Fet Arbeiter siit Kranken-, MterZ- und Jnvaliditätsversiche-rung, Zu erhöhten Rentenzahlungen usw. verwendet werdensollten, und unter Berufung auf die sogen. Mission dessozialen Königtums der Hohenzollern. schwatzte die agrarischePresse nach dem Muster des Herrn Adolf Wagner von einemneuen„Patrimonium der Enterbte n": heute,nachdem sie die begehrten Getreide- und Vichzollerhöhungenerlangt hat und die Lebensmittelpreise ständig steigen, höhntsie über die Arbeiter, die auf ihren Fleischtonsum nicht ver-Sichten wollen und Zwiebel- oder Notwurst zu 48 Pf. proPfund kaufen.Zudem aber treibt die ehrsame Sippe, wenn sie sich zumBeweise dafür, daß von einer Fleischtcnerung oder Fleisch-not nicht gesprochen werden könne, auf die Nichträumung desAuftriebs einzelner Viehmärkte beruft, ein frivoles Doppel-spiel? denn nichts fällt den Herren Agrariern leichter, als durchplötzliche übermäßige Beschickung da oder dort an bestimmtenMarktagen ein gewisses Mißverhältnis zwischen Angebot undNachfrage hervorzurufen. Und daß tatsächlich in dieser Weiseverfahren wird, dafür liefern einige Briefe der Viehzentrale,die in den Besitz der„Allgemeinen Fleischer-Zeikung" ge-langt sind und von dieser veröffentlicht werden, den unwiderlegbaren Beweis.Als im Juli vorigen Jahres die Beschickung der ober-schlesischen Vichmärkte ständig abnahm und die Agrarierbefürchteten, die Regierung könnte das Kontingent derSchweine, die aus Rußland eingeführt werden dürfen, be-trächtlich erhöhen, da hat, wie nachfolgender Brief des Vor-sitzenden der Viehzentrale, des Herrn LandesokonomieratRing, beweist, die Viehzentrale zeitweilig Schweine nach ober-schlesischen Märkten dirigiert, um den Anschein her-vorzurufen, als seidort ein überreichlichesAngebot vorhanden. Der Brief lautet:Streng vertraulichtBerlin, Id. Juli 19i)5.Nn die Landwirtschaftskammer für die ProvinzSchlesien. Breslau.»... Wir sind bereit, sofort den Nachweis durch Um-frage und Veröffentlichung zu liefern, daß in Deutschlandmassenhaft genug fette Schweine vorhanden sind. Wir wollensofort in drei Städten Oberschlesiens Schweine zumVerkauf stellen und die nötige Reklame dafür machen,daß die ganze Welt erfährt, daß Schweine genug da sind. Wirsind der Ansicht, daß die ganze Schweinenot sofort im Lande einEnde hat, wenn in dieser Weise eingegriffen wird, und habenbereits festgestellt, daß wieder eine Verabredung der SchlächterDeutschlands, die sehr gut organisiert sind, vorliegt, überall dieFlcischpreise zu steigern, um durch die öffentliche Meinung dieRegierung zu zwingen, die Grenzen für Schweine zu öffnenund au chsonstige Konzessionen zu machen. Es liegt weiter nichtsvor. wie der energische Wille eines gut organisierten Standes..... Zweck der Zentrale für Viehverwertung ist es, bei allensolchen Angelegenheiten sofort einzugreifen; aber selbstverständ-lich werden wir, wenn wir mit Schweinen in Obcrschlcsicn an-kommen, von den dortigen Händlern und Schlächtern zum Teilboykottiert werden und darum bitten wir, bis zu 10 000 M. beid-r Schlesischen Kammer Rückendeckung finden zu können....Mit vorzüglicher HochachtungErnst Ring.Zu welchem Zweck diese zeitweilige künstliche SteigerungFes Angebots auf drei oberschlesischen Märkten erfolgte, zeigtder nachstehende Brief des Herrn Ring vom 30. August:Berlin. 30. August 190S.A n die Landwirtschaftskammer der ProvinzWestfalen.Dick Lieferung der Schweine nach Oberschlesicn ist von derZentrale für Viehvcrwcrtung auf Grund von Mitteilungen, dieeine Bcihülfe der Kammern von 29 909 M. zusagten erfolgt...Ohne diese Hülfsaktion hätten die Grenzen unbedingt aufgemachtwerden müssen. Der größte Teil der bewilligten Summe istbereits verwendet und es ist uns vorläufig sehr zweifelhaft, obwir mit obiger Summe glatt auskommenwerden. Nach unserer Ansicht muß der Herr Minister, so-wie wir die Lieferung einstellen, die Grenzenaufmachen.....Und in einem anderen Brief des Herrn Ring vom8. September 1903 an den Präsidenten des Deutschen Land-Wirtschaftsrats, den Grafen von Schwerin-Löwitz heißt es:Ich stehe nun auf dem Standpunkt: Was bedeuten denn39- oder 99 999 M. Verlust gegenüber der Tatsache, daß der plan-mäßige Ansturm(gegen die Grenzsperre), der von langer Handvorbereitet ist, abgeschlagen wird?Ein widerliches Spiel! Mit bedeutenden Verlusten wirdkünstlich auf einigen Märkten ein Ueber-Angebot hergestellt,und darauf dieses in der agrarischen Presse zum Beweise dafürausgenutzt, daß von einer Flcischtencrnng und Fleischnot keineRede sein könne. Und diese edle MenschenspezieS, die sich zurSicherung ihrer hohen Profite derartiger Mittel bedient,philosophiert dann iin Tone höchster Entrüstung in der ihr zurVerfügung stehenden„vaterländischen" und„a n-st ä n d i g e n" Presse über die grobe Begehrlich-keit der Arbeiter und deren Frcß sucht!Würdige Epigonen ihres oroßen ethischen AltmeistersHamm'erstein.—Ein Arbeitcrnnfallversichernugsgesetz in Ungarn.Am 10. Oktober wird Ungarns Handelsminister, Franz Kossuth,dem Reichstage einen Gesetzentwurf vorlegen, den die jetzigeRegierungspartei schon im vorhinein bejubelt, da der Entwurf an-geblich die Arbeiterfreundlichkeit der Regierung beweisen soll. Werjedoch diesen Gesetzentwurf gelesen und geprüft hat. mutz ein-sehen, daß Gesetze solcher Art die mißtrauische und feindseligeStimmung der Arbeiterschaft Ungarns gegen die Regierung eher ver-stärken als abschwächen müssen.Nicht auf das Drängen der Arbeiter wurde dieser Gesetzentwurfgeschaffen, sondern das ungarische Großkapital brachte dieses Gesetzzustande, und ihm allein kommt es auch zugute.Bei der im Handelsministerium abgehaltenen Konferenz, zuder auch die Vertreter der Arbeiter erschienen, haben die GenossinG a r a m i und W e l t n e r heftig gegen den Entwurf protestiert,und die Gesamtarbeiterschaft Ungarns stimmt diesem Proteste zu.»Vor mehr als zwanzig Jahren, am 2. Februar 18SS, fandanläßlich eines großen Grubenunglücks die erste Volksversammlungin Ungarn statt, deren Tagesordming die Forderung eines Unfall-Versicherungsgesetzes enthielt. Damals wurde das Präsidium derVersammlung beauftragt, dem ungarischen Reichstage eine Petitionzu überreichen, in der ein Unfallversicherungsgesetz verlangt wird.Diese Petition wurde denn auch dem Reichstage überreicht, und inder 114. Sitzung, am 29. April desselben Jahres, verhandelt. DiePetition ward dem Ministerium überwiesen, das auf Antrag desAbgeordneten Jranyi beauftragt wurde, einen Gesetzentwurf über„Unfallversicherung der Arbeiter" auszuarbeiten und dem Reichstagevorzulegen. Anfangs machte das Ministerium scheinbar Ernst: essammelte statistische Daten und hielt einige Konferenzen ab; baldjedoch wurde das ganze Material samt der Petition„ack acta."gelegt.Immer mehr Versammlungen wurden abgehalten, immerenergischer wurde ein UnfallversichernngSgesetz verlangt, und dadie Regierung diesen Forderungen gegenüber sich immer nochpassiv verhielt, so suchte die Arbeiterschaft sich auf andereWeise zu helfen. Das im Jahre 1893 geschaffene bürgerlicheGesetzbuch enthielt in den Paragraphen 1731—83 die neue Be-stimmung:„Wer ein Gewerbe ausübt, ist für etwaige Unfälle denArbeitern gegenüber verantwortlich". Diese Paragraphen machtensich die Arbeiter zunutze, und bei Ulifällen wurden die Arbeitgebernun jedesmal verklagt. Riesige Aufregung herrschte unter denKapitalisten, alö die königliche Kurie, das höchste Gericht in Ungarn,Urteile fällte, durch welche die Arbeitgeber zu hohen Strafen ver-urteilt wurden. Eine Metallfabrik in Budapest z. B. ward ver-urteilt, einem Arbeiter, dem beim Schmieden ein Funke ins Augegeflogen war, wodurch er erblindete, lebenslänglich 13 Kronen 29 Hellerwöchentlich zu zahlen. Eine Maschinenfabrik müßte einem Arbeiter,der verunglückte, monatlich 60 Kronen zahlen. Ein Sägewerk, indem einem 13jnhrigen Knaben der Arm abgeschnitten wurde, hattean diesen 3000 Kronen zu zahlen usw. Derlei Prozesse waren inden Jahren 1898—1900 auf der Tagesordnung und im Jahre 1899wurden allein 16 solcher Urteile gefällt, die den Kapitalisten schwereOpfer auferlegten.Nun begannen die Arbeitgeber sich zu versammeln! Kon-gresse. wurden abgehalten und jene Urteile dort verhandelt. ImJahre 1902 fand dann ein allgemeiner Kongreß der Fabrikantenund Großunternehmer statt und ans diesem Kongresse wurde derBeschluß gefaßt, die Regierung anfznforder'n, umgehend ein Unfall-verstcherungsgesetz auszuarbeiten und cS dem Reichstage vorzulegen!Das erst half: denn nach verhältnismäßig kurzer Zeit,»ach kaumdrei Jahren, war das Gesetz fertig. Staatssekretär Sterenhi machteeine Studienreise und arbeitete das Gesetz nach deutschemMuster, wie er selbst sich äußerte. Dieses Gesetz ist es, das jetztim ungarischen Reichstage behandelt werden soll.Schon von vornherein hat dieses Gesetz von der ungarischenArbeiterschaft den Namen„A l m o s e n g e s e tz" erhalten, und eswerden sich noch heftige Kämpfe um dieses Gesetz abspielen. DieArbeiter fordern ein Gesetz für sämtliche Arbeiter Ungarns, dieRegierung hat jedoch die große Masse der Arbeiter ausgeschlossen!In das Gesetz einbezogen werden nur diejenigen Arbeiter, die inprivaten Fabriken arbeiten, acksgeschlossen dagegen bleiben: dieBerg- und Hüttenarbeiter, die st a a t l i ch e n Fabrikarbeiter, die Eisen-bahner, Post- und Telegravhenarveiter sowie auch alle Arbeiter, die aufPlätzen arbeiten, auf denen weniger als 20 Personen beschäftigt sind!Nach der vergleichenden Statistik, auf der das neue Gesetz zumTeil aufgebaut sein soll, schützt das deutsche UnfallversicherungS-gesetz die erwerbstätige Vevölkerung folgendermaßen:Beschäftigt sind in der Landwirtschaft 8 292 692, in der Industrie8 281229, im Handel 2 313 384, zusammen 18 887 296 Personen.Davon sind laut Gesetz versichert: 17 603 190, also 93,23 Proz,Das angeblich nach deutschem Muster gemachte ungarischeArbeiteruufallverstcherungsgesetz würde— wenn der Entwurf durch-geht— die erwerbstätige Bevölkerung folgendermaßen„schützen":Beschäftigt sind in der ungarischen Landwirtschaft 3 716937, in derIndustrie 331003, im Handel 31014, zusammen 6 343 936 Personen.Davon wären laut dem neuen Gesetze versichert: 291390"),also 4 Proz.Hätte dieses Gesetz auch gar keine anderen Mängel, als daßes von 6 300 000 Arbeitern 6 Millionen ausschließt, die ArbeiterUngarns dürften dieses Gesetz allein auS diesem Grunde nichtstillschweigend hinnehmen. Aber das Gesetz enthält in jederZeile Mängel sowie Ungerechtigkeiten gegen die Arbeiter, und dieArbeiterschaft muß ihm Opposition machen. Geschaffen, um dieKluft zu überbrücke», die die Arbeiter von der Negierung trennt,wird das Gesetz die Kluft nur erweitern und den Kampf gegen dasarbeiterfeindliche System noch heftiger entbrennen laffen.Veutlcdes Reich.Herr Hitze über daS allgemeine Wahlrecht.Ein österreichisches ultramontanes Organ, das„LinzerVolksblatt", hatte sich, um bei seiner Stellungnahme zurösterreichischen Wahlrcchtsfrage keinen Fehlgriff zu machen,vorsichtshalber auch an deutsche Zentrnmsabgeordncte gewendet,um deren Erfahrungen über das all�enieinc und gleicheWahlrecht im Deutschen Reiche zu hören. Der deutscheReichstagsabgcordncte Hitze sandte darauf dem Blatte folgendeZuschrift:Das allgemeine, gleiche Wahlrecht hat bei uns zu Mißständennicht geführt. Diejenigen, welche bei uns in Deutschland gegendasselbe wettern, sind solche, welche es mit Ingrimm ertragen,daß das Zentrum in vielen entscheidenden Fragen die ausschlag-gebende Stellung im Reichstage hat. Daß Bourgeoisie und Groß«grundbesitzer das plutokratische, preußische Wahlrecht vorziehe», istbegreiflich. Im Reichstage kommen auf 399 Abgeordnete ichglaube 82 Sozialdemokraten, also noch nicht ein Viertel. A u chbei berufsständischem Wahlrecht würden wohlkaum wenigerMandate auf dieArbeiter kommen.In unseren Zentrumswahlkreisen ist eS uns noch immer bis-her gelungen, die Gegensätze der Interessen durch die ethischenGesichtspunkte zum Ausgleich zu bringen. Wir haben einenArbeitervertreter(GiesberlS) im Reichstag— bei den nächstenWahlen sollen es mehr fein,- darüber sind alle einverstanden—und im Dreiklassenwahlparlament Preußen auch einen(Brust).Im agrarischen Bayern haben die Arbeiter drei industrielle Vertreter, welche in ländlichen Wahlkreisen gewählt sind von denBauern, Handwerkern usw. Unsere ländlicken Arbeiter wählen aus-nahmsloS mit den Bauern. Ein Gegensatz ist nirgends hervor-getreten. In den protestantischen Kreisen deS Ostens, wo Latifundien-Wirtschaft herrscht und wo die Großgrundbesitzer sich nicht um dieArbeiter bekümmern, haben hie und da die SozialdemokratenBoden gefaßt; daS ist aber allein die Schuld der Besitzenden.Wo überhaupt die Sozialdemokraten Boden gefaßt haben undherrschen, sind es nicht so sehr die berufsständischen Interessen-gegensätze als die politischen Gegensätze und Ziele, welchebei den Wahlen den Ausschlag geben. Namentlich die Zoll- undSteuerpolitik und die radikalen Phrasen führen den Sozial-demokraten die Stimmen zu. und zwar nicht bloß der Arbeiter,sondern auch der Handwerker, kleiner Bauern und Beamten.Die Arbeiter wählen noch in großer Zahl liberal und selbstagrarisch und die katholischen Arbeiter gehen noch fast überallmit uns. München und Mainz sind die einzigen überwiegendkatholischen Großstädte, die sozialdemokratisch wählen, aberhier sind früher viele politische Fehler gemacht worden,andererseits herrscht hier die Bier- und Weingemütlichkeitauch in der Politik. Die Stadt Mainz war auch schon unterBischof Ketteler nicht besser. In dicien Bezirken besteht diePolitik in— Schimpfen. Dagegen haben wir die großenIndustriestädte Köln, Crefeld, Esten, Aachen, München-Gladbach,Düsseldorf usw. bisher behauptet und die katholischen Arbeiterhaben sich selbst für die hohen Agrarzölle erllärt.Diese Solidarität ist allerdings die Frucht unserer systematischenAufklärungsarbeit, besonders im Volksverein. Die Zentrums-fraktio» hat durch ihre energische, zielbewußte, vollstümliche,•) Diese Zahl wird amtlicherseits auf 3V0 000 angegeben.politische und soziale Tätigkeit daS Vertrauen dcS Volkes Hchgesichert und so sind die einzelnen Berufsstände von der Ueyer-' eugung und dem Pflichtgefühl getragen, daß sie— der eine Standür den anderen— Opfer bringen müssen.In dem Augenblick, wo mir uns gegen das allgemesne, gleiche,geheime und direkte Wahlrecht erklären wollten, würde» wir voneinem Sturm der Eutrüstuug weggefegt werden— so hängt unserganzes Volk an diesem Wahlrecht.Meine aufrichtige Ueberzeugung ist: da? allgemein«,gleiche und geheime Wahlrecht ist heute dasallein praktischmögliche und Sie können erstrecht nicht hinter dem Vorschlage Ihrer Ne-g t e r u n g zurückbleiben.Mit hochachtungSvollem Gruß« Ihr ergebenerDr. Franz Hitz»Herr Hitze nimmt in dieser Zuschrift dem Reichstags-Wahlrecht gegenüber also eine wesentlich andere Stellung einals der preußische Zentrumsabgeordnete Graf S t r a ch>v i tz.Hitze erklärt auf dem Boden des allgemeinen, gleichen, direktenund geheimen Wahlrechts zu stehen. Freilich gelangt erzu diesem Standpunkte nicht aus prinzipiellenGründen, sondern aus Zweckmäßigkeitsgründen.Er fürchtet, daß der durch einen Wahlrechtsraub herauf-beschivorene Sturm auch das Zentrum hinweg-fegen werde. Weil das allgemeine gleiche, direkte»ndgeheime Wahlrecht das heute allein praktisch mögliche ist,empfiehlt er auch den österreichischen Ultramontanen, für das-selbe einzutreten.Herr Hitze weist dann noch ans einen anderen Zweck-mäßigkeitsgrnnd hin, der ihn für die Aufrechterhaltnng desbestehenden Reichstagswahlrechts in Deutschland eintreten läßt.Er meint, daß auch bei einem berufs ständischen Wahlrecht die Arbeiter kaum weniger Mandate erhalten würden,als sie die Sozialdemokratie gegenwärtig inne habe.Wie nun, wenn die Sozialdemokratie bei den nächsten Reichs-tagswahlen eine Reihe neuer Reichstags Mandateerobern, wenn sich die Zahl ihrer Mandate inabsehbarer Zeit verdoppeln sollte? Ob dannnoch dieselben Zlveckniäßigkeitsgründe für Herrn Hitze maß-gebend sind?Hoffentlich beherzigt das Zentrum allezeit das WortHitzes, daß das allgemeine gleiche Wahlrecht das alleinpraktisch Mögliche sei, und daß das Zentrum durch einenEntrüstungssturm hinweggefegt werden würde, wenn es jemalsder von dem Zentrumsgrafen Strachlvitz vertretenen RichtungRaum gewähren sollte!—_Nicht Rotz, nicht Reisige...Wir brachten vor einigen Tagen eine Zuschrift von militärischerSeite, in der ausgeführt wurde, daß sich in einem frivol an-gezettelten Kriegs die Regierung vermutlich zweimal besinnenwerde, ob sie wiederum wie der General Vogel von Falkenstein imJahre 1370 vorgehen und die Führer der Sozialdemokratie in dieKasematten einer Festung werfen werde. In der Zuschrift wurdeausgeführt, daß sich unter den 3 Millionen mobilisierter Truppe»mindestens 1 Million Sozialdemokraten befinden werde, auf diedie Nachricht einer Inhaftierung ihrer Parteiführer einen höchsteigenartigen Eindruck machen müsse. Die Scharfmacherpresse hatsich auf diese Notiz mit wahrer Wut gestürzt, teils um nachzu-weisen, daß die Boraussetzungen unseres militärischen Gewähre-mannes unzutreffend seien, teils, um uns prahlerische Selbst-Überschätzung vorzuwerfen. Der ganze Preßlärm der Scharfmacherbeweist uns aber nur, daß unsere Notiz eine wunde Stelle unsererMachthaber berührt hat. Zu allem Ucberfluß liegt uns heute einDokument vor, aus dem hervorgeht, von wie großer Be»s o r g n i s gerade unsere militärischen Behörden über denwachsenden Einfluß des sozialdemokratischen Geistes in unseremsteheirden Heere ergriffen sind. Das preußische 5rriegSministeriumhat nämlich einen Geheimerlaß ergehen lassen, durch den der Um-fang der sozialdemokratischen Propaganda auf die zum Heeresdiensteinberufenen Schichten festgestellt werden soll. Der von der„Mannheimer V o l k s st i m m e" veröffentlichte Erlaß, deran die großherzoglich-badischcn Amtsvorstände gerichtet ist, lautet:Dem König l. preußischen Kriegsministeriumist es von Wert, über die Maßnahmen, welche in Ausführung desBeschlusses des in Jena abgehaltenen sozialdemo-kratischen Parteitages,„in öffentlichen Vcrsamm-lungen und durch Flugblätter die Militärpflichtigen über ihre„Rechte aufzuklären" veranlaßt worden sind und bis zur dies-jährigen Rckruteneinstcllung noch erfolgen werden, sobald alsmöglich unterrichtet zu werden. Im Hinblick auf dieAufforderung Böske-Rixdorf— Seite 283 desProtokolls über die Verhandlungen des Jenaer Parteitages—besonders die Rekruten- Abschiedsfeste für die Auf-klärungen zu benutzen, wäre es von Interesse, zu erfahren, in-wieweit auch diese Veranstaltungen zu dem frag-lichcn Zweck ausgenutzt werden. Insbesondere wäre esvon Wert, wenn die dort wie auf sonstigen Versammlungen ae-haltenen Ansprachen möglichst genau festgestellt werden. DieAngelegenheit ist strengstens vertraulich zu behandeln.Schriftliche Aufträge haben zu unterbleiben.Wo die hiernach sofort einzuleitenden Erhebungen ergebnislosverlaufen, ist Jeblanzcige zu erstatten. gez. Schenkel.Allzu großes Selbstvertrauen verrät dieser Geheimerlaß jeden-falls nicht. Es stände deshalb unseren Scharfmacherorganen besseran, wenn sie mit dem Vorwurf der Prahlerei der Sozialdemokratiegegenüber etwas sparsamer iimguigcnl—Neberflüssige Bildung.Die„Deutsche Tageszeitung" ist sehr unzufrieden damit, daßder Genosse Eisner von der zweiten Strafkammer des BerlinerLandgerichts II freigesprochen worden ist und gar noch mit derBegründung, den überwachenden Gendarmen fehle es an dernötigen Bildung, um den Gedankengang eines gebildeten Rednersdurch kurze Notizen zweifelsfrei festlegen zu können. DaS ehrsameBlatt findet es unerhört, an die Bildung der zur Ueberwachungvon Versammlungen entsandten Beamten irgend welche höheren An-sprüche zu stellen.„Mart Wird, meint es, diese Begründung denndoch mit einigem Befremden vernehmen. Wenn sie im allgemeinenmaßgebend und bestimmend sein sollte, so würde daraus für denStaat die Notwendigkeit hervorgehen, eine große Anzahl gebildeterUeberwachuiigsbeamten anzustellen. Es würde ferner vollständigüberflüssig sein, sozialdemokratische Versammlungen durch untergeordnete Polizeiorgane überwachen zu lassen, da jeder Redner sichgegebenenfalls auf diese Gerichtsentscheidung und auf ihre Be-gründung berufen und sogar den Gendarmen bei etwaigen Ein-würfen entgegnen könnte, sie„seien nach ihrer Bildung gar nichtimstande, den Gedankengang eines gebildeten Mannes durch kurzeNotizen zweifelsfrei festzulegen". Bei der großen und grund-sätzlichen Wichtigkeit der Angelegenheit würden wir es vielleicht fürzweckmäßig erachten, wenn die Entscheidung der RevisionS-instanz, falls daS möglich ist, angerufen würde."Die Abneigung des BlatteS gegen gebildete Beamte ist durch-aus begreiflich. Sie entspringt dem Bewußtsein der eigenengeistigen Unzulänglichkeit. Wir sind deshalb auch gern bereit, demOertcl-Organ für die obige konfuse Argumentation mildernde Um-stände zuzubilligen,