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Zeppelin vom Reiche die Mittel erhalten wird eine halbe Million ist ihm ja bereits am Mittwoch bewilligt worden, um seine Versuche fortzusetzen. Die Fahrt Zeppelins vor der Katastrophe hat ja soviel bewiesen, daß ein lenkbarer Ballon des Zeppelinschen Systems bei günstigem Wetter in der Lage ist, eine Fahrt von 1000 Kilometern zurückzulegen.' Das dürste ausreichen, um die Luftschiffe deS Zeppelin- Systems dem Militarismus zu empfehlen und Zeppelin jeder staatlichen Subvention teilhaftig werden zu laffen. Für Zeppelin und sein Luftschiff ist also schon von wegen unseres Militarismus gesorgt. Und es ist ja nur zu bekannt, daß das Deutsche Reich zwar für Kulturaufgaben kein Geld übrig hat, aber für militari st ische Zwecke mit den Mitteln niemals knausert! Was soll da also die kommunale oder auch privatenationale" Sammelet,- für die jetzt so emsig die Werbetrommel gerührt wird? I Denkende Menschen sollten sich überhaupt nicht so sehr durch Stimmungen beherrschen lassen. Jeder Mensch, der seine fünf gesunden Sinne beisammen hat, sollte sich doch wohl klar machen können, daß ein lenkbarer Luftballon niemals als Verkehrs-, geschweige denn als Trans- portmittel in Frage kommen kann, da das riesenhafte Ungetüm des Ballons nur eine winzige Tragkraft besitzt. Das 126 Meter lange Luftschiff Zeppelins vermochte kaum 20 Personen zu tragen I Selbst also, wenn eS. wie zu erwarten, gelingt, die Motoren zu verbessern, bei geringerem Gewicht leistungsfähiger zu machen, wird ein Ballon- Lustschiff niemals als Personen- oder Lastenbefördcrungs- mittel in Frage kommen, es sei denn, daß ein neues GaS erfunden würde, das um das Vielfache leichter wäre, als das bisher zur Füllung verwendete Gas I Unser Militarismus steilich braucht sich um alleL baS   nicht zu kümmern. Selbst wenn die ausschweifenden Illusionen, die Zeppelin-Luftschiffe als LuftkriegSschiffe, als verderbenspeiende Entsender zerstörender Lufttorpedos ver- wenden zu können, sich nicht erfüllen sollten, besitzen lenkbare Lustschiffe mit einem so großen Aktionsradius, wie ihn auch die verunglückte neueste Fahrt Zeppelins wieder bewiesen hat, unzweifelhaften strategischen Wert. Für den Aufklärungs- dienst vermögen solche Fahrzeuge sicher mehr zu leisten, als Kavalleriepatrouillen, Automobile, Fesselballons oder lenkbare Ballons mit nur kleinem Aktionsradius. Deshalb wird sich auch der Militarismus der Erfindung Zeppelins sicherlich in höherem Maße bemächtigen, als dem Reichsetat und den Steuerzahlern zuträglich sein dürste! Wozu also noch kommunale und private Gelder für Zeppelin aufbringen I Es beweist auch eine völlige Unkenntnis der Dinge, wenn man mit tönenden Worten die Erfindung Zeppelins mit der Erfindung SteffensonS auf eine Stufe setzt. Die erste Lokomotive ermöglichte die Verzehn-, die VerHundert- fachuna des Verkehrs. Wie aber durch Lustballons Lasten oder Menschenmassen transportiert werden könnten, auch wenn nicht nur die Steuerungsapparate. sondern auch die Motoren tadellos funktionierten, das ist das Geheimnis der Luftschiff n a r r e n, über die sich Zeppelin s e l b st noch unmittelbar vor seiner Fahrt lustig gemacht hat, als er daS Schreckgespenst einer deutschen   militärischen Invasion in England als albemen Mumpitz verhöhnte I DaS deutsche Proletariat hat also alle Ursache, den luftigen Veitstanz gewisser Elemente nicht mitzumachen! Das Proletariat hat wahrhaftig Grund genug, sich um seine Interessen, seine Rechte zu kümmern; der Lustmilitarismus wird schon dafür sorgen, daß Zeppelins Erfindung nicht verloren geht l Die Ursache der Katastrophe. Der Regierungsrat a. D. Rudolf Martin meldet aus Stuttgart   vom 6. August, 2 Uhr 15 Minuten nachmittags: Ich war soeben auf der Unfallstelle bei Echterdingen und bin in der Lage, den Hergang der Katastrophe wahrheitsgemäß auf Grund der Unterhaltung mit den kompetente st en Augenzeugen darzustellen. Der Berlagsbuchhändler C. Hirsch aus Konstanz   war mit seinem Automobil gestern abend hierhergekommen und brachte mich heute früh 7 Uhr zur Unfall- stelle. Auf der Rückfahrt nahmen wir die Ingenieure Kober und Stahl des Grafen Zeppelin mit nach Stuttgart  . An der Unfallstelle sprach ich überdies ausführlich den Leutnant von Speth vom Stuttgarter   Grenadier-Regiment, der bei dem Unglück bis zum letzten Augenblick das Seil mitgehalten hat. Die Ursache der Explosion ist bis jetzt nicht festgestellt. Denkbar ist nur Selbstentzündung deS GaseS bei dem starken Aufprall deS Luftschiffes am Boden und gegen, die Bäume. Das Benzin ist nicht explodiert und noch vorhanden, nur das GaS ist explodiert. 80 Grenadiere hielten das Luftschiff, als um 3 Uhr nachmUtagS Plötzlich ein starker Wirbelwind von unten, seitwärts und rückwärts das an der Spitze fest» verankerte Luftschiff ergriff und den Anker loSriß. Zahlreiche Soldaten wurden 1 3 Meter in die Höhe gerissen. Die Kräfte der 80 Grenadiere versagten. bOO Mann aber hätten das Riesenluftschiff halten können. Zwei Monteure und der eine Grenadier wurden mit dem Luftschiff 1201) Meter weit getragen. Die Monteure in der Gondel, der Soldat am Tau, außerhalb der Gondel. DaS Luftschiff brannte während dieser unfteiwilligen Luftfahrt nach dem Zeugnis der anwesenden Offiziere nicht. Die Explosion erfolgte erst, als der vordere Teil des Luftschiffes 1200 Meter weit gegen die Bäume rannte und am Boden auf- schlug. Wahrscheinlich hat sich die Baumwollhülle eines GaS- ballonS durch die Schnelle der starken Reibung am Erdboden oder an den Bäumen selbst entzündet. Die Motore waren kalt und in der letzten halben Stunde nicht in Bewegung. Es ist gar nicht möglich nach der Ansicht des Ingenieurs Stahl, der die ganze Dauerfahrt Zeppelins mitgemacht hat, daß der Aufprall einen der Motore in Bewegung gesetzt hat. Alle ZeitungSmeldungen über die Benzinexplosion gehören in daS Reich der Fabel. Ingenieur Stahl erklärte sich mir gegenüber bereit, sofort beide Motore in Bewegung zu setzen. Die beiden Gondeln samt Motoren und Benzinvorräten sind unversehrt und können aufs neue verwendet werden. Die Explosion war eine zweifache. Zuerst erfolgte ein Knall wie ein Kanonenschuß. nach Aussage des Leutnants von Speth, der mit den Grenadieren im schnellsten Laufe dem Luftschiffe nachjagte und sich bei der Explosion etwa dvo Meter hinter dem Luftschiff befand. Zuerst brannte der vordere Teil, der zuerst auf die Bäume und den Boden aufgeschlagen war. Darauf folgte eine viel geringere zweite Explosion, wie wenn man Pulver verbrennt, und starke Detonation. Seit sechs Uhr ftüh wird heute das Aluminiumgerippe von Zeppelins und Daimlers Arbeitern zersägt. Das Aluminium wird bei Wilhberg in Lüdenscheid  «ingeschmolzen. Von den baumwollenen Hüllen der 15 GaSballoaS find mt noch einige wenige Fetzen zu sehen. AlleS übrige dieser Baumwollhüllen ist verbrannt. Während der Dauerfahrt von fast 24 Stunden über 750 Kilometern ist der Motor in der hinteren Gondel stets nach dem Zeugnis des Ingenieur Stahl, der sich in der hinteren Gondel befand, tadel. los gelaufen, nur der Motor der vorderen Gondel versagte zuerst vorgestern bei Worms   und gestern bei Mannheim  . Weitere Unterstützung des Reichs. Das Heroldsche Depeschenbureau meldet: Friedrichshafen  , 6. August. In der Konferenz, die Graf Zeppelin heute mit dem Vertreter des Reichsamts des Innern hatte, wurde ausgemacht, daß der Graf auf Kosten des Reiches wciterbaüen soll und zwar in möglichst schnellem Tempo. Graf Zeppelin   sandte darauf an den Kaiser folgende Dankesdepesche:.Ew. Majestät allergnädigster Trost- spruch verwandelt Trauer in Freude. Alleruntertänigft bewegten Dank dafür. Mit Begeisterung werde ich mich Ew. Majestät und des deutschen Volkes Austrag zum Weiterbauey unterziehen. gez. Graf Zeppelin  ." D Eine Reihe ßon Stadtverwaltungen, wie Stuttgart  , Essen, Dortmund   usw., beabsichtigen dem Grafen Zeppelin Unterstützungen zu bewilligen. Wir brauchen nicht zu wiederholen, daß wir diese Auswendungen für absolut überflüssig halten! Zeppelins Erfmdung ist auch ohnehin mehr alssichergestellt!» Sollten die Kommunen die doch sonst für soziale Zwecke so wenig Mittel aufzubringen geneigt sind wirklich das Kultur Problem der Luftschiffahrt unterstützen wollen, so müßten sie allgemein Preise und Subventionen kür d.ie verschiedensten Systeme der Luftschiffahrt bewilligen! MIMerwechke! I»«ler türhel. Die eigentliche Regierung der Türkei   bilden jetzt die jungtürkischen Offizierskomitees. Ihnen gehorchen die Armee wie die Marine, sie verfügen über die Zivilverwaltung und ihrer Leitung muß der Sultan  , bisher der selbst- herrlichste der Autokraten, bedingungslos sich fügen. Und diese organisierten Offiziere haben einen prächtigen Beweis ge- liefert,' wie der trostlose Zustand, der finanzielle und moralische Verfall des Landes nicht eine Folge derUnreife" der Bevölkerung war, sondern allein das Verbrechen der Autokratie. Der Absolutismus   unterbietet überall in Ruß- land ebenso wie in der Türkei   alle Kräfte deS Volkes, ver- dirbt das Land, verrät die Landestnteressen um seines eigenen Bestandes willen. Die siegreiche Revolution hat die Kräfte des Volkes entfesselt, mit einem Schlage der Mißwirtschaft ein Ende gesetzt, die Korruption getilgt, den Frieden im Innern hergestellt und in heißen Wochen ein Werk geleistet, das anderswo die langsame Reformtätigkeit nicht in Jahrzehnten zustande bringt. Und die Aenderung ist nicht nur eine äußere, sie hat auch die Psychologie des Volkes gewandelt. Das beweisen nicht nur die stürmischen Kundgebungen des besteiten Volkes, nicht nur die Teilnahme der türkischen Frauen an den politischen Demonstrationen. DieVoss. Zeitung" bringt heute die für die Umwandlung des Denkens so charakteristische Tat- fache, daß die Albaner stamme Mazedoniens   in der ge- heiligten Form eines VolkSetdes beschlossen haben, die Blut- räche fortan nicht mehr auszuüben. Die Blutrache vertrat bei den Albanern die Justiz: sie war eine der Hauptursachen für die ewigen Fehden der Stämme und ein Hindernis für den Zusammenschluß zu einer Nation. Gelingt es wirklich dem Einfluß der Revolution, die uralte Sitte zu brechen, so be- deutete das die Neuschaffung eines Volkes. Die Jungtürken   verfolgen stetig und ausdauernd ihren Plan, die Exekutivgewalt in die eigenen Hände zu nehmen. S a i d P a f ch a. der alle und vorsichtige Großwesir. konnte ihnen kein Vertrauen einflößen. Er muß weichen und ist durch den fortschrittlicheren K a m i l Pascha, der schon bis- her. obwohl ohne Portefeuille, der Schrittmacher der Jung- türken im Kabinett war, ersetzt worden. Er wird ein neues, den Jungtürken   genehmes Kabinett bilden. Dagegen wurde Dschemal-Eddin, der Scheich ül Islam  , der demissioniert hatte, weil er Bedenken gegen die hinterhältige Durchführung der Verfassung durch den Sultan hatte, wieder in sein Amt eingesetzt. Aber mit der Demission der anrüchigen Mnister und Günstlinge gibt sich daS Volk nicht mehr zufrieden. Sie werden verhaftet und für ihre Erpressungen und Schwindeleien zur Rechenschaft gezogen. Türkischen Extrablättern zufolge ist der frühere Martneminister Ramt Pascha in dem Augenblick, als er sich auf das Danipfschiff begeben wollte, von der Polizei und der Volksmenge sc st genommen worden. Bei seiner Verhaftung wurden 170000 Pfund vor- gefunden. Ebenso sind auch der frühere Mini st er des Inneren, Mehmed Memduh Pascha und der frühere Stadtpräfekt Reschid Bei verhaftet worden. Ihre Wohnungen wurden durchsucht und ein Unter- suchungsverhör eingeleitet. Ein charakteristisches Detail ist es, daß der Oberstall­meister deS Sultans Falk Pascha im DUdiz aufklärende Vor­lesungen über die Verfassung für Beamte und Diener des Palastes hält. In Mazedonien   haben sich die Banden völlig auf- gelöst. Einer der gefürchtetsten und verwegensten der bul- garischen Bandenführer Sandowski hat folgenden Ausruf veröffentlicht: Die Macedo-Bulgaren   sollen sich nicht irreführen lasien von einer verbrecherischen Agitation, die vielleicht von offiziellen Be- Hörden in Bulgarien   gegen den gemeinsamen Kampf an der Seite deS türkischen Volkes und seiner zur Freiheit streben- den Intelligenz beginnen werde. Znsaminen mrt dem Absolutismus müsse auch der mörderische Bruderkampf der Rationa» litäten unter einander begraben werden. Dir Macedo-Bul  - garen sollen sich keinerlei Agitationen seiten» des Fürstentums Bulgarien   gefügig zeigen, Werl   diese gegen die Verbrüderung der Macedo-Bulgaren   mit den Türken und gegen deren Freiheits- bestrebungen gerichtet seien. Ebenso haben sich die serbischen und griechischen Banden aufgelöst. ES wäre also wirklich an der Zeit, wenn auch die ausländische Reformgendarmerie zurückgezogen würde. poUtifcbe Qcbcrlicbt. Berlin  , den 6, August 1908, Eine Auslieferung. Ein hiesiges Montagsblatt brachte vor kurzem folgende Meldung: Zu welchen Handlangerdiensten sich die preußische Polizei hergibt, geht wieder einmal in krassester Weise aus einem Falle hervor, von dem unS durch Vorlegung unanzweiseldarer Dokrtmente berichtet wird. Der Bügler Abraham Katz kam in den letzten Tagen des Juni nach Berlin  , wo es ihm nach langem Bemühen gelang, Arbeit und Logis in der Dieffenbachstraße zn finden. Gelegentlich seiner Anmeldung auf dem Polizeirevier wurde ihm hier sein Paß mit dem Bemerken zurückbehalten, daß er ihn in 14 Tagen wiederbekommen würde. AuS unbekannten Gründen wurde Katz jedoch am 3. Juli nachts um 12 Uhr in seiner Wohnung verhaftet und in daS Polizeigefängnis am Alexanderplatz   abgeführt, wo ihm am 24. Juli von einem Kriminalbeamten der siebenten Abteilung ein Telegramm des russischenMinisters desAeußern vorgelesen wurde, das seine Auslieferung an die russische Behörde»an- ordnete". Der Protest des Verhafteten wurde seitens der Beamten mit Gelächter quitti.e�ct.. Am 26. �wurd«-der Mann, dessen Verbrechen darin besteht, ein Untertan deS Zaren zu sein, gefesselt und in Begleitung einiger Kriminalbeamten nach den: Bahnhof Alexanderplatz   geleitet, von wo aus er unter dem Schutz und Geleit zweier Beamten nach Wirballen in Rußland  transportiert wurde. Alle Gesuche, ihm wenigstens einen Rechtsanwalt zu stellen, wurden zurückgewiesen. In Wirballen wurde der Gefangene in Ketten geschmiedet und in das Gefängnis in Kowno   übergeführt, von wo es ihm gelang, an einige Berliner   Freunde einen Brief zu richten, w dem er sich bitter über die ihm zu Unrecht widerfahrene Gewalt be- klagt und sie bittet, zu seinen Gunsteu für ihn zu wirken. Von Kowno   soll er nach der Zitadelle in Warschau   gebracht werden. Wir zögerten mit der Wiedergabe, weil selbst nach unseren Erfahrungen der Fall unglaublich schien. Nähere Erkundigungen haben ergeben, daß in der Tat Katz in dieser Weise den Henkern des Zaren überliefert worden zu sein behauptet. Irgendein D e m e n t i ist bisher nicht erfolgt. Trotzdem können wir uns schwer entschließen, an eine Tat zu glauben, die beweisen würde, daß die Berliner   Polizei nicht nur dem preußischen, sondern auch dem russischen Ministerium unter- stellt ist. Aber wir denken, daß es an der Zeit wäre. schleunigst eine amtliche Aufklärung dieses Falles zu geben._ Der internationale Freihandclskongrest der in dieser Woche in London   stattfindet, bildet eine Art von Heer- schau über die Anhängerschaft deS Freihandels in den verschiedenen Ländern, auch in denen, wo allem Anschein nach der Protektionismus noch auf lange Zeit hinaus die Herrschaft behaupten wird. Aus Deutschland   sind u. a. anwesend Dr. Theodor Barth, Professor Brentano  , Professor Lotz-München  , Professor Lrndt-Frankfurt a. M., Großhändler Leube-Hamburg, Witt-Wannsee  , Dr. Brcitscheid-Verlim Hervorragende Freihändler der verschiedenen Nationen haben dem Kongreß Darstellungen der wirtschaftlichen Lage, der Aussichten deS Freihandels, der Wirkungen der Tarifpölitik. der Erfolge der Handelsverträge usw. in ihrem Vaterlande unterbreitet. Die ein- gehendste und umfangreichste Untersuchung hat der deutsche Reichs- tagsabgeordnete G o t h e i n geliefert. Er sieht die Aussichten der Freihandrlsbewegung in Deutschland   nicht für sonderlich günstig an, hält sie aber für unberechenbar, da immerhin ein plötzlicher Um- schwang in den Auffassungen der Mehrheit nicht unmöglich sei. Zwei Momente, führte er auS, drängten geradezu zur Abkehr vom Protektionismus: einmal die ungünstige Gestaltung der Reichs- ftnanzen und ferner die Notwendigkeit etsier intensiven Steigerung des Exportes.»Eiplinfolge seines starken Bevölkerungszuwachses auf die industrielle EntWickelung und ans die Ausfuhr industrieller Erzeugnisse so angewiesenes Land kann sie auf die Dauer nicht ohne die schwerste Schädigung seiner VollSkraft durch Schutzzölle hemmen. In Jahren glänzender Weltkonjunktur macht sie sich wohl weniger bemerllich, obwohl sie auch dann die Zunahme des Reich- tums erschwert. Aber in den Jahren wirtschaftlichen Daniederliegens wird die Notwendigkeit, mit der Verteuerungspolitik zu brechen, immer zwingender. Die Not der Zeiten wird auch die deutschen  Schutzzölle über den Haufen werfen." Besondere Aufmerksamkeit verdient ferner der Bericht des eng- tischen Freihändlers Russell R e a deshalb, weil immerhin in England mit der Möglichkeit gerechnet werden mutz, daß die nächsten Wahlen dem Schutzzöllnertmn eine Mehrheit verschaffen. Russell Nea ist freilich Optimist. Er hält wohl einen vorübergehenden Sieg der Protektionisten für- möglich, ist aber überzeugt, daß auch diejenigen englischen Industriellen, die heute einen solchen Schutz fordern, ver- stummen würden, sobald ihnen der für diesen Schutz zu zahlende Preis genannt würde.> Außerdem vertraut er auf dm Einfluß der Konsumentenmasse: »In England mehr als in einem anderen Lande der Well ist die öffentliche Meinung eine Macht. Sie steht über der Regierung, ja sie beherrscht, kontrolliert sie... Hat sie einmal die wahre Be- deutung eines SchuyzollprojekteZ erfaßt, so verweigert sie ihm ihre Unterstützung, eine schutzzöllnerisch« Majorität und Regierung wird, kaum gebildet, auch wieder verschwinden." Die Sachkenntnis des Herrn Prof. Schiemann. In einem Arttkel des Herrn Prof. Schiemann in der»Kreuzztg." über die Vorgänge in der Türkei   hieß es: »Wir finden also zwei Gruppen am Werk: die revoluttonäre anttdynastische, deren Wortführer zum Teil Armenier und Juden sind, und die eigentlichen Jungtürlen, die. wie sich nachträglich herausstellt, in der türkischen Armee unter den Offizieren überaus zahlreiche Anhänger halten." Darüber schreibt nun Herr Dr. Paul Nathan in einer hiesigen Korrespondenz folgendes: »Man wird den guten Glauben deS Herrn Prof. Schiemann hinsichtlich der Behauptung, daß orientalische Juden als Führer der.antidynastischen" Bewegung in der Türkei   in Betracht kommen, unter einer Voraussetzung nicht in Zweifel ziehen dürfen. Man braucht nur anzunehmen, daß Herr Prof. Schiemann von den Zuständen und den Verhältnissen in der Türkei   nicht die geringste sichere Keniitnis hat. und eS scheint mir, daß aus diese mildernden Umstände zn plädieren ist. Denn auch nicht Armenier oder Jungtürken   sind die vor- nehmsten Träger der Bewegung. Armenier und Jungtürken   haben sich im letzten Augenblick angeschlossen, während die Führung bisher bei dem gebildeten liveralen. aber keineswegs radikal gesinnten OsfizierkorpS geblieben ist. das ganz wesentlich seine modernen Anschauungen guter deutscher   Nuterweisung verdankt. DaS alte Regime in der Türkei   ist zusammengebrochen, weil der Sultan   zur Verteidigung seines Reiches freilich gebildete Offiziere haben wollte. Aber er übersah dabei, daß gebildete Offiziere, die im modernen Sinne kriegStllchtig sind, nicht zugleich willenlose Werkzeuge einer bedenklichen Palastregierung bleiben können. Was die Juden in der Türkei   anbelangt, so glaube ich, daß nicht ein einziger in irgendeiner Beziehung die neuesten orienta- tischen Vorgang« beeinflußt hat. Das muß der Wahrheit gemäß festgestellt werden, obgleich eS ja rühmlich wäre, Ameil an einer Beivegung zu haben, die auf die Regeneration des eigenen Vater­landes abzielt und die im Interesse der Kultur miternommen worden ist... Die orientalischen Juden, die streng religiös find, stehen politischem Radikalismus bisher völlig fern, und ich zweifle nicht, daß sie Anlehnung suchen werden an jene mohammedanischen Kreis«, die de» Staat modernisieren wollen, ohne die bestehenden