Rede in einer Zeitung zu lesen, die sie für einen oder zwei Cent taufen können i Der Enthusiasmus dieser großartigen sozia- listischcn Versammlung galt nicht dem Kandidaten, fondern der Sache. Aehnlich äußern sich die offiziöse„Tribüne" und andere New Aorker Blätter und sie halten es angesichls dieser Be- geisterung und der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Ver- Hältnisse nicht für ausgeschlossen, daß die sozialistische Partei ihre Stimmenzahl, die bei der letzten Präsidentschaftswahl 402 2tt3 betrug, auf eine Million erhöht. Die Partei wird in den wenigen Wochen, die ihr zur Agitation noch verbleiben, nichts unversucht lassen, um die von den Gegnern befürchtete Millionenziffer an Wahlstimmen zu erreichen. politilcbe GcbcrHcbt. Berlin , den 19. Oktober 1908. Im Dienste der Grostindustriellen. Die rheinisch-westfälischen Großindustriellen sind seit langem unzufrieden mit den Leistungen der nationalliberalen Partei und vornehmlich der nationalliberalcn ReichstagSfraktion. Sic, die so oft die nationalliberalen Parteifinanzen„saniert" und den Vassermännern die nötigen Geldmittel für die national- liberalen Wahlkämpse geliefert haben, drohen ihre Subsidien- zahlung einzustellen. Nach der Ansicht der Kohlen- und Eisen- magnatenistnämlich auch schon der NationalliberalisinuL allzusehr von der sozialpolitischen Seuche oder, wie sichvoreinigenMonatcn eine der Größen des Zentralverbandes deutscher Industrieller in der„Köln . Ztg." ausdrückte, von der„nachgerade krankhaft gewordenen" sozialreformatorischen Gesetzgebungsmanie erfaßt. Die Syndikatsgrößen verlangen, daß die nationallibcrale Reichstagsfraktion mehr als bisher die Interessen der Groß- Industrie vertreten und vor allem die durch die sozialpolitische Gesetzgebung gefährdete Autorität des Jabrikhcrrn gegenüber seinen Arbeitern wahren soll. Meint die nationalliberale Fraktion das nicht leisten zu können, dann wollen ihr die Großindustriellen die Alimente entziehen und einen politischen Jnteressenverband nach dem Muster des Bundes der Landwirte gründen. Dieser Plan scheint die nationalliberalen Führer sehr erschreckt zu haben, denn was ist der ganze Nationalliberalis- mus ohne die großindustricllen Subsidien. Sie erwägen deS- halb ernstlich, ob sie nicht doch lieber den Dienst, den die Großindustriellen von ihnen verlangen, leisten sollen. Von der nationalliberalen Partei der Provinz Brandenburg wird nämlich an Großindustrielle folgendes Zirkular verschickt: Berlin W. 16, Pfalzburger Str. 72a, 18. Oktober 1908. Sehr geehrter Herr l Die Einladung, die das unterzeichnete Komitee vor wenigen Wochen an eine Anzahl Industrieller und Freunde der Industrie, die uns als Nationalliberale bekannt waren, hat ergehen lasten, hat in allen Teilen Deutschlands und in allen Gruppen der In- dustrie Zustimmung gesunden. Grundsätzliche Bedenken sind kaum geäußert worden; einige Parteifreunde, hervorragende Industrielle, haben allerdings er- klärt, daß sie keine Hoffnung mehr haben, daß die national- liberale Partei den berechtigten Ansprüchen der wirt- schaftlichen Erwerbsstände Verständnis entgegenbringe, und daß sie sich deshalb von der Partei zurückziehe, oder in der Bildung einer selbst ändigen Jndustriepartei, nach dem Vorbilde des Bundes der Landwirte, das Heil sehen. Gerade diese Auffassung muß uns veranlassen, unser« Absicht. baldigst der Verwirklichung entgegenzuführen, den Wirtschaft- lichen Erwerbsständen innerhalb der nationalliberalen Partei die geeignete Organisation und damit die Sicherheit zu geben, daß ihre Interessen in der Partei nachdrücklichst geltend gemacht und für sie. soweit eS da? Gesamtwohl des Vater- landes und unseres deutschen Volkes zuläßt, auch Berücksichtigung erlangen wird. Die„Deutsche Arbeitgeberzeitung" vom 11. Oktober ver- öffentlicht die Grundlinien der in Aussicht geitommenen Organi- sation der geplanten selbständigen Arbeitgeberpartei; demgegenüber müssen auch die Freunde der von unS in Aussicht genommenen Organisationen, alle diejenigen, die in einer dauern- den festen Verbindung zwischen den wirtschaftlichen Erwerbs- ständen und dem maßvollen Liberalismus die beste Gewähr für eine gedeihliche Entwlckelung unseres politischen und Wirt- schaftlichen Leben« erblicken, zur Entscheidung über die Art der Ausgestaltung unseres Planes gelangen. Wir beehren uns deshalb. Sie, sehr geehrter Herr, zu einer Konferenz zur Beratung über dieOrganisationdeS Jndustrie-VerbandeS der nationalliberalen Partei zu Sonntag, den 1. November, vormittags 11 Uhr, nach Berlin , Abgeordnetenhaus Ziminer 6(FraktionSzimmer der national- liberalen Partei) ergcbenst einzuladen. Wir bitten Sie, uns auf anliegender Karte freundlichst an- geben zu wollen, ob wir auf Ihr Erscheinen hoffen dürfen. Das Aktionskomitee: Profeffor Dr. Leidig, Berlin Vf. 15. Künne, Elberfeld . Kommerzienrat Polte-Magdeburg. Landtagsabgeordneter Westermann-Lütgendortmund. Professor Hitze nnd die Zentrumsbauern. Professor Hitze, der Sozialpolitiker des Zentrums, hat eine Schrift herausgegeben, betitelt:„Abriß der Agrarfrage". Er singt darin dem Bauernstande wegen seiner wirtschaftlichen und nationalen Bedeutung ein hohes Lob. Nichtsdestoweniger hat er es aber doch durch diese Schrift mit den Zentrumsbauern verdorben, weil er mit seinen Ansichten über die Landarbeiterfragc etwas andere Wege wandelt, als dies den Agrarinteressen entspricht. Die„Rheinische V o l k s st i m m e" geht deshalb mit dem Herrn Professor in einem langen Artikel ins Gericht, indem sie ihm vor allen Dingen vorhält, daß er die Landarbeiterfrage in rein materieller Weife als Lohnfrage auffasse. Das Blatt verwirft namentlich die Anschauung, daß die Industrie höhere Löhne zahle als die Landwirtschaft.„Es ist bedauerlich— schreibt es— daß solche Sätze von Leuten, die als Autorität gelten, in die urteilslosen Massen geworfen und deshalb blind geglaubt werden. Der Landwirtschaft wird damit kein Dienst erwiesen." Professor Hitze hatte weiter geschrieben:„Der Landflucht kann nicht durch kleinliche polizeiliche Maßnahmen und durch gehässige Ausnahmegesetze(Beschränkung der Freizügigkeit, Verbot des KoalitionSrechtS) für die ländlichen Arbeiter gesteuert werden." Die„Rheinische Volksstimme" glaubt den Herrn Professor belehren zu müssen, daß die Landarbeiter das Koalitionsrecht haben, nur die Organisierung von Streiks sei ihnen untersagt. Als ob ein „Koalitionsrecht", das den Landarbeitern die Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen unmöglich macht, überhaupt zu etwas nütze wärel Zum Schluß meint daö Blatt von der Hitzeschen Schrift:„Das Heft wird wegen foineL geringen Preises, und weil der Volksverein in M.-Gladbach es verbreitet, besonders in der Jndustriearbeiter- schaft großen Absatz finden. Welche schiefen Urteile über die Landwirtschaft und landwirtschaftliche Verhältnisse damit herausgebildet werden, ist gar nicht abzusehen." Professor Hitze hat sich die Ansprache des rheinischen BaucrnblatteS zu Herzen genommen. Er will, wie er in einer Erwiderung in der„Rheinischen Volksstimme" bemerkt, nicht behauptet haben, daß die Löhne in der Landwirtschaft durchweg und allgemein geringer seien, als in der Industrie, sondern nur, daß in mehr oder weniger zahlreichen Fällen auch die Lohnverhältnisse zur Landflucht führen. Ucbrigens werde er bei einer Neuauflage eine solche Fassung wählen, daß ein solches Mißverständnis ausgeschlossen sei. Tie„Rheinische Volksstimme" findet dieses Vorhaben Hitzes „erfreulich", und bemerkt zum Schluß:„Wir erkennen an der Schrift gern die guten Urteile über die Landwirtschaft an, aber die Schattenseiten überwiegen, und die landwirtschaft- lichen Tinge und Zustände genauer und gerechter zu beurteilen, wird die Aufgabe einer Neuauflage sein." Professor Hitze weiß also, was er zu tun hat, wenn er auf daß Lob seiner agrarischen Partei- und Glaubensgenossen rechnen will. Er darf bor allen Dingen den Landarbeitern nichts von ihrer elenden Lage und ihrer Rechtlosigkeit sagen. So etwas darf die „urteilslose Masse", darunter versteht das ultramontane Lauern- blatt die Arbeiter, nicht hören; sie könnten sonst vor der Fülle der agrarischen Fleischtöpfe und dem Segen des patriarchalischen Systems Reißaus nehmen. Die Flotten-Keime und-Salme. Die Beschlüsse der thüringischen Keim-Schwärmer und Salm- Enthusiasten, nach denen der Jlampf gegen die bahcrischen Vor- standsmitglicdcr des Flottenvereins im Juli bis zur Austritts- androhung gediehen war, sind noch zur Genüge bekannt. Zuerst war es der Rudolstädtcr Landesverband, der direkte Austritts- beschlüsse faßte, denen dann andere thüringische Kleinstaaten folgten. Einzig der Koburger Landesverband mit 835 Mitgliedern machte diese Bewegung nicht mit. Der Landesverband Sachsen- Weimar-Eisenach schloß sich am 20. September in der Landes- Versammlung in Weimar einstimmig dieser Strömung an. ES sollte aber noch bis zum Herbst den verhaßten drei bayerischen Führern Gelegenheit zum Rücktritt gegeben werden, und nvan hatte die Hoffnung, dann unter der Leitung deS neuen Präsidenten, Großadmirals b. Köster, sich wieder voll und ganz der Flotten- vercinSsache widmen zu können. Diese Hoffnung teilten nach einem Schreiben deS geschäftsführenden Vorstandes des Landes- Verbandes Weimar auch die Landesverbände der Westfalen, der Rheinländer, der Rheinhessen , der Hessen -Darmstädtcr und der Oldenburger.— Es war also die Störung des Danziger Flotten- vcreinsfrlcdcnS ganz tzut organisiert worden! Da erschien wie cm Blitz ouS dem heiteren Himmel für die „Radanbrüder im Flottenverein" eine Protestresolution der Orts- Gruppe Ejscnach des weimarischen Landesvcreins am 8. Oktober in der Presse. In dieser wurde die Stellungnahme deS Vorsitzenden der Ortsgruppe zum Beschluß des Landesverbandes nicht gebilligt und in dem Beschluß„eine Störung des in Danzig geschlossenen Friedens" erblickt. In der Versammlung in Eiscnach wurden ferner die Verbände der Gegner der Bayern kleine Radau. vereine, ihre Leiter Friedensstörer und gewissen- lose Agitatoren genannt. Wir sehen daran, daß solche Ausdrücke gegenüber Andersdenkenden bei den Flottcnenthustasten so gebräuchlich sind, daß sie sogar in einer momentanen Ver- stimmung selbst Freunden gegenüber angewendet werden! Der vorstand des weimarischen Landesverbandes geht in einem geharnischten Schreiben gegen die Eifenacher Freunde bor und schildert in indiskreter Weise das Zustandekommen der Eifenacher Protestresolution. Diese habe schon vor der nur von 60 von LOO Mitgliedern der Ortsgruppe besuchten Versammlung in Maschinenschrift fix und fertig vorgelegen. Sie sei von den bahcrischen Leitern veranlaßt, denn eS sei ein Brief des Herrn v. Braun der Versammlung vorgelesen worden. Ferner habe Prof. Nicolai in Eisenach gegen den Landesverband schwere be° leidigende Ausdrücke gebraucht, die von keinem Ver- sammlungSteilnehmer gerügt oder zurückgewiesen worden seien. Außerdem teilt der Vorstand von Weimar noch mit. daß der Be- schluß der LandcSbersammlung nur für das Präsidium bestimmt war, da aber von dein Eisenacher Vertreter, Prof. Nicolai. In- diskretionen befürchtet werden mußten, kam der Vor- stand zur Veröffentlichung de« damaligen Beschlusses. Dann wird in dem Offenen Schreiben deS weimarischen Landesvorstandes noch gesprochen von Quertreibereien, Verdächtigungen und Beleidigungen, die um so schlimmer seien, wenn sie aus dem eigenen Landesverbände kommen. Man sieht also, die Herren Flottenenthusiasten kennen sich gegenseitig recht gut. sonst würden sie sich nicht im blühendsten „Sauheerdcnton" vor aller Oeffentlichleit herunterputzen. Die ziischanden gewordene Hoffnung unserer Gegner, die sie auf den Nürnberger Parteitag sehten, werden also vielleicht auf der Tagung des Deutschen Flotte nvcreins in Nürnberg in Er- süllung gehen!._ Tie sächsischen Nationalliberalcn gegen das Wahlrechtskompromiss. Eine VertrauenSmänncrversammlung der sächsischen National« liberalen, die am Sonnabend in Dresden tagte, beschloß nach heftigen Debatten, in der sehr abweichende Meinungen zutage traten, einstimmig eine vom Leipziger nationalliberalen Verein eingebrachte Resolution, die sich mit der Ablehnung der neuesten Wahlrechtsvorschläge der Regierung durch die Landtagssraktjon einverstanden erklärt und auch die vorgeschlagene WahlkreiSeinteilung verwirst. Außerdem wurde auf Antrag deS ReichstagSabgeordneten Stresemann angenommen, daSVolk gegen die neuestenWahlrechtS- Pläne deS Grafen v. Hohenthal aufzurufen und im ganzen Lande P r o t e st v e r s a in m l u n g e n zu veranstalten. Die sächsischen Nationalliberalen, diese wascheckten Reaktionäre, die ein volksentrechtendes Pluralwahlrecht fordern, al« Veranstalter eine« Volkssturms l Man könnte eS einen unzeit- gemäßen FastnacktSscherz nennen, wenn die Wahlrechtsfrage nicht so bitter emst wäre!_ Lohnklausel und Streikklausel. In der letzten Sitzung deS Dresdener Stadtverordneten« kollegiumS kam ein« Eingabe' des BauarbeiterverbandeS um die Ein- führung ver Lohnklausel(Zahlung tarifmäßiger Löhne bei städtischen Arbeiten) zur Verhandlung. Der Rat hatte dazu bemerkt, daß diese Eingabe gegenstandslos sei. soweit sie den Tiefbau betreffe, da dort keine Tarife bestünden. Beim Hochbau seien Bestimmmigen über die Vergebung von Arbeiten vorhanden, und zwar gehen sie dahin. daß diejenigen Bewerber von der Zuschlagserteilung ausgeschlossen seien, die deutsche Gehilfen und Arbeiter, soweit solche vor- handen sind und die nötige Befähigung besitzen sowie zur Arbeit gegen angemessenen, der Lebenshaltung der einheimischen Gesellen und Arbeiter entsprechenden Lohn bereit sind, nicht vorwiegend und in erster Linie bevorzugen. Der Rat hat den Unternehmern Kenntnis von der Eingabe der Bauarbeiter gegeben und diese verlangen bei Aufnahme der Lohn- klauscl die Streikklausel. Der Rat hat nun sowohl die Lohn- als auch die Streikklausel abgelehnt. In einer der nächsten Sitzungen soll ausführlich über diese Fragen gesprochen werden.— Da? offiziöse Preßbureau entspricht allem Anschein nach nicht mehr den Anforderungen der Regierung— vielleicht weil eS trotz seines beträchtlichen Apparates noch immer nicht in einem dem Reichskanzler genügenden Maße die Beeinflussung der öffentlichen Meinung betreibt. Wie die„Berliner Morgenpost " wissen will. bereiten sich deshalb im Pressedczernat des Auswärtigen Amts allerlei Aenderungen vor. Der vortragende Rat und Chef der Abteilung, Dr. Hamann, dürste privater Gründe halber demnächst aus seiner Stellung, wahrscheinlich sogar ganz aus dem Diensie scheiden. Dann toll eine völlige Rekonstruktion dieses Dezernats eintreten und der amtliche Betrieb der Auskunftserteilung an die Presse von Grund auf limgestaliet loerden. Wahrscheinlich wird eine bc- sondere Abteilung für die innere und eine zweite für die äußere Politik geschaffen werden.--_ Gegen die Jnseratensteuer. Der Verband der Fachpresse Deutschlands , der gestern abend im Saale der Handelskammer eine gut besuchte Versammlung unter Leitung des Vorsitzenden Direltor Zuelzer abhielt, beschäftigte sich vornehmlich mit der geplanten Jnseratensteuer. In der Beratung, an der sich namentlich Dr. jnr. Martin Cohn, Elsner, Hansen auö Verlin, Hoppstäiter-Witlen, Schaper-Haniiover und der Vorsitzende beteiligten, wurde gegen die Jnseratensteuer unter anderem geltend gemacht, daß sie im voilswirtschaftlichen wie im im vollsbildnerischen Interesse gleichermaßen zu verurteilen sei und daß durch sie de» Zeilungsbelrieben schwere Belästigiing und Schädigung drohe, zu- mal bei dem notivendigen Schematismus einer derartigen Steuer die individnellen Verhältnisse der einzelnen Zeitungen nicht berück- sichtigt werden könnten; insbesondere würden die Gefahren für die in den letzten Jahren aufgeblühte Fachpresse von schwersten Folgen sein. Gegenüber diesen Nachteilen, die die Jliseratcusteucr mit sich bringen würde, könne das erhoffte finanzielle Ergebnis nicht aus- schlaggebend sein._ Amtliches Wahlresnltat. Angermi'mde, 19. Oktober. Bei der ReichStagSersatzwahl� am 14. d. M. für den Wahlkreis Potsdam 4(Prenzlau -Angermünde ) wurden insgesamt 10 796 güllige Stimmen abgegeben. CS erhielten Oberpräsidialrat V. Wiiiterfeldt-Meii'in-PotSdam (kons.) 11 055, Pastor Schmidt-Massow(lib.) 2704 und Tapezierer WelS-Berlin (Soz.) 3033 Stimmen; 4 Stimmen waren zersplittert, v. Winterseldl ist somit gewählt._ Ein neuer Schutztruppenkommandeur. An Stelle deS Oberstlentnants Ouade, der AbteilungSchef im Großen Generalstab wird, ist Oberst v. Glasenapp. bisher In- spekleur der Marine-Jnfanterie, zum Kommandeur der Schutztruppen im RcichSlolonialamt ernannt worden.— Oesterreich. Nationalistische Ausschreitungen. Prag , 18. Oktober Heute kam es hier zu Ausschreitungen zwischen Tschechisch- Nationalen und deutschen Couleur- studenten, die ihren Bummel auf dem Graben machten. Die Studenten wurden von den Nationalisten verhöhnt; eS kam zu kleinen Zusammenstößen, denen jedoch durch einige Verhaftungen ein Ende bereitet wurde. Die inzwischen auf etwa dreihundert Köpfe angewachsenen Couleurstudenten gerieten später, als die auf dem Graben sich ansammelnde Menge immer größer wurde, inS Gedränge und wurden aufgefordert, sich in das deutsche Kasino zu begeben. Dieser Ausforderung kam ein Teil der Sliideinen nach, nur die dcutsch-nationalen Studenten sammelten sich vor dem Kasino und sangen die„Wackr am Rhein ". Die Polizei schritt ein und drängte die Studenten in das Kasino und die Menge gegen den Wenzelsplatz zurück. Hierbei kam es mehrfach zu Z u- sainmenstößen. schließlich zerstreute sich jedoch die Menge, nach- dem mehrere Verhaftungen vorgenommen worden waren. Auf dem Rückwege schlugen die Nationalisten in mehreren deutschen Gebäuden die Feilster ein. Am Nachmittag wiederholten sich die Demonstrationen in größerem Maße, so daß die Polizei von der blanken Waffe Gebrauch machen mußte und der Palizeichef um militärische Hilfe ersuchte. Das Militär besetzte mehrere Straßen. Um 10 Uhr abends herrschte Ruhe. In« gesamt wurden 70 Verhaftungen vorgenommen. Erregung in der Provinz. Prag , 19. Oktober. Im Laufe des gestrigen Tages fanden auch in anderen Städten Ruhestörungen statt. In G a b l o n z wiederholten sich die Zusammenstöße zwischen den Sozialdemo- traten und den Deutsch -Nationalcn. Die Gendarmerie stellte die Ruhe wieder her. In B u d w e i S drohte eS anläßlich der Bekränznng deS Kaiser Franz Josrf-DenknialS durch die Deutswen zu Konfllklen zwischen Deutschen und Tschechen zu kommen. Der Polizei und Gendarmerie gelang eS, die beiden Parteien zu trennen. In T e p l i y fanden blutige Zusammen st äße zwischen Deutsch-Nationalen und Sozialdemokraten statt. Sechs Personen wurden verletzt, davon eine schwer. Die Polizei und Gendarmerie zerstreute die Menge. Zehn Personen wurden verhaftet, davon acht wieder freigelassen. In Karlsbad fanden auch Ansammlungen vor dem tschechischen BereinShause statt. Da eine Wiederholung der Demonstrationen befürchtet wird, wurde die Gendarmerie verstärkt._ Sozialdemokratische Konferenz. Budapest , 19. Oktober. Gestern fand hier die Landes» konferenz der deutschsprachigen Sozial- demokratcn Ungarns statt. Die Delegierten betonten, daß sie unter allen Umständen in kultureller Beziehung auf deutschem Standpunkt ständen. Bezüglich der Wahl- rechtsvorlage wurde beschlossen, die Entscheidung des bereits einberufenen, acht Tage nach Bekanntwerden des In- Halts der Vorlage zusammentretenden Landeskongresses der ungarländischen sozialdemokratischen Partei, die eventuell den Massenstreik beschließen werde, abzuwarten.-- england. Eine unruhige Woche. London , 17. Oktober. (Eig. Bor.) Die Woche der Eröffnung der Herbsttagung sah be- beutende Demonstrationen von Frauen und Arbeitslosen, palamentarische Zwischenfälle und vereinzelte Unruhen. Ernste Besorgnisse bemächtigten sich der herschenden Klassen, denen die liberale Regierung Rechnung trägt und durch Polizeiaufgebote und Gerichtsvorladungen zu bannen sucht. Man darf jedoch den Knndgebungen der Frauen und der Arbeitslosen keine revolutionäre Bedeutung beilegen. In einem freien Lande, wo die persönliche Initiative nicht systematisch unterdrückt wird und Ivo Unzufriedenheit und Kritik für Tugenden gehalten werden, sind derartige periodische Ausbrüche aus Anlaß der Verschärfung der Gegen- sätze unvermeidlich. Im ersten Augenblick herrscht unter den besitzenden Klassen einiger Schrecken, der sich nach und nach in Reformen auslöst. Von den Frauenrechtlerinnen sind drei angeklagt: Frau Pankhurst , Fräulein Pankhurst und Frau Drummond, die die Massen aufforderten, das Parlament zu„stürmen". Von den Führern der Arbeitslosen ist der Parlaments- abgeordnete William Thorne angeklagt, den Arbeits- losen den Pat gegeben zu haben, die Bäckerladen zu stürmen und ihren Hunger zu befriedigen. Er ist gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Genosse Grayson ist von den Parlamentssitzungen für die Dauer der Herbsttagung ausgeschlossen, außer wenn er sich beim Sprecher entschuldigt. Die Arbeitcrfraktion, die jetzt mit der Regierung wegen Unterstützung der Arbeitslosen unterhandelt, hat nicht den Mut gehabt, Grayson in seinen Protesten zu unterstützen. Sic fühlt vielleicht, daß das eng- lische Proletariat noch nicht so weit ist, einen Angriff aus die Autorität des Parlaments zu verstehen.
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