Stupidität der Demonstranten, ihrem Gelärm, ihrem jugend-lichen Aussehen und fährt dann fort:Gegen dieses Gesindel, und es war an beidenSonntagen ganz genau dasselbe, ist von der blankenWaffe Gebrauch gemacht worden. Am einen Sonntag ruft dasFlugblatt diesem von der Polizei zersprengten Mob zu:«Brennende Schmach hat man Euch angetan— die Frage desgleichen Wahlrechts in Preußen ist zur Kardinalfrage unsererganzen Politik geworden— Kampfestagen gehen wir entgegen—Iver Kanipf will, komme zu uns, zu der völkerbefreienden Sozial-demokratie l" Am anderen Sonntag veröffentlicht der„Vor-wärts" einen Fanfarenartikel unter der Ueberfchrift:.Säbelhiebstatt Brot!"Hir haben nicht die Absicht, die Schimpfereien des ehr-sanieii„Deutschen Familienblattes" zu beleuchten, noch ausBerichten der nicht auf der geistigen Höhe des„Daheim"stehenden bürgerlichen Blätter nachzuiveisen, daß die Angabendes ehrenwerten„Daheim"° Berichterstatters nicht stimmen;wir wollen nur nachweisen, daß der edle Menschensprößlingdas, was er als eigene Beobachtungen schildert, gar nichtbeobachtet, sondern nach der Methode einer bestimmtenSorte sogenannter Schriftsteller gedankenlos auS reaktionärenTagcsbliittern zusammengekleistert hat, oder aber, daß sein Er-innerungs- odSr Auffassungsvermögen durch patriotische Neur-asthenie dermaßen geschwächt ist, daß er in ein Sanatoriumgehört. Der Beweis ist leicht erbracht:Der Verfasser erzählt, daß am 12. und 19. Januar großeStraßendemonstrationen stattgefunden haben. Bekanntlich aberhaben nur � am 12. Januar Straßendemonstrationen stattgefunden, nicht am 19. Januar. Wenn demnach der„Daheim"-Berichterstatter von zwei aufeinanderfolgenden roten Sonntagenspricht, wenn er die Szenen und das demonstrierende„Ge-findel" beider Tage mit einander vergleicht und in allenEinzelheiten die Vorfälle beschreibt, die er am Sonntag, den19. Januar, beobachtet haben will, so muß entwederangenommen werden, daß der ehrenwerte schriftstellernde Herrau Halluzinationen leidet, also geistig defekt ist,oder aber, daß er sich einfach das sogenannte Materialzu seinem Bericht aus Notizen der Tagesprcssc zu-sammenholt und dabei infolge seiner mangelhaftengeistigen Qualifikation die Daten und Vorfülle ver-wechselt hat. Wir möchten nach dem ganzen Zu-schnitt des Berichts das letzte als daS wahrscheinlichere annehmen, sintemalen der Verfasser nicht nur Straßen-demonstrationen zu einer Zeit beobachtet haben will, wogar keine stattgefunden haben, sondern sein Artikel auchsonst allerlei komische Verwechselungen erhält, so ist z. B. derArtikel des„Vorwärts"„Säbelhiebe(nicht—hieb) st a t tBrot" nicht am Sonntag, den 19. Januar-erschienen, sondernam Mittwoch, den 22. Januar, und nicht vor den Arbeits-losenversammlungen, sondern am Tage nach denselben.Der Bericht des„Daheim" ist ein typisches Beispiel da-für, wie die wahrheitsgetreuen, auf angeblich eigenerBeobachtung beruhenden Berichte der frommen konser-vativen Blätter zustande kommen und lvas sie wert sind—nur läßt sich die frivole verlogene Mache nicht immer so genaunachweisen, wie in diesem Falle.Sie Kaiis von Hlgcciras.Paris, 11. Februar.(Eig. Ber.)Herr Pichon hatte gestern einen unangenehmen Augenblick. DaSwar, als ihm Jaurös vorhielt, daß die Minister unlängst die Kammergetäuscht haben, als sie die Anfrage, was an den Gerüchten überdie Beschwerde Abdul Asis bei der deutschen Regierung wahreswäre, mit ironisch lächelnder Harmlosigkeit aufnahmen. Denn siewaren damals schon von der deutschen Botschaft über den Schrittdes Sultans unterrichtet worden. Aber Pichon versuchte sich damitauszureden, daß ihn die Vertraulichkeit der Mitteilung derdeutschen Regierung gezwungen habe, Schweigen zu bewahrenund daß er jetzt erst, nachdem die deutsche Regierungselbst der Oeffentlichkeit Kenntnis davon gegeben habe, von dieserPflicht des diplomatischen Takts befreit sei. Nun sieht ein jedesKind, daß die Sache gerade verkehrt liegt. Die deutsche Regierungkonnte einfach die Mitteilung in keiner anderen als der ver-traulichen Form machen, weil sie ihr sonst den Charakter der offi-ziellen Warnung, ja Drohung verliehen hätte. Die französischeRegierung aber konnte sie durch die Veröffentlichung nicht im ge-ringsten verletzen. Dagegen ist die nachfolgende Veröffentlichungvon deutscher Seite ein diplomatischer Schachzug. der äugen-scheinlich gerade durch die neuliche Ableugnung in der Kammerveranlaßt worden ist. Die deutsche Diplomatie will sichoffenbar für die Wiederkehr eines akuten Konflikts oder einer neueninternationalen Verhandlung den Beweis der„Loyalität" schaffen.Wie leicht eS den Scharfmachern auf beiden' Seiten werdenkann, eine gefährliche Zuspitzung der Situation herbeizuführen, gehtaus einer Vergleichung der Bülowschen Rede vom 29. Novembervorigen Jahres mit den gestrigen Ausführungen PichonS hervor.Es ist gar nicht geschickt vom„Temps", zur Verteidigung der Re-gierung heute die Bülowschen Sätze zu zitieren. Der deutsche Reichs-kanzler sagte damals, daß die Okkupation von Casablanca ein durchdie Massakers und Plünderungen notwendig gewordener bloßerAkt der Selbsthülfe sei:„Es war natürlich, daß dieseAktion unter der bloßen Verantwortlichkeit der interessiertenMächte vollzogen worden ist und, da sie nicht in den Rahmendes Akts von AlgeciraS fiel, auch die Verantwortlichkeit deranderen Mächte mit sich ziehen konnte." Was aber sagt Pichon?Daß sich Frankreich aus Casablanca erst dann zurückziehen werde.wenn eS die Ordnung hergestellt und den Akt von Mgeciras zurAusführung gebracht haben werde I Der Widerspruch liegt hier zu-tage. Nach der offiziellen deutschen Auffassung ist FrankreichsOperation bei Casablanca n i ch t die Vollziehung deS internationalenPolizeimandats, sondern ein„Sühne"-Feldzug auf eigene Faust, derdurch die in Casablanca geschehene Verletzung französischer Jntereffenlegitimiert ist. Unter diesem Gesichtspunkte aber ist auch die jüngsteAeußerung der«Süddeutschen Reichskorrespondenz" zu interpretieren,wonach sich Deutschland des Rechtes nicht begeben habe, für dieInteressen seiner Bürger selbst einzutreten.In Wahrheit liegen die Dinge heute so, daß Frankreich heuteCasablanca besetzt hält, weil es bei der in ganz Marokko auf-lodernden Revolte gegen die Europäer eine solche InterventionDeutschlands fürchtet. Die Ausführungen Pichons über die Not-wendigkeit, die europäischen Kolonien von Rabat und Mazagan zudecken, lassen diese Sorge deutlich erkennen. Wie die deutsche Re-gierung ist sich auch die französische bewußt, daß die«Basis vonMgeciras" eine dünne Eisdecke ist. die jeden Augenblick einbrechenkann.Es kann darum keine größere Naivität geben, als auf diese durchdie Ereignisse längst entwerteten diplomatischen Abmachungen seinVertrauen zu setzen oder gar in ihnen einen von der Gerechtigkeits-idee inspirierten Kanon zu sehen, dessen redliche Befolgung denWeltfrieden verbürgt. Die aus den«Kulturländern' ausschwärmen-den großkapitalistischen Piraten und die Regierungen, die ihre Ge-schäfte führen, lassen sich durch sie keine Sekunde auf ihren Schleich-wegen aufhalten. Darum darf auch das Proletariat, das um seinerBefreiung willen den internationalen Frieden braucht, keinen Augen-blick vergessen, daß dieser keinen dauernd wirksamen Schutz hat alsdie organisierte Macht und die gemeinschaftliche Aktion der Arbeiter-klaffe aller Länder._politifchc QcbcYÜcht.Berlin, den 13. Februar 1908.Der Kampf um die Schule.Das Abgeordnetenhaus setzte ani Donnerstag die General-debatte zum Kultusetat fort. Die Reden der Redner der ver-schiedenen Parteien standen hinsichtlich ihrer Länge in um-gekehrtem Verhältnis zu ihrer Bedeutung. Es waren imwesentlichen Variationen alter Lieder. Auf der einen Seitedie konservativ-klerikale Mehrheit, die die Volksschule derKirche ausliefern will, auf der anderen Seite die National-liberalen, die das entgegengesetzte Prinzip auf ihre Fahne ge-schrieben haben, aber trotzdem vor zwei Jahren bei der Ver-abschiedung des Verpfaffungsgesetzes die Geburtshelfer derReaktion gewesen sind. Ihrem Aerger darüber, daß sie sichdamals so schön haben einseifen lassen, gaben siein allerhand komischen Drohungen gegen die Kon-servativen Ausdruck, die sich hüten sollten, die Ziationalliberalenzu unterschätzen und eine Machtprobe zu provozieren.Natürlich lachten die Konservativen ob solcher Drohungen.Wissen sie doch, daß im entscheidenden Moment die national-liberalen Kulturkämpfer schon wieder klein beigeben werden.Wäre die Sache nicht so tief traurig, wäre nicht das Volk inideeller Hinsicht so gewaltig geschädigt durch das Schuluntcr-haltiingsgesetz, so könnte man über diese Komödie lachen.Noch bedeutungsloser als die Reden ans dem Hausewaren die vom Ministertisch. Herr Holle versteht von seinemRessort offensichtlich nicht mehr als sein Vorgänger, seineRäte spielen mit ihm genau so und treiben ihre eigene reak-tionäre Politik genau so, wie unter Studt.Am Freitag soll die Generaldebatte zum Kulttisctat bc-endet werden.—_Klerikale Freunde des Polizeisäbels.In einem Artikel, der durch einen Teil der Zentrums-presse läuft, wird der Vorschlag eines Hauptmanns erörtert,der daraus hinausläuft, bei Demonstrationen, wie solche jüngstzugunsten des Wahlrechts in den preußischen Städten stattfanden,mit der Feuerspritze gegen die Menge vorzugehen. Der Artikelhält von diesem Mittel nichts, worin man ihm beipflichten kann.Nun sollte man von der Preffe einer Partei, deren Angehörigevon Straßendemonstrationen(Vereinsumzügen,Prozessionen usw.) einen so reichliche» Gebrauch macheu,erwarten, daß sie die Freigabe der Straßen und Plätze fürDemonstrationen fordern würde. Aber weit gefehlt. Das Zentrumerklärt sich gegen die Wasserspritze, um desto entschiedener für denPolizeisäbel einzutreten. So heißt es in der«Essener Volksztg.",die diesen Artikel bringt, folgendermaßen:„Es gibt kein anderes wirksames Mittel gegen Aufläufe derBerliner Art, als die kritischen Wegespunkte durcheine starke Reihe von Schutzleuten zu besetzenund den andrängenden Zug zur Verteilung in die Seitenstraßenzu nötigen. Erfolgt diese Verteilung nicht, so ergibt sichleider ein Vor st oß der Polizei mit der blankenWaffe. Das mag man bedauern, aber man muß mit diesertranrigen Folgeerscheinung rechnen. Je tiefer die Ueberzeugungvon der großen Gefährdung in die Köpfe der Radaulustigendringt, desto mehr wird die Lust zu Demonstrationen und dieBeteiligung daran zusammenschrumpfen. Die abschreckendeWirkung, welche künftige größere Opfer verhütet, kann nichtdurch Spielerei mit Wasserstrahlen erreicht werden,sondern nur durch kräftiges Einschreiten der Polizei im kritischenAugenblick."Weihwedel und Polizeisäbel sind nahverwandte Dinge, wieman auch an diesem Artikel aus der Presse der christlichen Zentrums-Partei merken kann.Preußen in der Welt voran.In ihrer Besprechung der Debatte, die in der oster-reichischen Delegation über die auswärtige Politik geführtwurde, sagt die Wiener„Arbeiter-Zeitnng":„Wie kommt es. daß dieses Deutsche Reich, das ja auch dasdeutsche Volk sein soll, so viel Feindseligkeiten entfesselt? ImGrunde beruht diese Tatsache aus der politischen Rück-ständigkeit Deutschlands, die zwischen dem Willendes Volkes und dessen Ausdruck in dem Tun seiner Regierungeneine so tiefe Kluft aufreißt. Sie hat jene Polenpolitikgezeitigt, die das deutsche Volk verantworten soll, während siedie preußischen Regierungen verschuldet haben; und sie läßt vorEuropa das merkwürdige Bild eines Reiches entstehen, das inKultur und Technik an der Spitze der Nationen marschiert, dasaber regiert wird im Geiste der Unfreiheit undUntertänigkeit. Die Zeiten, wo sich die internationaleGeltung eines Staates nur aus der Zahl seiner Soldaten undder Menge seiner Kanonen bildete, die sind vorüber; heute gibtauch Freiheit einem Staate Ansehen und Unfreiheitmindert es: AIS daS junge Reich noch von Bismarck ber-waltet wurde, mag die Größe des Mannes daS politische Defizitverschleiert haben; daß sich das Deutsche Reich von einemDutzendmenschen, wie es Herr B ü l o w ist, gängelnläßt, bringt dieses Defizit zum allgemeinen Bewußtsein. Dieschamlose Erklärung deS Reichskanzlers gegendie preußische Wahlreform hat den politischen Zu-stand Deutschlands so peinlich entschleiert, daß die Minderungdes politischen Ansehens des Reiches sich darausals unvermeidliche Folge entwickeln mußte. Deshalbkämpfen die für Deutschlands Größe und Ansehen, die dasJunkerbollwerk in Trümmer legen und daS Reich zum Ausdruckdes Willens des Volles gestalten wollen. Dann wird der Haßgegen das Deutsche Reich verstummen und die Wertschätzung.die das Volk genießt auch dem Staate werden."—Wie das Wahlgeheimnis trotz Wahlzelle und WahlkuvertS,verletzt werden kann, das verriet dieser Tage der klerikale„Elsässer"in Stratzburg. Ein Wahlvorsteher erzählte nach der Reichs.tagswahl, daß er beim Eintritt des Pfarrers ganz unauffällig eineauf dem Tische liegende Feder berührt habe. Die Tinte am Fingerübertrug sich auf das Stimmzettclkuvert und bei der Zählung derStimmen war es leicht, das Kuvert mit dem Tintenfleck heraus-zufinden und nun zu ermitteln, wie der Pfarrer gewählt hatte.Ein anderer Wahlvorsteher leimte sich ein Stückchen Buntstift andie Innenseite der Fingerspitze deS rechten Mittelfingers. Wenner nun das Kuvert in die Hand hielt, konnte er auf demselbenmit einer unmerklichen Bewegung des Fingers leicht einen Strich,einen Winkel, einen Kreis oder ein anderes Zeichen schreiben.Schade, daß der.Elsässer" nicht Namen und Wohnsitz der edlenWahlvorsteher angegeben hat. Gegen die Verletzung deS Wahlgeheimnisses gibt es kein anderes Mittel, als daß der Wähler seinKuvert selbst in die Urne steckt.„Echt preußisch."überschreibt das„Bayerische Vaterland" einen Artikelüber die preußische Wahlrechtsfragc, worin es heißt:„Durch nichts wird Preußen besser charakterisiert als durchsein Landtagswahlrecht. An ihm kann man den Unsinn unddas Unrecht erkennen, die in diesem Staate noch möglich sind.Es beweist, daß Preußen sich mit der größten Kälteüber Vernunft und Recht hinwegsetzt, sobald esihm paßt.... Das preußische Wahlrecht entspricht ganz der G c-w a l t p o l i t i k dieses Staates. Man hat da oben das angenehmeBewußtsein, über einen großen Hausen Schießeisenund über einen nicht minder großen Haufen verlaß-licher Soldaten zu verfügen und daraus leitet man die Bc-fugnis ab, dem Volke die elementar st en Rechteversagen zu dürfen."Das Münchener Blatt kennzeichnet dann in ein paar kräftigenStrichen den„Staatsmann" Bülow und fährt dann fort:„In Bayern hält man das Schießeisen nicht für das besteSzepter, sondern denkt auch daran, daß mit der Unterdrückungberechtigter Volkswünsche auf die Dauer nichts erreicht wird.Wer es dennoch versucht, ist eben kein Staatsmann und mag crhundertmal Exzellenz, Fürst oder weiß Gott sonst was sein. Erist nichts als ein kurzsichtiger Bureaukrat, auch wenner bei jeder Gelegenheit den modernen, lvcitblickcnden Mannmimt.... Fürst Bülow ist tatsächlich aus dem Wege,Preußen in eine Revolution hineinzutreiben.Vorläufig ist allerdings noch keine Gefahr. Wie die Dinge inzwanzig Jahren aussehen werden, ist eine andere Frage. Es istgar nicht ausgeschlossen, daß schon der jetzige Kronprinz vonPreußen die Suppe auslöffeln muß, die ihmder von Wihhclm II. gefürsteti» Bülow jetzteinbrockt."—_Schutz vor Schutzleute».Am Sonntag, gegen'/«II Uhr abends verließen verschiedeneGäste ein Tanzlokal im Vororte Neudorf bei Straßburg i. E'Dabei beschimpfte der Schutzmann Kremser ein jungesMädchen mit„Sie drecketes Saumensch". Auch andersPassanten wurden beschimpft. Ein Passant, der nicht nachdem Wunsche des Schutzmanns einen Dauerlauf einschlug, erhieltsogar mehrere Fauftstöße. Zwei friedlich nach der Stadt gehendePassanten wurden von dem Schutzmann am Kragen gepackt und inden Straßenschmutz gestoßen. Auf einen Bäckermeister lief derSchutzmann zweimal init gescultem helmbedeckten Kopf zu undstieß ihn mit der Helmspitze zwischen die Rippen, sodaß der Arzteine Anschwellung der linken unteren Rippengcgend,_ verbunden miteiner leichten Brustfellreizung, konstatieren konnte. Ein Wachtmeister,bei dem sich die Mißhandelten beschwerten, drohte einem Beschwerde-sichrer obendrein mit Verhaftung. Ein klassisches Bild aus demPolizeistaat Preußen-Deutschland.—Sechs Monate wegen Lesens einer sozialdemokratischenBroschüre!Vor dem Kriegsgericht in Köln stand der SergeantJean Greve vom 40. Infanterieregiment in Aachen, weilman bei einer Spindrcvision bei ihm die K a u t s k y-Schoenlanksche Agitationsbroschüre„Grund-sätze und Forderungen der Sozialdemokratie"gefunden hatte. Er gab zu. der Eigentümer der Schrift zusein; cr habe auch selber schon Aufsätze verfaßt, in denen erkritisiere, daß die Unteroffizierschüler für jedes Jahr, das sieauf der Schule waren, zwei Jahre in der Armee dienen niüßtcn.Er habe wiederholt nm seine Entlassung ans dem Heeres-dienst gebeten, was aber abgelehnt wurde, da er nicht 500 M.bezahlen konnte, die er nicht besaß. Greve war widerWillen Soldat. Er laS viel, besonders militärkritischcund sozialpolitische Literatur, sowohl von bürgerlichen wie vonsozialdemokrattschen Autoren. Der als Zeuge vernommeneHauptmann hielt den Sergeanten nicht für einen Sozial-demokraten; cr nannte ihn einen„überspannten Menschen".Das Gericht erkannte wegen Ungehorsams gegen Dienstbcfchleauf sechs Monate Gefängnis unter Freisprechung vonder Anklage der Betätigung revolutionärer undsozialdemokratischer Gesinnung.—Berichtigung. In die Notiz„Tratsch", die eine Erklärung Bebelsgegenüber den abgeschmackten Erzählungen der reaklionären Presseenthielt, hat sich ein Druckfehler eingeschlichen. ES mußte dortnämlich heißen, daß Genosse Bebel nicht zwei kurze, sonder» zweilange Unterhaltungen mit dem Arzte Krupps gepflogen ljat,_ wassich übrigens auch schon aus dem Sinn ergab. Denn«ausfuhr-l t ch e" Erörleruugen des Lebens und der Gewohnheiten Kruppskönnen ja nicht im Rahmen kurzer Unterhaltungen ftattgesuudenhaben.—_Ocltcmicb.Aehrenthal über die preußischen Ausweisungen.Wien, 12. Februar. Oe st e rr e i ch rs che Delegation.Minister des Aeußern Freiherr v. Aehrenthal fübrte in Erlviderungauf verschiedene in der Delegation eingebrachte Beschwerden folgen-des aus: Was die Frage der Behandlung österreichischer oder unga-rischer Staatsangehöriger israelitischer Konfession in Preußenanlangt, so hat dre kaiserlich deutsche Regierung anläßlich einerspeziellen Anfrage erklärt, es beruhe auf einer irrigen Voraus-setzung, wenn angenommen werde, daß Ausländern mosaischenGlaubens der Aufenthalt in Preußen überhaupt nicht gestattetwerde. ES bedürfe vielmehr für dieselben nur bestimmungsgemäßin der preußischen Monarchie im einzelnen Falle einer Genehmigungzum Aufenthalte. Aus dieser Erklärung der kaiserlich deutschenRegierung geht hervor, daß eS sich hier nicht um eine speziell gegenunsere israelitischen Staatsangehörigen gerichtete Maßregel, son-dern um eine generelle Verfügung handelt, die in gleicher Weisealle ausländischen Israeliten trifft. Gleichgültig welcherKonfession die von der Ausweilungsversügung Betroffenenangehören, werde ich nach wie vor, sofern sonst die Voraussetzungenhierzu gegeben sind, meine Verwendung in jedem einzelnen Falle eintreten lassen. Wie die von mir schonim Ausschusse mitgeteilten einschlägigen Daten beweisen, sind dieResultate meiner Intervention im Interesse unserer Landsleuteu n g ü n st i g gewesen. In der Frage des Anspruchs unserer ausDeutschland heimgekehrten Arbeiter auf den Fortbezug vonUnfall- und Invalidenrenten möchte ich folgendes bc-merken: Infolge unserer Intervention hat der deutsche Bundesratbereits im Jahre 1995 einen Beschluß gefaßt, wonach die öfter-rcichischcn Arbeiter, auch wenn sie das Deutsche Reich verlassenhaben, im Genüsse ihrer dort erworbenen Unsallrente verbleil'en.Wegen Zuerkennung desselben Rechtes an jene österreichischen Ar-beitcr, die in Deutschland auf Invalidenrente Anspruch erworbenhaben, sind Verhandlungen mit der kaiserlich deutschen Regierungnn Gange. Es ist darauf hingewicffen worden, daß die Verfügung.welche die sogenannten Sachsengänger betrifft, bloß ansunsere Staatsangehörigen Anwendung findet. Das ist nicht ganzzutreffend. Die Verfügungen der preußischen Behörde, die am1. Februar in Kraft getreten sind, beziehen sich auf alle Arbeiter,welche vom Osten kommen, also auch auf die Russen. In betreffdieser Verfügungen kann ich auf die Erklärungen verweisen, dieich dem Ausschusse abgegeben habe, und die dahin lauten, daß wirmit der preußischen Regierung in freundschaft»liehe Verhandlungen eingetreten sind, gewisse Ve»