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Nr. 21.

Erscheint täglich außer Montags. Prets pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Poft- Abonnement: 3,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz­ band  : Deutschland   u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post- Beitungs- Preisliste für 1893 unter Nr. 6708.

Vorwärts

10. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg Juferate für die nächste Nummer inüssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

fernfpred- Anschluß Amt I, Nr. 4186.

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Der tollgewordene Militarismus.

In Preußen- Deutschland   ist der Militarismus zuerst zur Herrschaft gelangt, und durch den Sieg Preußen­Deutschlands in dem Kriege von 1870/71 wurde er auch dem übrigen Europa   aufgedrängt. Das war ein großes Unglück für die Völker, allein kein Wind ist so schlecht, daß er nicht auch Gutes zubläft", und dieses Unglück ver­spricht in ein Glück umzuschlagen, grade weil es ein so großes Unglück. Durch den Sieg des Militarismus hat dieser aufgehört, das Monopol Preußen- Deutschlands   zu sein. Wir sind mit den übrigen Staaten in einen Kon furrenztampf gekommen, der uns und die übrigen Völker zu so folossalen Anstrengungen und Opfern zwingt, daß uns wie den übrigen Völkern der Militarismus als etwas Gemeinschädliches, als etwas Verderbliches, ja Tödt­liches erscheint, von dem wir uns befreien müssen, wenn anders wir fortleben wollen.

Je mehr diese Ueberzeugung um sich greift, desto verrücktere Sprünge macht der Militarismus, bis er jetzt in Preußen- Deutschland  , seiner Heimath, den sein zuerst Szepter schwang, auf Gipfel des Wahnsinns gelangt ist, und sogar danach trachtet, dem Militarismus die Schule in die Hände zu spielen.

wo er

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Dem tollgewordenen Militarismus fonnten wir vorige Woche in der Freitagsnummer das Zeugniß eines französischen   Generalstabs- Offiziers entgegen halten. Heute sind wir in der Lage, zwei Leitartikel der " Desterreichisch ungarischen Heeres- Zeitung", des Hauptorgans der österreichischen Militärs, ins Feld führen

zu können.

In seiner Nummer vom 10. Dezember 1892 schrieb das genannte Blatt:

Auf der Höhe.

Die deutsche Militärvorlage beherrscht fast ausschließlich die militärische und politische Lage. Es ist aber auch feine Kleinigkeit, daß fünftighin Ein ganzes Perzent der gesammten Bevölkerung( Greise, Frauen und Kinder) oder zirka der fünfzehnte Theil(!) der erwachsenen männlichen Generation Deutschlands   der produzirenden Arbeit entzogen wird, dafür aber zirka 65 Millionen Mark jährlich mehr als bis­her von der übrigen Bevölkerung aufgebracht werden müssen, wobei jene Ausgaben, die infolge der Beschaffung neuer Unterkünfte, Uebungspläge, Ausrüstung, Unteroffiziers prämien 2c. nothwendig werden, noch nicht gerechnet sind. Es ist daher begreiflich, daß man in Deutschland   über diese neue schwere Belastung nichts weniger als erbaut ist und besonders in Preußen die Lage umso ungemüthlicher wird, als dieser Staat, der einst ob seiner blühenden Finanzen so viel beneidet und so viel gerühmt wurde, für dieses Jahr mit einem Defizite von 60 Millionen abschließt und für das nächste Jahr ein solches von 40 Millionen ausweist.

Angesichts dieser recht bedentlichen Verhältnisse, die übrigens nur eine natürliche Folge jener Politit sind, welche

Feuilleton.

Nadbrud verboten.]

Haus Nuzingen.

Soziale Studie von H. de Balzac  . Deutsch von Curt Baate.

[ 13

Mittwoch, den 25. Januar 1893.

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indem sie im Jahre 1866 die Gewalt über das Recht stellte, damals und im Jahre 1870 blutige Kriege provozirte jegliches Rechtsgefühl, alles Vertrauen vernichtete und an Stelle verbrieften Rechtes, jenes der Faust setzte, ist die tiefe Erregung in Deutschland   natürlich.

Aber Ein Gutes hat diese enorme Steigerung der Militärlaften doch. Es geht nämlich nicht mehr weiter; die Höhe ist erreicht.

In Frankreich   gesteht man, wenn auch verbissen, doch rückhaltlos ein, das Land sei an der Grenze ſeiner Leistungs­fähigkeit angelangt und müsse sich darauf beschränken, durch Tüchtigkeit der Streitkräfte zu ersehen, was allenfalls an deren Zahl noch fehlt. Und Rußland   scheint auch zu einem lang­sameren Tempo genöthigt zu sein, so daß also Deutschland  allein der Höhe zustrebt. Es wird dieselbe dieselbe zweifellos erreichen; ob auch dauernd behaupten, wird die Folge lehren. Es giebt in Deutschland   viele, welche meinen, daß angesichts der Thatsache, daß jetzt schon im Offizierstorps und bei den Unteroffizieren zahlreiche Lücken bestehen und der Erfaß nicht leicht sei, dies fünftig noch schwieriger sein werde und nur auf Kosten der Güte geschehen tönne. Zwar werde eine Reihe von Jahren das alte System noch nachwirken, aber es sei unbestreitbar, daß es nicht mehr weiter gehe.

Nur eine Gefahr besteht! Die furchtbaren Rüstungen ge= schehen alle nur, um den Frieden zu sichern. Die Möglichkeit aber ist nicht ausgeschlossen( und französische Blätter weisen bereits darauf hin), daß nach dem Präjudiz der Usedom  'schen und der Emser Depesche plöglich ein Krieg provozirt wird, sei es auch nur, um einer unerträglichen Lage ein Ende zu machen. Eines aber ist gewiß; die Culminination ist er reicht; das Abwärts beginnt und auch das ist ein Gewinn.

Dieser Artikel paßte dem Militarismus in Preußen­Deutschland natürlich sehr schlecht in den Kram. Die Berliner   Militär- Zeitung" griff die Desterreichisch­ungarische Heeres- Zeitung" an, die in ihrer Nummer vom 10. Januar d. J. in einem, den Inhalt des Angriffs er­kennen lassenden zweiten Artikel wie folgt darauf ant wortete:

Zur Aufklärung.

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S

Die hochgeschäßte( Berliner  ) Militär 3eitung" erwies uns die Ehre, den Artifel in Nr. 233 Auf der Höhe" vollinhaltlich abzudrucken. Sie nannte denselben einen be­achtenswerthen Beitrag zu der Stimmung, die von gewissen Kreisen in Desterreich Ungarn   gegen den Dreibund und gegen die Waffenbrüderschaft mit dem Deutschen Reiche   geschürt wird." Ferner wurde es als ganz unverständlich" bezeich net, wie eine Desterr.- ungar. Heeres Zeitung  " das Streben nach Verringerung der Heeresstärken vertreten kann, während doch selbstverständlich jedem Militär eine sachgemäße Weiter entwickelung der Heerwesen in den Staaten des Dreibundes am Herzen liegen muß." Der zweite Absatz( eine historische Reminiszenz) wurde einer Erwiderung für unwürdig gehalten.

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M

Vor allem sei bemerkt, daß wir auf die ganze Angelegen­heit nicht wieder zurück kommen würden, wenn dies nicht seitens der sehr verehrten Kollegin geschehen wäre. Wir wür­bigen vollkommen den Standpunkt, den die geschätzte ,, Militär­Beitung" einnimmt, und achten deren Ueberzeugung; nehmen das Gleiche aber auch für uns in Anspruch. Dann sei auf

der unsrigen, wo die Habgier des Aktionärs der des Gründers gleich kommt, ein Aktienunternehmen ins Leben zu rufen. Welche Kraft der Hypnose muß von einem Mann ausgehen, der die Firma Claparon erfinden und beständig neue Hilfsmittel erjinnen tann!

Und die Moral davon?

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Unsere Zeit ist nicht mehr werth, wie wir. Wir leben im Zeitalter der Habgier: nicht nach dem Werth eines Dinges wird gefragt, sondern ob man Profit herausschlagen fann, wenn man es an den Nachbar weiter verkauft. Und ,, Rede nicht so!" rief Couture hißig. Jemand hat man giebt es an den Nachbar weiter, weil die Habgier des zehntausend Franks und tauft sich dafür zehn Aktien von Gründers, der ihm Profit in Aussicht stellt, vollkommen zehn verschiedenen Unternehmungen, jede zu tausend Franks. entspricht!" Neunmal wird er betrogen... ich nehme das nur an, Wie schön Couture in seinem Feuer ist, wie schön!" denn in Wirklichkeit geschieht es nicht; so etwas läßt sich sagte Bixiou zu Blondet. Er müßte jetzt blos noch ver­das Publikum nicht bieten... das eine Geschäft aber langen, als Wohlthäter der Menschheit in Marmor ver­glückt... das mag nun der reine Zufall sein oder nicht, für ewigt zu werden." mein Beispiel ist es gleich, erspart Euch Eure Einwürfe... und der Spieler, der flug genug seine Einfäße so vertheilt, hat für sein Geld eine ausgezeichnete Anlage gefunden, so wie die­jenigen, welche Wortschiner Bergwerksattien gekauft haben. Gestehen wir uns nur, daß die ärgsten Schreier gegen die Gründer neidische Heuchler sind; sie verzweifeln eben daran, jemals eine fruchtbare Geschäftsidee zu finden und die Macht, sie in Wirksamkeit zu setzen und die Geschicklich­teit, sie zum eigenen Vortheil auszubeuten!

Ein weiterer Beweis wird nicht auf sich warten lassen. Eine furze Zeit noch, und Ihr werdet die Aristokratie, die Hofmänner, die Minister in hellen Haufen in die Arena Ser Spekulation hinabsteigen sehen; ihre Finger werden so frumm wie die unsrigen, ihre Gründungen noch blutiger sein, aber unser Geist, unser Wiz wird ihnen fehlen. Welch fluger Kopf gehört dazu, in einer Beit, wiel

Er müßte blos noch zu der Schlußfolgerung kommen," erwiderte Blondet, daß das Geld der Dummen von Gottes und Rechts wegen der Klugen Erbtheil ist."

" Lachen wir hier, meine Herren," fuhr Couture fort, für den ganzen Ernst, den wir anderwärts bewahren müssen, wenn wir von respektablen, durch zufällige Gesetze geheiligten Dummheiten hören."

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

das Nachdrücklichste und Feierlichste erklärt, daß uns nichts ferner gelegen ist, als gegen die Waffenbrüderschaft mit dem Deutschen Reiche   zu schüren. Wir sind für eine solche mit aller Wärme und Entschiedenheit zu einer Beit eingetreten, als das Fühlen und das Verständniß für eine solche beiderseits noch recht embryonal war und haben seither und immer( die Nummern unseres Blattes beweisen es) dieser ehrlichen Ueber­zeugung bei jeder passenden Gelegenheit selbstbewußten, kräf­tigen Ausdruck gegeben.

Das hindert jedoch nicht, daß wir in bezug auf die Art der Weiterentwickelung der Heerwesen in den Dreibundstaaten anderer Meinung find, als jene, die jetzt gerade beliebt wird. Es ist ganz selbstverständlich, daß auch uns diese Entwickelung am Herzen liegt; doch vermögen wir das Heil nicht in der Zunahme der Heeres stärken, sondern nur in der Stärke des Heeres; nicht im Wachsen an Ziffern, sondern in jenem an Werthen' zu erkennen. In dieser Auffassung befinden wir uns, wie es auch die Meldungen über den Neujahrs­Empfang der Generale in Berlin   beweisen, in voller Ûeber­einstimmung mit sehr vielen und sehr Tüchtigen im deutschen   Heere und bis vor nicht allzu langer Zeit auch mit der militärischen Fachpresse Deutschlands  , die noch vor wenigen Monaten die zweijährige Dienstzeit ebenso heftig betämpfte, wie sie dieselbe jetzt ver­theidigt.

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Es ist ein uralter wirthschaftlicher Grundsatz, daß bei gleichen Verhältnissen die Vermehrung der Quantität die Qualität vermindert und darauf aufmerksam zu machen scheint uns auch eine Pflicht. Man liebt es ferner die Kosten für das Heerwesen als die Affekuranzprämie" für den vom Heere der Gesammtheit gewährten Schutz zu erklären. Aber die Prämie muß mit der Produktion im richtigen Ver­hältnisse stehen. Wird dies versehen und die Prämie zu hoch gestellt, so ist der Ruin unvermeidlich. Und wie mit Einzel­wirthschaften im Kleinen, so ist es in der Nation im Großen. Eben weil wir eine gesunde, wirklich starke Ente widelung der Wehrkraft wollen, so scheint uns die Steigerung der Ziffern an lebendem und an todtem Materiale zum mindesten sehr bedenklich, und wir haben für diese Ueberzeugung feinen Geringeren anzuführen, als den un­vergeßlichen Heros, den glorreichen Feldherrn und weisen Staats­mann Erzherzog Karl  , der in seinen Aphorismen unter anderem sagt:

,, Die übermäßig zahlreichen Armeen sind eine Plage der Menschheit und veranlassen den Unter= gang der Staaten. Drei Motive sind es, welche uns wieder zu fleineren zurückführen werden: 1. die gänzliche Erschöpfung der Völker; 2. das Genie eines Feld­herrn, welcher mit einem schwächeren Heere das zahlreichere dadurch zu bemeistern wissen wird, daß er das feinige leichter gut ordnen und führen kann, als der Gegner seine Mehrzahl; 8. die Bertrümmerung der großen Staaten in fleinere."

Wenn die Summe der Ausgaben für Heereszwecke in nur zwanzig Jahren in Deutschland   allein von 475 Millionen auf 858 Millionen gestiegen sind und fünftig jährlich regelmäßig um 65 Millionen( das sehr bedeutende Extra- Erforderniß ist unberücksichtigt) erhöht werden; wenn beinahe der fünfzehnte Theil der männlichen erwachsenen Generation der produzirenden Arbeit entzogen wird; dann ist ein Zustand geschaffen, der auch einen Soldaten bedenklich machen muß.

Und daß diese zunehmende Steigerung erst nach dem

Finger in Frankreichs   Wunde gelegt. Ja, die Fiskalität, die Bureaukratie hat unserem Vaterland mehr Provinzen entrissen, als der verheerendste Krieg. In dem Ministerium, in dem ich mit Philistern zusammengespannt, sieben Jahre Galeere abmachte, war ein Beamter, ein Mann von Talent, der das ganze Verwaltungssystem abändern wollte. O! Wir haben ihn hübsch geleimt. Frankreich   wäre zu glücklich geworden, und er hätte sich in seinem Uebermuth vielleicht das Vergnügen gemacht, ganz Europa   zu erobern. Durch den Sturz dieses gefährlichen Mannes haben wir für die Ruhe der Nationen gesorgt."*)

Hört!" rief Blondet. Von den Vorfällen in Lyon  , wo die Republik   mit Kanonen über den Haufen geschossen wurde, war ja viel die Rede. Aber die Wahrheit kennt Ihr nicht. Die Republikaner   hatten sich des Aufstandes nur bemächtigt, wie sich der Insurgent einer Flinte bemächtigt. Der wirkliche Grund lag tiefer.

Der Handelsstand in Lyon   ist blöd und seelenlos. Er läßt nicht eine Elle Seide weben, die nicht vorher bestellt und deren Bezahlung nicht sicher wäre. Fehlen Bestellungen, dann stirbt der Arbeiter Hungers. Er verdient so schon Die faum, so lange er Arbeit hat, seinen Lebensunterhalt. Galeerensträflinge sind besser daran wie er.

Nach der Julirevolution stieg das Elend auf's Höchste. Er hat Recht," versetzte Blondet. Sowie sich in Die Canuts*) richteten eine Fahne mit der Inschrift auf: unserer Zeit die Intelligenz regt, macht man schnell ein Brot oder Tod!"- auch eine derjenigen Proklamationen, Gesetz dagegen. Da kommen unsere Gesetzgeber, die in irgend welche die Regierung hätte hindern sollen. Die Theuerung einem Winkel der Provinz gelebt und die Gesellschaft aus der Lebensmittel in Lyon   hatte den Ausbruch beschleunigt. den Zeitungen studirt haben, und schließen das Feuer in Lyon   will Theater bauen und Hauptstadt werden, daher die Maschine ein. Springt dann der Kessel, so herrscht unsinnig hohe Mahl- und Schlachtsteuern. Die Republi Heulen und Zähneklappern. Eine nette Zeit, wo nur Fistal­und Strafgesetze erlassen werden!"

*) Die Geschichte dieses Sturzes beschreibt Balzac   in seinem " Bravo  , Blondet!" rief Biriou. Da hast Du den Roman:" Die Beamten".

Der Uebersetzer.