Zur MgctaMtiminung.9fn8_ Süddeutschland wird uns geschrieben: Die»Schwäbische Tagwacht" bat sich in der Debatte über dieFrage der Budgetbewilligung zu Änfang ziemlich reserviert ver-halten, wozu sie wahrlich auch alle Ursache hatte. Denn gerade dieschwäbischen Genossen haben durch ihr im vorigen Jahre gegebenesböses Beispiel die guten Sitten der Bayern und Badenser verdorben.Dag ihnen ihr DtZziplinbruch verhältnismäßig milde angerechnetwurde, ist dem Umstände zuzuschreiben, daß sie für ihre Abstimmungöffentlich keine Gründe angaben, sonst aber den Anschein erweckten,daß höhere politische Erwägungen ihnen ihre Stellungnahme auf-gezwungen hätte.Da zur Zeit der Bndgetabstimmung der in Stuttgart ab-zuhaltende internationale Kongreß bevorstand, so glaubte man, undglaubt heute noch, unsere Fraktion hätte sich ausschließlich vonopportunistischen Erwägungen leiten lassen und deshalb für dasBudget votiert, um der Regierung keinen Borwand zu geben, derAbhaltung des Kongresses Schwierigkeiten zubereiten. Eine brutaleAntwort auf dieses Entgegenkommen gegen die Regierung war be-kanntlich die Ausweisung des englischen Delegierten Queich, derfür einen Augenblick vergessen hatte, daß er sich nicht mehr im»perfiden Albion", sondern in der Hauptstadt des»freiestendeutschen Bundesstaats" befand.Jetzt bringt unser schwäbisches Partciblatt einen W. K. gezeichneten Artikel, aus dem hervorgeht, daß der Verfasser auch beiunseren badischen Genossen annimmt, ihr Votum für das Budgetdes Klassenstaates sei das Resultat„höherer politischer Erwägungen".Ganz richtig sagt er zu Anfang, daß die von der Fraktionangegebenen Gründe keine Gründe seien, weildie Anforderungen für Arbeiter und Unterbeamtein jedem Budget wiederkehrten. Mer etwas anderessei es, wenn man die allgemeine politische Situationin Betracht ziehe. Voraussetzung ist beim Genossen W. K., daßdie Abstimmung für oder gegen das Budget eine rein taktischeFrage ist, die mit unserer prinzipiellen Stellung für oderwider die bürgerliche Klassengesellschaft nichts zu tun hat. Vondiesem Standpunkt aus findet er, daß unsere badische Landtags-fraktion ans w a h l t a k t i s ch e n Gründen für das Budget ge-stimmt habe. Denn, so heißt es in dein Artikel, eine Verweigerungde? dies jährige nEtatsdurch unsereFraktion hättemit großer Wahrscheinlichkeit eine Zentrums-Mehrheit im nächsten badischen Landtag zurFolge gehabt. Stimmten die Sozialdemokratengegen das Budget, so tvar die Regierung mit derGenehmigung des Etats— schrecklich zn saaen— aufdas Zentrum angewiesen. Sie könnte mit demFinger auf die Sozialdemokraten zeigen, die siegezwungen hätten, sich an das Zentrum zu halten!Mau sollte eine solche Argumentation bei einem Partei-blatt für unmöglich halten! Was in aller Welt geht unsdas an, wenn eine Regierung auf die Zentrumshilfe angewiesen ist?Ist es die Aufgabe der sozialdemokratischen Abgeordneten in denParlamenten. der Regierung die Hilfstruppenzu st e l l e n, nur damit sie zum Zentrum sagen kam,wir brauchen euch nicht,>vir hätten unser Budget durch dieFreundlichkeit der Sozialdemokraten auch ohneeuch beloilligt erhalten?! Daß unsere Stärke in derKritik liegt und daß uns diese rücksichtslose Kritik vomproletarischen Klassen st andpunkt das Vertrauen allerUnterdrückten sichert, daran scheint der Verfasser des auffälligenArtikels nicht gedacht zu haben, als er der badischenLandtagsfraktion, um ihr zu Hilfe zu kommen, Motiveunterschob, die direkt unsozialdemokratisch sind!Aber, so sagt Genosse V. X. weiter, wir müßten auch deshalb fürdas Budget stimmen, um den liberalen Parteien nicht einen Vor-wand zu geben, den G r o ß b l o ck abzulehnen, richtig gelesen:abzulehnen. Ja, gibt es denn einen Menschen, der auch nureinen Moment annehmen kann, die Liberalen hätten den Großblockmit uns im Jahre 1905 geschlossen zu unserem Nutzen, nach-dem wir uns Hilfe heischend an sie gewandt hatten?Nein, die Liberalen sind zu uns gekommen, weil sie uns not-wendig brauchten. Wir haben sie in der Stichwahl in zwölfKreisen unterstützt, wovon ihnen elf Kreise zugefallen sindund nur einer durch die Unterstützung des Zentrums an die Bauern-bündler fiel i unser Gewinn betrug aus dem Stichivahlabkominenzwei Mandate.Sollte im nächsten Jahre der erste Wahlgang so ausfallen, daßwir den Liberalen nichts bieten können, oder daß eine Zentrums-konservative Mehrheit nicht mehr zn verhindern ist, so schließen dieLiberalen mit uns sicherlich kein Bündnis ab. Denn dafür, daß siesich mit uns kompromittieren, wollen sie Mandatsgewinneeinstreichen. Ob wir dann in der Budgetfrage so oder sogestimmt haben, daran denkt niemand mehr in solchenSituationen IDie einmütige Ablehnung des Budgets seitens unserer badischenLandtagsfraktion hat weder die Nationalliberalen in Freiburgund Heidelberg- Land, noch das Zentrum in Karlsruheund Lörrach abgehalten, für uns zu stinunen und uns zu Man-baten vcrholfen, die sie sich gegenseitig nicht gönnten. Durch unsereschwächliche Haltung in der Budgetfrage haben wir selbst bei unserenGegnern kaum an Ansehen gewonnen.Aber selbst wenn dem nicht so wäre, wenn die bürgerlichenParteien uns nicht für bündnisfähig hielten, weil wir unserensozialdemokratischen Standpunkt zu prinzipiell vertreten, so wäre dasauch ein Grund für uns, diesen prinzipiellenStändpunkt nur um so nachdrücklicher zu vertreten IDenn sonst gerät die Partei gleich dem Liberalismus auf jeneschiefe Ebene einer liebedienerischen Konzessionspolitik, auf der eskein Halten mehr gibt!_Piuralwafflrecht in Uugaro.AuS Wien wird uns unterm 23. August geschrieben?Endlich wird auch die ungarische Wahlreform das Licht derWelt erblicken müssen: der Entwurf wird dem Reichstag unmittel-bar nach seinem Zusammentritt vorgelegt und er soll noch in diesemJahre Gesetz werden. Zeit hat sich das Koalitionskabinett für seineerste und dringendste Aufgabe, wie sie in der Vereinbarung mit derKrone bezeichnet wurde, auf Grund welcher den Koalitionsparteiendie Regierung anvertraut wurde, ausreichend gelassen. Graf An-drassy, der Wahlreformminister, hat xs zuwege gebracht, mit demEntwurf zweieinhalb Jahre zu vertrödeln, die Reforni, die bestimmtwar, das feudale Regime im Magyarenstaat an der Wurzel zutreffen, solange zu verschleppen. Die lange Zeit ist allerdings gutangewandt worden, denn nach allem was man hört, ist unter denHänden der Koalitionsieutc au� dem fruchtbaren und weittragen-den Gedanken der Fejervary und Kristoffy ein reaktionärer Wechsel-balg goivorden, der alles andere sein wird als das allgemeine undgleiche Wahlrecht, das den Völkern in Ungarn so feierlich ver-sprachen worden ist. Was das gegenwärtige Wahlrecht hervor-bringt, ist zweierlei schweres Unrecht: einesteils eine schrankenlose.ungezügelte Herrschaft des Magharcnstammes über die anderenVölker, die der Zahl nach zusammen fast die Mehrheit bilden; unddie vor keiner Brutalität zurückschreckende Herrsthast einer schmalenOberschicht über alle Klassen der Gesellschaft, d. h. also das unvcr-hüllte Junkerregime, an dem die bourgeoisen PluSmacher alsTeilhaber partizipieren. Als der Kaiser» von der junker-lichen Anmaßlichkeit, die mit bürgerlichem Unabhängigkeitssinnnicht verwechselt werden darf, in seinem eigenen dynastischen Be-sitze bedrängt, durch die Fejcrvarysche Regierung die Wahlreform,von der die Herren Magyariens nie hören wollten, in den Mittel-fiüttti des staatlichen Lebens stellte, wollte et mii der Allgemeinheitund Gleichheit des politischen Rechtes die Junkerherrschaft der-Nichten; diese Wahlreform wäre ein Stück imperialistischer Politikim Innern geworden. Die Koalitionsregierung wird daraus eineWahlreform machen, die zwar gewisse, gar zu arge Unerträglich-leiten abschafft, im Wesen den bisherigen Zustand aber unver-ändert beläßt, die Vorherrschaft der Grafen und Addvokaten alsokonserviert. Vor allem soll das Wahlrecht auf die des Schreibensund Lesens Kundigen beschränkt werden; es würde also,' da dieZahl der Analphabeten in dem als Hort des Fortschrittes gerühm-ten Ungarn ungemein groß ist(biS87Proz. der Bevölkerung), allesandere denn allgemein sein. Die schlimmste Verfälschung wirdfreilich die P Iura Ii tat sein: der Entwurf will das Plural-Wahlrecht bis zu drei Stimmen einführen, den bürgerlichenKlassen damit etwa 1% Millionen fingierte Stimmen zuwenden,was vielleicht die Hälfte aller wirklichen sein wird. Die Ein-schränkung der Wahlberechtigung und die Pluralität würden inzwei Richtungen wirken: erstens den Magyaren ein künstlichesUebergewicht schaffen und zweitens in dem agrarischen Lande zurvollständigen Erwürgung der besitzlosen Klassen führen. Nicht genugdaran, soll auch die öffentliche Abstimmung erhalten bleiben, diesesärgste Vergewaltigungsmittel und dieser Urquell der so berüchtigtenungarischen Wahltorruption; wenigstens überall dort, wo die nicht-magyarischen Wähler, die der magyarische Hochmut mit demSammelnamen„Nationalitäten" belegt(wogegen die Magyarendie„Nation" sind), angesiedelt sind. Das gegenwärtige ungarischeWahlsystem ist nämlich so eingerichtet, daß es im zivilisiertenEuropa einfach unverständlich bleibt—> fast so unverständlich wieder preußische Unsinn. Jeder Wahlbezirk, wie groß immer er auchsei, kennt nur ein einziges Wahllokal; umfaßt er, wie etwain Budapest, noch soviel Wähler: sie müssen in einem Wahllokalabstimmen, und besteht er, wie auf dem Lande, aus zahllosen, voneinander sehr entfernten Dörfern: alle Möhler müssen sich ineinem Ort versammeln und in demselben Wahllokal abstimmen.Diese Abstimmung ist aber öffentlich; sie bietet also zu Er-Pressungen und Bestechungen die herrlichste Gelegenheit. Die ge-meindeweise Abstimmung soll in den nichtmagharischen Bezirkengleichfalls nur in sehr reduzierter Form bewilligt werden; die ge-Heime aber nur in den vorwiegend magyarischen Wahlkreisen. Wiealso die Reform vorbereitet wird, wird sie von den Grundsätzender Demokratie und Gerechtigkeit wenig enthalten; da sie einenreifen Reformgedanken entstellt, würde sie mehr ein Rückschritt,denn eine EntWickelung sein.Die Frage ist nun, ob der Kaiser zu dieser Reform, die von dem,waS er als königliches Reformprogramm verkündete, himmelweitverschieden ist, seine Zustimmung, ohne die die Einbringung imReichstage unmöglich ist, geben wird. Man darf diese Frag« wirk-lich stellen, denn wenngleich Dynasten für Grundsätze der Demo-kratie sonst blutwenig übrig haben und es sie wenig berührt, wennGrundsätze der politischen Gerechtigkeit verletzt werden,"' so steht dieSache doch hier anders. Denn die ungarische Wahlreform brauchtauch die Dynastie: braucht sie als Mittel zur Erhaltung ihrerStellung, die von der Junkerherrschaft ausgehöhlt und herad-gedrückt wird. Zwar sind die einst so protzigen Koalitionsherrennun sehr unterwürfig, und von dem frischfröhlichen Uebermut gegen-über„Wien" ist in Budapest heute blutwenig zu spüren. Aber dieseVeränderung in den Kräfteverhältnissen hat nur die Furcht vorder Wahlreform bewirkt, und ist erst die Furcht gebannt,so steht Habsburg wieder dort, wo es oft stand: vor der Kapitu-lation. Wird man in der Hofburg die Situation verstehen? VielHoffnung besteht nicht, denn gegenüber der ewigen Jubelierereikommen ernsthafte Erwägungen nicht auf— vorausgesetzt, daßman zu ihnen noch die individuelle Kraft besitzt. Wie die Dingestehen, könnte nur eine kraftvolle Erhebung der Ar»beiterklasse das Schicksal wenden, das über die ungarischenVölker heranzieht und das ihnen zugedacht ist von denselben Fak-ioren, die ihre Befreiung als den rettenden„Köylgsgedankett" vorzwei Jahrxn feierlich verkündet haben.Russische Greuel.Das„Russische Bulletin" veröffentlicht ein offiziellesDokument, das einen Einblick gewährt in das„Reich derToten", das die Zarcnreaierung für die politischen Gefangenenin Sibirien hergerichtet hat.Am 3. Juli d. I. erließ der Chef der Zwangsarbeits-anstaltcn in Rertschinsk, Oberst Sabello, folgenden Be-fehl. Nr. 2997:„Am 11. Juni d. F. reichten 17 Insassen deZ Akatujewschen Ge-sängnisses auf den Namen des ProkuratorS des Tschitaer Bezirks«gerichts ein Gesuch ein, in dem sie Klage erhoben gegen die Hättede? GefängnisregimeS, und desgleichen dagegen, daß eS denChefs der Gefängnisse in der NertscknnSker Katorga laut Ordervom 11. Mai d. I. ad. Nr. 2952 vorgeschrieben ist, dasobligatorische Singen von Gebeten nach demMorgen- und Abendappell in die Tagesordnung der Gefangeneneinzustellen. Diese Gesuche wurden vom Herrn Prokuratordem Militärgouverneur des Transbaikalgebictes übermittelt, woraufer folgende Resolution abfaßte: 1. Es gibt keine beiläufigen Rund-schreiben, sondern nur solche, die strikte befolgt werden müssen.2. Gebete gehören überall, wo Menschen leben, zur allgemeineninneren Ordnung. 3. Wo das Gesetz es als zulässig betrachtet,Schuldige körperlich zu züchtigen, kann das die Erleuchtung des Ge-Wissens nur fördern und stellt durchaus keine Verhöhnung desChristenmenschen dar. 4. Auf der Katorga werden keinerleipolitische Parteien anerkannt und darum nicht als zulässigbetrachtet. 5. Die„Freiheit" wird in der Freiheit und nicht imZuchthaus verwirklicht, wo keine Freiheit gestattet wird. S. In derKatorga gibt es keine„Politischen", sondern bloß Arrestanten, diezur Verbannung und Zwangsarbeit verurteilt sind. 7. Jegliche„Komplikationen", die im Gesuch erwähnt sind, dürften von feitender Administration derartige schroffe Maßregeln wachrufen, daßevent. das Beten und Singen besser erscheinen dürfte. 8. Wo keinreligiöser Glaube existiert, kann auch von religiöser Toleranzkeine Rede sein. 9. Dem Prokuralor ist nicht das Rechtverliehen, sich in die innere Ordnung der Gefängnisse ein-zumischen. 10. Wer infolge eines Staatsverbrechens ins Zuchthausgeraten ist, der sollte sich nicht auf das Allerhöchste Manifest vom30. Oktober 1905 berufen; es wäre besser gewesen, die Wohltatendesselben vor der Gefängnishaft zu genießen. 11. Gesuche überein strenges Regime werden von niemand aus den Reihen derhöheren Administration des Gebietes und Landes berücksichtigt werden.12. Wer einmal ins Gefängnis geraten ist, soll dessen eingedenk sein,daß er sich nicht in Freiheit befindet.—Die Beschwerde, die von den 17 Insassen des Akatujew-schen Gefängnisses, die diese Resolution gezeitigt hat, rügteentsetzliche Zustände. Ein Brief, der vor einiger Zeit in derrussischen Parteiprcsse veröffentlicht wurde, gibt folgendeSchilderung:„Die Stimmung ist hier furchtbar. Zusammenstöße sind un-vermeidlich. Akatuj ist jetzt ein Reich der Toten: kein Laut dringtvon dort her. In Algatschi sind Blut, Leichen, Körperstrafen an derTagesordnung.... S5ie Obrigkeit verlangte, daß man in den ZellenGebete singen soll. Wir weigerten uns. dies zu tun. Alle werdenin den Karzer geschleppt. In je einem sitzen 4—5 Personen. Vorden Karzern sino Soldaten postiert. Einige Genossen sind erkrankt.Aus dem Lazarett wurde einer in den Karzer geschleppt. Er bracheinige Bretter vom Fenster ab. Der älteste Ausseher wollte ihmHandfesjelo anlegen und versetzte ihm. als u Widerstand keiftet«.einige Schläge und fährte 7 Kondoisoldaten ekn: dk Exekutlon üe«gann. Alle Gefangene sind gefesselt. Der Direktordrohte, alle durchpeitschen zu lassen."Uebrigens sind die Zustände in den Gefängnissen deseuropäischen Rußlands nicht besser. Eine Liste, zusammen-gestellt aus den Notizen der russischen Presse in der letztenWoche des Juli und der ersten Augustwoche zeigt, daß kaumein Tag vergeht, da nicht irgendwo der Hungerstreik be-gönnen wird, Gefangene hingemordet werden,Selbstmordversuche unter den Gefangenen stattfindenoder Gefängnisepidemien ausbrechen. Selbstwährend der finstersten Reaktion unter Alexander III. waren dieustände nicht so entsetzlich, wie unter dem„konstitutionellen"ikolaus II. Nach dem bekannten Rundschreiben desChefs der Hauptgefängnisverwaltung Kurlow sind die Er-mordungen von Gefangenen an der Tagesordnung. Im Luk-jano-Gefängnisse zu Kiew wurden hier von den Schildwachcnohne jeden Anlaß ermordet: Ende Februar der Bauer AbramJndyk(Mitglied der sozialrevolutionären Partei), 28. Febr.—der Student Jossilcwitsch(Sozialdemokrat), 29. März— derStudent Spiridon Schul und Fräul. Perlmann, 11. Juni—Rabinowitsch(Bundist), 23. Juni— Fräulein Schemigonow.Im Verlaufe von vier Monaten also sechs Ermordete. WasWunder, wenn die Gefangenen, anstatt einzeln hingeschlachtetzu werden oder dem Wahnsinn oder Gefängnisepidemien zumOpfer zu fallen, es vorziehen, entweder ihrem Leben frei-willig ein Ende zu machen oder— auf die Gefahr hin,im ungleichen Kampfe zu fallen— gewaltsame Flucht-versuche zu unternehmen. Zuweilen gelingen dieselben auch,meist schlagen sie aber fehl und enden mit Metzeleien, diezahlreiche Opfer fordern. Es ist noch in aller Erinnerung,wie die Zarenschcrgcn bei der Unterdrückung der„Gefängnis-unruhen" in Jekaterinoslaw hausten, wo 40 Gefangene getötet und 33 verwundet wurden. Biese Metzelei ist charakteristisch für die Haltung der Admintsiratton, die aus den blut-getränkten Instruktionen des Chef« der Hauptgefängnisverwckl-tung Kurlow die logischen Schlüff« zieht. Sie tut das um sobereitwilliger, als auch das Haupt der Petersburger RegierungStolypin durch den Danl, den er den Henkern in Jekaterinos-lalv für ihre„brave Haltung" ausdrückte, den Beweis er-brachte, daß er die grauenhasten Zustände in den Gesang-nissen« die Meuchelmorde und Metzeleien vollauf billigt.poUtifcbe Qebcrficbt.Berlin, den 25. August 1908,Erhöhung der Brausteuer?Wie das„Berk. Tageblatt" von unterrichteter Sekte erfähtt.sind durch die Zollbehörden Erhebungen eingelcitet-worden über dieBierpreise in den Schank statten und den R o h n u tz e n,welchen die Berkäufer erzielen. ES sollen die Schankstätten indrei Gattungen unterschieden werben, und zwar solche, in denen dieoberen Gesellschaftsllassen Verkehren, femer solche, wo Bürger undGeschäftsleute vorwiegend sich aufhalten, und drittens solche.welche für Handwerker, Arbeiter und die unteren Bevölkerung�-klassen bestimmt sind. ES waren bereits vor zwei Jahrenähnliche Ermittelungen angeordnet und von den Reichs-bevollmächtigten für Zölle und Steuern ausgeführt worden.Diese hatten jedoch das Ergebnis, daß der Rohnutzen der Lerlänfervielfach ein exorbitanter genannt werden konnte, besonders im Hin»blick auf die weit niedrigeren Verkaufspreise in Bayern trotz derbedeutend höheren Steuer. ES wurden daher im Reichstage voneinigen Abgeordneten Zweifel über die Richtigkeit der Ermittelungenerhoben und die Folge davon war, daß sie in noch größerem Um-fange allgemein durch die Organe der Zollverwaltung angeordnetwurden. Diese Ermittelungen sind bis zum Schlüsse des MonatsAugust dem Reichskanzler(Reichsschatzamt) einzureichen.Demnach befindet sich auch eine weitere Belastung deS Vieresunter den Sieuerplänen des Herrn Sydow.—Folgen der Polizcimastnahmen.Heute fand in Magdeburg eine von über 5000 Personen be-suchte Versammlung statt. Der Saal konnte die Scharen nichtfassen und mußten deswegen noch Tausende im Garten verbleiben.Nachdem der Referent— Rechtsanwalt Landsberg— über dieVerfolgungen, die die Magdeburger Polizei in den letzten Jahr-zehnten gegen die Arbeiter ausgeübt hat, gesprochen hatte, wurde— laut Beschluß der Versammlung— die Versammlung in denGarten verlegt, die bei nächtlicher Beleuchtung einen sin-posanten Eindruck bei allen Teilnehmern hinterließ. Eswurde eine Euirüstungsresolution angenommen, in der sichdie Versammelten einmütig verpflichten, für die Stärkung derpolitischen Organisation der Sozialdemokratie einzutreten, um siegegen alle gegenwärtigen und zukünftigen Willküralte der Polizeiwiderstandsfähig zu machen.Die Versammlung war, wie alte Parteigenossen sagen, die größteseit vielen Jahren; man kann sich nur erinnern, daß eine Ver-sammlung, in der August Bebel gesprochen hatte, ein« ähnliche Be-sucherzahl aufweisen konnte. Die Entrüstung über das Vorgehender Polizei ist so allgemein, daß schon jetzt eine große Anzahl vonMitgliedern für den sozialdemolratischen Verein neu gewonnen ist;diese soll noch vermehrt werden durch ein« nächster Tage einsetzendeHausagitation für die Partei.—„Reichslügenverband".Dieser Tage berichtete die Presse, daß in Hannover einigeunserer Parteigenossen verurteilt worden sind, weil sie einer Ord»nungsstütze nachgesagt haben, daß er Mitglied des„Reichs-lügenverbandes" sei. Auf den angebotenen Wahrheits-beweis dafür, daß der Rcichsvcrband gegen die Sozialdemokratiehaarsträubende Lügen verbreitet, ließ das Gericht sich nach demWortlaut des Berichts deshalb nicht ein, weil ja nicht nach-zuweisen sei, daß der Reichsverband wissentlich die Un-Wahrheit gesagt habe.Eine derartige Begründung mag etwas für sich haben, wennman sich auf den von der neudeutschen Rechtsprechung ja zuweilenfür angebracht gehaltenen Standpunkt stellen will, daß es bei derPrüfung des Wahrheitsbeweises darauf ankomme, vom Angeklagtendas Unmögliche zu verlangen, nämlich daraus, daß in diesemFalle der notorisch mit den schimpflichen Mitteln der Lüge undVerleumdung operierende Reichsverband sich etwa vor den Richter-tisch hinstelle und eidlich bekräftige, was zwar alle Welt weiß, waser selber aber bei der Strafe der Vernichtung seiner Existenz nichtzugeben darf. Der Reichsverband wird sich hüten und gerichts.notorisch seine eigene Schanoe bekunden, mag sie auch in Wirklich-keit noch so offenkundig sein. Vielmehr wird er mit der un-schuldigsten Miene von der Welt erklären, er habe selbst die haar-st raubend st en, unsinnig st en Lügen über die Sozial-demokrarie stets und ständig verbreitet in der Ueberzeugung, daß sielauteres Gold seien.Stellt man sich aber auf den vernunftgemäßen Standpunkt.den z. V. das Schöffengericht in Kassel eingenommen hat, als esam 2. Juni 1908 in einer ähnlichen von Reichsvcrbändkern an-gestrengten Klage den Redakteur des dortigen„Volksblatt"freisprach, so wird der Aichtee einsetzen, daß es kaum etwas