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St. 100. 34. Iahrgallg. L Keilsze to Jmnrtf freite lolMlaft Ditüstag, 30. April 1907. Reichstag. 41. S i tz u n g vom Montag, den 29. April 1907, nachmittags 1 Uhr. Am Bundesratstische: Frhr. v. Stengel, Kraetke. Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Beratung eines Entwurfes betreffend Aenderungen des Reichsbeamtengesetzes in Verbindung mit den Entwürfen eines Beamten- und Mlitärhinter- bliebenengesetzes. Reichsschatzsekretär Frhr. v. Stengel: Wie mir mitgeteilt ist, besteht die Absicht im hohen Hause, bei der ersten Beratung dieser drei Gesetze sich möglichst kurz zu fassen. Ich werde dies auch meinerseits tun. Es handelt sich bei diesen Gesetzen um eine inaterielle Besserstellung der pensionierten Beamten und der Hinterbliebenen der Beamten. Nach der Besserstellung der Militärbeamten ist dies ein Gebot der Gerechtigkeit, und diese Rücksicht gebietet, über die schweren Bedenken hinwegzusehen, die aus der finanziellen Lage des Reiches sich ergeben. Die verbündeten Regierungen sind wegen dieser Bedenken bis an die äußerste Grenze dessen gegangen. was im Interesse der Steuerzahler noch als möglich erscheint. Drei Hauptpunkte greife ich als die wesentlichsten Verbesserungen durch die neuen Gesetze heraus: Die Erhöhung der AnfangSpensioncn von 15/m auf«Veo des Gehalts, die allgemeine Erhöhung der Mindestwitwen- Pension von 216 auf 300 M. und endlich die allgemeine Einführung des Gnadenquartals. Wir hoffen, daß die Vorlagen allseitig eine wohlwollende Beurteilung im Hause finden werden.(Bravo  !) Graf Hompesch<Z.) beantragt Ueberweisung der Vorlagen an eine Kommission von 21 Mitgliedern. Abg. Siebenbürger  (t.) und die Vertreter der übrigen Parteien erklären sich mit diesem Vorschlage einverstanden, desgleichen Abg. Dr. Südekum(Soz.) für die Sozialdemokratie. Das Haus beschließt demgemäß. Hierauf wird die zweite Beratung des P o st e t a t S fortgesetzt. Abg. Beck-Heidelberg(natl.): Wir sind für die Ausdehnung der Sonntagsruhe und des Erholungsurlaubs der Beamten. Auch die Gehälter der Beamten müssen aufgebessert, eine Neuordnung der Vor- bereilung zum höheren Dienst und eine Neuordnung der Wohnungsgeld- Zuschüsse muß vorgenommen werden. In der Bildung von Beamten  - verbänden kann eine Gefahr siegen; doch wird sie am besten durch das Ver- trauen der Verantwortung zu den Verbänden beseitigt. In dieser Beziehung ist wohl nicht immer richtig verfahren worden, mau hat den Verbänden unnötigerweise Schwierigkeiten gemacht. In keiner Weise wollen wir das Petitionsrecht der Beamten einschränken lassen; der Beamte hat auch das Recht, mit den einzelnen Abgeordneten in Verbindung zu treten. Dadurch wird die Disziplin nicht geschädigt, die auch wir aufrechterhalten wollen.(Sehr richtig I bei den National- liberalen.) Abg. Singer(Soz.): Es scheint, daß unter den vielen Lobsprüchen, die wir bisher ge- hört haben, die Mängel, die in der Reichspostverwaltung doch auch vorhanden sind, erstickt werden sollen. Ich werde mich mehr mit den K l a g e n zu beschäftigen haben, die auch in diesem Jahre be- dauerlicherweise nicht vermieden werden können; das Gute lobt sich schon von selbst. Daß unsere PostVerwaltung auch gute Leistungen aufweist, liegt so in der Natur der Sache, daß man es wirklich nicht notwendig hat, diese Verdienste mit goldenen Lettern in die Annale« der Geschichte einzutragen.(Heiterkeit,) Zunächst mutz ich nicht zu meiner Freude konstatieren, daß wir mit unseren Voraus- sagungen über die Wirkung der Erhöhung des Ortsportos für Karten und Druck- fachen durchaus recht gehabt haben. Diese sogenannte Reform hat in der Tat ein völliges Fiasko erlitten. Es wird dein Herrn Staatssekretär schwer fallen, einen Beweis für die Richtigkeit seiner im vorigen Jahre geäußerten Anschauungen zu erbringen. Möge er aus diesem Fiasko lernen, daß die Leute, die im praktischen Leben stehen, doch ein Urteil über die Dinge haben. Es gehörte wirklich keine besondere Klugheit dazu, um vorauszusagen, daß diese rigorose Maßnahme zum Schaden des Publikums und zum Schaden der Postverwaltung selbst au§- schlagen mutzte.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Ich wünschte, die Herren ließen sich an dieser einen Lehre genug sein und be- herzigten den Grundsatz, daß ein für das Publikum vorteilhafter Tarif auch ertragreich für die Post selbst sein wird. Dazu kommt, daß das Vertrauen, das man bisher zur Reichspostverwaltung ge- habt hat, bei dieser Gelegenheit erschüttert worden ist. Bei der Aufhebung der Privatposten ist seitens der Reichspostverwaltung die Zusicherung gegeben worden, daß das Publikum davon keinen Schaden haben würde.(Sehr richtig l bei den Sozial- demokraten.) Wenn wir damals der Postverwaltung ge- glaubt haben, so werden wir sicher in diesen Fehler nicht noch einmal verfallen. Damit, daß die Reichspostverwaltung mit der Erhöhung des OrtsportoS dem Wunsche der Mehrheit des Reichs- taaeS so bereitwillig nachkam, hat sie gegen Treu und Glauben ver- stoßen.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Ich sehe keinen Grund, weshalb man nicht diese Matzregel wieder aufheben will. Ein Fehler braucht doch nicht, wenn man ihn als solchen erkannt hat, in alle Ewigkeit weiter gemacht zu werden. Die Behauptung eines Redners der Rechten, daß die Erhöhung des Ortsportos als Kompensation für die Privilegien der großen Städte sehr an- gebracht sei, zeugt von einer rückständigen Anschauung, wie sie nur von einem in der Wolle gefärbten Agrarier ausgesprochen werden kann.(Sehr richtig l bei den Sozialdemokraten.) Der Herr Staatssekretär wird den Herren bestätigen, daß die Post- Verwaltung ihre Ueberschüsse gerade von den großen Städten und den Industriezentren herleitet. Herr v. Gamp hat sogar dafür plädiert, daß die Telegraphengebühren für die Städte erhöht werden. Das ist nur ew Glied in der Kette Ihrer Maßnahmen zur Schädi- gung von Handel. Verkehr und Industrie.(Sehr richttg l links.) Ich wende mich nun zu den Resolutionen. Die Resolution des Zentrums über die Paketauflieferungen usw. entspricht durchaus unseren Anschauungen. Wir haben seit Jahren schon auf die Unzulänglichkeiten hingewiesen, die durch einen späten Schalterschluß namentlich für die Diener und Angestellten entstehen, die dann im letzten Augenblick die Pakete zur Post befördern müssen, wodurch sich ihre Arbeitszeit über die gewöhnliche Dauer verlängert. Die Resolution in bezug auf die Ostmarkenzulagen lehnen wir dagegen ab. Wir find nach wie vor der Meinung, daß diese Ost- kenzulagen gemißbraucht werden zu polittschen Zwecken(Sehr richttg l''bei''den Sozialdemokraten), daß die Beamten dadurch geneigt gemacht werden sollen, der politischen Mißhandlung der pomischen Mitbürger seitens der Regierung Vorschub zu leisten.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ich will bei der Geschäftslage des Hauses nicht auf alle bereits früher ausführlich erörterten Gründe gegen die Ostmarkenzulagen erneut eingehen. Charakteristisch ist, daß, während der Herr Staatssekretär daraus verzichtet hat. in dem gegen­wärtigen Etat diese Forderung der Ostmarkenzulagen aufzustellen, sie ihm jetzt als Wirkung der konservativ- liberalen Paarung auf dem Präsentierteller entgegengebracht wird. Die Resolution Pachnicke, die die Zulagen unwiderruflich machen will, ist ja eine Ver- besserung, aber auch ihr können wir nicht zustimmen. Interessant ist, daß, wie mir mitgeteilt ist, die Regierung die Einführung der Unwider« ruflichkeit ablehnt. Dadurch beweist sie, daß es ihr wesentlich darauf ankommt, mit diesen Zulagen ein Mittel in der Hand zu haben, um die Beamten zu korrumpieren und sie zu ihrem politischen Werkzeug zu machen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Der Resolution Ablaß  , welche die iVffache Anrechnung des Nachtdienstes und SonntagdiensteS verlangt, stimmen wir zu; der anderen Resolution, die eine Aenderung der Personalordnung für die mittlere Beamtenlaufbahn wünscht, nur unter der Voraussetzung, daß die gehobenen Stellen beseitigt werden. Mit diesem System, das in allen Teilen der Beamtenschaft nur Unzufriedenheit erregt, mutz so schnell wie möglich aufgeräumt werden. (Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Wenn eine andere Organisation möglich ist, durch welche die qualifizierteren Dienste in den Kreisen der Unterbeamten durch höhere Gehälter be- lohnt werden, ohne daß einzelne Beamten durch einzelne Vorgesetzte willkürlich herausgegriffen werden, dann kann man sie ja versuchen. Jedenfalls liegen in einer solchen Organisation große Schwierig- leiten, die sehr eingehend erwogen werden müßten. Also in diesem Sinne stimmen wir der Resolution Ablaß zu. Was die Resolution der Budgetkommission anlangt, die bis zur dritten Lesung vom Reichskanzler die Zustimmung zu verschiedenen Gehaltserhöhungen verlangt, so glaube ich kaum, daß irgend ein Mitglied dieses Hauses die Illusion haben wird, daß der Reichs- kanzler einen solchen Ergänzungsctat zusagen wird, und ich glaube ebensowenig, daß, wenn diese Erklärung ausbleibt, das Haus die betreffenden Summen in den Etat einsetzen wird. Es ist ja ein sehr bequemer Weg gesunden, dies alles auf die nächstjährige Gehaltsregulicrung zu verschieben. Ist doch noch nicht einmal der von der Regierung zugesagte Ergänzungsetat bezüglich der Teuerungszulagen der Beamten eingegangen. Mit kolonialen Ergänzungsetats hat man es weit elliger. Wer weiß, ob wir diesen Etat für die Teuerungszulagen noch vor Pfingsten bekommen werden. Ich wende mich nun zu einigen anderen Erörterungen. Die Klagen über zu häufigen Nachtdienst verstummen immer noch nicht, wenn auch einige Verfügungen nach dieser Richtung erlassen wurden. So wird nauientlich aus Dresden  über langen Nachtdienst geklagt, ebenso wird mir aus Leipzig   mit- geteilt, daß dort sehr langer Nachtdienst verlangt wird: es wird Dienst von 6 Uhr abends bis 8 Uhr morgens verlangt, nachdem vorher schon erheblicher Abenddienst geleistet ist! Auch in Berlin   wird über langen Nachtdienst geklagt, wobei noch hinzu- kommt, daß irgend welche Vergütung für die besonderen Ausgaben, die durch den Nachtdienst naturgemäß entstehen, nicht gewährt wird. Als Ursache der Ueberanstrengung geben die Beamten an, es seien zu wenig Beamte vorhanden. Bei ihrer anstrengenden Tätigkeit müßten die Beamten nicht nur eine Erholung zwischen ihren ein- zelnen Dienstzeiten haben, sondern es müßten ihnen vollständig freie Diensttage zur Verfügung gestellt werde». Dann liegt eine ganz besondere Klage aus Karlsruhe   vor. Auf den Wunsch �dcs Reichstages ist eine Einschränkung des Geld- austragcns am Sonntag erfolgt. Ter Reichstag hat dieses ge- wünscht, um den Geldbriefträgcrn eine bessere Sonntagsruhe zu gewähren. Aber den Beamten gewährt diese Reform keine Er- leichterung; denn sie werden jetzt am Sonntag zu anderen Be- schäftigungen verwendet!(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Das war die Meinung des Reichstages nicht; dann hätte es sich nicht gelohnt, daß der Reichstag die Anstrengung gemacht hat, um diese Reform zu erlangen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Dabei herrscht in Karlsruhe   eine tägliche Dienstzeit von 11 Stunden. Auch über die Berhängung von Geldstrafen seitens der Vor- gesetzten wird vielfach geklagt. Der Herr Staatssekretär würde gut daran tun, eine Verfügung zu erlassen, durch die den Vor- gesetzten zum Bewußtsein gebracht wird, daß Geldstrafen bei den schlechtbezahlten unteren Beamten nur in äußersten Fällen und mit größter Borsicht zu verhängen sind. Klagen über lange Dienstzeit sind mir auch aus Hamburg   und Bergedorf   mitgeteilt. Bon 5 Uhr morgens bis 19 Uhr abends wird dort Dienst geleistet. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Zu ganz besonderen Klagen gibt ferner die lange Wartezeit Veranlassung. Es gibt Briefträger, die erst nach 18jähriger Dienstzeit fest angestellt werden!(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich wende mich nun zu den Gehalts- und Lohnfragen. Meine Meirnmg über die gehobenen Stellen habe ich schon früher zum Ausdruck gebracht. Tos eine muß ich doch hervorheben: Daß die gehobenen Unterbeamten in diesem Jahre eine Zuwendung von 200 Vi. erhalten, wäh-rcud die anderen leer ausgehen, muß von diesen leer ausgehenden Unterbeamten doch geradezu als ein Hohn empfunden werden.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wem: die Postvcnvaltung eine Regelung der Gehälter erst im nächsten Jahre eintreten lassen will, so ist nicht abzusehen, warum gerade die bereits bessergestellten, gehobenen Beamten jetzt schon 200 M. erhalten sollen. Joder Untcrbeamte wird diese Behandlung mit Recht als eine große Uicgercchtlgkeit empfinden. Wenn die Zu- läge gewährt wird, müßte sie allen in g l e i ch e r W e i s e zu- kommen. Ganz besonders notwendig ist auch eine Erhöhung der Tagegelder für die Postboten; sie muß bereits in diesem Etat vor­genommen werden, und zwar mindesteirs bis auf 3 M. In Berlin  ist es geradezu unmöglich, mit 2,50 M. die Lebensbedürfnisse zu bestreiten. Durch die Festsetzung des ortsüblichen Tagelohnes aus 2,90 M. ist dies für gewöhnliche Arbeiter auch anerkannt. Auch die Post- und Telegraphcnarbeiter beziehen nur einen Lohn von 2,50 M. täglich nach% Jahr steigen sie auf 3 M., nach 2 Jahren auf 3,25 M.. nach 3 Jahren auf 3,50 M.; in der Privatindustrie werden Löhne von 2,50 und 3 M. für solche Arbeiter nicht bezahlt. Die Privatindustrie sollte sich der Herr Staatssekretär hier zum Beispill nehmen. Noch schlimnier ist die Art und Weise, wie die Leute ab- gespefft werden, wenn sie nach auswärts göhen müssen. Sie be- kommen dann pro Tag nur eine Entschädigung von 75 Pf.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Der Herr Staatssekretär sollte es sich zur Aufgabe machen, dah unter 4 M. überhaupt kein Arbeiter in der Postverwaltung beschäftigt wird.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Auch die Telegrammboten müssen verlangen, daß in ihren Verhältnissen eine Verbesserung stattfindet. Diese jungen Leute erhalten 2 M. pro Tag, Dabei müssen sie die Kosten für ein ärztliches Attest vor ihrer Einstellung mit 5 M. selbst be­zahlen! Es sollte doch eine Verfügung erlassen werden, daß sie durch den Postvertraucnsarzt uniersucht werden, damit solch junger Mann nicht 5 M. zu bezahlen braucht, um dann eventuell zu erfahren, er könne überhaupt nicht genommen werden! Sehr schlecht behandelt werden auch die Briefmarkeiwerkäuferinnen. Diese Damen be- kommen einen täglichen Lohn von 2 M. und müssen etwaige Fehl» betröge decken, ohne daß ihnen irgend eine Mankoentschädigung be» willigt wird, während doch bei dem starken Verkehr ein Manko ohne jedes Verschulden sehr leicht entstehen kann. 6 7 Fahre bleiben diese Damen ohne jede Zulage. ES wäre sehr zu wünschen, daß auch diese Damen in den KrerS der sozialen Fürsorge, von der hier so viel gesprochen ttfirde, eingezogen würden.(Zustimmung bei den Sozialdrniokraten.) Im allgemeinen ist dann noch bei den Unterbeamten der Klage darüber Ausdruck gegeben, daß ihnen die Militärdienstzeit bei der Besoldung nicht in genügender Weise an» gerechnet wird. Die Poststatistik, die uns auch in diesem Jahre zugegangen ist. zeigt wie ich gerne anerkennen will gegen früher einige Ver- besserungen. Aber so glänzend, wie es hier von verschiedenen Seiten dargestellt ist, sind die Verhältnisse denn doch nicht. Noch immer haben 60 377 Personen, also 60,9 Proz. der Beamten, eine längere Dienstzeit als 9 Stunden. 24 Proz. haben eine längere Dienstzeit als 10 Stunden, überhaupt haben 72 Proz. der Beamten mehr als 60 wöchentliche Dicnstftundcn. Noch schlimmer ist eS mit der Sonntagsruhe: 36.7 Proz. der Beamten haben nur jeden dritten Sonntag, 15,1 Proz. gar nur jeden vierten Sonntag frei! Im Interesse der Beamten ist es dringend zu wünschen. daß die Sonntagsruhe besser durchgeführt wird.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ebenso sind die Verhältnisse beim Er- KoltUlgSüllaub als NlWgeMt zu h.czciMen. Leo des Mt ctats, mäßig angestellten Beamten haben nur 65 Proz. Urlaub, und zwar nur einen ganz kurzen. Erst nach fünf Jahren bekommt der Be- amte zum ersten Male Urlaub. Ich kann mir wohl denken, daß man bei längerer Dienstzeit auch einen längeren Urlaub gewährt, aber die Leute fünf Jahre warten zu lassen, ehe sie überhaupt Urlaub bekommen, das scheint mir falsch und außerordentlich hart. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ich halte es für richtig. daß jeder Urlaub erhält, der ein Jahr im Dienst ist.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Die Löhne der weiblichen An­gestellten sind derartig, daß kaum 20 Pf. auf die Stunde ent- fallen. Wenn in der Statistik steht, daß es sich hier zum großen Teil um Töchter von Unterbeamten und mittleren Beamten handelt, die bei ihren Eltern leben, oder um Töchter verstorbener oder pensionierter Beamten, die zum Teil Pension beziehen, so sollte sich der Staatssekretär doch vergegenwärtigen, ob es an- gemessen und würdig ist, aus den wirtschaftlichen Verhältnissen dieser Beamtinnen Vorteil für die Staatskasse zu ziehen. Die Postverwaltung muß die Leute ihrer Dienstleistung entsprechend bezahlen, gleichgültig, ob sie noch andere Einnahmequellen haben. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Auch bei den Telcgraphenarbeitern haben 6832 noch eine Ar- beitszeit von 9 10 Stunden. 5186 eine solche von 10 11 Stunden, und als Stundenlohn kommt für diese Leute 34 Pf. heraus. DqS ist eine Entlohnung, wie sie in der Privatindustrie heute nicht mehr anzutreffen ist. Der Staatssekretär sollte dafür sorgen, daß diese Leute endlich einmal einen Lohn erhalten, mit dem sie einigermaßen leben können.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Sonstige Personen im Arbeiterverhältnis bei Verkchrsanstaltcn bezichen bei 9- und lOstündiger Arbeitszeit 2,39 M.(Rufe rechts: Noch mehr?) Wenn ich alles Material vorbringen wollte, das wir haben, so könnte ich ganze Tage lang reden. Niemand wird zufriedener sein als wir, wenn uns diese Waffe aus der Hand geschlagen wird, wenn endlich erträglichere Löhne gezahlt werden. Vorläufig, bis das ge- schieht, haben wir die Pflicht, diese Dinge hier vorzubringen.(Leb- hafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Ich komme nun zu dem Druck, den die Postverwaltung auf die Gesinnung der Beamten ausübt. Die Illusion des Kollegen Hamecher, daß das Reichspostamt keine Ahnung von den politischen Beeinflussungen auf einzelnen Postämtern seitens einzelner Post- Vorsteher hat, kann ich nicht teilen. Diese Beamten sind vielmehr überzeugt, daß sie bei ihrem Borgehen der Zustimmung ihrer, vor- gesetzten Behörde sicher sind.(Lebhaftes Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Fest steht jedenfalls, daß in der Rcichspostver- waltung genau dieselben Mittel zur politischen Beeinflussung der Beamten angewandt werden wie in anderen Reichsämtern. DaS wird so lange geschehen, als innerhalb der Reichsregierung die Grundsätze gelten, wie sie bei den letzten Wahlen durch den Ver- treter dieser Regierung bekundet worden sind. Wenn der Reichs- kanzler selbst sich an die Spitze der Wahlbewegung stellt, warum soll der Staatssekretär des Reichspostamts ihm nicht auf diesem Wege folgen? Ich kann das Material über die politische Parteilichkeit der Postverwaltung noch um einen Fall vermehren: Die Postverwaltung hat die fahr verständige Gepflogenheit, bei allen Ausstellungen usw., wo große Menschenansammlungen zusammenkommen, ern Postbureau zur Erleichterung des Postverkehrs einzurichten. Das geschieht auch bei Kongressen, und es dürste hier natürlich keinerlei Unterschied in der politischen Richtung der Teilnehmer gemacht werden. Es >freut mich auch, konstatieren zu können, daß die Qberpostdircktion von Karlsruhe   bei Gelegenheit des letzten Parteitags unseren Wünschen in dieser Beziehung bereitwilligst entgegengekommen ist. Bezüglich des Falles, den ich vortragen will, wird es am besten sein, ich verlese die darüber gepflogene Korrespondenz: Zunächst erhielten die Mannheimer   Genoffen, die bemüht waren, für den Parteitag Vcrkehrscrleichterungen zu verschaffen, unter dem 23. August 1906 vom kaiserlichen Postamt 1 in Mannheim   folgendes Schreiben: Nach den bei den Postämtern in Bremen   und Jena   ein» gezogenen Erkundigungen waren während der in den genannten Orten abgehaltenen Parteitagen der deutschen   Sozialdemokratie besondere Post- und Telegrapheneinrichtungen nicht getroffen und auch nicht verlangt worden. Ein Bedürfnis, für den hier ab» zuhaltenden Parteitag solche vorzunehmen, kann daher nicht ohne weiteres anerkannt werden. Das Postamt ist jedoch im EnwerständniS mit dem kaiser­lichen Telegraphenamt nicht abgeneigt, bei der kaiserlichen Ober« Postdirektion in Karlsruhe  (Baden  ) die Genehmigung dazu zu erwirken. daß an denjenigen Tagen, an welchen die Hauptversammlungen stattfinden, während bestinnnter Tagesstunden Gelegenheit zum Ankauf von Postwertzeichen, zur Benutzung einer öffentlichen Fern» sprechstelle und zur Annahme von Telegrammen gegeben wird. Um darüber in weitere Erörterungen eintreten zu können, ist eS erwünscht, wenn Sie sich an einem der nächsten Tage zur Rück- spräche im Amtszimmer des Unterzeichneten einfinden. ES wird Ihnen anheim gegeben, sich vorher bei der Kanzlei(Anschluß- nummer 1576) über die Anwesenheit des Unterzeichneten zu ver­gewissern." Unter dem 5. September 1996 erhielten wir dann folgenden Brief: Anstelle der anliegenden Erklärung vom 4., die Einrichtung einer Telegramm-Annahmestelle usw. während des sozialdemo- krattschen Parteitages� in den Räumen des Apollo-TheaterS be- treffend, ist von der kaiserlichen Obcrpostdirektton in Karlsruhe  eine Erklärung in veränderter Form eingefordert worden, die im Entwurf beiliegt. Sie werden ersucht, die letztere zu unterzeichnen und umgehend hierher einzusenden." Also unter der Voraussetzung einer bestimmten Erklärung war die Oberpostdirektion Karlsruhe bereit, dem Ersuchen der Mann» heimer Parteigenossen entgegenzukommen. Diese Erklärung, durch welche die Genossen sich bereit erklärten. der Postkasse die durch die Einrichtung einer Post- und Telegraphen». betriebsstelle im Apollo-Theater vom 23. bis 29. September er» wachsenden persönlichen Betriebskosten zu erstatten, wurde dann auch unterschrieben. Nach diesem Schriftwechsel mußte man annehmen. daß alles in Ordnung sei. Wir waren natürlich im höchsten Maße erstaunt, als wir am 22. September, also einen Tag vor dem Parteitag folgendes Schreiben erhielten: In: Aufwage der kaiserlichen Oberpostbirektion in Karlsruhe  werden Sie dahin verständigt, daß zuständigen Orts ein Bedürfnis zur Einrichtung einer Telegrammannahmestelle mit Postwerlzcichcu- verkauf nicht anerkannt worden ist.(Hört! hört! bei den Sozial- demokraten.) Ein Briefkasten ist wunschgemäß im Apollotheater au» gebracht worden." Das Rätsel, wer wohl diezuständige Stelle' sei, ist ja nicht schwer zu lösen; eS ist zweifellos das Reichspostamt in Berlin   ge- Wesen, das der Oberpostdirektion in Karlsruhe   klar gemacht hat, man dürfe der Sozialdemokratie nicht durch Gewährung solcher Bequem- lichkeitcn entgegenkommen. Ist dos nicht in der Tat eine vorsint» flutliche Auffassung?(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Kann es. abgesehen davon, daß auf diese Weise nicht nur die Mitglieder des Parteitages, sondern ebenso die gesamten Vertreter der bürger» lichen Presse geschädigt wurden, ei» kleinlicheres, schikanöseres Vor- gehen geben als diese Radelstichpolitik, durch die man glaubt die stärkste politische Partei Deutschlands   zu schädigen? Der Reichspost- Verwaltung sollte doch so viel an ihrem Ruf liegen, daß sie sich durch ein so kindliche? Vorgehen nicht vor der ganzen Welt blamierte.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wie die Reichs­postverwaltung mit zweierlei Maß nnßt, dafür ist ein Beweis, daß die Katholikenversammlung im vorigen Jahre diese Einrichtung ge« habt hat.(Hört! hört!'bei den Sozialdemokraten.) Freilich, das war vor dem Dezember.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)