Kr. 78. ZZ.Iahlgasg.2. Ktilage ies Jotroärts" Ictlinn DllisMUttwoch. l. April lW.Die Forderungen der Friseurgehülfen an dieGesetzgebung.Am DovnerZtag fand in den Arminhallen eine zahlreich besuchteöffentliche Friseurgehülfenversammlung statt, in der der Reichs-tagsabFeordnete Brey über:„Die Friseurgehülfen unddie soziale Gesetzgebung" sprach. Wie der Redner mitRecht hervorhob, ist in diesem Beruf neben der gewerkschaftlichenOrganisation gesetzliche Regelung der Arbeitsverhältnisse ganz be-sonders notwendig. Ist es doch weit schwerer, die Friseurgehülfenals andere Arbeiter für die Gewerkschaftsbewegung zu gewinnen.weil in jenem Berufe nur Kleinbetriebe, meist mit einem oder zweiGehülfen, vorhanden sind, wozu dann noch der verderbliche EinflußdeS Trinkgeldunwesens kommt und ferner das Kost- und Logis-system, was alles die EntWickelung der Gehülfenschaft zu selbstän-ingem Denken und Handeln beeinträchtigt. Gesetzliche Matznahmenzur Regelung ihrer Berufsverhältnisse verlangten die Friseur-gehülfen schon in einer Denkschrift von 1895, der dann im Jahredarauf ein Nachtrag folgte. Beide Eingaben blieben unbeachtet.Auch ihre letzte Denkschrift für gesetzliche Regelung der Arbeitszeit,eingereicht im April 1997, hat bis jetzt keinerlei Erfolg gehabt. Diesozialpolitischen Gesetzesvorlagen im Reichstag, so wenig sie auchder Arbeiterschaft im allgemeinen bieten, lassen die Lage derFriseurgehülfen gänzlich unberücksichtigt. Der Redner führte diewichtigsten Ergebnisse aus den durch die Gewerkschaften veranstal-teten Erhebungen an, die sich im Friseurberus auf 326 Betriebe mit478 Gehülfen erstreckten. Diese Ergebnisse schreien förmlich nachgesetzlicher Hülfe, wie der Redner treffend bemerkte. Datz sie nur12 Stunden täglich zu arbeiten haben, kann danach von den Friseur-gehülfen im Deutschen Reiche als ein seltener Vorzug angesehenlverden, denn nur in 8 jener 326 Betriebe erfreuten sich 19 Ge-hülfen dieser an sich doch schon allzulangen Arbeitszeit, während in13 Betrieben 15 Gehülfen 1214, in 74 Betrieben 196 Gehülfen 13,in 49 Betrieben 58 Gehülfen 1314, in 149 Betrieben 227 Gehülfen14, und in 37 Betrieben 62 Gehülfen gar 15 bis 16 Stunden, wennnicht noch länger, arbeiten. Dazu kommt, datz in 269 Betrieben395 Gehülfen innerhalb ihrer unmenschlich langen Arbeitszeit über-Haupt keine bestimmten Ruhepausen hatten. Aus den Erhebungenüber die Logisverhältnisse führte der Redner zwei Beispiele an:ein gutes aus Frankfurt a. M., das jedoch dort wie im allgemeinenzu den ganz seltenen Ausnahmen zählt, und ein schlechtes BeispielauS Berlin; ein Beispiel des Logiselends, das in mehr oderminder krasser Form die Regel bildet. Dem Friseurgehülfen, der14 Stunden täglich arbeiten mutz, war hier ein Korridorraum zurBehausung geboten mit nur 114 Quadratmeter Futzbodenfläche und3 Kubikmeter Rauminhalt, ohne Fenster und weder verschlietzbar,noch heizbar.— So kraß nun auch die Mitzstände sind, die durchdie Erhebungen aufgedeckt wurden, so mutz man leider annehmen,datz die Verhältnisse noch elender sind; denn, wie immer, wennGewerkschaften Untersuchungen über die Arbeitsverhältnisse ver-anstalten, wurden auch hier meist nur solche Betriebe erfaßt, wodie Arbeiterorganisation schon mehr oder weniger Eingang ge-funden und ihren Einfluß geltend gemacht hatte. Die Arbeitgeberober wollen keine Verbesserungen; ihr Jnnungsbund strebt vielmehrdanach, datz das bißchen Sonntagsruhe ein gut Teil verschlechtertwerde. Irgend welche große Hoffnungen kann ja die Arberterschaft,können ja die Friseurgehülfen nicht auf die Gesetzgebung in Deutsch-land setzen. Gleichwohl müssen sie immer von neuem und immerdringender Gesetzeshülfe gegen die unerträglichen Mitzstände for-dern. Der Redner machte in eindringlichen Worten darauf auf-merksam. datz vor allem zur Besserung der Verhältnisse starke Or°zanisation notwendig ist.—Einstimmig wurde folgende Resolution angenommen:„Die öffentliche Versammlung der Barbier-, Friseur« undPerückenmachergehülfen erklärt:Die im Barbier-, Friseur- und Perückenmachergewerbe be-schäftigten Gehülfen sind seit 14 Jahren vergeblich bemüht, einegesetzliche Regelung ihrer Arbeitszeit zu erzielen. Die Versamm-lung mutz es daher lebhaft bedauern, datz die Reforn, der Sonn-tagsruhebestimmungen sich auf das Handelsgewerbe beschränkt,und bei der Novelle zur Gewerbeordnung der gemeinsame Wunschder Arbeitgeber und Arbeitnehmer des Gewerbes um Aufnahmeeiner Bestimmung in die Gewerbeordnung, welche die Einfüh-rung eines einheitlichen Geschäftsschlusses an Wochentagen er-möglichen soll, nicht berücksichtigt wurde. Die Versammlung be-dauert ferner, daß die im Handwerk tätigen Arbeiter von denArbeitskammern, deren Schaffung in Aussicht genommen ist, vonvornherein ausgeschlossen fein sollen, obschon die Gewerbeord-nungsnovelle eine wirksamere Fassung der durch die Innungenleicht zu umgehenden Vorschriften des§ 95 der Gewerbeordnung,insbesondere deS zweiten Absatzes derselben, nicht vorsieht.Die Versammlung erinnert deshalb an die in der EingabedeS Verbandes der Friseurgehülfen Deutschlands an den Reichs-tag und Bundesrat von 25. April 1997 festgestellten Tatsachen,daß die Arbeitszeit der im Barbier- und Friseurgewerbe vor-wiegend beschäftigten Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter durch-schnittlich neunzig Stunden wöchentlich beträgt, daß irgendwelche bestimmte Essenspausen vollständig fehlen und die Sonn-tagsruhebestimmungen den Gehülfen und Lehrlingen nicht eineneinzigen vollständig freien Sonn- und Festtag im Jahre zugestehen, ferner die Gewerbeordnung den Arbeitgebern keine Handlhabe bietet, einen einheitlichen früheren Ladenschlutz an Wochen-tagen herbeizuführen, und erklärt es als durchaus wünschenS-Wert und dringend notwendig, wenn1. der Beginn der Arbeitszeit an Wochentagen nicht vor7 Uhr morgens und der Schluß nicht nach 8 Uhr abends(Sonnabends nicht nach 19 Uhr abends);2. eine Beschäftigung an Sonn- und Festtagen im allgemeinen nur bis 12 Uhr mittags und an den zweitenÖfter-, Pfingst- und Weihnächtsfesttagen überhauptnicht gestattet, und8. ein einstündige Mittagspause bestimmt werden möge.Insbesondere richtet die Versammlung an den Reichstag dieBitte, bei Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Arbeits-kammern vor allein die Ausnahmebestimmung gegen die unterTitel Vl der Gewerbeordnung fallenden Gehülfen und Arbeiter(Z 7 des Entwurfs) zu streichen, und im übrigen den Entwurfso zu gestalten, daß die Arbeitskammern„Veranstaltungen undMaßnahmen, welche die Hebung der wirtschaftlichen Lage undder allgemeinen Wohlfahrt der Arbeitnehmer zum Zwecke haben",nicht nur anzuregen, sondern auch durchzuführen befugt und ge-eignet sind,"_Soziales«Zum Arbeiterschutz für Jugendliche.Paragraph 136 Absatz 2 der Gewerbeordnung bestimmt:„Während der Pausen darf den jugendlichen Arbeitern(unter16 Jahren) eine Beschäftigung im Fabrikbetriebe überhaupt nichtund der Aufenthalt in den Arbeitsräumen nur dann gestattet wer-den, wenn in denselben diejenigen Teile des Betriebes, in welchenjugendliche Arbeiter beschäftigt sind, für die Zeit der Pause völligeingestellt werden oder wenn der Aufenthalt im Freien nicht- tun-lich ist und andere geeignete Aufenthalsräume ohne unVerhältnis-mätzige Schwierigkeiten nicht beschafft werden können." WegenUebcrtretung dieser Bestimmung war Julius Borchardt, Mitinhaberund verantwortlicher Betriebsleiter der grohcn BorchardtschenWäschcfabrik, zu einer Geldstrafe von 199 M. verurteilt worden.In dem Betriebe sind neben 599 Ertvachsenen 39 Jugendliche be-schäftigt. � Die jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen warenwährend ihrer halbstündigen Frühstückspause in den Arbeitsräumengeduldet worden, obwohl die Erwachsenen in denselben Räumenwährend ihrer halbstündigen Frühstückspause in Arbeitsräumenstrittigen Tagen war nun allerdings der Aufenthalt im Freienwegen des Wetters nicht tunlich. DaS Landgericht nahm aber an,datz der Einwand des Angeklagten, andere Aufenthaltsräume hättensich nicht ohne Schwierigkeiten beschaffen lassen, nicht stichhaltigsei. Die einmalige Verweigerung einer Bauerlaubnis hätte B.nicht davon entbunden, es mit anderen Projekten zu versuchen. Beieinem Betriebe mit 599 Beschäftigten wäre es zweifellos möglich,für nur 39 Jugendliche einen Aufenthaltsraum zu beschaffen. An-geklagter hätte dafür sorgen oder veranlassen müssen, daß währendder ganzen halben Stunde in den fraglichen Fabrikräumen derBetrieb ganz ruhte. Seine strafrechtliche Verantwortung blieb hierbestehen, wenn auch Abteilungsleiterinnen(Direktricen) vorhandenwaren und Borchardt sich von ihnen zudem es schriftlich hatte be-stätigen lassen, datz sie die Verantwortung für die Jnnehaltung derVorschriften über die Pausen übernähmen. Zum mindestens hätteB., der von Zeit zu Zeit in gewissen Betrieben der Fabrik kon-trollierte, auch die hier strittigen Räume mal aufsuchen und kon-trollieren müssen, ob die Bestimmungen über die Pausen auch be-folgt würden. Das falle in den Rahmen der ihm möglichen Ober-aufsicht. Er habe sich aber niemals in den Räumen sehen lassen.Das Kammergericht verwarf kürzlich die hiergegen eingelegteRevision des Angeklagte». Die Vorentscheidung enthalte keinenRechtsirtum. Auch das Verschulden des Angeklagten sei zutreffendfestgestellt. Er sei schon einmal wegen gleichen Vergehens bestraftworden. Er habe darauf einen Rückzugsweg genommen und dieDirektricen verpflichtet, für die Jnnehaltung der gesetzlichen Vor-schriften zu sorgen und alles auf sich zu nehmen. Und das habe ergetan, obwohl er selber behauptete, es ginge nicht. Was von derHandlungsweise zu denken sei, möge dahingestellt bleiben. Der vonden Direktricen unterzeichnete Revers entschuldige ihn in keinerWeise. Sein« Verpflichtung, aufzupassen, soweit es ihn möglichsei, werde dadurch nicht beseitigt. Es wäre ja sehr bequem, dieDirektricen unter dem Drucke des eventuellen Verlustes de;: Stellezu zwingen, die Folgen auf sich zu nehmen.Prämien für Unterschlagungen.Beiträge der Krankenkasse und Invalidenversicherung unter-schlagen hatte der Schneidermeister Grünwaldt aus R l b n i tz,der sich dieserhalb vor dem Landgericht R o st o ck i. M. zu verant-Worten hatte. G. hat monatelang 3 bis 5 Gehülfen beschäftigt, dieBeiträge für beide Versicherungsarten jede Woche von den Löhnender Arbeiter abgezogen, das Geld aber hübsch in seine Tasche ge-steckt, anstatt es an die Kassenstelle der Ortskrankenkasse Ribnitzabzuliefern. Durch Zufall wurden die Betrügereien Grünwaldtsentdeckt und nach längerem hin und her die Sache angezeigt. DemGericht lagen 3 Fälle zur Aburteilung vor, die dem Angeklagtennachgewiesen werden konnten. Die betr. drei Schneider hatten jezirka 12 Wochen bei G. in Arbeit gestanden. Anstatt 32 Pf. proWoche, zog der sorgsame Arbeitgeber 35 Pf. ab, weil er„nicht mitPfennigen handle", wie er sich diesen Angaben der Arbeiter gegen-über ausdrückte. Die Arbeiter verdienten wöchentlich nur 5 bis6 M„ Bei ihrem Eintritt in den Betrieb sagte ihnen der Meister:„Das Krankengeld müssen Sie bezahlen, das müssen die anderenauch." Der Grünwaldt tat vor Gericht so, als hätte er die Gesetzenicht gekannt. Der Staatsanwalt dagegen betonte, datz der An-geklagte sich„auf Kosten seiner Arbeiter bereichern wollte". DerKrankenkasse gegenüber habe er mit Lügen operiert und beantragteer 79 M. Strafe.— Der Verteidiger meinte u. a.. solche Fällekämen in derartigen Betrieben sehr häufig vor!— Mit nur 39 M.Strafe bewertete schlietzlich das Gericht die Vergehen deS Ordnungs-mannes.Die Niedrigkeit dieser Strafe kann sicher nicht abschreckendwirken._Schwäbische Kindermärkte.Am vergangenen Sonntag wurden wieder etlva 399 Hütekindervon einem Geistlichen namens Gaim von Landeck über Bregenzzum Hütkindermarkt in Friedrichshafen geschleppt. DaS sind diebekannten Kindermärkte, die sich alljährlich wiederholen und wozunamentlich die Tiroler Bevölkerung das zahlreichste Kontingentliefert. Die armen, halberwachsenen Jungen und Mädchen imAlter von 12 bis 14 Jahren werden hier von ihren„Dienstherr-schaften" gemietet. Der vereinbarte Lohn beträgt höchstens 89 M.für 7 Monate, häufig nur 69 und auch 59 M., dazu kommen zweiGewänder, eins für die Arbeit und eins für Sonntags. Erst am28. Oktober können die Kinder in ihre Heimat zurückkehren. Essind fast ausnahmslos Geistliche, welche diesen Kinderhandel unddiese Kindersklaverei zur höheren Ehre GotteS zur Ausführungbringen._Die Duisburger Gewerbegerichtswahlendete leider mit einem kleinen Mißerfolg der freien Gewer!-schaften. Ihre Kandidaten erzielten 1856 bis 1871 Stimmen, dieListe des christlichen Gewerkschaftskartells dagegen 2248 bis 2258 unddie Liste der mit den evangelischen Arbeitervereinlern verbündetenHirsch-Dunckerianer 1962 Stimmen. Die Wahlbeteiligung war einesolch lebhafte, datz nur wenig Wahlberechtigte von ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch machten. Die freien Gewerkschaften er-zielten nur 11 Stimmen Zuwachs, während das christliche Gewerbschaftskartell nicht nur den Abfall der evangelischen Arbeitervereineausfüllte, sondern noch 351 Stimmen hinzu eroberte. Den Hirschenbrachte ihr Bündnis mit der Unternehmerschutztruppe 392 StimmenGewinn. Da die Wahlen nach dem Proporzsystem stattfanden, er-halten die freien und christlichen Gewerkschaften je 2 Beisitzer, dieHisch« einen._Die Wertzuwachssteuer in Brandenburg a. b. H.In der letzten Stadtverordnetensttzung zu Brandenburg a. H.wurde die Einführung einer Wertzuwachssteuer, die rückwirkendeKraft bis 1895 hat, nach den Vorschlägen des Magistrats mit 39gegen 9 Stimmen beschlossen. Die Steuer läßt den Wertzuwachsbis 599 M. steuerfrei und steigt dann progressiv; ihr jährlicherErtrag ist auf 39 999 M. geschätzt. Unsere Genossen versuchten dieSteuer noch auszugestalten, hatten damit aber ebensowenig Erfolg,wie die extremen Gegner der Steuer mit ihren Obstruktions- undVerwässerungsversuchen.(Die direkten Steuerzuschläge in Bran-denburg a. d. H. betragen 299 Proz.)Deutsche HeimarbeitSauSstellung in Frankfurt a. M.Gestern wurde in Frankfurt a. M. die deutsche Heimarbeits-auSstellung eröffnet. Ueber dieselbe werden wir eingehend refe-rieren.________Gerichts-Zeitung.Erinnerungen auS Deutsch-Südwestafrikahaben den Kaufmann Leo Lewin auf die Anklagebank gebracht.Am Dienstag stand er vor der zweiten Strafkammer des Land-gerichts I Berlin, um sich zu verantworten wegen verleumderischerBeleidigung von Sanitätsoffizieren der deutschen Schutztruppe.Nach Deutsch-Südwestafrika war Lewin gegangen als An-gestellter des Roten Kreuzes. Er wurde dem EtappenlazaretKaribib zugeteilt als„Korrespondent", d. h. er hatte den Krankenallerlei Schreibhülfe zu leisten und sie durch Vorlesen zu unter-halten. In dieser Stellung geriet er in Konflikt mit dem OberarztBartels, dem er derb antwortete, weil er meinte, daß der ihmüberhaupt nichts zu sagen Habe. Vom Stabsarzt Dr. Fischer, demer nach den Bestimmungen der KriegLsanitätsordnung unterstelltwar, kriegte er hierfür einen Verweis, und er wurde dann nachKetmanshop versetzt. Als er noch auf dem Wege nach dort war,wurde er durch Telegramm des Hauptmanns Spalting zurück-gerufen. Er hatte sich als entlassen zu betrachten und mutzte denStaub Deutsch-Südwestafrikas von seinen Pantoffeln schütteln.Nach Deutschland zurückgekehrt, besuchte Lewin in Berlin An»gehörige von Personen, mit denen er in Karibib in Berührung ge-kommen war, die Mutter des damaligen SanitätsunteroffiziersMuckau und eine Schwester des damaligen AssistenzarztesDr. Sasserath. Ihnen gegenüber soll er sich sehr abfällig übcr dasLazaret Karibib und die dort beschäftigten Aerzte gcäustert haben.Zu Frau Muckau, an die er Grütze vom Sohn zu bestellen hatte.soll er gesagt haben, das Leben in Karibib sei elend, ihrem Sohnegehe es sehr schlecht, er weine oft, gern wäre er auch mit nachDeutschland zurückgekehrt, im Lazaret gebe es einen schrecklichenFratz, von den Aerzten würden tagelang Jagdausflüge gemacht,dabei werde von ihnen Proviant mitgenommen, der für die Krankenbestimmt sei, und so weiter. Dem Fräulein Sasserath soll Lewinerzählt haben, der Bruder sei sehr krank, er gehe an Krücken, manlasse ihn aber nicht nach Deutschland zurück, weil man froh sei,wenn man drüben einen behalte, er selber aber sei in die Heimatzurückgeschickt worden, weil er den Leuten zu schlau sei. Durchdiese beunruhigenden Mitteilungen wurden die AngehörigenMuckaus und Sasseraths veranlaßt, bei ihnen selber brieflich an-zuftagen. Es wurde aber aus Karibib geantwortet, die von Lewingegebene Darstellung sei gänzlich unwahr, es gehe ihnen durchausgut. Auf diese Weise kamen die Aeutzerungen über die Aerzteund das Lazaret zur Kenntnis der Militärbehörde, und dasGeneralkommando der Schutztrnppe stellte gegen ihn Strafantragwegen Beleidigung der Sanitätsoffiziere.Vor Gericht be st ritt Lewin, gesagt zu haben, datz dieAerzte die Kranken vernachlässigten und Not leiden ließen. Da-gegen hielt er alles übrige im wesentlichen auf»recht und bot hierfür den Wahrheitsbeweis an.Geladen war eine große Zahl Zeugen, namentlich Personen, diezum Personal des Lazaretts Karibib gehört hatten, auch VerwandteMuckaus und Sasseraths. Die Behauptungen des Angeklagtenwurden aber durch die Zeugen nur zu einem geringen Teil alswahr erwiesen. Bestätigt wurde durch die Aussagen der Aerzteselber, des kommissarisch vernommenen Stabsarztes Dr.Fischer sowie der persönlich erschienenen Herren Oberarzt Dr.Bartels und Assstenzarzt Dr. Sasserath, datz Jagdausftugqvon ihnen gemacht worden sind. Doch sei, so wurde ver»sichert, immer mindestens ein Arzt bei den Kranken zurückgeblieben.Rechtsanwalt Theodor Liebknecht, der dem Ange-klagten als Verteidiger zur Seite stand, ließ feststellen, datz dasLazarett manchmal in der inneren Station mit 199 Kranken, inder äußeren Station mit 49!— 50 Kranken belegt war, und datz75 Prozent der innerlichen Kranken den Typhushatten.Der Angklagte soll auch gesagt haben, daß denEingebore»nen für Aufführung ihrer Nationaltänze Pro»viant aus dem Lazarett sowie Rum gewährtworden sei. SanitätSunteroffizier Muckau bekundete,so oft es Rum gab, habe der Lazarettinspektor gewöhnlich denWeibern gesagt:„Nun tanzt ma l". und dann sei vonden Weibern getanzt worden. Der Verteidiger wies daraufhin, datz doch die Spendung von Rum an schwarze Arbeiter durchGouvernementsbefehl verboten worden sei. Ob das Verbot schondamals bestand oder später erst erging, darüber konnte weder Muckaunoch irgend einer der anderen Zeugen eine bestimmte Aussagemachen. Zeuge Krankenwärter Döring schilderte, wiedie Eingeborenen immer den Wunsch äußerten, etwas vorzutanzen.Der Oberstabsarzt hatte nämlich angeordnet, daß ihnen der Rumin kleinen Einzelrationen kredenzt würde, weil sie ein-mal dieses wichtigste Erzeugnis der europäischen Kultur zu reichlichgenossen und die Folgen zu spüren gekriegt hatten. Festgestelltwurde, datz ein Lazarettinsasse, der eben erst eine Geschlechtskrank»heit durchgemacht hatte, bereits zu einer Zeit als Hülfskoch ver-wendet wurde, wo er noch mit Geschlechtskranken zusammen indemselben Zimmer einquartiert war.Staatsanwalt Dr. Bernau war der Meinung, daß reingar nichts von den Behauptungen des Ange klag»tenübriggeblieben sei. Lewin habe wider besseres Wissenharmlose Vorgänge aufgebauscht und falsche Angaben gemacht.Seit langer Zeit spiele Berleumdungssucht und Ehrabschneidereieine große Rolle, nicht nur das Privatleben werde zu sensationellemKlatsch ausgeschlachtet, auch öffentliche Angelegenheiten würden ingefährlicher Weise entstellt. Wären Lewins Angaben zur Kenntnisder antimilitaristischen, deutschfeindlichen Pro.paganda gelaugt,— hier schielte der Staatsanwalt, wenn manso sagen darf, mit einem Auge nach dem Verteidiger, mit demanderen nach der Festung Glatz—. hätte schweren Schaden ent»stehen können. Im Hinblick auf die Gefahr verdiene der Ange-klagte eine besonders streng« Strafe, er sei wegen verleumderischerBeleidigung mit drei Monaten Gefängnis zu bestrafen.Rechtsanwalt Dr. Liebknecht wandte sich zunächst gegenden Versuch, einer an sich harn, losen Sache diese Folie zu geben.Der Angeklagte habe doch höchstens den Mund etwas zu voll ge-nommen. Erwiesen sei, datz manches in dem Lazarett nichtovdnungsmätzig war; bor allem habe die Verwendung des kaumgeheilten Geschlechtskranken als Hülfskoch keinesfalls geduldetwerden dürfen. Des Staatsanwalts Anspielungen auf die„anti-militaristische, deutschfeindliche Propaganda" und auf„eine gewissePresse" wurden vom Verteidiger lächelnd zurückgewiesen. Erempfahl schlietzlich den Angeklagten, der in keinem Punktwider besseres Wissen geredet habe, der Milde desGerichts.Das Gericht gelangte zu dem Urteil, der Angeklagte seiin dem Fall Mückau der vxr lieumdierischen Bselei-digung schuldig, doch seien ihm mildernde Umstände zuzu-billigen, daher sei ein« Geldstrafe von 399 Mark(ev.39 Tage Gefängnis) als ausreichende Sühne anzusehen. Wegender Aeutzerungeg im Fall Sasserath erfolgte Frei»sprechung._Obdachlosigkeit.§ 361 Ziffer 8 bedroht mit Haft:„wer durch Verlust seines bis»herigen Unterkommens binnen der ihm von der zuständigen Behördebestimmten Frist sich kein anderweitiges Unterkommen verschaffthat und auch nicht nachweisen kann, datz er solches der von ihmangewandten Bemühungen ungeachtet nicht vermocht hat." Nebender Haftstrafe kann auf Ueberweisung an die Landesbchörde(Arbeitshaus) erkannt werden.Von dieser grausamen Vorschrift werden Hunderte, ja Tau-sende getroffen, die ohne eigene Schuld obdachlos sind. DieseOpfer der heutigen Gesellschaft werden in Masse abgeurteilt.Selten ergreift ein Unglücklicher ein Rechtsmittel. Als erste In-stanz kommt das Amtsgericht, als letzte das Oberlandesgericht inBetracht. Das Reichsgericht tritt nur in solchen Fällen in Tätig.keit, in denen der Verurteilte noch wegen eines Vergehens oderVerbrechens aAgeurtcilt wird, für das die Strafkammer als ersteInstanz zuständig ist. Der seltene Fall, daß das Reichsgericht»ntder Auslegung der gegen Obdachlose gerichteten Strafvorschrift sichzu befassen hat. ereignete sich am Montag. Das Reichsgericht ont»schied zugunsten des Verurteilten.Es war nämlich am 39. Januar vom Landgericht Hamburgder Klempner Wilhelm Bernhard Alfter zu einer Haftstrafe von14 Tagen verurteilt worden; außerdem ist auf Ueberweisung audie Landespolizei erkannt worden. Eine ihm ferner wegen Dieb-stahls auferlegte Strafe wurde als durch die erlittene Unter-suchungshaft verbüßt erachtet. Der Angeklagte war verwarnt lvor-den. weil er kein Obdach hatte, und die Behörde hatte ihm auf-gegeben, sich ein solches binnen— zwei Tagen zu verschaffen.Da er dies nicht tat, wurde er, wie oben angegeben, bestraft.»»