s s e n deS Schutz- gebietes, soweit sie hier übersehen werden können, eine Stütze zu finden. Die Verhältnisse standen bis- her einer Einwanderung in größcrem Umfange um deswillen entgegen, weil der Lebensunterhalt im Schutzgebiete als Folge- Wirkung des Krieges abnorme Anforderungen an die Kapitalkraft der Ansiedler stellte und die Berkehrömöglichkeiten wegen ihrer In- anspnlchnahme durch die Schutztruppe erheblichen Schwierigkeiten unterlagen. Dazu kommt, daß an eine ordnungsgemäße Wieder- aufnähme der Faruibetriebe noch nicht herangetreten werden konnte. Diese Gesichtspunkte bedurften einer um so aufmerksameren Würdigung, als sich die Auskunftsstelle als halbamtliche Behörde dem Gefühle der Verantwortung, die sie bei Er- tcilung von Auskünften zu übernehmen hat, nicht entziehen kann. Was die Mitteilung amtlicher Informationen über die Ansiedelungsverhältnisse Deutsch-Südwestafrikas   anlangt, so ist da? Gouvernement zurzeit beschäftigt, ein AuSkunftSheft zu be- arbeiten, welches alles Wissenswerte für AuSwanderungslustige enthält. Dieses Heft wird auch der Auskunftsstelle für Auswanderungswesen überwiesen werden. Biö zum Er- scheinen der fraglichen Veröffentlichung wird eS sich empfehlen, wegen Auskunft über die einschlägigen Verhältnisse mit dem kaiserlichen Gouvernement direkt in Verbindung zu treten. Auswärtiges Amt  , Kolonialabteilung. E. Hohenlohe  ." ES ist nur erfreulich, daß sich die Kolonialabteilung endlich zu dem Mute aufrafft, die Dinge so zu sehen und darzustellen. wie sie sind. Daß die amtliche Stelle damit nun auch endgültig ihrer bisherigen südwestaftikanischen Politik daS herbste Urteil spricht, Wird sie natürlich nicht zugeben. Nach diesem Zugeständnis stehen die Dinge in Südwestafrika lediglich so. wie sie vorurteilslose Berichterstatter längst unwiderleg- lich festgestellt haben, und wie sie im besonderen die sozialdemo- kratische parlamentarische Kritik wiederholt nachdrücklichst hervor- gehoben hat: für unabsehbare Zeit ist jede ruhige wirtschaftliche Kolonisation ausgeschlossen, dafür aber bleibt die Gewißheit, daß der deutsche Steuerzahler zur höheren Ehre abenteuerlichster Kolonial« Politik noch ungezählte Millionen opfern darf, ganz zu geschweigen von dem jungen deutschen   Blut, mit dem diese Sandlvüste noch ge- färbt werden wird._ Ein Wahlrechtskampf in Schlestvig-Holstein. Unsere schleswig-holsteinischen Parteigenossen sind soeben in elne lebhafte Agitation für das kommunale Wahlrecht eingetreten. Bekanntlich unterscheidet sich die schleswig-holsteinische Städte- Ordnung in ihren auf die Wahl der Stadtverordneten bezüglichen Bestimmungen dadurch von der altpreußischen, daß sie eine Klassen- einteilung der wahlberechtigten Bürgerschaft zwar nicht kennt, daß sie eS aber den Städten freistellt, das Bürgerrecht und damit das kommunale Wahlrecht durch Ortsstatut von einem Z e n f u S, d. h. dem Nachweis eines steuerpflichtigen Einkommens abhängig zu machen, dessen Höhe sich zwischen den Steuerstufen von SM M. und 1500 M. bewegt. Von dieser Bestimmung haben denn auch seit anderthalb Jahrzehnten die meist von freisinnigen Majoritäten be- herrschten Stadtverwaltungen der Provinz fleißig Gebrauch gemacht, und zwar der Reihe nach in dem Maße, wie die in ihren Mauern aufkommende moderne Arbeiterbewegung die Gefahr näher rückte, daß mit der Zeit auch das Proletariat sich Sitz und Stimme in den städtischen Körperschaften erobern würde. Von den 54 Städten der Provinz haben bis jetzt nicht weniger als 30 den BürgerrechtszensuS erhöht, darunter Wandsbek gleich bis zur höchsten zulässigen Grenze, der Steuerstufe von 1350 bis 1500 M., entsprechend dem Staatssteuersatze von 16 M., Altona  , Kiel  , Flensburg  , Neumünstcr auf die zweithöchste Maximal- stufe eines Einkommens von ILOV bis 1360 M., gleich einem Steuer- fatze von 12 M. Welch verheerenden Einfluß diese plutokratische Maßregel auf das Wahlrecht der minderbemittelten Bevölkerungsschichten ausübt, geht beispielsweise daraus hervor, daß in Kiel   im Jahre 1905 von 39 304 Einwohnern, die ein Einkommen von mehr als 660 M. versteuerten, ganze 11 500, also zirka 28 Proz., wahlberechtigt waren. Wenn eS trotzdem der Sozialdemokratie gelungen ist, in einzelnen Städten den Zenluswall zu übersteigen, so lag das nicht an der vom Standpunkt der Privilegierten unzulänglichen Höhe deS Boll- Werks, sondern allein an der Schläfrigkeit und vor allem an der Uneinigkeit der Bürger. Wie sich aber auf allgemeinem politi» schen und wirtschaftlichen Gebiete am Klassenbewußtsein des Pro- letariats mächtig auch das seiner Gegner entzündet hat und immer kompakter sich der Aufmarsch der einen reaktionären Masse formiert, so vollzieht sich dieselbe EntWickelung auch im Kampf um die Kommune. So hat denn zurzeit die Sozialdemokratie in der ganzen Pro- binz von den vielen Hunderten von Stadtverordnctensitzcn bloß in drei Städten, nämlich in Kiel  . Preetz   und Itzehoe  , insgesamt fünf Sitze inne. nachdem der in Kiel   begonnene Prozeß des Heraus- wählenö bereits auch in zwei anderen Städten die kommunale Ver- tretung wieder von den eingedrungenen proletarischen Stören- frieden mit Erfolg gesäubert hat. Man kann sich also denken, daß die Bourgeoisie SchleSwig-Hol- kteinö ihre Kommunalverfassung als kostbares Palladium ihrer Besitzprivilegien in hohen Ehren hält. Um so größer war in diesen Tagen die Verblüffung im bürgerlichen Lager, als bekannt wurde. daß auf die Tagesordnung des am Freitag nach Pfingsten in dem lauenburgischen Städtchen Mölln   zusammentretenden s ch l e s w i g. holsteinischen StädtetageS ein Punkt:Reform des kommunalen Wahlrechts" gesetzt war, und daß der eine der dazu bestellten Referenten ein bekannter reaktionärer Provinzpolitiker KSk/ der vationakliberal-konservative Durchfallskandidat im fchles. wig-holsteinifchen Wahlkreise, Justizrat Dr. Thomsen- Kiel, der, obwohl langjähriger Stadtverordnetenvorsteher, im Jahre 1904 wegen seines Eintretens für das Dreiklasscnwahlrecht der alt- preußischen Städteordnung von der Bürgerschaft im Kampf um sein Stadtverordnetenmandat im Stiche gelassen wurde und durch- fiel. WaS dieser Herr, dxr als nicht mehr aktives Mitglied eines Stadtkollegiums eigentlich gar nichts auf dem Städtetag zu suchen hat, alsReform des Wahlrechts" vorschlagen würde, lag auf der Hand. Bald erfuhr man dazu noch, daß der eigentliche Maneger des beabsichtigten Angriffes aus diefreiheitliche" meerumschlungene Städteordnung der Vorsitzende deS Städtetages selber war, der Kieler Oberbürgermeister Fuß. Dieser erschien nämlich mit einer Broschüre auf dem Plan, einem Sonderabdruck aus den Publika­tionen des Vereins für Sozialpolitik, in der er an der schleswig- holsteinischen Städteordnung, besonders an ihren Wahlrechts- bestimmungcn,vernichtende" Kritik übte. Herr Fuß setzte aus einander, daß für einen weitschauenden Verwaltungspolitiker das gleiche(l) Wahlrecht der Städteordnung trotz der Zensusschranken absolut keine Garantie biete vor einer Ueberflutung de städtischen Parlamente mit sozialdemokratischen Vertretern, denn die steigenden Löhne der Arbeiterschaft und die Notwendigkeit, in den aufblühenden Gemeinden die Steuer- schraube immer schärfer anzuziehen, ermöglichten eS immer größeren Prolctariermassen, die Zensusschwelle zu überschreiten. Herr Fuß sieht sogar den Zeitpunkt in greifbare Nähe gerückt, da die Stadt- verordnetenversammlungen zu Arbeiterparlamenten ent- artet sein werden, und er erblickt die einzige Rettung vor dieser grauenhaften EntWickelung in der Einführung der altpreußischen Städteordnung, die mit ihrem Dreiklassenwahlrecht diese Gefahr radikal beseitige und überdies dadurch, daß sie der Arbeiterschaft eine loyale Vertretung in der dritten Klasse ermögliche, der Sozialdemokratie ihren aufreizenden Agitationsstoff gegen das ZcnsuSwahlrecht entwinde. Dem wcitfchaucnden Politiker ist mit seiner Publikation nun leider das Pech passiert, daß er sie. wie aus dem Inhalt klar her- vorgeht, im ersten Schreck über den vorjährigen Frühjahrswahlsieg der Kieler Sozialdemokratie abgefaßt hat, und daß inzwischen seine pessimistischen Deduktionen, die sich durchweg auf die Kieler   Ver- Hältnisse stützen, durch die EntWickelung der Kieler   Verhältnisse selber, durch die Wahlen im Herbst 1905, bei denen die Bürgerlichen siegten, schlagend»ci absurdum geführt worden sind. Das ist um so schlimmer für Herrn Fuß, als seine Angriffe auf die Bestimmungen über die Wahl der Stadtverordneten und sein Appell an sämtliche Jammerinstinkte der rotscheuen Bourgeoisie seine eigentliche Slttacke, die auf einen ganz anderen Punkt der schleswig-holsteinischen Städteordnung gerichtet ist, offenbar maskieren sollen. Herrn Fuß ist nämlich ein besonderer Gräuel an der schleswig-holsteinischen Städteordnung die direkte Wahl deS Magistrats durch die gesamte wahlberechtigte Bürgerschaft und die beschränkte Amtsdauer der Magistratsmitglieder. Man kann seine Gefühle in dieser Hinsicht erst dann recht würdigen, wenn man weiß, daß er selbst vor ein paar Jahren, als er sich nach Ablauf scmer AmtSperiode einer Neuwahl unterziehen muhte, mit der knappen Majorität von 17 Stimmen seinen glänzend dotierten Posten gerettet hat. Die alt- preußische Städteordnung verschont die Magistratsherren mit solcher unwürdigen Abhängigkeit von der allgemeinen Wähle rkrapüle, und so läuft die ganze umfassende Kritik, die Herr Fuß an der ein- heimischen Kommunalverfassung übt, in eine mehr oder minder direkte Empfehlung der altpreußischen Städteordnung aus. In bürgerlichen Kreisen ist man über dieses Attentat auf die schleswig-holsteinische Selbstverwaltung und Bürgerfreiheit, wie sich die liberalen ZensuStartüffes ausdrücken, höchlichst entrüstet. Man nimmt an, daß Herr Fuß, der im Kieler   Stadtkollegium häufig schon seine engen Beziehungen zu gewissen Stellen der StaatSrcgierung erwähnt hat, bestellte Arbeit liefert, und daß er den Städtetag dazu benutzen will, um der Regierung zur Beseitigung der schleswig-holsteinischen Städtcordnung, die den Behörden allerdings in ihren einheitlichen Verwaltungsapparat schlecht passen mag, die erwünschte Gelegenheit zu geben. Eine Reihe von schleswig-holsteinischen Stadtvcrordnetenkollegien haben denn auch bereits ihre Delegierten zum Städtctag auf das Fest- halten an der provinziellen Städtcordnung verpflichtet. Dabei sind die freisinnigen Kommunalpolitiker mindestens ebenso zweideutig in ihrer Polemik gegen die Fußschen Pläne, wie dieser selber in seinem Angriff auf die ihm unbequeme Städteordnung, nur in umgekehrter Richtung. Während nämlich Herr Fuß den roten Lappen schwingt, um die Magistratswahl nach feinem Geschmack in Sicherheit zu bringen, gebaren sich die Freisinnspolitiker, als ob dieses Magistratswahlrecht das vornehmste Kleinod ihrer Städte« Verfassung sei in Wahrheit aber ist eS ihnen in erster Linie darum zu tun, den Zensus zu retten. Wenn sich auch theoretisch darüber streiten läßt, welche? Wahlrecht vom demokratischen Stand punkte aus skandalöser, da» Zensussystem oder das preußische Drei- klassenwahlrecht, praktisch und in seiner Wirkung ist ohne jede Frage das Zensuswahlrecht für absehbare Zeit noch viel reaktionärer als die preußische Dreiklassenwahl. Mit der Einführung der alt- preußischen Städteordnung würde die Sozialdemokratie in einer gapzen Reihe schleswig  -holsteinischer Städte ohne weiteres in die Gemeindevertretungen einziehen. DaS wissen die freisinnigen 5kvmmunalpolititer und deshalb erheben sie ein so großes Geschrei um die angeblich bedrohte Selbstverwaltung der schlcSwig-hol- steinischen Städte. DaS Proletariat könnte dem Streite mit der Genugtuung des lachenden Dritten zusehen, der allemal dann die Wahrheit er- fährt, wenn sich zwei Biedermänner die Leviten lesen; es ist zwar sein Fell, um das sich diese Gentlemen balgen, aber es kann ihm wirklich gleichgültig sein, ob eS dreiklassig geprellt oder zensuS- gerecht begaunert wird. Triebe die Sozialdemokratie lediglich Moments Politik, so könnte sie sogar der Einführung der alt- preußischen Städteordnung zustimmen, denn diese würde ihr in der Tat, zum mindesten in den größeren Städten, ohne besondere Schwierigkeit eine ganze Anzahl von Mandaten, wenn nicht gar sofort oder in nächster Zeit sämtliche Sitze der dritten Klasse ver. schaffen. Aber in einer so bedeutungsvollen Frage, wo es sich um das oberste stadt» und staatsbürgerliche Recht des Volkes handelt, weist eine Partei, wie die deS klassenbewußten Proletariats, eine Politik, die auf«in Feilschen um das größere oder kleinere Unrecht hinauslaufen würde, natürlich ohne Besinnen weit von sich. Worauf es unserer Partei in dieser Situation allein ankommt, das ist. die Gelegenheit zu nutzen, um in einer Agitation großen Stils den Massen wieder einmal auf der ganzen Linie den himmelstinkenden Skandal des bestehenden Zensuswahlunrechts ins Bewußtsein zu rufen und zugleich im positiven Sinne eine tiefgreifende Bewegung für daS allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht wach. zurufen, das allein auch auf kommunalem Gebiete an die Stelle des bestehenden Unrechts, sei eS nun der schleswig- holsteinische ZensuS oder daS altpreußische Dreiklassensystem, zu fetzen ist. Die Parole ist in diesem Sinne denn auch von feiten der Azjtations. kcmmission der Provinzpartei ausgegeben. Die Agitation ist so an- gelegt, daß zunächst, vor dem Städtetag, die Organisationen in der Provinz in ihren Vereinsversammlungen Stellung nehmen und in einer einheitlichen, von der Agitationskommission ausgearbeiteten Resolution namens des arbeitenden Volkes vom Städtetag eine Er» klärung zugunsten des demokratischen Wahlrechts fordern. Nach dem Städtetage soll diese Agitation in die breitesten Massen getragen und in Stadt und Land der Kampf gegen den ZensuS- skandal und für daS volkstümliche Wahlrecht eröffnet werden. Es ist daS Verhängnis unserer Gegner, daß die Beschlüsse ihres StädtetageS. mögen sie nun für oder gegen die schleswig-holsteinische Städteordnung ausfallen, uns das wirkungsvollste Material für diese Agitation liefern müssen. Dcutfcbea Reich. Sind Sozisldemolraten vigclfrei? Im Monat Februar fanden in dem rheinischen Jndustrieort Düren   zwei Haussuchungen, zwei Beschlagnahmen und mehrere polizeiliche Bestrafungen wegen Verbreitung von Wahlrechts-Flug- blättern statt etwas gar zu viel behördliche Aufmerksamkeit in einer kleinen Stadt mit schwacher Arbeiterbewegung. In einem Falle war von einem Arbeiter namens Hohr der sozialdemokratische Vertrauensmann alspolizeiwidriger" Flugblattverbreiter bezeichnet worden. Einer unserer Parteigenossen, R-, stellte den Hohr des» halb zur Rede, und er kündigte ihm die bis dahin zwischen den beiden bestehende Freundschaft für den Fall, daß Hohr wirklich den Vertrauensmann angezeigt habe, zumal da der letztere entschieden in Abrede stellt, an dem betreffenden Morgen draußen gewesen zu sein. ES ist anzunehmen, daß der Hohr an dem Februarmorgen in der Dunkelheit einen anderen für den Vertrauensmann gehalten hat. In der Tat wurde da» Strafmandat infolge der unzuläng- lichen Aussage des Hohr vom Schöffengericht aufgehoben. Der vor- hin erwähnte Parteigenosse R. stand jetzt vor der Aachener Straf- kammer unter der Anklage, den Hohr zum Meineid verleitet zu haben. Die harmlosen Aeußerungen R.'s hatten dem Dürener Polizeiinspektor Valerius genügt, die furchtbare Anklage in die Wege zu leiten, und die Staatsanwaltschaft in Aachen   hielt das vor- liegendeMaterial" für ausreichend zur Erhebung der Anklage. Zudem hatte man den Genossen R. auch noch verhaftet. Der Arbeiter Hohr erklärte als Zeuge, von R. nicht beeinflußt worden zu sein. Wenn er unbestimmt in seinen Aussagen gewesen sei, so rührt das daher, daß er in der Dunkelheit den Flugblattverbreiter nicht deutlich erkannt habe. R. habe ihm die Freundschaft daß er den Vertrauensmann als Täter be- habe er gesagt: Wenn ich schwören muß, R. habe darauf erwidert:Das s o l l st nachdem, wie das herauskommt, sind mehr." Zwei Zeugen bestätigen der Freisprechung des Angeklagten war Da aber geschah das U Nnwgliche: der gekündigt für den Fall, zeichnet habe. Darauf sage ich die Wahrheit I Du auch; aber je wir keine Freunde diese Bekundung. An nicht zu zweifeln. Staatsanwalt hielt eine Rede gegen die Sozialdemokratie, wie sie nicht ist. und er beantragte gegen R. ein Jahr Zuchthaus und fünf Jahre Ehrverlust. In der Urteilsbegründung führte der Vorsitzende der Straf- kammer aus: Es sei dem Gericht bekannt(!l). daß die Partei des Angeklagten, der sich selbst als Sozialdemokrat bezeichne, die Partei des Terrorismus sei und auch vor Be-einflussung von Personen und Zeugen nicht zurückschrecke. ES sei in hohem Grade wahrscheinlich, daß auch hier diese Absicht vorgelegen habe; der Zeuge Hohr habe auch hier den Eindruck gemacht, als stehe er unter irgend einem Druck, und er habe auch hier mit der Sprache nicht recht herausgewollt. Jedoch habe das Gericht nach der Beweisaufnahme zur Frei- sprechung deS Angeklagten kommen müssen. Der Angeklagte wurde aus der Haft entlassen, die Kosten der Staatskasse auferlegt. Wie man dieEindrücke" zu bewerten hat, die der Vorsitzende aus der Verhandlung gewann, darüber braucht man sich nicht im unklaren zu sein, wenn man die völlig aus der Luft geholte un- geheuerliche Verunglimpfung der Sozialdemokratie ins Auge faßt. .Dem Gericht ist bekannt.. so behauptet der Vorsitzende, der die sozialdemokratische Partei anscheinend nur aus der Froschperspektive des politisch auf tiefster Stufe stehenden klerikalen Aachen   kennt. Wir empfehlen dem Herrn, wenn er wieder eine politische Partei anzugreifen beabsichtigt, dies nicht mehr unter dem Schutze des Gerichtssaales zu tun, sondern in einer offenm Versammlung in freier Rede und Gegenrede. Zu einem Angriffe gegen eine Partei gibt das Gesetz dem Richteramt kein Recht. Je femer der Richter einer Partei steht und je fremder ihm die Partei ist, desto mehr sollte er sich vor Verunglimpfungen dieser Partei hüten, um nicht den letzten Rest der Möglichkeit eines Zutrauens zur Rechtspflege zu zerstören. Trotz der geschilderten Sachlage erhoben ein Gericht und diö Staatsanwaltschaft Anklage und trotz der völligen Schuldlosigkeit des Angeklagten konnte ein Staatsanwalt, ohne irgend eine verant« wortmig hierfür zu tragen, gegen den Schuldlosen Zuchthaus beantragen I Das wäre unmöglich, wenn in Deutschland   an Stelle des Anllagemonopols einer politischen Anweisungen unter- stellten Behörde und an Stelle unserergelehrten Richter" aus und vom Volke gewählte Richter fungieren würden und wenn in Deutsch  « land eine wirkliche zivilrechtliche und straftechtliche Verantwortlichkeit der Beamten für ihr Tun und Lassen eingeführt wäre. Anklagen und Urtelsgründe wie die erwähnten sind ein für die herrschende Klasse tief beschämendes Zeichen des Niederganges der Rechtspflege. Daß sie aufklärender und aufreizender wirken als Dutzende von Flugblättem ist das ungewollte Verdienst der Staats- anwaltschaft und des Gerichts. Mlow als Kanalfrrund. Reichskanzler Fürst B ü l o w hat an den Landrat von Stubenrauch zur Eröffnung des Teltowkanals ein Glückwunschtelegramm gesandt, w dem es u. a. heißt: Noch niemals hat sich ein preußischer KreiS eine so große Aufgabe gestellt. Ihre Lösung war nur möglich unter einer so weitblickenden Leitung wie der I hrigen und bei einer so ver« ständnisvollen wie opferwilligen Mitwirkung der Selb   st Verwaltungskörper. So ist die Vollendung des Teltoiv-Kanals, abgesehen von ihrer großen praktischen Be- deutuna, ein v o r b i l d t i ch e S B e i s p i e l für die Leistungs« fähigkeit der preußischen Selbstverwaltung." Nimmt sich schon das Lob der Selbstverwaltung in dem Munde eines Ministerpräsidenten sehr komisch aus, der soeben erst die preußische Schulvorlage inauguriert hat, so wird die Komik des Telegramms geradezu grotesk, wenn man sich bei diesem Hymnus auf Kanalbauten an die famose Energie erinnert, mit der Herr v. Bülow das Projelt des Mittellandkanals hat durch- allen lassen helfen._ Herr Perlmaim, der Philanthrop. Bekanntlich spielte in der polizeifrommen Presse als Argument ür die Russenausweisung eine nicht unbedeutende Rolle das Rund- chreiben des KönigSbcrger Vertreters desHülfsvereinS der deutschen  Juden", des Herrn Perlmann. Dieser Herr hat eS. wie noch er- innerlich, gewagt, die Mitglieder des russisch  -jüdischen ArbeiterbundeS alsgewissenlose und charakterlose Individuen' zu bezeichnen, die überall dieSeuche" unmoralischer �Grundsätze hinaustragen und daher einer Unterstützung durch die deutschen   Juden durchaus un- würdig seien. Woher nun dieser Haß des Herrn Perlmann gegen dieBundiften"? Darüber finden wir genügenden Aufschluß in der Wilnaer BolkSzeitung". der wir die nachstehende Charakteristik deS philanthropischen Herrn Perlmann entnehmen. Ein Mitarbeiter derBolkSzeitung" traf während seiner An­wesenheit in Königsberg   zufällig einen jüdischen Arbeiter auS Rußland  , der ihm unter anderem erzählte, er sowie zahlreiche andere russische   Juden seien beim bekannten KönigSbcrger Wohltäter Herrn P-rlmann beschäftigt. Auf die Frage des Jour- nalisten, wieso sie zu dieser Arbeit gekommen seien und wieviel Lohn ie erhielten, erzählte der Arbeiter folgendes: Hier in Königsberg   halten sich immer sehr viele russische AuS» Wanderer auf der Durchreise nach überseeischen Ländern auf. Da es'. meist arme Leute sind, pflegen sie sich an Herrn Perlmann als den, hiesigen Vertreter des HülfsvereinS um Unterstützung zu wenden.. Gewöhnlich bekommen sie dann von Horm Perlmann den Bescheid,,