Hr. 194. 28.1. Stilißt i>cs Jorairts" Kcrlim WslilÄ.Mittwoch, 22. August 1906.Der außerordeutliche Parteitag der Züricher Sozial-demokratie.Zürich, 20. August.(Gig. Ber.)Der gestern nachmittng in der„Sonne" in Austersihl abgehalteneaußerordentliche Parteitag der Sozialdemokratie des Kantons Zürichwar von zirka 300 Genossen und Genossinnen besucht, wovon zirka280 Delegierte waren. Der Präsident der Partei. Genosse Dr. Kraft,hielt ein sehr eingehendes Referat über die außerordentliche Situationin der Stadt und im Kanton Zürich, wie sie durch die unerhörtenMaßnahmen der Regierung gegen die Arbeiterschaft geschaffen wurdeund die unseren Lesern bereits bekannt ist. Der Referent übte daran dieschärfste Kritik und brandmarkte sie in entschiedenster Weise. Sodannwandte er sich aber auch gegen Vorgänge im eigenen Lager. Der„Grütlianer", das Zentralorgan der schweige-rischen Sozialdemokratie, hat in diesen heißen Tagenzum Teil eine schmählige Rolle gespielt. Die Redaktion hat un-besehen und kritiklos schandbare Einsendungen aufgenommen, dieVerrat, Sckmsse in den Rücken der kämpfenden und verfolgtenArbeiterschaft waren und von der kapitalistischen Scharfmacherpressemit wahrem Vergnügen nachgedruckt wurden. So heißt es in einer dieserEinsendungen,„daß die sehr wenigen Personen, welche mißhandeltworden sind, dies sich selbst zugezogen und mehr verdient hättenals ihnen wirklich zugefügt worden ist". Daran knüpft sich in Uebereinstimmnng mit den perfidesten Arbeiterfeinden eine Hetze gegendie Ausländer. Und das tut das Zentralorgan der schweizerischenSozialdemokratie I Und der Geschäftsführer der Grütlidruckereiin Zürich hat als Antwort auf eine gegnerische An-rempelung zerknirscht und bußfertig bekannt gemacht, daßein einziger Schwab im Geschäfte tätig ist. Von denvielen Schwaben, die in den Gewerkschaften und politischenArbeitervereinen organisiert sind, ninunt er aber Druckaufträge allerArt gerne entgegen. Ferner geißelte Dr. Kraft die Umtriebe derA n a r ch i st e n in den Gewerkschaften usw., die die Arbeiter zurpolitischen Abstinenz aufhetzen und so die politische Stellung derPartei schwächen. Auch mit den A n t i m i l i t a r i st e n und mitder Neutralität der Gewerkschaften, wodurch ebenfallsdie Partei geschädigt wurde, setzte er sich auseinander. Schließlichbeantragte er die Annahme folgender Resolution:„Der außerordentliche Parteitag der sozialdemokratischen Parteides Kantons Zürich erblickt in den T r u p p e n a u f g e b o t e n undin dem allgemeinen Verbote des Streikposten-stehens ungesetzliche Eingriffe der Regierung inden Kampf zwischen Arbeiter und Unternehmer zugunsten der Unter-nehmer. Er mißbilligt aufs schärfste die Aus-Weisung des Genossen Hauth, da diesem keineHandlungen vorgeworfen werden konnten, die die Aus-Weisung vom Standpunkte des Rechts aus begreiflich erscheinenlassen könnten. Er erblickt auch in dieser Maßnahme nur einemoralisch verwerfliche Handlungsweise und den Versuch, das ver-fassuiigsniäßige Recht der freien Meinungsäußerung in Wort undSchrift hinfällig zu machen. Er verurteilt aber auch sämtlicheübrigen Aasweisungen als eine verwerfliche Handlung der Regierung.Der Parteitag beschließt, auf Grund dieser Erwägungen an denRegierungsrat des Kantons Zürich das Begehren zu stellen, dasVerbot des Streikpostenstehens aufzuheben. Der Parteitag protestiertim allgemeinen gegen die teils ungesetzlichen, teils moralisch ver-werflichen Eingriffe in die verfassungsmäßigen Rechte der Arbeiterzugunsten des Kapitals. Er verurteilt das Verbot derDemonstrationsumzüge als willkürlichen Eingriff in dasBereinsrecht der Arbeiter."In der sehr lebhaften Diskusfion, an der sich etwa 20 Rednerbeteiligten, kam die tiefe Empörung über das Schandregiment derZüricher Behörden zum elementaren Ausdruck, aber auch die Er-kenntnis der richtigen Mittel, um es erfolgreich zu bekämpfen. MehrAgitations- und Organisationsarbeit in Stadt und Land, unter denIndustrie- und Landarbeitern. Es wurden auch erfreuliche Mit-teilungen über die Fortschritte der Arbeiterorganisationen auf demLande gemacht. Die Hauptstützen der Reaktion find immer dieBauern, also muß man sie in ihrem eigenen Gebiete schwächen, umihren Einfluß zu brechen, was nichts Unmögliches ist, da die in-dustrielle Arbeiterschaft über den ganzen Kamon verbreitet ist.Außer der Annahme der obigen Protestresolution wurden nocheine ganze Reihe weiterer Anträge zum Beschluß erhoben. Durcheinen Beschluß wurde dem anwesenden Genossen Hauth der Dankder Partei für seine bisherige Tätigkeit ausgedrückt, weiter dieHerausgabe einer Agitationsbroschüre mit einer aktenmäßigen Dar-stellung der behördlichen Schandtaten beschlossen und den Partei-organffationen die Diskussion des politischen Massen-st r e i k s empfohlen. Mit der Züricher Arbeiterschaft erklärtesich der Parteitag ausdrücklich solidarisch, also auch mitihren Protestkundgebungen usw. Genosse Greulich teilte mit,daß er eine Schrift über den politischen Massenstreik veröffentlichenwerde.Die Basler Sozialdemokratie hatte in einem Schreiben dieZüricher Bruderpartei ihrer Solidarität versichert und der von ihrals Vertreter entsandte Genosse Redakteur Frei gab dieser Solidaritätnoch mündlichen Ausdruck.Von interessanten Einzelheiten aus der Diskussion seien schließlichnoch erwähnt der Streikbrecherdienst von gwanzig Milizsoldaten,in Thun bei den bestreikten Bäckenneistern m Zürich und die Auf-sassung, daß die Ausweisung des Genossen Hauth eine Folge desMasseiispazierganges der Züricher Arbeiterschaft sei. Also ein ganzniederer und perfider Racheakt.Der außerordentliche Parteitag der Züridjer Sozialdemokratiewar ein Tag der Klärung und Sammlung, möge er zur Förderungund Stärkung der Partei dienen Iklären. In demselben Artikel haben wir sogar erklärt, daß wireine Diskussion des Generalstreiks für sehr angebracht halten, alsogerade das Gegenteil von dem gesagt, was uns Genosse Müllerunterschiebt. Aber wie kommt dieser überhaupt zu seiner sonderbaren Behauptung? Nun, wir schrieben in dem angezogenenArtikel zur Maifeier:„Wir dürfen aber unter keinen Uiiiständendie Arbeiter, die die Arbeitsruhe durchführen wollen undkönnen, durch die Arbeiter, denen dies nicht möglich istzurückhalten lassen. Wir würden gerade hier in WilhelmshavenRüstringen eher den Achtstundentag haben, für den wir demonstrieren,ehe es den betreffenden Arbeitern(Werftarbeitern) möglich wäream 1. Mai die Arbeit ruhen zu lassen. Zudem wissen wir. daß, jeimposanter unsere Umzugsdemonstration ist, um so intensiver die ander Teilnahme verhinderten Arbeiter im Geiste mit uns feiern. Dasdürste wohl überall der Fall sein, weshalb wir es für durchaus verfehlt halten, daß die Vorstände der Gewerkschaften aus hier sehrschlecht angebrachtem Sparsamkeitssinn eine Agitation gegen dieMaifeier überhaupt nur versucht haben. Die Maifeier war amallerwenigsten dazu geeignet, um an ihr eine Kraftprobe der Machtder Gewerkschaften gegen die Partei auszuüben und das Anseheneines internationalen Sozialistenkongresses herabzuziehen. Das warein Vergehen, bei dem schon der Versuch strafbar ist."Auch diese Kritik war durchaus loyal gehalten und ihre wörtlicheVorlesung würde dem Genossen Müller gewiß keinen Zwischcnrudes Präsidenten eingetragen haben. Weshalb da das lächerlicheKokettieren mit der Prästdentenglocke? Die wörtliche Vorlesung dieserStelle würde allein schon genügt haben, die Angriffe Müllers audas„Norddeutsche Volksblatt" zu widerlegen; denn jedermann mußdoch merken, daß der Schlußsatz„Das war ein Vergehen, bei demschon der Versuch strafbar ist" nur eine bildliche, gleichnisartigeRedewendung ist und sein soll. So gut wie aus der Naturoder der Geschichte können wir auch einmal ein Gleichnis audem Strafgesetzbuch heranholen. Wir schreiben doch nicht für Schulkinder, die jedes Bild wörtlich nehmen und das Gleichnis nicht vonder Wirklichkeit unterscheiden können. Wir haben auch nicht dengeringsten Grund, um naiven Kindsköpfen zn gefallen, unsere Artikelim Aktenstil oder im Diplomatendentsch abzufassen. Uebrigens wollenwir damit keineswegs sagen, daß wir den Genossen Müller für einenKindskopf halten. Er würde jedenfalls seinen Angriff auf das„Norddeutsche Volksblatt" unterlassen haben, wenn er die betreffende Stellegenau gelesen hätte. Wahrscheinlich hat er sie überhaupt nicht gelesen, sondern nur zusammenhanglos davon reden hören; denn sonsthätte er sich nicht mit der buchstäblichen Auffassung eines Bildesunsterblich blamieren können.Schließlich wollen wir dem Genossen Müller noch verraten, daßdie Gewerkschaften im Verbreitungsbezirk unseres Blattes mit derHaltung des Kölner Gewerkschaftskongresses durchaus nicht allgemeinzufrieden sind und sich schon in verschiedenen Versammlungen— diehiesigen Metallarbeiter schon im Sommer 1905— für die unbedingteBeibehaltung der Maifeier und die Propagierung des Massenstreiksausgesprochen haben.„Bolksblatt"(Gotha):Die Parteipresse zum Protokoll derGewerkschastskonserenz.„Norddeutsches Bolksblatt"(Bant):(Nach Wiederholung einer Stelle aus einem Artikel vomMai 1903 zum Kölner Gewerkschaftskongreß):Wir meinen, daß eine Kritik des Gewerkschaftskongresses kaumloyaler gehalten sein kann und daß die Gewerkschaftsführer, hierspeziell Bömelburg, wahrhaftig keinen Grund hatten, sich über die„Angriffe" deS„Norddeutschen VolksblatteS" zu entrüsten; denn wirhaben diese Genossen, wenn man nicht die vorstehenden Aus-sllhrungen für einen Angriff halten will, überhaupt niemals an-gegriffen. Dessen ungeachtet tritt auf der Konferenz der Gewerkschafrs-vorstände Genosse Müller(Seemann» folgende Attacke auf das„Norddeutsche Volksblatt":„Man hat sich in der Presse zu über-trumpfen gesucht mit diesen Angriffen(auf die Gewerkschaftsführer),die ich wieder mit Rücksicht aus die Glocke des Präsidenten nicht mitdem richtigen Namen belegen will. Das„Norddeutsche Volksblatt",das Organ, das von dem Ueberrevisionisten Hug redigiert wird, er-laubte sich zu behaupten, daß die Diskussion über die Maifeier undüber den Generalstreik strafbare Handlungen seien. So ungefährpolemisiert ein russisch-preußischer Staatsanwalt gegen die Geloerk-schaftsleitungen."Zunächst wollen wir den Genossen Müller darüber aufklären.daß das„Norddeutsche Volksblatt" in seinem politischen und Partei-politischen Teil nicht von dem„Ueberrevisionisten" Hug redigiertwird, sondern von dem Genoffen Richard Wagner, an dem in demVerbreitungsbezirk unseres Blattes bis jetzt noch kein einziger Genosseetwas Revisionistisches entdeckt hat. Sodann ist es uns niemals eingefallen, eine Diskussion über den Generalstreik für strafbar zu er-Nachdem wir das umfangreiche Protokoll gelesen, müssen wirunser Erstaunen darüber ausdrücken, daß die Generalkommission undeine Anzahl Gewerkschaftsvorstände sich so sehr gegen die Veröffentlichung gesträubt haben. Wir finden nichts darin, was die Ver-öffentlichung zu scheuen hätte. Die Aussprache ist eine durchauswürdige, sachliche und ruhige, was um so höher anzuschlagen istals man ganz unter sich war und niemand der Redner an einespätere Veröffentlichung des stenographisch aufgenommenen Protokollsdenken konnte.Selbstredend zeigen sich bedeutende Meinungsverschiedenheitendie aber doch alle schon, in sogar teillveise schärferer FormulierungGegenstand der Erörterung in der Partei- und Gelverkschaftspreffegewesen sind. Das Wohltuende und Erfreuliche an dieservertraulichen und daher durchaus offenen und rückhaltlosen Ausspracheist die Liebe zur Partei, ist das sichtliche Bestreben, mit derPartei im Einvernehmen zu verbleiben, eine Verständigung zu er-zielen, die, bei der notwendig verschiedenen Kampfesrichtung beiderGruppen der Arbeiterbewegung, durchaus notwendig ist. Wirglauben, daß gerade die volle Veröffentlichung des Protokolls unddie daran sich knüpfende Polemik dieser Verständigung die Wegeebnen, sie erst ermöglichen wird. Die gehässig gehaltene, bruchstückweise Veröffentlichung der„Einigkeit", die von der bürgerlichen Pressenatürlich weidlich ausgeschlachtet wurde, gab zu Mißtrauen und tiefenVerstimmungen Anlaß, da die Genossen za nicht wissen konnten, wasalles noch in dem Protokoll steckte.Eine solche Stimmung ist aber stets gefährlich, sie führt zuVerbitterungen, die nachher schwer zu heben sind. Vollends gefährlich wäre es aber gewesen, Ivenn diese Stimmung bis zum Mann-heimer Parteitag angehalten, sich womöglich verschärft hätte underst dort zur Entladung gekommen wäre. Wir sind überzeugt, daßnunmehr auch die Ausiprache in Mannheim eine durchaus würdigeund sachliche sein und zu einer Verständigung führen wkrd....„Schlcswig-Holsteiusche Volkszcitung"(Kiel):„Wir hatten, als wir das Protokoll lasen, in erster Linie dasGefühl des Enttäuschten. Wir hatten geglaubt, daß eine Ausspracheder ersten Männer unserer Gewerkschaften geistig höher stehenmüßte...... Unsere Gewerkschaftsführer sind, wie alle Menschen,Produkte der Verhältniffe. Von Hause aus einfache Arbeiter, diesich durch Intelligenz oder organisatorische Tatkraft oder Beredsam�keit vor ihren Kollegen auszeichneten, werden sie vom Wunsch derGesamtheit erhoben und vorwärts, aufwärts geschoben. Hinterihnen schwindet das Milieu der Fabrik, der Werkstatt und um sieherum erhebt sich ein neues Milieu, das sie beeinflußt. Selbstverständlich muß die veränderte Lebensstellung, die andere Arbeitslweise, die Beschäftigung mit der Verwaltung eines so großenApparates, wie es eine Gewerkschaft ist, in dem Manne eine neueIdeenwelt schaffen und, wenn er nicht von Hause aus theorettschsehr gut und fest geschult oder überaus idealistisch veranlagt ist, somuß dem Manne die Ideenwelt seiner ersten Kanipfjahre etwas imNebel verschwinden, muß er das gewonnene Neue so hoch einschätzen,so übernatürlich vergrößert sehen, daß das Einst ihm an Bedeutungverliert...... Da taucht die Idee von einer„Theorie für Gewerkschaften"auf, die der bestehenden Theorie der Partei das Gegengewicht haltensolle. Natürlich eine Verkehrtheit ohne Gleichen. Eine Theorie derPartei oder eine Theorie der Gewerkschaften kann nur eine scharfeund klare Ergründung der verschiedenen OrganisattonSformen undder verschiedenen Methoden erfassen, also nur eine Theorie fürtaktische Fragen sein. Die Theorie der grundsätzlichen Fragendes Gewerkschaftswesens wie der Partei, das ist dieNattonalökonomie, die Wissenschaft von der Volks- und Welt-Herrschaft. Diese in ihrer modernsten und wissenschaftlichstenForm, das ist die Marxsche sozialistische Schule, die inDeutschland so glänzend von KautSkh vertreten wird. Sie ist ebensowenig eine Theorie der Partei, wie irgend ein gelehrter oder un-gelehrter Genosse oder Nichtgenosse eine Theorie der GewerkschaftenIchaffen kann.... Diese eine Wissenschaft ist es. der die Parteiund die Gewerkschaft ihr Rüstzeug entnehmen muß, sie ist es, ausder heraus beide die theoreiischcn Grundlagen für die praktischeArbeit und die Lehren zu ziehen haben, die zu gegenseitigem Ver-ständnis, zu dem praktischen Handinhandarbeiten fuhren, das Parteiwie Gewerkschaft als Teile eines Höheren, des proletarischenKlassenkampfes, unbedingt brauchen. Nur das Nichtvcrstehen dieserWissenschaft bringt jene Unklarheit über das Verhältnis zwischenPartei und Gewerkschaft zulvege, die in diesem Protokoll oft so bc-trübend zutage tritt. Wenn die Gewerkschaftsführer nicht zufriedensind damit, wie die Dinge heute stehen, so sollten sie nicht die Schuldbei der Partei suchen, sondern sich lieber einmal die Frage borlegen,ob sie nicht selbst das— bei der Hitze der Tagesarbcit entichuld-bare— Versehen begangen haben, zu sehr i n den Ereignissen zustehen, sich zu sehr von der praktischen Kleinarbeit befangen zulassen, statt auf höherer Warte über ihr zu stehen. Damitwollen wir natürlich nicht behaupten, daß auf feiten derPartei alles gut und schön ist. Auch in der Partei sindFehler genug vorgekommen, und abgesehen davon, daß auchhier zeitweise die Theorie zu kurz kam oder zu sehr wie eine aufalles passende Schablone angewendet wurde, gestehen wir gern zu,daß hier und da der Gewerkschaftsführer für die Eigenart feinerTätigkeit bei den Vertretern der Partei nicht immer volles Ver-ständnis gefunden hat. Auch die Vertreter der Partei— die in derPresse tätigen Genossen nicht ausgeschlossen— sind Menschen, auchsie sind in ihrer— lvir brauchen das Wort im Sinne der materia-listischen Geschichtsauffassung ohne Vorwurf—„gehobenen Stellung"abhängig von dem Milieu, in dem sie sich bewegen, so gut wie ihreim Gewerkschastslager tätigen Brüder.Wer das Protokoll vorurteilsfrei liest, wird erkennen, daß, wennauch eine Besserung auf beiden Seiten wünschenswert sein mag, dieHauptaufgabe bei den Gewerkschaftsführern liegt. Sie habenschwere, verantwortungsvolle Aufgaben vor sich, Aufgaben, die sichnur lösen lassen, wenn sie imstande sind, ihre mächtigen Organi-sationen vor der Klippe zu bewahren, an der die englischenTrades-Unions gescheitert sind, vor der Gefahr, die Gewerkschaftals Selbstzweck anzusehen, während sie doch nur eine von den Ver-hältnissen bedingte Kampforganisation neben der anderen Kampf-organisation sein kann, soll sie dem Proletariat auf die Dauer allesdas leisten, wozu sie unter Umständen imstande ist. Dazu gehörenaber höhere Gesichtspunkte, als sie bei vielen Rednern dieser Konferenzzutage traten, dazu gehört nicht die Schaffung einer Theorie ftir Ge-werkschaften, sondern gute Kenntnis und gründliches Perstehen derTheorie, aus der sich allein Gewerkschaft und Partei richtig ver-stehen und die Linien ihres oft parallelen, oft aber eng verschlungenenVormarsches gegen das Kapital in allen seinen Erscheinungen richtigbeurteilen und vorzeichne» lassen.Nicht unberechtigt ist aber neben diesem Ruf nach mehr Ver-tiefung der andere Ruf. den wir aus den Debatten heraushören,der Ruf nach engerer Fühlung zwischen Gewerkschaft und Partei,soweit es sich um praktische Arbeit handelt..."„Braunschweigcr Volksfteund":.... Unumwunden soll zugegeben werden, daß Hue den Nagelauf den Kopf traf, als er auf der Konferenz das Wort prägte:„DaßGewerkschaft und Partei sich in einer Krise befinden, wissen wir alle,aber nur wenige haben den Mut zu sagen, was ist". Es ist un-umstößlich wahr und richtig bis zum Tipfelchen auf dem i, daß zwischender Partei und gewissen, nicht einmal allen, Spitzen der Gewerk-schasten, beileibe nicht den Gewerkschaften an sich, eine nicht un«erhebliche Spannung besteht. Aber wer war denn das Karnickel,das angefangen? Die Partei? Die„einflußreichen Parteikreise"?Ach nein l Selbst wenn wir zugeben, daß auf beiden Seiten reichlichgesündigt worden ist: beim Abwägen der Schuld zeigt sich, daß derwesentlichste Anteil an dem gespannten Verhältnis zwischen Parteiund Gewerkschaften etlichen führenden Gewerkschaftlern aufgebürdetwerden muß. Sie leben dem Wahne, daß die Partei sich dieGewerkschaften„unterordnen" will...Mit weit größerer Berechtigung hätte die politische Partei Ursache,sich dagegen zu wehren, daß verschiedene Gewerkschaftsführereher heute als morgen der Partei die Marschroute vorschreibenmöchten. An solchen Versuchen hat es doch wahrlich nicht gefehlt!Zumal nach dem die Gewerkschaften so mächtig erstarkt find, undzwar nicht zum wenigsten infolge der stets freudig und willig ge-währten Mitwirkung der politischen Partei und aller ihrerMitglieder. Schon auf dem Lübecker Parteitage hielt es Auerhier an der Zeit, Versuche dieser Art abzuwehren:„Wirkönnen nicht den Zustand einreißen lassen, daß die Ge-werkschaften blos zu befehlen und wir blos zu gehorchen haben."Und es folgte dann sein wahrhaft prophetisches Wort:„Könnendenn die Gewerkschaften Gegenseitigkeit üben? Nein! Ich wünsche,daß möglichst viele Arbeiter in die Gewerkschaften gehen: daß daverschiedene politische Ansichten herrschen, das können wir nicht ver-hindern. Was aber würden Sie(die Gewerkschafter) sagen, wennetwa bei den nächsten Wahlen der nationalsoziale GewerkschaftlerTischendörfer gegen einen Sozialdemokraten kandidierte und wirdeshalb seinen Ausschluß aus der Gewerkschaft verlangten? Einesolche Forderung würde zu den ungeheuerlichsten Konsequenzenführen."Was Auer im September 1901 so nebenbei als Beispiel er-wähnte, um das Verhältnis der Partei zu den Gewerkschaften zuillustrieren, sollte sich 1903 buchstäblich erfüllen: bei den Reichstags-wählen kandidierte Tischendörfer gegen unseren Genossen Schwartzin Lübeck. Zur ganz besonderen Empfehlung seiner Person führteer seine Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft der Lithographen anund mit Emphase verwies er noch ausdrücklich darauf, daß man ihnsogar mit einem Ehrenamt betraut habe(er war derzeit Mitgliedder Berliner Gewerkschaftskommission)....... Was sich 1903 in Lübeck zutrug, kann sich sehr wohl ebensogut auch anderwärts unter ähnlichen Verhältnissen ereignen. Unddas kommt daher, daß wohl siir die Mitglieder der Partei dieäst zwingende Verpflichtung besteht, sich den Gewerkschaften anzu-chließen, daß aber der Partei jedwede Handhabe fehlt,die Gewerkschaften in ähnlicher Weise zu be°e i n f l u s s e n.Die Partei als solche hat sich aber auch noch nie ein solchesRecht angemaßt und wird es auch in Zukunft nicht tun. Was sieordert und berechtigterweise auch fordern darf, wenn es den Ge-verkschaften wirklich heiliger Ernst ist. an der Erneuerung und Um-ormung der jetzigen Gesellschaft mitzuarbeiten, ist lediglich dies:daß sich die Gewerkschaften stets der Grenzen ihrer Aufgaben be«wüßt bleiben, wie es L i e b k n e ch t in so treffender Weise seiner-zeit in Köln ausgesprochen hat:„Wir alle sind für die"ewerkschaften, aber dagegen, daß man in ihnendas Hauptziel erblickt, daß man glaubt, durch sieallein könne die Macht des Kapitals gebrochenwerden. Das Kapital lann nicht auf seinem eigenen Boden ver-nichtet werden. Man mich ihm de» Boden unter den Füßen weg-ziehen und ihm die politische Macht auS den Händen reißen. Unddas ist nur möglich durch den politischen Kampf."... Wenn auf der Berliner Konferenz Bringmann(Zimmerer)chlankweg den Klassenkampfcharakter der Gewerkschaften ableugnen,alle Gewerkschaftskämpfe lediglich als ein Mittel zu dem Zweck, dieLage der Arbeiter zu verbessern, hinstellen durfte, ohne beider Mehrheit der Konferenz sofort auf den energischestenWiderspruch zu stoßen, so kann man doch wohl nicht mebr alleinnur von taktischen Unterschieden sprechen. Nein, hier schrillt einegrelle Dissonanz auf: hier ist ein prinzipieller Unterschied.Sowohl Simon(Schuhmacher), als auch Fritz Geyer(Tabak-arbeiter) fühlten das denn auch sofort heraus und Geher tat sehrrecht daran, wenn er Bringmann, der das schon völlig ver-zessen zu haben scheint, zu Gemüte führte, daß die Gewerk»'chaften nicht nur aus dem Kamps geboren sind.ondern gerade erst durch den Kampf bestehen!Wenn jenials die Ansicht Bringmanns in den Gelverkschaftenmaßgebend werden sollte,— dann ade Gewerkschaften! Glücklicher-weise sorgt jedoch die ganze wirtschaftliche Entwickelung schon selbstdafür, daß BringmannS Gewerkschaftsideal niemals eine Zukunfthaben wird. Bringmann und alle, die offen oder im innerstenHerzen eines Sinnes mit ihm sind, mögen noch so sehr denKlassenkampf verleugnen: es hilft ihnen alles nichts; die Ver-Hältnisse sind stärker als die Personen. In durchaus zutreffenderWeise konnte denn auch Simon(Schubmo�-rl alfoirlei*, daraus