Ar. 210. 24. Jahrgang.1. KtillP Ks Jotmitls" Knlim WsblMSmiufflj, 8. Zqlwbtt 1907.Der fjoci)verrat$prozeß gegen denGenoffen Ciebknecßt.Ueker die Rede, die Genosse Karl Liebknecht in der Volks-Versammlung zu Stuttgart über das Thema„Klassen-j u st i i" hielt, hat die„Schwäbische Tagwacht" nachträglicheinen stenographischen Bericht gebracht. Wir entnehmen ihmdie folgenden Ausführungen des Redners über seinen Hoch-verratsprozeß, da bei dem Interesse und der Bedeutung, diedieser Aktion der Reichsjustiz zukommt, eine Ergänzungunserer kurz zusammenfassenden Wiedergabe in Nr. 201 an-gezeigt erscheint. Genosse Liebknecht führte also aus:„Ich kann in diesem Zusammenhang auch einige Mitteilungendon meinem Hochverratsprozeß machen. Sie wissen ja, daß ich einAuch geschrieben habe über Militarismus und Antimilitarismus,ein sehr vorsichtig abgefaßtes Buch. Ein Buch, von dem ich, wieich schon jetzt versichern kann, nicht ein Wort zurücknehmen werde(Lebhafter Beifall, Händeklatschen) und von dem ich schon heute denkünftigen Richtern des Reichsgerichts versichern darf, daß ihr Urteildenjenigen Erfolg in bezug auf meine antimilitaristische Tätigkeitnicht haben wird, welcher doch wohl der Hauptzweck der Kampagneist. Dieses Buch ist mit Beschlag belegt worden. Das ist nichtschlimm. Das kommt ja öfter vor, besonders bei uns. Ich wardarüber nicht sehr erstaunt. Gleich darauf bekomme ich auch denBesuch eines Beamten. Ich sagte dem Manne:„Guten Tag, na, Siewollen mich doch wohl mitnehmen."(Heiterkeit.) Ich war ganz er«staunt, daß er mich nicht mitnehmen wollte.(Heiterkeit.) Ja,Parteigenossen, ich bin auf alles gefaßt. Ich kenne unsere Justizdiel zu gut, als daß ich nicht auf alles gefaßt sein müßte.— Ichsoll Hochverrat begangen haben. Dazu gehört, daß man in einemnicht allzufernen Zeitpunkt eine bestimmte Handlung plant undvorbereitet, welche den gewaltsamen Umsturz unserer Verfassungoder eines Bestandteiles derselben zum Ziel hat. Mein Hochverratsoll bezwecken, das stehende Heer zu beseitigen, das eine Grundlageunserer Verfassung sein soll. Man will also unser stehendes Heerunantastbar, sakrosankt machen, obwohl es nicht nur von Sozial-demokraten als eine Kulturschmach angegriffen wird. Nun glaubeman aber nicht, daß ich die Beseitigung unserer militärischen Or-ganisationsform übermorgen erwarte. Dazu bin ich doch viel zuvorsichtig und vernünftig. Ich bekenne aber ganz offen, daß ich essehr bedauere, daß es nicht rascher geht.(Heiterkeit.) Die Herr-schaften haben eben viel mehr Angst, als sie vorläufig nötig haben.Sie denken, es könne über Nacht ein Krach kommen. Das ist dasböse Gewissen!— Und wie stehts mit der Gewaltsamkeit der Be-scitigung des Heeres? Davon habe ich in meinem Buche nicht einWort gesagt. Was ich gesagt habe ist, daß in der Bevölkerung ver-schieden? Klassen existieren, deren Interessen sich gegenüberstehen,daß die Arbeiterklasse sowohl in der Bevölkerung wie im Heere diegrößte Klasse ist, und daß sich diese Klasse ihrer Interessen immerklarer bewußt werden muß und wird. Parteigenossen, in demAugenblick, wo die ganze Arbeiterschaft klassenbewußt ist, brichtunsere Armee in sich zusammen.(Stürmischer Beifall.)Das habe ich gesagt.(Erneuter Beifall.) Das ist aberdoch keine Gewalt! Die Aufklärung der arbeitenden Klasseist doch kein Gewaltmittel.(Lebhafte Zustimmung.) Aber manbraucht„Gewalt" zum Tatbestand des Hochverrats! Was tun?Woher nehmen und nicht stehlen? Nun, man sucht sich zu helfen.Zunächst behauptet der Oberreichsanwalt, ich hegte den Plan,Frankreich zu einem Angriff auf Deutschland zu hetzen(StürmischesGelächter), und zwar mit Hülfe der Sozialdemokratie beider Länder(Erneutes stürmisches Gelächter), und bei dieser günstigen Gelegen»hcit wolle ich meinerseits unserer Armee den GarauS machen. DasDokument, in dem der Oberreichsanwalt diese kühne Behauptungaufstellt, wird noch für kommende Generationen ein Quell heitererFreude sein. Natürlich konnte die Anklage diese Position nichthalten. Ich machte den Untersuchungsrichter in aller Höflichkeitdarauf aufmerksam, daß fast mein ganzes Buch doch gerade vonden Möglichkeiten und Mitteln handle, den Krieg besonders geradezwischen Frankreich und Deutschland und überhaupt alle Gewalt-tätigkeiten zu vermeiden, zu verhindern. Jetzt entdeckte man etwasanderes: Ich soll die Absicht verfolgen, die Waffenerzeugung inSie Hand zu nehmen(Große Heiterkeit), die Arbeiter mit Waffen,u versorgen(Heiterkeit) und in ihrem Gebrauch auszubilden, ein-zuexerzieren, um so mit dieser Proletarierarmee den treu ge-blicbenen Teil der Armee zuschanden zu schlagen.(StürmischeHeiterkeit.) Das ist eine wahrhastige Phantasie aus der russischenRevolution. Woher der Herr diesen meinen schwarzen Plan er-fahren hat, weiß ich nicht. Ich will nicht verraten, ob ich ihn nichtvielleicht doch in meinem Verschwörerherzen trage(Heiterkeit), aberim Buch steht nichts davon! In einem Buch scheint manchmaletwas zu stehen, was gar nicht darinsteht. Ich will höflich sein unddem Herrn O?erreichsanwalt mein Kompliment für seine auS-gezeichneten Augen aussprechen.(Heiterkeit.) Jetzt hat nun derEröffnungssenat des Reichsgerichts in seinem Beschluß noch einedritte Methode gefunden, um mich abzuschlachten. Drei verschiedeneWege zu einem Ziel: das zeigt jedem, daß erst das Ziel gesetztwar—„es muß um jeden Preis bestraft werden!"— und dannerst begonnen wurde, einen Weg zum Ziel zu suchen. Geh. Kriegs-rat Romen, der altbekannte Sozialistentöter, der auch so gut denWeg zu finden wußte, um seinen Bruder vor Verbüßung einerschweren, wegen Beleidigung erkannten Gefängnisstrafe zu schützen,schreibt im„Tag" einen Artikel gegen den Antimilitarismus, be-sonders gegen mich. Im Reichstag tritt Kriegsminister Einemgegen meine antimilitaristische Propaganda auf. Unmittelbardarauf schreitet die Reichsanwaltschaft gegen mich ein. Das hängtnicht nur zeitlich zusammen. Man war sich eben in den maß-gebenden Kreisen darüber einig, daß die antimilitaristische Pro-paganda um jeden Preis unterbunden werden müsse: nun galt'soder gilt's nur, einen gangbaren Weg zu finden. Zwei Galgenschon hatte man für mich aufgerichtet, zweimal aber ist der Strickgerissen. Ob nun der dritte Strick halten wird?(Heiterkeit.) Ichgebe mich keiner Illusion hin. Im Notfall wird man auch denvierten Strick finden. Ich fühle mich schon ganz in der Rolle desGehenkten.(Erneute Heiterkeit.) Diese Anklage ist für mich undden Antimilitarismus, das betone ich wiederholt, politisch einwahres Gottesgeschenk.(Bravo!) Uns kann sie nur nützen undschaden nur anderen."In unserer Notiz in Nr. 201 hieß es, Liebknecht habe ge-sagt, Herr Oppermann, der bald nach seinem schneidigen Vor-gehen gegen ihn als Anwalt zum Reichsgerichtsrat befördertwurde, werde im Hochverratsprozeß über ihn(L.) zu Gerichtsitzen. Das ist nicht richtig. Ausweislich des stenographischenBerichts sagte Liebknecht nach einer scharfen Kritik der so-genannten Unabhängigkeitder Richter folgendes:..... Bei Richtern, die die Ungeheuerlichkeit begangen haben, frei-heitliche Urteile zu fällen, und dafür vielleicht von der Sozial-demokratie gelobt wurden, haben wir fast regelmäßig sehen können,wie sie nach einiger Zeit irgendwo in einer dunklen Versenkungverschwunden waren.(Lebhafte Pfuirufe.) Man denke nur andie Landgerichtsdirektoren Schmidt und Denso und den Kammer-gerichtsrat Havenstein. Der letztere hatte dazu mitgewirkt, daßvom Kammcrgericht einige erträgliche Urteile gefällt wurden; erhatte sich in gewissem Umfang auch das Vertrauen der Arbeiter er-warben. Doch es dauerte nicht lange, und fort war er.(StürmischePfuirufe.) Wir haben freilich auch andere Fälle von Versetzung.Vielleicht entsinnen Sie sich noch des schönen Plötzenseeprozesses,in dem ich 4<X> M. Ordnungsstrafe erhielt.(Heiterkeit.) Damalsspielte der Landgerichtsdirektor Oppermann eine besondere Rolle.(Sie kennen ja den Namen Oppermann.(Große Heiterkeit.) Woimmer man den Namen Brausewetter nennt, da mutz auch der Name. Oppermann genannt werden. Oppermann hatte nicht nur mit mirI Konflikte. Dieser Mann ist auch gemaßregelt worden, aber er ist''hinaufgemaßregelt worden. Reichsgerichtsrat ist er geworden, undI beinahe hätte er in meinem Hochverratsprozeß mit zu judizieren1 gehabt.(Lebhafte Zurufe.) So geht es, Parteigenossen."Blirttchaftlicher Wochenbericht.Berlin, 7. September 1907.Börsenstimmung— Getreidepreise— Weltrrnte.Abgesehen von einigen Jndustriepapieren, bei denen irgendwelche Kombinationen zu Spekulationen reizten, war die Stimmungan den Börsen in den letzten Wochen pessimistisch. Ende der vorigenWoche schien es einmal, als ob der Berliner Börse wieder schönereTage kommen sollten. Man nahm einen Anlauf zu lebhafterer Be-lätigung. Und eine Redefloskel war der Anlaß zu dem vergeblichenVersuch. Für 24 Stunden hatte der Vizepräsident der Reichsbank,Herr v. Glasenapp, bessere Börsenstimmung gemacht, und zwardurch eine Bemerkung, die man glaubte als die Zusicherungdeuten zu dürfen, die Lage auf dem Geldmarkt habe sichschon wesentlich günstiger gestaltet. Das war eine Täuschungund schnell war das aufblitzende Hoffnungsstrählchen wiederverlöscht. Und so sehr man sich auch bemüht, auf anderiMomente als Zeichen dauernd guten Wirtschaftswetters zu verweisen,z. B. hohe Förderziffern, flotte Beschäftigung in den Hüttenwerken,günstige Geschäftsberichte, die andere Seite glaubt nicht mehr anununterbrochenen Sonnenschein. Die Klagen aus der weiterverarbeitenden Industrie über sich bemerkbar machende Verminderungdes Arbeitsstockes, vor allem aber auch über Verschärfung des Miß-Verhältnisses zwischen Materialkosten und Preisen für Fertigerzeugnisse,die Berichte aus Handelskreisen über Absatzerschwerung und beginnende Preiskämpfe, die andauernd prekäre Lage auf dem Geldmarkt, Abschwächung der Eisenpreise in Amerika, das Konzert inCasablanca und schließlich das ununterbrochene Hinaufgehen derGetteidepreise, sind Unwetter ankündigende Erscheinnngen, die stärkerwirken als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Diegünstigen Abschlüsse einiger Unternehmen, die jetzt mit dem Geschäftsbericht herauskommen, beweisen nur, IvaS war, nicht geben sieGarantie für die Zukunft. Es gehörte ein sehr starker Glaubedazu, anzunehmen, ein Danktelegramm BülowS an den Bankiertagwerde die Börse nachhaltig beeinflussen. Die Bankiers hatten Bülowantelegraphiert, der hatte gedantt. Aehnliches kommt öfter vor.Aber man stellte sich, als hätte man die Börsenreform schon in derTasche. Als ob bei einem Worte BülowS auch sicher der Mannstehe. Dazu hat er sich zu nichts verpflichtet. Wäre das Gegenteilder Fall und ist die Reform sicher, die dräuenden Wetterwolken sinddamit nicht vorübergezogen. Im Gegenteil, die Entladung scheint sogarsehr heftig zu werden. Besondere Besorgnis können die zu be-ängstigender Höhe hinaufkletternden Getreidepreise auslösen. Manmuß in den Statisttken schon 16 Jahre zurückgehen, um so hoheNotierungen zu finden, wie die heutigen. In den letzten zweiWochen find die Weizenpreise wiederum um 16—17 M. hinauf-gegangen und halten sich mit kleinen Sprüngen nach unten undoben auf dem Satz: 227/223. Um ein Bild von der EntWickelungder Preise zu geben, setzen wir Berliner Notierungen aus demAugust und September dieses Jahres in Vergleich zu den Preisendes Vorjahres nach zwei Ouartalsdurchschnitten. Es kosteten Markpro Tonne:WeizenII. Quartal 1906... 183,22EI., 1906... 176,9214. August 1907... 201,2522.. 1907... 214,002. Septbr. 1907... 222,506.. 1907... 227,507.. 1907... 229,75Die jetzige Notierung erhebt sich bei WeizenRoggen160,57155,54184,75195,00200,50203,75205,50um rund60 M.gegengleich 28 Proz. über den Septemberpreis des Jahres 1906;den Septemberdurchschnitt des Jahres 1905 beträgt die Steigerungsogar 33 Proz. Bei Roggen stellt fich die Preiserhöhung auf 48resp. 61 M. oder 30 resp. 33 Proz. DaS Anziehen der Preise zeigtsich an allen Handelsplätzen der Welt. am schärfsten aber doch inBerlin, wie die folgende Aufstellung beweist. Es notierten:Steigerung-s-Berlin.ChicagoPest..Paris.Um. weiterentWickelung zuWeizen27. August 2. Septbr.222,50 M.92.00 CtS.11,43 Kr.23.90 Fr.Ueberblick: � 216,75 M... 91'/« Cts... 11,66 Kr... 23,50 Fr.zurückgreifend, einengeben, bringen wir in nachfolgender AusstellungRückgang—in Prozent»st 3,13-st 0,27— 1,99-st 1.70über die PreiseRelativzahlen, die sich ergeben nach den Notierungen der BerlinerBörse, indem der Durchschnitt 1879/1888 gleich 100 gesetzt ist. Fürdie Zeit vom 1. Januar 1897 bis 1. April 1900 sind die amtlichenBreslauer Notierungen zugrunde gelegt. Infolge Schließung derBerliner Getreidebörse fehlen die amtlichen Notierungen für Berlin.187918851890139118951900Roggen89,5894,81144,66142.4780,7896,57Weizen107,7387,61106,40122,0977,5783,12Hafer98,07103,76122,02128,0993,90103,82Wie sofort klar in die Augen springt, hatte das Jahr 1891 ganzungewöhnlich hohe Preise. Eine sehr schlechte Ernte war die Ur-fache. In Frankreich war der Weizen, in Rußland der Roggentotal mißraten. Auch diesmal ist unbeftiedigende Welternte dasstärkste Haussemoment. Die schon seit Monaten anhaltende Be-wegung nach oben erhiell nun in den letzten Tagen noch besonderenNachdruck durch die vom ungarischen Ackerbauministerium veröffent-lichte Schätzung der Welternte. Die Schätzung bringt sehr im-günstige Zahlen. Danach stellen sich die diesjährigen Ernteerträgeim Vergleich zu den vorjährigen wie folgt:Weizen Roggen Gerste Hafer Maisin Millionen Doppelzentner1907... 860 407 331 541 9371906... 933 399 326 536 1037Der Ausfall bei Weizen und Mais ist ganz erheblich; demMinderertrag in diesen beiden Fruchtsorten stehen nur unbedeutendeMehrerträge bei Roggen, Gerste und Hafer gegenüber. Die Ernteallein ist aber für die Weltversorgung nicht matzgebend, eS müssenauch die vorhandenen Bestände berücksichtigt werden. Unter Berück-sichtigung der Vorräte rechnet daS ungarische Ackerbauministeriumbei Weizen trotz deS großen Ernteausfalles doch noch einen lieber-schütz von zwei Millionen Doppelzentnern über den Weltbedarf heraus, bei Roggen dagegen ergibt sich, obwohl die Ernte gegen dasVorjahr einen Mehrertrag von 13 Millionen Doppelzentnern er-bringen soll, ein Manko von 4 Millionen Doppelzentnern. BeiMais bleibt die Summe aus Ernte und Vorrat um 7 MillionenDoppelzentner hinter dem Weltbedarf zurück, während bei Gersteein Ueberschnß von 6 Millionen Doppelzentner verbleibt und beiHafer daS Plus fich auf 9 Millionen Doppelzentner stellt. DieSchätzungen können aber auf Genauigkeit keinen Anspruch machen.Bisher haben die Abmessungen des ungarischen Ackerbauministeriumssich noch nicht als Präzisionsarbeit erwiesen. Die vorjährigeWeizenernte blieb z. B. um 11 Millionen Doppelzentner hinter derSchätzung zurück, während die Ernteerträge in Roggen, Gerste, Maisund Hafer um 17, 11, 65 und 9 Mill. Doppelzentner über die Schätzunghinausgingen. Es ist nur zu bedauern, daß die ungünstige Schätzung, nachder eine ungestörte Deckung der Bedürfnisse fast ausgeschlossen erscheint,der preissteigernden Bewegung noch kräftig nachHilst. Die Schätzungdes ungarischen Ackerbauniiuisteriums kann den Konsumenten vieleMillionen Mark kosten. Würde sie lediglich dazu dienen, die Ver-sorgung der Märkte besser zu regulieren, dann wäre sie zu be-grüßen, selbst dann, wenn sie die Erutemenge viel zu niedrig erfaßte.Unter den obwaltenden Verhältnissen wird die Spekulation durchdie Schätzung aber gerade angereizt, die Versorgung der Märkte zustören, um dadurch die Preistreiberei noch weiter zu fördern. DaSist kapitalistische Ordnung. Es gibt einige Milliardäre mehr, wenndie große Masse der Konsumenten an Brotmangel leidet. Der Brot-Wucher ist ein großes Geschäft. v.Soziales.Die Jnvnlidcnkarte als UriaSbrief.Vor uns liegt dieses vertrauliche Rundschreiben!Arbeitgeberverband für dasBaugewerbe zu Aachen, 28. August 1907.Aachen und Umgegend. Theaterstr. 0.An unsere Mitglieder!Nach Mitteilung des Arbeitgeberverbandes für das Ba»gewerbe des Stadt- und Landkreises Krefeld sind daselbst seitdem 20. Juli d. I. 542 Bauarbeiter ausständig. Wir ersuchenergebenst, Arbeiter aus dem Krefelder Bezirk bis auf weiteresnicht einzustellen, und machen darauf aufmerksam, daß der Ent-wertungsstempel der Jnvalidenkarte» der in Krefeld streikendenArbeiter mit der Nr. 41 versehen ist. Es wird höflichst gebeten,auf diese Nummer genau zu achten und die Arbeiter mit solcherKarten nicht einzustellen.HochachtungsvollDer Vorstand.I. A.: Heinr. I. S i e p r a t h.Die Scharfmacherpresse wird nicht müde, Polizei, Gerichte undGesetzgebung gegen die organisierte Arbeiterschaft aufzuhetzen,indem sie immerfort erfundene oder verdrehte TerrorismuSgeschichtcnproduziert. Daß aber gerade vonseiten des organisierten Arbeit-gebertums der krasseste Terrorismus geübt wird, dazu bedürftees nicht erst des oben abgedruckten Beweises, der allerdings wohldas stärkste Stück ist, das sich Ausbeuter bisher geleistet haben.Denn daß vonseiten eines Unternehmerverbandes die Invaliden-karte in solcher systematischen Weise zur Brandmarkung von aus-ständigen Arbeitern benutzt worden wäre, ist bisher nicht bekanntgeworden. Im übrigen wurden in letzter Zeit die Redaktionender Arbeiterpresse mit ihnen von anständigen Unternehmern zu-gestellten Beweisen des Ausbeuterterrorismus nahezu überschwemmt.So gingen unserem Kölner Bruderblatte in den letzten Tagen dreischwarze Listen auf einmal zu. Die erste enthält die Namen derausständigen Former der Adelonhütte in Porz bei Köln, die durchdie empörende Behandlung vonseiten eines Werkmeisters die Arbeiteinzustellen gezwungen worden waren. Die zweite Liste enthältdie streikenden Topfbäcker von Höhr bei Koblenz. Und die dritteumfaßt nicht weniger als 941 Namen von streikenden AachenerBauarbeitern.Das Ausbeutertum weiß, was es sich zum Hohne von Gesetzund Recht erlauben darf. Es weiß, daß die kaiserliche Drohungvon der„schwersten Strafe dem, der einen anderen an freiwilligerArbeit hindert", nur gegen die Arbeiter Geltung hat. Wann end-lich wird ein Strafgesetz die Anwender von schwarzen Listen au»allen Teilen der Bevölkerung von und aus dem Volke gewählteRichtern zur Aburteilung überwiesen?„Darf eine schriftliche Kündigung beS Arbeitsverhältnisses anWünsche und Forderungen geknüpft sein?"(Ein Nachklang zum Binnenschifferstreik.)Bekanntlich legten im Herbst 1906 bei mehreren größeren Ge.sellschaften die Binnenschiffer(Bootsleute, Steuerleute usw.) dieArbeit nieder, weil die schwerreichen Unternehmer die bcschei»«c«n„Forderungen und Wünsche" nicht bewilligen zu können glaubten.Vorher hatte die Sektion der Binnenschiffer des Deutschen Hasen-arbeiterverbandes, Verwaltung Magdeburg, den Arbeitgebern einZirkular zugestellt, dessen Eingang lautete:„Im Auftrage der in Binnenschiffahrtsbetrieben beschäftigtenBoots- und Steuerleute sowie der Maschinisten und Heizer er-lauben wir uns, deren Wünsche und Forderungen» welche eineRegelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse bezwecken, zur wohl-wollenden Prüfung und Berücksichtigung zu unterbreiten."Nach Aufzählung der„Wünsche und Forderungen" und derenBegründung heißt es am Schluß:. � �„Die Schiffsmannschaften sind der Ansicht, daß diese Forde-rungen von Ihnen nicht als unbescheiden bezeichnet werden können,und geben sich der angenehmen Hoffnung hin, daß dieselben Ihrer-seits uneingeschränkte Anerkennung finden werden. Indem wirvorstehende Forderungen der Leute hiermit zu Ihrer Kenntnisbringen, erlauben wir uns zu bemerken, daß eine Verständigungim beiderseitigen Interesse liegen würde und hoffen, bis zum15. Oktober im Besitz Ihrer geschätzten Antwort zu sein.Sollten Sie wider Erwarten nicht geneigt sein, die vorstehendenForderungen zu berücksichtigen, so ist das Arbeitsverhältnis am15. Oktober für die Schiffsmannschaften als gelöst zu betrachten."Die Vereinigten Elbschiffahrts-Gesellschaften antworteten aufdieses beinahe überhöflich gehaltene Schreiben nicht, reichten abergegen 100 ihrer Deckleute, die am 16. Oktober die Tlrbeiteinstellten, wegen Kontraktbruches eine Schadenersatzklage beimHamburger Gewerbegericht ein. Sie verlangten von je zwei Deck-leuten als Gesamtschuldnern vorläufig einen Betrag von 110 M.und erklärten, die Beklagten hätten ohne Kündigung die Arbeitverlassen, denn das Zirkular enthält keine rechtskräftige Kündi-gung. Um zunächst einen prinzipiellen Entscheid herbeizuführen,zogen die Klägerinnen ihre Klage bis auf gegen zwei Dcckleutezurück. DaS Olewerbegericht wies die Klage ab, weil die Kündi-gung ordnungsgemäß erfolgt sei.Die Zivilkammer des Landgerichts Hamburg als BerufungS-instanz hob das Urteil des Gewerbcgerichts auf und erklärte denSchadenersatzanspruch der V. E.-G. dem Grunde nach für bcrech-tigt. Zur weiteren Verhandlung wurde die Sache an die Vor-instanz zurückverwiesen. Begründend wird u. a. ausgeführt:„DerVorderrichter geht davon aus, daß das betreffende Zirkular eineKündigung enthalte. Dieser Auffassung kann nicht beigetretenwerden. Durch den in demselben(oben erwähnten) Schlußsatzwird eine rechtswirksame Kündigung nicht erklärt. Die Kündi»gung mutz dem Gekündigten in unzweideutiger Weise den Willendes Kündigenden erklären, daß das zwischen ihnen bestehendeRechtsverhältnis für einen bestimmten Zeitpunkt aufhören solle.In dem Zirkular werden den Arbeitgebern, wie es im Eingangheißt, Wünsche und Forderungen der Arbeitnehmer zum Zweckeder Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse zur wohlwollendenPrüfung und Berücksichtigung unterbreitet. Schon hierdurch istzum Ausdruck gebracht, daß es sich nicht in allen Punkten um For-Gerungen handelt, von welchen die Arbeitnehmer auf keinen Fall»abgehen zu wollen erklären, sondern um Vorschläge, welche seitensder Arbeitnehmer gemacht werden und welche in der dann fol-