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Wiedel: neuen Schaden angerichtet tiak. Sowohl in Frankreich  als in: übrigen Ausland hat der Vorfall den Univillen und die Beuimihigung über die deutsche   Negierungspolitik der- mehrt und die Ueberzeugung von ihrer Wankelmütigkeit und Unztwerlassigkeit verstärkt. Daß dieser Schaden nicht Noch� größer ist, erklärt sich zur Genüge aus dem Umstände, daß die deutsche Politik nach ihrer letzten Blamage fast nichts mehr zu verlieren hat. Es ist bezeichnend, daß selbst ein bisher so durchaus deutschfreundliches Blatt wie die radikale Daily News" über den neuesten Streich des Fürsten   Bülow schreiben: ..Dieser Vorfall kann nicht mehr vergessen werden. Die englischen Liberalen wollen im allgemeinen eine V e r- siändigung mit Deutschland  , aber die imederholteii Erfahrungen, die sie in bezog auf die deutsche   auswärtige Politik machen, erregen den Eindruck, daß diese in der Tat un- verläßlich und sprunghaft sei." Und in demselben Sinne urteilt die ganze englische   Presse kmd mit ihr die europäische. Der brave Bülow hat mit seiner neuesten Leistung nur das Gegenteil dessen erzielt, was er beabsichtigte. Er hat im ganzen Ausland'den Eindruck erweckt, daß er kapabel sei, um seine Stellung zu behalten, internationale Gefahren herauszubeschwören, und er hat in Deutschland   nur neuen Widerwillen, neues Mißtrauen und neue Verachtung gegen die Künste geweckt, mit denen er sein verwirktes Ministerdasein zu verlängern sucht. Ter getreue Block macht freilich alle Anstrengungen, um seinen Herrn zu retten. Es ist geradezu jämmerlich, wie die Blockinajorität schon im voraus kneift, wie sie sich an­gesichts der ernsten Pflicht völlig bankerott erklären muß und alles Heil von eben dem erwartet, den sie anklagen sollte. Bülow selbst kann sich gegenüber seinem Herrn nie so würdelos und knechtselig benommen haben wie diese Volksvertreter gegenüber einem in der ganzen Welt außer- halb des Wallotbaues verhöhnten und verspotteten Minister. Den Rekord der Lächerlichkeit halten natürlich die verächtlichsten Älcckmamcluken, die Freisinnigen. Ihre Fraktions- gemcinschaft hat heute den Antrag, eine Adresse an den Kaiser zu richten, abgelehnt, weil wir zitieren dasVerl  . Tage- blatt"bei der impulsiven Natur des Kaisers nicht abzusehen sei. wie er eine solche Adresse auf- nehmen werde"! Die Zeit des O r d e n s f e st e s ist nicht mehr ferne und da sollen die freisinnigen Staatsmänner wegen solcher Bagatellen wie Absolutismus   oder Parlamentarismus ihre einzigen politischen Erfolge in Frage stellen lassen? Das darf man diesen Realpolitikern doch wirklich nicht zumuten und so kriechen sie ins Mauseloch, um dem Knopfloch nicht den erwarteten Schmuck zu rauben. Ebensowenig denken die Blockparteien daran. das Machtmittel der Reichsfinanz- reform zu benutzen, um gesetzmäßige Garanticn für das Kontrollrecht des Reichstages zu erlangen. Dazu haben wieder die konservativen Fraktionen keine Lust. Kein Wunder, daß dem Bülow der Kamm schwillt und er sich unterfängt, von der Majorität cm formelles Ver- trauensvotum zu fordern! Wir können den Erfolg ruhig abwarten und werden die Herren sicher nicht httibern, unsere Geschäfte zst besorgen. Sagt doch selbst daS nationalliberalcLeipz. Tagebl." über die Aufbauschung des Marokkokonflikts und die Vertuschungs- ma'nöper des Blacks:... j",. Die Schnekdigkcit in den Marolkodingen istwohl daS Stärkste, was man bisher einem reifen Volke ge- boten Hot, denn damit suchen die Konterosteure einmal die Aufm c r ksam ker t a b z ule n kc n. und gewissermaßen nehmen sie als Resultat der Interpellation die Versöhnung zlviscken Kanzler und Parlament schon als gegeben an. Der D ü p i e- r un gSverfuchist so grob und unerhört dreist, daß die d e u t s Ä e L a n, m e s g e d u l d dazu gehört, um ihn sich gefallen zu lassen. Und leider ist zu vermuten, daß der deutsche Reichstag   sich geneigt fühlt in dem abgekarteten Komödienspiel mitzuwirken. Alle diese Li u l i s s e n- schieb ungen könnten bei einem Parlament, daS feine eigenen Rechte zu wahren weiß, nicht vorgenommen werden. ES wäre in keinem änderen Falle möglich, eine Affäre von der Bedeutung des kaiserlichen Interviews zu verquicken mit irgendwelchen anderen Nichtigkeiten. Und eS wäre über- Haupt in keinem anderen Parlament möglich, dnß ein ver- antwortlicher Staatsmann sich ihm noch mit der Konduite präsentieren könnte, die Fürst Bülow a u f z u- weisen hat. Der Reichstag   möge sich nichttäuschen, er hat gor n i ch t s o v i e l a n P r e st i g e zu v e r l i e r e n, um diese Einbuße on Volksvertrauen überhaupt ver- tragen zu können. Wenn sich der deutsche Reichstag   hier zum Werkzeug eines höfischen, ebenso arroganten wie verderblichen Schein manöverS macht. Weimer sich dazu hergibt, den bis in die Knochen blamierten ver- nntwortlichen Leiter der Reichsgeschäste zu decken und im Grunde alles beim alten zu lassen, so wird er sich nicht wundern dürfen, wenn man ihn als ernsthafren politischen Faktor nunmehr für völlig aus- geschaltet hält, und wenn man die ReichstagSberichte nur noch als Ulklektüre behandelt.Schade um die Reichstags- diäten I" wird man im Volle sagen, wenn man diese Enttäuschung erleben soll. Die Herren Abgeordneten werden zu entscheiden haben, ob ihnen mehr an einem guten Verhältnis zu ihren Wählern oder zur Regierung liegt." Sehr richtig und für die Aufklärung der Wähler wird wahrhaftig gesorgt werden. Am nächsten Dienstag ivird nicht nur der Reichstag   verhandeln, sondern auch die Berliner   Arbeiter werden ein kräftiges Wort sagen. In Köln   hat bereits Mittwoch eine überfüllte Arbeitcrversamm- lung sehr deutlich gesprochen und erklärt: Die in den letzten Tagen enthüllten unerhörten Vor- komm nisse auf dem Gebiete der deutschen   Auslandspolitik sind Folgeerscheinungen dcS persönlichen Regi­ments, das nur möglich geworden ist durch die P o li ti s ch e Jämmerlichkeit des deiltschen Bürgertums und die beispiellose Feigheit der ReichstagSmehr- he it. Vorgänge dieier Art bringen Deutschland   um den letzten Rest von Kredit, machen eS zum Gespött aller Kulturnationen und beschwören die Gefahr schwerer internationaler Verwickelungen herauf. Der Skandal wird noch verschlimmert durch die grotesken EutschutdigiiugSversliche der Reichsregicrung, die eine Luder- Wirtschaft sondergleichen in den höchsten RegierungS- ämtern enthüllen. Die verderblichen wirtschaftlichen Folgen einer un- fähigen und unaufrichtigen deutschen   Auslandspotiük treffen die Arbeiterschaft gerade m der jetzigen swlimmen Zeit der Krise mit voller Wucht. In politischer Beziehung muß der geistige und moralische Bankrott des jetzigen Negierungssystemö zu einer nr ächtigen Trieb- feder der endlichen Demokratisierung unseres Staatswesens werden. DaS Politisch laugst mündige Volk ist die beleidigende Bevormundung gründ- Aich satt, es verlangt Selbstbestimmung seiner G. e schicke und wird sie sich durch die unbeugsame Energie der Sozialdemokratie zu erkärnvien wissen. Es will nicht länger mehr nur schwere Staats- lasten tragen und keine Rechte haben. es will nicht mehr abhängig sein von der ebenso hochmütigen wie un- fähigen Junkersippe und den stark wechselnden Stimmungen eines einzelnen Herrfchers. Die rücksichtslose Hinwegräumuiig aller feudalen Reste.und Be- kämpfung aller absolutistischen Allüren ist ein Gebot der Selbsterhaltung des Volkes. Vorbedingung einer wirk- samen Kontrolle des Volkes' über die Regierung ist die Vernichtung der Reaktion im größten und aus- schlaggebenden Bundesstaate Preußen, die Er- kämpfung des gleichen, allgemeinen» geheimen und direkten Wahlrechts." Die Herren im Reichstag und an anderen Stellen können sich darauf verlassen, daß sich diesmal eine Protest- bewegung erheben wird, die sie nicht durch elende parla- mentarische Knlissenschwindeleien und durch Scheingefechte be- schwichtigen können. Noch stehen sie vor der Entscheidung: Von ihnen selbst hängt es ab, ob sich die Erbitterung des Volkes gegen den parlamentsfeindlichen Absolutismus und seine Träger richten wird oder ob es mit den Ver- rätern im Parlamente selbst zugleich Abrechnung wird halten müssen. Die Erregung niag sich bei den parlamentarischen Blockfraktionen, denen ihre schmutzigen Ge- schäfte über die Volksinteressen gehen, gelegt haben. Im Volke selbst ist sie im steten Steigen und nichts hat aufreizender gewirkt als die K u n d e von d e m V e r r a t, den die feile und feige Majorität des deutschen   Reichstages an dem deutschen   Volke zu begehen sich anschickt. vomorganisch. evolutionistischen" Kefontikimis. Die von Herrn Doktor I. Bloch redigiertenSozialistischen Monatshefte" setzen in der letzten Nummer ihren großen Kampf für die ,o rganisch-evolutionistische Auffassung" des Revisionismus oder, wie er sich lieber nennen hört. desRe- formiLmuS" gegen dieabsolute Jntraiisigenz" der Radikalen oder sozialdemokratischenAbsolutistcn" unentwegt fort. Bern- stein, Schippe l, Calw   er teilen sich in die hehre Ausgabe, diesen eigenartigen Absolutismus kritisch zu überwinden, und alle drei leisten höchst Anerkennenswertes auf diesem Gebiete. Bernstein   beweist mit wissenschaftlicher Gründlichkeit, daß die leitende Idee des Revisionismus" bezw. Reformismus  , nach- dem sie zeitweilig verdunkelt worden sei, sich jetzt wieder von neuem Bahn bricht, und verkündet am Schluß seines Artikels mit kühnen Seheraugen,daß auch die deutsche Sozialdemo- kratie eines Tages den Weg zu einem kraft- vollen und seiner Natur sich bewußten syste- ma tischen Reformismus finden wird". Schippe! kämpft in seinenKriienbet/achtungen" gegen den Gedanken derchronischen Geschäftssiockung" und bewundert mit ge- hobenen Hoffnungendie fast jugendlich elastische Anpassungs- und Wachst umSfähigkcit der bürge r- l i ch e n Verhältnisse". Und Calwer endlich übersetzt die organisch-evolutionistischen" Theorien seiner. Mitkämpfer ins Real- politische, indem er für die Forderung eintritt, daß die Gehälter der Beamten, und zwar nicht nur der Unterbeamten, sondern auch der oberen Beämterischichten, um 25 bis 30 Proz. aufgebessert werden müssen, da auch das Lohnniveau der Arbeiter sich in. den letzten zehn Jahren beträchtlich erhöht habe und sonst sich der geziemende Abstand zwischen Arbeiter- löhne» und Beanrteiigehältern möglicherweise verringern könnte. Besonders der Artikel Calwers über dieRegelung des BeamteneiukommenS in Preußen" ist höchst lesenswert, denn gründ- licher noch als seine Mitkämpfer hat er die Klassenkampftheorie überwunden und die leitende Idee deS systematischenorganisch- evolutionistischen" Reformismus in ihren hehren Konsequenzen und ganzen Schönheit erfaßt. Wir wollen deshalb unseren Lesern auch CalwerS Artikel nicht ganz vorenthalten* und wenigstens einen Absatz daraus mitteilen. C a l>v e r sagt wörtlich: ES genügt aber nicht, daS Nominaleinkommen nur fo zn steigern, daß eS die gleiche Kaufkraft besitzt wie 1897, sondern es muß auch die wirtschaftliche Hebung deS deutschen   Volkes in Rechnung gezogen werden. Die c>roßgeiverbliche Arbeiterschaft hat in den letzten zehn Jahren ihre Loge nicht unwesentlich verbessert. DaS Lohmiivean hat sich durchschnittlich so gehoben, daß man für die letzten zehn Jahre eine Besserung von 1V Prozent annehmen kann. Von dieser BasiS ausgehend kommt man zu der Forde- ruug, daß namentlich die Einkommen der unteren Beamten um 25 bis 30 Proz. aufgebessert werden müssen, wen» die Unter- beamten einigermaßen den großgewerblichen Arbeitern gleich- gestellt werden sollen. Aber es wäre kurzsichtig, nur den unteren Beamten diese wirkliche Ein- konr menSverbesserung zukommen lassen zu wollen. Wir sind vielmehr der Ansicht, daß die gesamte Be- amtenschaft auf eine durch die allgemein gestiegenen Lebens- anspräche bedingte Erhöhung ihres Einkommens vollberechtigten Anspruch hat. Im einzelnen wird man darüber streiten können, welche Gehaltsätzc für die und jene Beamtenkategorien die richtigen find, generell aber muß man sich erst darüber klar sein, daß bei der Bemessung deS Gesamteinkommens des Beamten- Heers auf die Erfolge des wirtschaftlichen Aufschwunges gebührende Rücksicht zu nehmen ist. Ganz kouseqnenter Reformist ist allerdings auch Calwer noch nicht; denn dann hätte er vorschlagen müssen, daß eine Art gleitende Gehaltsskala für die Beamten aller Kategorien aufgestellt wird und jedes Mal, wenn die Lohnhöhe der Arbeiter um 5 oder 10 Proz. steigt, auch alle Beamtengehälter in gleichem Maße aufrücken, damit die in der heutigen göttlichen Wirtschaftsordnung begründete Distanz zwischen Arbeitslöhnen und Beamteugehältern zum Wohle der Arbeiter konserviert bleibt und dieorganische Evolution" nicht zu schnelle Fortschritte macht. Pension" ceubu!. In eingeweihten Kreisen rannt man sich zu, und in den Zeitungen Nest man dann und wann: daß eS unter dem Regime miserer der- zeitigen Jrrengesetzgebung möglich ist, zerrüttete Familienverhältnisse zusanieren" und unbequeme Familienmitglieder auf kürzere oder längere Zeit oder gar für immer u n s ch ä d l i ch zumachen, indem man sie unter gütiger Mitwirkung eines nicht allzu peniblen ArzteS in eineAnstalt" verbringt. Solcher Fälle gibts nachgerade so viele, daß die Oeffentlichkeit sich schließlich daran gewöhnt hat, sie ohne sonderliche Erregung hinzunehmen. Nur tvenn einer derjenigen Herren, die bei solcher Affäre in ihrer Eigenschaft als Aerzte, Polizeibeamte, Nichter von einer Zeitung oder sonstwie in unangenehmer. Weise genannt werden, die Unvorsichtigkeit begeht, den Staatsanwalt zu bemühen, fällt noch einmal ein Strahl des Tageslichts inS tiefe Dunkel unserer Jrren-.Nechtspflege". So gestern: da in Moabit   gegen Karl Schneidt ein Be- leidignngSprozeß begann(den Bericht finden unsere Leser an anderer Stelle), in dem eS sich darum handelt, in die Zustände eines schlestschenPensionats" hineinzuleuchten. EinesPensionats" j denn so nannte und nennt sich wohl noch derjenige Teil der Leubuscr Anstalt, in den eine Frau Lubecki ans Benthe» ihren Gatten einen tüchtigen Geschäftsmann,! angesehenen Bürger, Stadtvcr- ordneten ohne Schwierigkeit(ja ohne daß die recht- lichen Garantien beachtet wurden) zu bringen ver- mochte. Das hat die gestrige Verhandlung mit entsetzlicher, mir erschreckender Deutlichkeit bewiesen. Und sie hat mehr bewiesen. Sie hat gezeigt» daß man für einenwillenstrotzigen"(!) Mann, wenn man Glück hat. einen ärztlichen Gutachter, einen Medizinalrat finden kann, der ein Aitest, das zum bürgerlichen Tode, führt, ausstellt, ohne den Todes- kandidaten recht zu untersuchen-- ein Attest, in dem die winzigen eigenen Wahrnehmungen des Arztes kunterbunt durcheinderwirbeln mit den Mitteilungen der Familienmitglieder, die ein Interesse daran haben, dem Ehegatten, dem Bruder die Reife fürsPensionat" verschaffen zu helfen! Was dem Lubecki passierte und das. macht den Fall wichtig. macht ihn t y p.i s ch kann jedem nervösen Manne, jederwillens- trotzigen" Frau" passieren, wenn sie das Unglück haben, mit skrupellosen Familienangehörigen in Differenzen zu geraten. Sind doch außer Lubecki noch viele andere Patienten imPensionat" gewesen, jenem idyllisch an der Oder gelegenen" Leubus  , wo man die Kränken, wenn sie widerspenstig sind, fünf, neun, dreizehn Stunden und länger ins Wasserbad steckt I Jenem Leubus. das Telegramme und sonstige Mitteilungen seinerPensionäre" nicht an die Adressaten gelangen läßt,' jenem LeubuS, das zwar vom Herrn Landeshauptmann mal besucht wird, in dem man cS aber so einzurichten versteht, daß ein Internierter, der diesen Beamten zu sprechen wünscht, ihn gar nicht zu Gesicht be- kommt... der Juternierte, dem nicht einmal offiziell mitgeteilt wird, daß ihm ein Pfleger bestellt ist! Wir konnten nur eine winzige Bliitcnlese auS der. erdrückenden Materialienfülle geben, die der erste Tag dieses erstaunlichen Prozesses gebracht hat, dieses wunderlichen Prozesses, in dem cS sich erweist, daß diejenigen Männer, die die nächsten dazu sind, nicht einmal genau zu sagen vermögen, wie die wichtigsten Bestimmungen unserer Jrrengesetzgebung lauten, diese Männer, die sich nicht einmal klar oder doch nicht einig sind über die Garantien, die dem deutschen  Bürger auf dem Papier   zur Seite stehen, wenn es gilt, ihn aus der Freiheit heraus in ein modernes Jrrenverließ zu stoßen. Das alles hat der erste Verhandlungstag erwiesen. Was werden die folgenden enthüllen? politische(lederficdt. Berlin  , den 6. November 1908. Fiskalische oder volkstümliche Justizreform. Aus dem Reichstage(7. November). Bei der heutigen Weiterberatung der Justizreform trat zunächst Herr Spahn namens der Mehrheit der Zentrumspartei   wesentlich als Freund der Regierungsentwürfe auf, während für die Minderheit, die Bayern  , später Herr Tch a ler aitS Würzburg  den entgegengesetzten Standpunkt vertrat."Ebeliso- redeten zwei Freisinnige, Ablaß   und Dove, gegen einander. Fm.all- gemeinen. teilen-. sich die Redner, det. verschiedenen bürgerlichen Parteien tpesentlich so. däß die Nichter für, die. An» wälte gegen die Entwürso. sind. So trat als schroffer Gegner des Entlvurfs der Frei- sinnige Ablaß auf. Er vergriff sich indes im Tone. Eüie gute Stunde lang plädierte er mit einem weinerlichen Pathos, als ob er für einen Hanimeldicb aus nnglückticher Liebe mildernde Umstände bei ländlichen Geschworenen erwirken wollte, oder wie Herr Sello, als er für den Peters heiße Tränen aus seinem schönumflorten Augenpaar heraus- zwiebelte. Dabei sprach er einen durchaus anerkennenswerten Grundsatz aus: daß es nämlich grundverkehrt sei, bei einre Gesetzrcform einige geringfügige Verbesserungen mit ander- weiten Verschlechterungen zu erkaufen, weil man sich auf solche Weise den Weg zu späteren gründlichen Reformen blockiert. Sehr wahr I Schade nur, daß Herr Ablaß und seine frei- sinnigen Freunde diesen durchaus richtigen Grundsatz beim Vereinsgesetz völlig außer acht gelassen haben. Mit dem Vorwurf der Fiskalität hatte Herr Ablaß den preußischen Jiistizmimster Herrn Bcseler vom Sitze empor- getrieben. Herr Beseler schaut aus wie ein Bierbrauer, der längere Zeit tu Chlorkalk gebleicht wurde und redet gottgefällig und zögernd wie ein evangelischer Landpastor, der seine Rede mangelhaft einstudiert hat. Hinter jedem Satz schielte er ver- stöhlen über Vollbart und Schnicerbauch auf das Manuskript herab, und dann erwartete man, daß er aushilfsweise ein geliebte Brüder im Herrn!" rnschalten würde. Nach seiner Versicherung ist es das Wohl des Volkes allein, was die Bureaukratie bei allen ihren Maßregeln im Auge hat. Auch hier werde wieder ihre edle Absicht schnöde verkannt. Diese Verteidigung konnte indes den Genossen Frank- Mannheim nicht abhaltet«, den Vorwurf der Fiskalität aufrecht zuerhalten und durch den Hinweis zu begründen, daß der Regierungsentwurf nach einer zuverlässigen Berechnung dem Volke jährlich vier Millionen Mark mehr an Gebühren kosten iverde. Die ministerielle Bekämpfung der Syndergerichte wies er mit dem Hinweis darauf zurück, daß das Volk die Sonder­gerichte(Gewerbegerichte usw.) deshalb vor den gewöhnlichen Gerichten bevorzuge, weil die Richter der Sondergerichte aus einer Wahl durch die Massen hervorgingen. Er forderte auch namens der Sozialdemokratie die grundsätzliche Zulassung der Arbeitersekretäre zur Vertretung vor Gericht. Nachdem noch einige Redner gesprochen, gingen die Vor- lagen an eine Kommission von 28 Mitgliedern. Heute wurden endlich definitiv die Interpellationen über die Regierungskrise aus den Dienstag fest gesetzt. Bis dahin wird der Knochenerweichungprozetz der Blockparteien wohl genügende Fortschritte gemacht haben. Die Trauer-Steuer. DieKreuz-Ztg.", das führende Organ der Konsei- vativen, gibt heute an erster Stelle das Eingesandteiner Witwe" wieder, dem sie die schmerzvolle StichmarkeZur Trauer-Stcuer" gegeben hat. In diesem Eingesandt heißt es: Es ist schon so viel gegen die Nachlaß, und Erbschafts  - steuer für Ehegatten und Kmdcr geschrieben, und doch erscheint das Thema noch immer unerschöpflich, sowohl vom praktischen als vom seelischen Standpunkt aus. Denn gewiß wäre es schwierig, eine andere Steuer aussindig zu machen, die so tief und verletzend in dieallertnnerste Häus­lichkeit eingriffe Äs diese und das gerade in den schwersten Zeiten des Familienlebens, wo die Angehörigen noch ganz unter dem Eindruck des