Einzelbild herunterladen
 
  
Nr. B5. 24. Jahrgang. 2. KüU des Jdtiüättü" Klllim WlksdlM Ssuntag, 10. Februar 1907. Vom Wahlausfall. Die Haupt- und Stichwahlen in Schlesien  . Zwei Momente waren es, die die Wahlbcwegung in unserer Provinz völlig beherrschten: der Kampf zwischen Zentrum und Polen   in Lberschlesien und die Verzweiflungstaten des Freisinns in seiner Hochburg Niederschlesien  . In den übrigen Kreisen die Hauptstadt Breslau   ausgenommen bot der Kampf der Land- räte und Feudalherren für Konservative und Reichsparteiler, Land- Wirte und fürstliche Granden das übliche östliche Bild. Unnötig des- halb, zu versichern, daß hier unzählige Gesetzwidrigkeiten, offene und versteckte Verstöße gegen die Wahlbestimmungcn, heimliche und unheimliche Gewaltakte gegen die geheime Wahl, Brutalitäten gegen unsere Stimmzettelverteiler und skandalöse Akte von Wahlterroris- mus an der Tagesordnung waren. Im Wahlkreise Breslau- Land-Neumarkt z. B. haben die konservativen Getreuen des Grafen Carmer in über 80 Orten unsere Kontrolleure trotz der Verfügung des Ministers auf die Straße geworfen. Mit G e- walt hat man unseren Genossen Zettel und Flugschriften fort- genommen und sich in über IM Fällen offen über die klarsten Gesetzesbestimmungen hinweggesetzt. Der deshalb bereits ein- gelegte Wahlprotest dürfte hochinteressante Schlaglichter auf die Skrupellosigkeit agrarischer Wahlmacher werfen. Zentrum und Polen   fuhren wie immer die schwersten Geschütze gegeneinander auf. obwohl sie beide als gleichwertigeReichs- feinde" in Acht und Bann getan waren. Die polnische Geistlich- keit aber steht naturgemäß den Massen der polnischen Bevölkerung näher als die deutsche, die obendrein ihrer Hakatistischen Streberei wegen immer verhaßter wird. Kein Wunder deshalb,'daß den Polen   ihre Siege ziemlich wenig Mühe kosten. Der Gewinn von IM OM Stimmen bietet den Polen   viel mehr noch als die neu- gewonnenen Mandate(in der Stichwahl eroberten sie noch den ehemals Ballestremschen Kreis Gleiwitz- Thost- Lublinitz mit Hülfe der sozialdemokratischen Stimmen), für die Zu- kunft die sicherste Gewähr, in absehbarer Zeit über ganz Ober- schlesien den weißen Adler flattern zu sehen. Eines nur darf dabei nicht vergessen werden: bei der polnischen Herrschaft wird eS nicht lange bleiben, denn das polnische Proletariat, selbst das aus der Gegend der finsterstenWosserpolakci", wird eines Tages mit Pauken und Trompeten zur Sozialdemokratie ab- schwenken. Trotz der ungeheuren Schwierigkeiten, die gerade in den zwei- uiü) dreisprachigen Gegenden zu überwinden waren, hat die Sozialdemokratie hier einige Fortschritte gemacht. Die Bülowsche Politik hat aber, da er seine Polenpolitik als die wichtigste Frage der inneren Politik betrachtet, nirgends ein so klägliches Fiasko erlitten wie gerade hier, wo die neben der Äizialdcinokratie am gehässigsten bekämpftenReichsfeinde" Triumphe über Triumphe feiern konnten. Der Verlust Breslaus   gehört unter die Rubrik: Verkommenheit desfreisinnigen" Bürgertums: es stimmte für den reichspartei- lichen Fürsten Hatzfeld, obwohl es wußte, wie er und seine Kar- dorffianer zum Wahlrecht stehen. Nirgends ist die ent- würdigende Schweifwedelei widerlicher betrieben worden als gerade in Breslau  -Ost, und wenn schon vom Bürgertum von Gotha   ge- sagt wird, es habe sich demleibhaftigen" Prinzen an den Hals geworfen, was soll man von dem Breslauer sagen, das nicht einmal für nötig hielt, den Fürsten   und Herzog und ehemaligen Oberpräsidentcn nach seiner politischen Unbcrzeugung zu fragen I Die immer aufs neue betonte Aeutzcrung des freisinnigen Führers, Justizrat Heilberg, daß man nur für den Rcichsparteiler stimme, nicht aber für seine Politik, war das einzige Humorvolle in dieser wenig lustigen Kampagne. Höchstens könnte man das noch Humor- voll nennen, daß die Freisinnigen Bilderbogen mit dem Bildnis desleibhaftigen" Fürsten   verteilten, worunter der feudale Grande eigenhändig geschrieben hatte, daß man ihn stets an der Seite derer finden werde, die für geistige Freiheit kämpften! Er, dessen Partei, wie jedes Kind weiß, für Ausnahmegesetze schwärmt wie(nach Dr. Barth) ein Freisinniger für ein diätengesegnetes Mandat! Daß der Freisinn in Niederschlesien  , wo er immer mehr von uns bedrängt wird, mit den Waffen des Reichslügenvcrbandes um seinen Besitzstand gekämpft, daß er die hinlängst bekannte infamste, verlogenste und unanständigste Kampfesweise geübt, die man sich denken kann, versteht sich am Rande. Die Nomen K o p s ch, Ablaß  (der die vomVorwärts" geschilderten Verleumdungen über Bebels Erbschaften produzierte), M u g d a n und F i s ch b e ck bedeuten ja in dieser Hinsicht ein Programm, das keiner Er- läuterung bedarf. Trotz alledem haben in Liegnitz  , Löwenbcrg, Jauer  , Glogau   und Bunzlau   unsere Genossen das freisinnige Uebel als das kleinere betrachtet, wenngleich sie offen aussprachen, daß sie einen freisinnigen Stimmzettel nicht anfassen könnten, ohne sich die Hände zu beschmutzen. Daß gerade der Ablaß- Freisinn, der sich am 13. Dezember einen Namen gemacht, seine Gleich- _- P!____ 1___ 1----* M 4 AM O /A»-> S A S   a S..«» t. A».t». A.L'S. A.r 1 M A% tagte" und jeden setzen ließ, verdient ganz besonders registriert zu werden. Zum Dank für diese vorschriftsmäßig ordnungsparteiliche Gesinnung hat er denn in der Stichwahl auch sämtliche konservative Stimmen und sogar die des Zentrums erhalten I Daß das schlesische Zentrum trotz BülowS Silvesterbrief für die Freisinnigen eintrat, lag daran, daß ine Leitung fast aus- nahmslos aus agrarischen Adeligen besteht und die Interessen der Plch, Donnersmarck, Tiele- Winckler   und der übrigen Granden nach ihrer Ueberzeugung am besten bei den Ablaß  , Kopsch und Mugdan gewahrt sind. Wenn wir schadenfroh wären... Im ganzen hat unsere Partei in 9 Kreisen Schlesiens über 10 000 Stimmen gewonnen, denen freilich in 17 Kreisen ein Der- lust von rund 16 000 gegenübersteht, so daß wir 6000 Stimmen weniger erhielten wie 1003. Wie wenig aber unsere schlesischen Genossen deshalb an der altbewährten Kampfesfreudigkeit ein- gebüßt haben, beweist die Tatsache, daß sie ihrer Presse, namentlich der BrcslauerVolkswacht" und ihren Organisationen Tausende neuer Kämpfer in knapp 10 Tagen zugeführt haben. Und dabei fängt(mit dem Verteilen von 1LS 000 Flugblättern in Breslau  am heutigen Tage) die neue Werbearbeit erst an! Die Wahlen in der Provinz Posen  . Aus Posen wird uns geschrieben: Die Wahlen standen in diesem Jahre unter dem Zeichen deS Kulturkampfes. Eins seiner hervorstechendsten Merkmale ,st. daß es jetzt in der Provinz Posen   außer der Sozialdemokratie nur noch zwei Parteien gibt und zwar zwer nationale Parteien, nämlich Deutsche   und Polen  . Alle anderen Parteien, Liberale, Zentrum, und namentlich die Freisinnigen haben aufgehört zu existieren. Diese Situation hätte nun eigentlich für d»e Sozialdemokratie von Borteil sein, ihre Position und namentlich ihre Stimmenzahl ver- stärken müssen. Und doch ist unsere Partei hier zurück- gegangen. Während die Polen   16 686 Stimmen gewannen, die Deutschen   gar 21 6b0 Stimmen mehr aufbrachte». ist die Stimmenzahl der Sozialdemokratie um 1SS0 zurück- gegangen. In der ganzen Provinz Posen   wurden abgegeben 136 541 deutsche. 193 741 polnische und nur 6491 sozialdemokratische Stimmen. Der Rückgang der sozialdemokratischen Stimmen rst zunächst durch die genügend erörterten und bekannten Umstände zu erklären, die bei den Wahlen auch in anderen Gegenden des Reiches ein Zurückgehen der sozialdemokratischen Stimmenzahlen bewirkimsi Tann   aber fällt hier besonders ins Gewicht die maßlose Ver- schärfung der nationalen Gegensätze in der letzten Zeit. Der von der hakatistlschen preußischen Regierung geführte Kulturkampf «rgeg t>m polnischen Religionsuntorricht. der den in der Geschichte' aller zivilisierten Völker einzig dastehenden Schulstreik der polnischen Volksschüler zur Folge hatte, und der in seiner ganzen Schärfe naturgemäß gerade die Volks schule und damit das polnische Volk traf, hemmte die proletarische Aufklärungsarbeit ungemein. Gegen die Unterdrückungs- und zwangsweise Germanisationspolitik der Regierung glaubten die Polen   am wirksamsten zu protestieren, indem sie einen polnischen Stimmzettel abgaben. Was von ihrem Standpunkte aus schließlich auch zu begreifen ist, obwohl die Rechte des polnischen Volkes bei der Sozialdemokratie mindestens zehnmal besser aufgehoben sind als bei den erwählten Vertretern des polnischen Volkes, den polnischen Grafen, Pröpsten, Advokaten und Schlachtzitzen. Die Zunahme der polnischen Stimmen ist also die Antwort auf die brutalen Verfolgungen der Polen  . Dagegen erklärt sich der deutsche Stimmenzuwachs daraus, daß den Hakatisten der ge- samte Regierungsapparat zur Verfügung stand, der denn auch in der skrupellosesten Weise ausgenutzt wurde. Die hakatistische Presse heult vor Freude über dieFolgen der jahrelangen Werbearbeit für den nationalen Hochgedankcn"(l), demNutzen der staatlichen Besiedclungspolitik" usw.. während doch ein jeder weiß, daß die 21 000 Stimmen, die das Deutschtum in der ganzen Provinz ge- Wonnen hat, nur dem unerhörtesten Terrorismus der diversen Be° Hörden  , der schmutzigsten Wahlpraktiken der Hakatisten und dem Zusammenwerfen der sämtlichen deutschen   Parteien zu einem urteilslosen Haufen zuzuschreiben sind. Die deutsche Presse hat zwar auch gegen die Polen   mit schäbigen Mitteln gekämpft, die polnische Presse blieb der deutschen   ebenfalls nichts schuldig; beide aber, die deutsche sowohl wie die polnische, überboten sich gegen- seitig in der gemeinsten Beschimpfung und Besudelung der Sozial- demokratie. In dieser Presse und in ungezählten Versammlungen ist die Sozialdemokratie von beiden Parteien in der widerlichsten Weise durch den Schmutz geschleift worden. Unsere Genossen konnten sich nicht wehren, sie besitzen in der ganzen Pro- vinz keine Presse, kein Versammlungslokal. Versuchten sie einmal in einer bürgerlichen Versammlung sich zu verteidigen, wurden sie kurzerhand an die Luft gesetzt. Wenn trotz alledem in dieser dunkelsten Ecke Teutschlands noch 6491 Anhänger unserer Partei gemustert werden konnten, so können wir damit wohl zufrieden sein. Einmal wird auch das polnische Proletariat einsehen, daß seine berufene Vertreterin einzig und allein die Sozialdemokratie ist. Die Stichwahlergebnisse in Hesscn-Nissa». AuS Frankfurt   a. M. schreibt man uns: Die Stichwahlen in Hessen-Nassau   brachten für die sozial- demokratische Partei prächtige Erfolge, aber auch eine schmerzliche Niederlage. Frankfurt   a. M., das seit 1884 wo Leopold Sonnemann   durchfiel durch die Sozialdemokratie im Reichstage vertreten wurde, hat dem Ansturm der vereinigten bürgerlichen Parteien nicht stand gehalten: Der Kandidat der kompakten rcaktio- nären Masse, der demokratische Landtagsabgeordnete Oeser wurde init fast 3000 Stimmen Mehrheit gewählt. Das ist der bittere Wermutstropfen bei den Wahlergebnissen in Hessen-Nassau  . Die Resultate von den anderen Kreisen haben zum Teil freudig überrascht: Wiesbadcn-Rüdesheim, Hanau   und Höchst  -Usingen  zurückerobert! Den schönsten und unerwartetsten Erfolg hat der Wahlkreis Wiesbaden   zu verzeichnen. Unseren Kandidaten, Genossen Gustav Lehmann  , Landtagsabgcordncter in Mannheim  , der am 25. Januar 12 666 Stimmen erhielt, standen 11 093 national- liberale Stimmen gegenüber. Den Ausschlag gaben: Das Zentrum mit 3919 und die Freisinnigen mit 7635 Stinimen. Letztere votierten für den Nationalliberalcn, während das Zentrum trotz der Parol» Wahlenthaltung wohl zur Hälfte für den Genossen Lehmann eintrat. Hierdurch und durch Aufbringung einer starken Reserve gelang es, das Mandat zu erobern. Genosse Lehmann siegte mit 19 488 gegen 18 131, die auf den Kandidaten desrollen- den Rubels", Kommcrzienrat Bartling, entfielen. So wird nun die internationale Kur- und Badestadt Wiesbaden   durch einen Sozialdemokraten im Reichstage vertreten. Den Wahlkreis Wicsbaden-Land(Höchst  -Usingen  ), den Genosse B r ü h n e in der Legislaturperiode 1893 1898 vertrat, babcn wir dem Zentrum wieder abgenommen. Genosse Brühne siegte mit 3211 Stimmen Majorität, die für ihn abgegebenen Stimmen stiegen von 16 978 auf 18 355; der Zentrumskandidat Jtschert erhielt 15 144 Stimmen. Der größte Teil der National- liberalen trat für das Zentrum ein; eine größere Zahl Frei- sinniger stimmten für Brühne, die übrigen enthielten sich der Ab- stimmung. Den Wahlkreis Hanau  -Geln Hausen haben wir eben- falls zurückerobert. Genosse Hoch siegte mit 1118 Stimmen Mehrheit. Auf ihn entfielen 19 999, auf den Nationallibcralen Lukas 18 880 Stimmen. Die Situation war hier ebenso wie im Wahlkreise Wiesbaden  : Die Freisinnigen stimmten für die National- liberalen, das Zentrum teilioeise für die Sozialdemokratie. Um Frankfurt   a. M. bildet sich nun ein roter Ring. Diese Wahlkreise kann man allerdings noch nicht zu dem sicheren Besitz- stand der Sozialdemokratie zählen. Daß wir Frankfurt   a. M. verloren, ist wohl dem Umstand zuzuschreiben, daß Tausende von Bauarbeitern im Winter zu Hause auf dem Lande wohnen und dort wählten; hauptsächlich aber dem skrupellosen Treiben der ver- einten bürgerlichen Parteien. Mit welch erbärmlichen Mitteln kämpften dieFreisinnsdemokraten" noch am Stichwahltage: Einem Wähler bot ein demokratischer Wahlhelfer 10 Mk., wenn er Oeser wähle. Für OrtSabwesende und Verstorbene wurde nachweisbar öfter von den Demokraten gewählt. Auck die staatlichen und städtischen Behörden stellten sich in den Dienst der Börsendemokratie. Kurz vor Wahlschluß erschienen in sämtlichen Wahlbezirken- S ch u tz l e u t e und Polizei- k o m m i s s a r e mit einer Order des Polizeiprasi- deuten, wonach alle abgegebenen Stimmzettel, welche ähnlich wie O e s e r lauten es sollen Stimmzettel auf den Namen Oser abgegeben worden sein für den Landtagsabgeordneten O e s e r g ü l t i g s e i e n. Auf Grund dieser Verfügung wollte ein Wahl- Vorsteher Stimmzettel, auf welchen der Name Oeser durch- strichen war, für gültig erklären! Antisemiten, Mittelständlcr und Zentrum stimmten geschlossen für den Vertreter des jüdischen Großkapitals. Aus eigener Kraft erhielten wir noch rund 2000 Stimmen mehr als bei der Hauptwahl. Auf den Genossen Dr. Ouarck entfielen 30774, auf den Mischmaschkandidat Oeser 33 640 Stimmen. Haben wir auch eine Niederlage erlitten, so ist doch diese ehrenvoll. Wenn nun dieFrankfurter Zeitung  " das Ergebnis als Sieg der Demo- kratie feiert, so macht sie sich der Vorspiegelung falscher Tatsachen schuldig. Nicht der Demokrat Oeser hat gesiegt. Nein, gesiegt hat der Kandidat der Regierung, der Soldateska und Krieger- vereine, des Junkertums und der Geldaristokratie, der konser  - vatlven Evangelischen und der antisemitschen Mittelständler: der cinenreaktionärenMasse. AuS dem Regierungsbezirk Kassel   wird uns noch geschrieben: Wie im allgemeinen im Reiche, so find auch unsere Erwartungen nur zum kleinen Teile m Erfüllung gegangen. Es gelang nicht. den Besitzstand der Anttsemiten in unserer Provinz zu vcrnngern. Einmal, weil der famos zu diesen politischen Strauchrittern passende Reichslügenverband in den Kreisen des Bezirkes einen VerlenmdungS- feldzng gegen unsere Partei in Szene setzte, wie er kaum dagewesen sein dürfte, zum anderen, weil der Liberalismus mitsamt den Frei- sinnigen zu mindest bei den Stichwahlen der schwärzesten Reaktion Helfersdienste leistete. Wenn neben der Zurückgewinnung des Hanauer   Mandate? m der Stichwahl unsere Stimmen in der Hauptwahl gegen die vorige Wahl in allen Kreisen des Bezirkes Kassel   um 8112 von 43 786 auf 51 898, gleich 18,52 Prozent ge- steigert worden sind, so ist da? unter den gegebenen Verhältnissen immerhin ein Achiungscrfolg. Die Hauptwahleu fanden auch bei uns unter nie dagewesener Beteiligung statt. Sie brachten nur in den Kreisen Fritzlar  » Homberg-Zieaenhain und Fulda  -GerSfeld   die Ent- schcidung. Im ersten wurde der Antisemitcnhäuptliiig Liebermann von Soniienberg, im anderen Kreise Müller vom Zentrum gewählt. Infolge der ungeheueren Wahlbeteiligung im Kreise Kassel  - Melsungen  , den wir für unseren Besitzstand reif hielten, wurde unsere Partei, wie schon seit langen Jahren, in die Stichwahl ge- drängt und um das Mandat geprellt. In der Hauptwahl brachte es Genosse Hüttinann ans 17 075 Stimmen, in der Stichwahl mußte er mit 18 050 Stimmen dem Antisemiten Lattmann unterliegen, der 21 500 Stimmen erhielt. Für den Reaktionär stimniten in der Stichwahl sämtliche Gegner, von den Nationalliberalen an- gefangen bis zu den Rechtsparteilern, die angeblich_ den Kamps für Wahrheit und Recht führen. Was der ReichSlügen- verband an Arbeit zur Verhetzung der Wähler geleistet hat, spottet jeder Beschreibung. Tag für Tag überschwemmte diese edle Kumpanei um Liebert die Wählerschaft mit Sudelschristen ge- meinsten Kalibers. Am Wahltage besorgten die Schüler ganzer Klassen des Gymnasiums unter Fuhrung ihrer Lehrer den Schlepper- dienst. DaS Abreißen der Emf'fehlungsplokate für unseren Kandidaten an den Litfaßsäulen ließen sich sogar Professoren angelegen sein. Wer sollte diese staatöretterische Arbeit der Schulbuben auch über- nehmen, wenn die Penäler den Dienst der Erwachsenen nicht be- sorgen?I Den gleichen Ausgang nahm die Wahl in Eschwege  - Witzen- Hausen-Schmalkalden  . Unsere Stimmen stiegen seit der Nachwahl im Jahre 1004 um rund 1500 auf 7264. Im Stichivahl- kämpft: gelang, die Stimmen ans 8000 Stimmen zu steigern, doch mußten wir unterliegen, weil die Liberalen fast geschlossen dem Porzellanagrarier Raab zum Mandat verhalsen. Weitere Antisemiten wurden gewählt in Rinteln-Hof- g e i s m a r(bisheriger Abg. Herzog  ), Hersfeld- Rotenburg  (bisheriger Abg. Wenier) und Marburg  - Kirchhain  . Was wir vom letzteren Kreise vorausgesagt hatten, ist eingetroffen: der Nationalsoziale von Gerlach ist dem Antisemiten Dr. Böhme unterlegen. Das gleiche Schicksal wäre beinahe dem Freisinnigen Dr. Potthoff in Waldeck-Pyrmont   geworden, der sich mit dem deutsch  - sozialen Junker v. Richthofen   in der Stichwahl messen mutzte. Wären die sozialdemolratischen Stiminen nicht ausnahmslos dem Freisinnigen zugeführt worden, trauerten Naumann und Gothein jetzt um einen der ihren. Die Agitation der Antisemiten in diesem Kreise überstieg alles bisher Erlebte. Der Reichsverband bekämpfte den Mann der Freisinnigen genau so mit Lüge und_ Ver­leumdung, wie anderswo Sozialdemokraten. Als der national- liberale Kandidat Dr. Böttcher die ParoleFür den Anti- semiten Richthofen, gegen den Liberalen Potthoff" ausgab, stand die Entscheidung auf des Messers Schneide. In zwölfter Stunde heckten die Antisemiten in ihrem Kasseler Wahlbureau, dem Lieber- mann von Sonnenberg   vorstand, einen Schurkenstreich gemeinster Art aus: Sie ließen Stimmzettel drucken mit dem Namen unseres ausgefallenen Kandidaten Müller und gedachten durch die Ver- breitung dieser Zettel ihre Position zu stärlen. Nun hatten die Liebcrmänner aber ihre Rechnung ohne die sozialdemo- kratische Parteileitung gemacht, die noch rechtzeitig Wind von dem Gaunertrick der Antisemileriche bekam und eine Warnung vor den falschen Stimmzetteln erlassen konnte. Wenn der Kampf der Sozialdemokratie gegen den reaktionären Antisemitismus ohne Erfolg blieb, sind in erster Linie die Liberalen. diese unsicheren Kantonisten allüberall, dafür verantwortlich zu machen. Humor aus ernster Zeit! EinAmtsblatt" für Albin Gerisch! Daß bei der diesmaligen Hottentotten-Reichstagswahl ein Amtsblatts für die Wahl eines Sozialdemokraten eintritt, dürfte zu den größten Seltenheiten ge- hören: Genossen Gerisch ist diese Wahlhülfe am letzten Abend vor der Stichwahl zu teil geworden, also leider so spät, daß sie nicht mehr genügend wirken konnte. Der gute Wille des Wochen- blatts für Schöneck und Umgegend"(Amtsblatt) muß indes aner- kannt werden, auch der Mut, der besonders diesmal dazu gehörte, für einen Sozi einzutreten. In der Nr. 16 des oben genannten Blattes, datiert vom 5. Februar, lesen wir hart unter den amt- lichen Bekanntmachungen wörtlich: Schöncck, den 4. Februar 1907. Morgen den 5. Februar, findet Stichwahl statt. In 7 Wahl- kreisen ist der Ansturm der vatcrlandslosen Sozialdemokratie im ersten Treffen siegreich zurückgeschlagen worden und mit Be- wunderung blickt fast die ganze Welt auf die glänzende Be- wunderung(ziel) echter Vaterlandsliebe, welche von der natio- nalen Wählerschaft deS vielgelästertenroten Königreichs" an jenem Tage bewiesen worden ist. Mit stolzerfüllter Brust ge- lobe nun aber auch jedermann, mit allen Kräften morgen mit- zuhelfen, das vaterländische Werk zu vollenden nicht nur durch persönliches Eintreten für den Gegner, sondern auch durch er- ncute frühzeitige Ermahnung aller Saumselige» und Vergeß- lichen, ihre heilige nationale Pflicht zu erfüllen. Jeder trägt mit bei, den nationalen Sieg zu sichern. Gleich uns wird das Amtsblatt für Schöneck jetzt bedauern, daß daspersönliche Eintreten für den Gegner" leider nicht in dem Maße geschehen ist, daß es zur Wahl des Genossen Gerisch führte. Hoffentlich kommt das seltene Amtsblatt das nächste Mal mit seinerglänzenden Bewunderung" fürden Gegner" früher. Coupeschrecken! Eine heitere Episode spielte sich«m Sonn- abend vor der Stichwahl in einem Eisenbahnconpe dritter Klaffe des Schnellzuges, der um 5 Ilhr 2 Minuten nachmittags Zwickau  verlätzt, zwischen dieser Station und Chemnitz   ab. Das Coupe war dicht besetzt und ein Bayer, der nach Dresden   wollte, brachte das Gespräch auf die ReichstagSwahl. Da die Passagiere dieses Abteils alle augenscheinlich demhonetten" Bürgertum angehörten, sogar einen königlichen Oberförster in ihrer Mttte hatten, war es natürlich, daß nach Herzenslust auf die Sozialdemokratie geschimpft wurde. Besonders tat sich dabei ein Mitte der dreißiger Jahre stehender Chemnitzer   Geschäftsmann hervor, der in seinem Sieges- taumel seiner Freude besonders darüber Ausdruck gab, daß der ruppigste Kerl aus dem Reichstage entfernt sei, da oer 22. säch- fische Wahlkreis den berüchtigten Zehn Gebote-Hoffmann durch- fallen ließ." Als sich nun gar einer der Mitreisenden nach diesem Kerl" näher erkundigte zog der gesprächige Herr ein Regffter über denSchweinekerl" auf, das ihm mit Fug und Siecht die Ehren­mitgliedschaft im Reichslügenverband sichern muß. Das umfang- reichste Schimpfwörtcrlexikon hätte durch ihn noch eine ansehnliche Bereicherung erfahren können. Der Zug näherte sich Chemnitz  , der wißbegierige Mitreisende zog seinen Ueberzieher an und der Lügenheld tat desgleichen. Da klopfte der elftere dem anderen jovial auf die Schulter und sagte:Alter Freund, wenn Sic mal wieder so unverschämt lügen, daß sich die Balken biegen, dann überzeugen Sie sich im eigenen Interesse gefälligst erst, ob der Betreffende, den Sie so gemein verleumden, sich nicht«m Coupe befindet, sonst könnten Sie einmal recht unangenehm anlaufen. Erlaube mir, mich Ihnen vorzustellen: Adolf Hoffmann  , der ruppigste Kerl"", derZehngebote-Hofsmann". von dem S,e eben so schöne Spukgeschichten erzählt haben." Man kann sich das Bild vorstellen, das diese Worte erzeugten. Der Bayer lachte aus vollem Halse, der Oberförster machte ein Gesicht wie sein Dackel, wenn er eine Bratwurst erwischt hat, und die übrigen betrachteten die Szene interessiert, aber mit sehr ge- mischten"Gefühlen. Der Räuberpistolenerzähler aber war leichen- blaß geworden, stotterte ewas vonVerzeihung" und fügte dann hinzu, er habe ja nicht gewußt, daß Herr Hoffmann sich im Coupe befände, eine Bemerkung, die ihm ein allgemeines schallendes Ge- lächter und von Hoffmann die Antwort eintrug:Das glaube ich Ihnen aufs Wort; das sind aber auch die einzigen wahren Worte. die Sie heute hier gesprochen haben!" Wieder bat der Manv KL»